1 Einleitung

Im Call for Papers zu diesem Themenheft der Zeitschrift für Weiterbildungsforschung wird auf die Dokumentation zur Jahrestagung der Sektion Erwachsenenbildung der DGfE 2019 (Dinkelaker et al. 2020) zur historischen Forschung in der EB/WB verwiesen. Zudem werden dort „Gemeinsamkeiten und Unterschiede in den Programmen und in der Programmplanung in unterschiedlichen Institutionen (z. B. betriebliche, öffentlich verantwortete, partikulare, privat-kommerzielle, wissenschaftliche Anbieter von EB/WB)“ thematisiert. Dies aufgreifend befasst sich der folgende Beitrag erstens kritisch-konstruktiv mit jüngeren Ansätzen und Befunden der historischen Programmforschung (vgl. Ebner von Eschenbach und Dinkelaker 2019, 2020). Zweitens werden exemplarisch in einer qualitativen Programmanalyse Arbeitspläne zweier Volkshochschulen der Weimarer Republik miteinander verglichen. Es wird sich dabei zeigen, dass wesentliche Unterschiede in Programmen sich nicht nur zwischen verschiedenen Institutionen bzw. Organisationen, wie zum Beispiel in der betrieblichen und öffentlichen Weiterbildung, zeigen, sondern sich zumindest historisch auch erhebliche Unterschiede und Variationen innerhalb des Institutionaltypus Volkshochschule erkennen lassen. Der Artikel leistet einen weiteren Beitrag zur historischen Programmforschung mit ihrer Methodik und wirft grundsätzliche Fragen nach der Leitidee bzw. den historischen Leitideen in ihrer Vielfalt bei der Institution Volkshochschule auf.

2 Theoretischer Hintergrund: Historische Programmforschung mit dem Fokus auf Volkshochschulen

Historische Erwachsenenbildungsforschung nutzt viele Methoden und Ansätze (vgl. Überblicke in Born 1991, Ciupke et al. 2002, Filla 2013, Gieseke und Käpplinger 2019, Schrader und Rossmann 2019, Tietgens 2018, Zeuner 2018). Interviews mit Zeitzeuginnen und Zeitzeugen sind ein oft anzutreffender Ansatz. Historische Programmforschung wird des Weiteren zunehmend häufiger als Ansatz verfolgt. Die wahrscheinlich umfangreichste und den größten Zeitraum bezogen auf Volkshochschulen abdeckende Arbeit haben Gieseke und Opelt (2003) vorgelegt. Sie haben die Volkshochschule Dresden nach 1945 im Wesentlichen auf Basis einer Programmanalyse über rund 50 Jahre hinweg detailreich untersucht und zentrale Charakteristika der Volkshochschule als Institution über zwei politische Systeme hinweg herausgearbeitet. Hans Tietgens war es ein Anliegen, Arbeitsplananalysen zur jüngsten Vergangenheit oder der Weimarer Republik (Tietgens 2011) vorzulegen, wobei er aufzeigte, dass Ideen und Wirklichkeiten der Erwachsenenbildung auseinanderklaffen können. Weitere programmanalytische Arbeiten (z. B. Schrader 2011) sind nicht dezidiert historisch fokussiert, aber decken mit den Erhebungszeitpunkten 1979, 1992, 1996 und 2006 durchaus zeitgeschichtlich eine längere Entwicklung ab. Weitere explizit oder implizit historische Programmanalysen wären zu nennen, da zum Beispiel Nolda (2011) Bilder in historischen Programmen untersucht hat. Im Kontext des 100-jährigen Volkshochschuljubiläums entstand eine Vielzahl an Festschriften und Jubiläumspublikationen, die nicht selten historische Programme zumindest als Darstellungsmedium genutzt haben (z. B. Seifert 2019). Generell hat das Jubiläum der Praxis dazu beigetragen, wissenschaftlich die historische Forschung erneut (mehr) in den Blick zu nehmen, wenngleich der Stand der historischen Erwachsenenbildungsforschung stellenweise kritisch bewertet wird (vgl. Stifter und Gonon 2017).

Im Folgenden soll sich mit den Arbeiten von Ebner von Eschenbach und Dinkelaker (2019, 2020) befasst werden, welche „Arbeitspläne“ primär als „erwachsenenpädagogische Angebotskommunikationen“ begreifen und speziell auf Texte in den Programmen fokussieren, in denen Leitideen in Richtung potenzieller Adressatinnen und Adressaten kommuniziert werden. Der Begriff „Arbeitsplan“ wurde in der Gründungszeit und den ersten Dekaden der Volkshochschule verwendet, aber seit den 1960/1970er-Jahren zunehmend durch den Begriff „Programm“ in Theorie und Praxis ersetzt. Der Begriff „Programm“ ist heute der gängige Begriff, während der Begriff „Arbeitsplan“ nicht mehr verwendet wird. Im Folgenden werden die Begriffe „Arbeitsplan“ und „Programm“ im Text synonym verwendet.

Von Ebner von Eschenbach und Dinkelaker haben in zwei Aufsätzen speziell die inneren Umschlagseiten von Arbeitsplänen der Volkshochschule Halle in der Weimarer Republik programmanalytisch untersucht. Theoretisch-konzeptionell sind die Autoren eher skeptisch, ob man Programmplanungshandeln oder Kursgeschehen durch Programme erkennen kann. Vielmehr betonen sie:

Wir schlagen vielmehr vor, das Geschehen selbst in den Blick zu nehmen, das sich in Arbeitsplänen realisiert. Wir verstehen entsprechend Arbeitspläne als ein Format der medialen Kommunikation über die Angebote eines Veranstalters und wir untersuchen die Angebotskommunikation als eine eigenständige Ebene erwachsenenpädagogischer Realität. (Ebner von Eschenbach und Dinkelaker 2020, S. 93)

Dieser Ansatz ist als analytische Fokussierung interessant und soll im Folgenden in einer Art programmanalytischen Replikationsstudie fortgeführt werden. Dadurch kann fokussiert werden, wie Leitideen in einem Programm bzw. Arbeitsplan an prominenter Stelle an Adressatinnen und Adressaten kommuniziert werden. Jedes Programm ist unter anderem ein Kommunikationsmedium, bzw. heute würde man sagen, dass es ein Marketinginstrument ist. Missverständlich könnte aber eine Rezeption dieses Ansatzes insofern sein, dass es in Programmen „nur“ um Kommunikation und Adressatenkonstruktionen gehen würde und Programmplaner „nur“ Veranstalter seien. Programmforschung (vgl. Fleige et al. 2018) zeigt stattdessen an vielen Stellen theoretisch wie empirisch auf, dass Programme in aller Regel interaktiv im Rahmen von inner- und außerinstitutionellen Kontakten und Kooperationen mit vielen Personen und Instanzen entstehen. Interessant ist dabei die Frage, an wen sich die Programmtexte eigentlich alles richten? Es wäre zu kurz gegriffen anzunehmen, dass die Texte sich allein an Adressatinnen und Adressaten im Sinne möglicher Kursteilnehmenden richten würden oder Texte wären, die allein eine Person an ihrem Schreibtisch verfassen würde. Vielmehr sind diese Texte auch Botschaften an Finanziers, Träger, mediale Öffentlichkeit oder das eigene Personal wie Kursleitende. Oftmals entstanden die Texte in Arbeitsplänen und in Programmen in mehr oder minder engen Abstimmungsprozessen mit vielen Personen, wenn Kursleitende zum Beispiel Texte als Vorschläge einreichen oder sich kommunale Politik in Vorworten repräsentiert (vgl. Stanik und Franz 2018). Es werden bewusst oder unbewusst Machtverhältnisse, Positionen, Relationen oder Kompetenzen signalisiert. Immer wieder gibt es mehr oder weniger kritische Artikel der öffentlichen Medien, oftmals im Sommerloch (SPIEGEL 2018, Süddeutsche Zeitung 2021), wo Programme kritisch gegengelesen bzw. durch Datenanalysen untersucht werden, inwiefern eine öffentliche Einrichtung wie die Volkshochschule ihren Bildungsauftrag erfülle, ob sie mit Steuergeldern gut umgehe oder ob es sich bei den Kursangeboten ggf. nur um Unterhaltung handeln würde. Programme sind Kommunikationsmedien, aber wer genau hier jeweils Sender und Empfänger ist, bei welchem Kommunikationsgegenstand, muss sehr differenziert betrachtet und analysiert werden. Die folgende Programmanalyse (Käpplinger 2008, 2011) wird dies diskutieren.

Außerdem wird auf Paul Steinmetz (1929, in Schulenberg 1978, S. 57ff., siehe auch Buchwald 1978) modifizierend Bezug genommen, welcher Ende der 1920er-Jahre analytisch auf drei bzw. fünf verschiedene Richtungen der Volkshochschulbewegung in der Weimarer Republik hinwies.

  1. A.

    die konservativistische Richtung

    1. a.

      eine protestantisch-nationale,

    2. b.

      eine völkisch-romantische und

    3. c.

      eine katholisch-soziale Richtung

  2. B.

    die humanitär-demokratische Richtung

  3. C.

    die sozialistisch-demokratische Richtung

Auf Basis dieser historischen KategorisierungFootnote 1 in der Zeit der Weimarer Republik selbst wird deutlich, dass die deutsche Volkshochschule keine Institution ist, die allein einer Leitidee mit verschiedenen Ausprägungen folgt. Vielmehr ist eher von einer größeren Anzahl von Leitideen auszugehen, die teilweise konkurrierende bis sogar gegensätzliche Ideen verfolgten. Hier sei auch an die Differenz zwischen völkisch-romantisch und humanitär-demokratisch gedacht. Urbach charakterisiert in seiner historischen Arbeit die damalige Gründungssituation wie folgt:

Im Bereich des Bildungswesens war der „Volkshochschulrummel“ eine der deutlichsten Folgen der Revolution: staatliche Verwaltung, einzelne Gruppen und Privatpersonen gründeten mit unterschiedlichen Zielsetzungen sogenannte „Volkshochschulen“, die außer der Bezeichnung wenig gemein hatten. (Urbach 1971, S. 84)

Auch personell kann man das zum Beispiel in Dresden an den Extremen Bruno Tanzmann (1878–1938) sowie Franz Mockrauer (1889–1962) exemplarisch veranschaulichen. Beide Personen waren bedeutsame Angehörige der Volkshochschulbewegung in der Weimarer Republik, aber während Tanzmann (1913, 1917) ein völkischer Wegbereiter der NS-Ideologie war (Nitschke 2007), war Mockrauer durch und durch Demokrat sowie Verfolgter und Vertriebener des NS-Regimes. Die Leitideen der Volkshochschule sind deutlich überwiegend eng verflochten mit der Demokratisierung Deutschlands, aber nicht alles an Volkshochschularbeit und -ideen ist demokratisch angelegt in ihrer Geschichte (vgl. Meilhammer 2018).

3 Methodisches Vorgehen

In der historischen Erwachsenenbildungsforschung sind einige Volkshochschulen sehr gut erforscht (siehe Überblick in Käpplinger 2021). Dies gilt zum Beispiel für die Volkshochschulen in Berlin, Leipzig oder in Thüringen. Teilweise wird in der Forschung hier von den sogenannten „Berliner“, „Leipziger“ oder „Thüringer Richtungen“ (Reimers 2000) gesprochen. Vor diesem Hintergrund wurde sich dagegen entschieden zwei Volkshochschulen auszuwählen, an denen bislang nicht ähnlich viele Publikationen vorliegen. Außerdem wurde versucht, andere Regionen des damaligen Deutschen Reiches in den Blick zu nehmen.

Zu den Volkshochschulen in Bremen und Gießen liegen sehr lesenswerte Jubiläumsschriften vor (Volkshochschule Gießen 2018; Schlutz 1995). Wollenberg (1985, 2007) sowie Glöckner (1977) haben eine Reihe an Arbeiten zur Volkshochschule in Bremen verfasst. In Kenntnis dieser Literatur wurde sich für die Auswahl der Volkshochschulen in Bremen und Gießen an dem Prinzip der „Kontrastierung“ orientiert, da es sich um jeweils sehr unterschiedliche Volkshochschulentstehungen und -konzeptionen gehandelt hat. Mit den beiden Volkshochschulen sollte ein maximaler Kontrast dargestellt werden. Sicherlich gäbe es hierfür weitere Beispiele, die alternativ zur Darstellung zweier Extrempole der Volkshochschularbeit in der Weimarer Republik hätten dienen können. Bremen und Gießen bieten zumindest einen relativ großen Kontrast und zukünftige historische Forschung müsste das Gesamtsample der Volkshochschulen in der Weimarer Republik rekonstruieren in seiner Ausrichtung, sodass man erst dann das Prinzip der „maximalen Kontrastierung“ anwenden könnte, während sich im Folgenden lediglich an einer Kontrastierung versucht wird.

Zu beachten ist, dass es in Bremen anfangs nicht nur eine, sondern 1919 sieben bis acht verschiedene Volkshochschulen gab, wobei sich bald eine bestimmte Volkshochschule kommunal durchgesetzt hat (Schlutz 1995, S. 19f.). Arbeitspläne sind nach bisherigem Kenntnisstand von lediglich zwei dieser Volkshochschulen erhalten geblieben. In Gießen gab es nur eine Volkshochschule.

Arbeitspläne dieser zwei Volkshochschulen in Bremen nach 1918 konnten über das Bremer Staatsarchiv im Bestand StAB, 4.36–586 Volksschule recherchiert werden und wurden dem Autor vom Staatsarchiv in digitaler Form zu Verfügung gestellt.Footnote 2 Arbeitspläne der Volkshochschule in Gießen konnten im Stadtarchiv gefunden werden. Die Materialien finden sich in der Verzeichnungseinheit L 621 und als Teil unserer Dienstbibliothek (Signatur: 6N 830 [weiße Kiste]). Leider ist die Überlieferung der Druckschriften nicht lückenlos. So fehlen ab Wintersemester 1929/30 (23. Ausgabe) sprungweise einige Ausgaben. Das 32. Halbjahr (Wintersemester 1934/35) ist nochmals im Archiv abgedeckt, wobei die Volkshochschule bereits zu einem NS-Volksbildungswerk umgewandelt worden war.Footnote 3 Die Arbeitspläne wurden vor Ort kopiert. Die Arbeitspläne (15 in Bremen und 18 in Gießen) umfassen rund 10 bis 20 Seiten je nach Jahrgang.

Bei der qualitativen, interpretativen Programmanalyse der Arbeitspläne wurde sich, wie bei Ebner von Eschenbach und Dinkelaker (2019, 2020), auf die innere Umschlagseite fokussiert, wo jeweils Leitideen und Leitbild dargestellt werden. Zitate aus den Vorwörtern von Arbeitsplänen von Volkshochschulen in der Weimarer Republik veranschaulichen, wie programmatisch die dort anzutreffenden Aussagen sind:

  • „Die Volkshochschule will in erster Linie den Lern- und Bildungsbedürfnissen der werktätigen Bevölkerung dienen.“ (Halle, bei Ebner von Eschenbach und Dinkelaker)

  • „Die Volkshochschule will jedem Höherstrebenden ermöglichen …“ (Gießen)

  • „… die Liebe und das Verständnis für die Heimat, für das heimische Volkstum und für die Hochwerte deutscher Kultur in Philosophie, Kunst und Wissenschaft wecken und pflegen.“ (Bremen)

Es wird berechtigt auf die schwierige Quellenlage und die Archivierung von Quellen der Geschichte der Erwachsenenbildung hingewiesen. Unter anderem aufgrund des geringen gesellschaftlichen Prestiges, der knappen Ressourcen der Erwachsenenbildung (z. B. im Vergleich zu Schule oder Hochschule) und des oft eher geringen Selbstbewusstseins im Feld bestehen Mängel in der Quellen- und Archivlage. Umso wichtiger ist es, die vorhandenen Quellen und Bemühungen um Archivierung angemessen zu würdigen und zu pflegen. So sei an Programmarchive am Deutschen Institut für Erwachsenenbildung, an der Humboldt-Universität zu Berlin sowie das Volkshochschularchiv in Wien erinnert. Das Programm einer Weiterbildungseinrichtung ist zeitgeschichtlich materialisierter Ausdruck von Bildung. Dies gelingt aber nur zu sichern, wenn Material entsprechend erhalten wird. Jenseits von Volkshochschulen ist kaum damit zu rechnen, dass kommunale Archive Weiterbildungsprogramme archivieren.

4 Arbeitsplananalyse

4.1 Volkshochschule der Stadt Gießen – Diachrone Ebene

Der erste Arbeitsplan liegt für das Wintersemester 1919 vor. Dort finden sich auf der Seite zwei die folgenden Leitsätze (Abb. 1).

Abb. 1
figure 1

Seite zwei im Arbeitsplan der Volkshochschule Gießen im Wintersemester 1919 (Quelle: Stadtarchiv Gießen)

Bei dem ersten Leitsatz wird sofort und prominent an hohe Bildungsaspirationen appelliert („jedem Höherstrebenden“) sowie „freie Arbeit und Kritik“ in Aussicht gestellt, samt „Selbstnachdenken“. Es wird zudem ein Dualismus von Natur und Kultur inhaltlich thematisiert, aber auch die Breite „aller menschlichen Erkenntnis“.

Der zweite Absatz variiert das Motiv der hohen Aspirationen, wenngleich dies in einer negativen Definition erfolgt. Es wird betont, dass die Volkshochschule „keine verwässerte Universität“ sei, was ggf. auch deswegen wichtig war, dass die Volkshochschule nahezu keine eigenen Räume oder gar Häuser zur eigenen Verfügung hatte. Viele Veranstaltungen fanden in der Universität statt und wurden anfangs zumeist von Hochschullehrenden geleitet.Footnote 4 Es wird mit einer abgrenzenden Formulierung die Eigenständigkeit der Volkshochschule betont, wenngleich nicht näher präzisiert wird, was dies Eigenständige genau ist. Man beansprucht jedoch die gleiche Lehr- und Lernfreiheit wie eine Hochschule, sodass simultan Differenz und Gemeinsamkeit von Hochschule und Volkshochschule in diesem Absatz markiert werden.

Diese negative Abgrenzung setzt sich im dritten Absatz fort, wo sich nun von Fachschulen abgegrenzt wird. Dann wird hier die avisierte Arbeit der Volkshochschulen über Zielsetzungen näher definiert. Diese sind die „Vertiefung der Allgemeinbildung“, „bekämpft die Halbbildung“ und die großen Ziele sind individuell „geistig bewußte, selbständige Persönlichkeiten“ sowie gesellschaftlich „eine neue geistige Volksgemeinschaft“.

Die Unabhängigkeit von einer Partei oder Weltanschauung wird im Einstieg von Absatz vier betont. Politische und religiöse Neutralität werden des Weiteren betont.

Im fünften Leitsatz wird der Anspruch auf Dauerhaftigkeit thematisiert und ein Angebotsrhythmus in Form von Semestern in Aussicht gestellt.

Schließlich werden an Veranstaltungsformen Vortragsreihen und Arbeitsgemeinschaften genannt. Letztere wird kurz näher erläutert, um transparent zu machen, was dies meint.

Diese Leitsätze stehen auf Seite zwei der Volkshochschularbeitspläne bis 1926 jedes Jahr in nahezu unveränderter Form, was Stabilität erkennen lässt. Nach einigen Semestern wird der Punkt 5 ersatzlos gestrichen und Punkt 6 zu Punkt 5. Diese Änderung macht deutlich, dass der Anspruch auf Dauerhaftigkeit damit wohl als eingelöst angesehen wurde und nicht mehr explizit und extra formuliert werden sollte.

Ab 1927 finden sich Werbeanzeigen für Gaswerke (siehe Abb. 2) oder Berichte über die Volkshochschularbeit auf der S. 2. Die Leitsätze entfallen und finden sich auch nicht an anderen Stellen der Arbeitspläne bzw. Programme. Man kann dies als eine frühe Form der Ökonomisierung der Volkshochschularbeit interpretieren und die Jubiläumsschrift der Volkshochschule Gießen (2018, S. 51–52) liefert nähere Hinweise dazu, dass 1927/1928 finanzielle Probleme der Volkshochschule Gießen bestanden aufgrund von gewachsenen Aufgaben und Mehrausgaben für Personal. Die Werbeanzeigen waren anscheinend ein Ansatz, um die finanziellen Probleme zu lösen, wobei auch die Stadt ihren Etatanteil 1927 erhöhte, aber dann 1930 absenkte (Abb. 2).

Abb. 2
figure 2

Seite zwei im Arbeitsplan der Volkshochschule Gießen im Wintersemester 1927/1928 (Quelle: Stadtarchiv Gießen)

1934/1935 erfolgt in Gießen, wie auch oftmals reichsweit (siehe Umfrageergebnisse von 1935 in Keim und Urbach 1976, S. 148–149), die Umwandlung und Integration der Volkshochschule in das Deutsche Volksbildungswerk in der „Kraft durch Freude“ (KdF) Gießen als neuen, nationalsozialistischen Träger an Stelle der Stadt Gießen. Bereits das Deckblatt wartet in der Mitte des Titelblattes mit einem Zitat von Hitler auf, um die eindeutige politische Neuausrichtung der Einrichtung deutlich und öffentlich zu kommunizieren (Abb. 3).

Abb. 3
figure 3

Seite zwei im Arbeitsplan der Volkshochschule Gießen im Wintersemester 1934/1935 (Quelle: Stadtarchiv Gießen)

Im diachronen Vergleich stellen sich die Leitsätze an der Volkshochschule Gießen als relativ stabil bis zur NS-Zeit dar. Es gab nur 1927 ökonomische Umbrüche und dann erst 1933 die große politische Zäsur. Die Leitsätze zwischen 1919 und 1927 sprechen zuvor selbständige Lernende mit einem breiten Bildungsangebot an, die mit Anspruch lernen wollen. Die Volkshochschule grenzt sich von anderen Bildungseinrichtungen wie Fachschulen und Universitäten ab. Politische und weltanschauliche Neutralität werden betont. Es werden Schwellen statt „Bildung für alle“ definiert, da zum Beispiel Lerninteressierte mit nicht-ambitionierten Bildungsinteressen tendenziell ausgeschlossen werden, da „Höherstrebende“ adressiert werden, die keine unmittelbare Verwertbarkeit des Gelernten erwarten, wobei für Erwerbslose der Besuch der Volkshochschulkurse ökonomisch niedrigschwellig kostenlos ist. Bestimmte politische oder religiöse Haltungen werden latent ebenfalls ausgeschlossen bzw. es wird keine diesbezügliche Bildung in Aussicht gestellt. Die Programmatik der Volkshochschule kann als quasi humanistisch-bildungsbürgerlich eingestuft werden, die sich durch politische Abstinenz kennzeichnet und Bildung als individuelles und gesellschaftliches Mittel zur Distinktion begreift. Untere Schichten oder bestimmte Klassen, wie Arbeiterinnen und Arbeiter oder Werktätige, werden nicht näher erwähnt und Demokratisierung oder Demokratie sind keine expliziten Bezüge, wenngleich implizit die Freiheit der Arbeit und die Freiheit der Lehre sehr wohl einen demokratisierenden Ansatz enthalten. Das neue Staatswesen ist jedoch kein explizites Thema bei den Leitsätzen. Paradoxerweise ist damit die eher apolitische Positionierung doch auch eine politische Positionierung in der Stadtgesellschaft. Dadurch, dass sie lediglich in Abgrenzung zu dem dargestellt wird, was die Volkshochschule alles nicht ist, entsteht der Eindruck, dass es keine eindeutige Positionierung dazu gibt, was die Volkshochschule denn ist, was sie anstrebt und ausmacht. So erfährt man zum Beispiel, dass die Volkshochschule „keine verwässerte Universität“ ist. Aber was heißt dies konkret und was ist dann die eigene, genaue Bedeutung? Gegebenenfalls war diese Bedeutung 1919 noch den Urhebern der Leitsätze selbst nicht eindeutig klar, sodass man lediglich in einer Art Suchbewegung skizzieren konnte, was man nicht ist, bzw. nicht sein wollte.

4.2 Volkshochschule(n) in der Stadt Bremen – diachrone Ebene

Während in Gießen lediglich eine Volkshochschule entstand, stellt sich die Situation in Bremen komplexer dar. Bremen hatte 1919 rund 250.000 Einwohnerinnen und Einwohner und Gießen lediglich rund 35.000, aber dies ist nicht der primäre Grund dafür, dass in Bremen zahlreiche Volkshochschulen entstanden. Schlutz (1995, S. 19f.) und Wollenberg (2007) arbeiten heraus, dass es in Bremen eine intensive Konkurrenz verschiedener Gruppen rund um Volkshochschulideen gab, was zur bereits erwähnten Gründung von mehreren Volkshochschulen 1919 führte. Eine dieser Volkshochschulen stammte vom Guttemplerorden (Abb. 4).

Abb. 4
figure 4

Seite zwei im Arbeitsplan des Bremer Volkshochschullehrganges des Guttemplerordens im Winter 1919/1920 (Quelle: Staatsarchiv Bremen)

Der aus den USA stammende, jedoch internationale Guttemplerorden, der bis heute existiert und Teil der Abstinenzbewegung ist, hat eine freiheitliche Grundorientierung. Aus Platzgründen kann diese komplexe Konzeption nicht näher diskutiert werden, zudem hat sich diese Volkshochschule als kaum nachhaltig erwiesen. Im Bremer Staatsarchiv im Bestand StAB, 4.36–586 Volksschule finden sich für weiterführende Forschung entsprechende Quellen. Für weitere Volkshochschulgründungen in Bremen gilt dies ähnlich, wenngleich nach Kenntnisstand und Recherchen des Autors von diesen Einrichtungen leider weder Material noch Arbeitspläne mehr erhalten zu sein scheinen.

Vielmehr setzte sich kommunal bei der Stadt Bremen eine völkisch-romantische Konzeption mit vielen „Heimatbezügen“ des ersten Bremer Volkshochschulleiters Richard von HoffFootnote 5 durch (Abb. 5).

Abb. 5
figure 5

Seite zwei im Arbeitsplan der Bremer Volkshochschule im Winter 1919/1920 (Quelle: Staatsarchiv Bremen)

Die Volkshochschule Bremen spricht „alle Volksgenossen“ an. Modern für die Zeit ist dabei, dass dezidiert beide Geschlechter erwähnt werden. Des Weiteren wird eine Altersgrenze von mindestens 18 Jahren markiert. Stand, Partei oder (religiöses) Bekenntnis seien gleichgültig. Der zweite Satz markiert dann aber deutlich völkische Perspektiven, da „Heimat“, „heimatliches Volkstum“ und die „Hochwerte deutscher Kultur“ betont werden. Dazu passend ist das romantisch-ländliche Bildmotiv in der obersten Zeile mit einem ländlichen Flechtkorb, aus dem Rosen sprießen. Im Arbeitsplan selbst ist der erste Programmbereich Heimatkunde und es wird dezidiert „Deutsches Schrifttum“, „Deutsche Sprache“ oder „Deutsche Philosophie und Weltanschauung“ in anderen Gliederungspunkten des Arbeitsplanes genannt.

Veranstaltungsformen sind Vortragsreihen, Arbeitsgemeinschaften und Führungen, die kurz erläutert werden. Es wird betont, dass Vorkenntnisse nicht erforderlich sind und die Veranstaltungsauswahl freiwillig erfolgen kann. Schließlich folgen eher organisatorische Hinweise, wo und wann man weitere Informationen finden kann.

Ab 1920/1921 rücken die Angaben inhaltlich unverändert von Seite zwei auf Seite sechs hinter die Angebote und die Titelseite, wo sich ab 1920 ein nordisches Wikingerschiff findet. Ab 1925 werden „heimatkundliche Wanderungen“ als Veranstaltungsform ergänzt, aber ansonsten ändert sich nichts. Ökonomische Probleme wie in Gießen scheinen an der Bremer Volkhochschule nicht bestanden zu haben. Zumindest kam es nicht zur Schaltung von Werbeanzeigen wie in Gießen gegen Ende der 1920er-Jahre.

Vergleicht man diesen völkischen Ansatz in diesen Leitsätzen mit anderen Ausführungen des Volkshochschulleiters Vonhof, dann sind die Leitsätze noch relativ moderat, bzw. die wahren Geisteshaltungen kaschierend:

Mit dem Wort „national“ ist im Laufe der Zeit soviel getrieben worden, daß es heute nur noch mit aller Vorsicht gebraucht werden kann; jedenfalls genügt die Geschichte allein zu seiner Begründung nicht, ganz abgesehen davon, daß es von lateinisch nasci = „geboren werden“ stammt und damit mindestens ursprünglich auf Blutsverwandtschaft hinweist. Da es zweideutig geworden ist, möge es fallen. Gleichwohl ist die gemeinsame geschichtliche Überlieferung ein nicht zu unterschätzendes Band, aber es kommt ganz erheblich darauf an, mit wem ich sie gemeinsam habe. Wie wenig läge uns z. B. daran, wenn sich in Hamburg an Stelle unserer wackeren Niedersachsen 3000 Chinesen als Hafenarbeit niederließen, oder in Westfalen 5000 Hereros als Grubenarbeiter angesiedelt würden! Hätten wir nicht nach hundert Jahren vielleicht große geschichtliche Überlieferungen mit ihnen gemeinsam, genauso wie wir sie mit den Juden gemeinsam haben, die auch nicht unseres Stammes sind? Und daß ist doch gerade das Wichtige, das Unersetzbare, das Unübertragbare: die angeborene, im Blut, in der Rasse begründete Art zu denken, zu fühlen und zu handeln. Sie ist es, die viel mehr als alles andere unsere völkische Eigenart begründet. Und darum fühlen wir uns den stammesverwandten Nordgermanen trotz mancher künstlich erzeugten Gegensätze innerlich nahe, obwohl wir weniger gemeinsame geschichtliche Beziehungen zu ihnen gehabt haben als z. B. zu den Tschechen, die seit tausend Jahren die Geschichte der deutschen Länder teilen. Auch deutsch können die Tschechen sprechen, wenn sie wollen; aber das allein macht es wahrlich nicht aus. (Vonhof 1918, S. 6–7)

Im Zitat wird die rassistische Einstellung Vonhofs eindeutig, der sich darin sogar vom Nationalen abgrenzt. Dabei sind selbst die gleiche Sprache und Geschichte für ihn nicht so wichtig wie die vermeintlich gleichen rassischen Wurzeln.

Vor diesem bereits 1918 formulierten Hintergrund sind die Leitsätze der Volkshochschule Bremen 1919 und in den Folgejahren der Weimarer Republik einzuordnen, wobei die Leitsätze dafür sogar noch relativ moderat ausfallen und mit Begriffen wir „Heimat“ und „Volkstum“ lediglich andeuten, wie die Volkshochschule sich weltanschaulich selbst positioniert. Vergleich man das mit den Positionierungen des Bremer Volkshochschullehrganges des Guttemplerordens 1919, dann werden erhebliche Unterschiede deutlich. Dieser hat mit seinem formulierten „idealen Ziel der Volkshochschule (…) als Heranbildung innerlich gefestigter, sozial wertvoller Menschen, Staatsbürger und Volksgenossen, die ein erreichbar höchstes Maß von Zufriedenheit und Glück in sich tragen“ eine erstaunlich moderne Konzeption, die an die heutige Gegenwart anschlussfähig ist, sodass man sich nachträglich wünschen würde, dass sich diese Richtung in Bremen durchgesetzt hätte. Allgemein ist daran interessant, dass Richtungsstreitigkeiten nicht nur zwischen Städten und Regionen bestanden, sondern auch innerhalb einer Stadt bzw. Region vorhanden sein können.

4.3 Volkshochschule Bremen und Gießen – Vergleich

Vergleicht man die in den Leitsätzen dargestellten Konzeptionen der beiden Volkshochschulen, stechen markante Unterschiede ins Auge. Die Volkshochschule Bremen ist eindeutig ein Beispiel einer völkischen Teilrichtung der deutschen Volkshochschulbewegung, die schon während und nach dem Ersten Weltkrieg präsent war. Bruno Tanzmanns Schriften und Arbeiten in Dresden-Hellerau (Tanzmann 1913, 1917) wären ein Bezugspunkt und Beleg für diese völkische Teilrichtung, die sicherlich nicht die Mehrheitsmeinung innerhalb der Volkshochschulbewegung darstellte, aber präsent war. Thomas Nitschke (2007) hat herausgearbeitet, wie Tanzmann und sein bereits 1919 begründeter Hakenkreuz-Verlag einzuordnen sind. Aber selbst in Hellerau konnte Tanzmann sich nicht durchsetzen und z. B. Weitsch suchte in Thüringen explizit die Distanz zu allen Volkshochschulrichtungen, die von Tanzmann inspiriert waren (vgl. Reimers 2000, S. 80f). Die Volkshochschulbewegung war in großen Teilen immun gegen dies frühzeitig sehr ausgeprägt völkische Denken, wobei Wollenberg (2007, 2020) die völkische Ausrichtung der in Bremen etablierten Volkshochschule in der Weimarer Republik und ihren ersten Leiter Richard von Hoff berechtigterweise ähnlich kritisch sieht. Es gab Volkshochschulen wie in Görlitz, wo sich das Völkische und das Demokratische über Jahre hinweg „die Waage gehalten“ haben, aber die Völkischen schon vor 1933 „fest etabliert sind“ (Seifert 2019, S. 34) und es gab auch (wenige)Footnote 6 Volkshochschulen wie Bremen, wo das Völkische sogar von Anfang an dominant war.

Die Programmatik der Volkshochschule Gießen kann dagegen kontrastierend als quasi humanistisch-bildungsbürgerlich eingestuft werden. Obwohl an der Entstehung der Volkshochschule Gießen Gewerkschaftler und Sozialdemokraten – wozu auch wenige Frauen ohne Beruf und Mandat gehörten – zu einem nicht unwesentlichen Teil beteiligt waren, hat sich hier, anders als in Berlin, Halle oder Leipzig, eher eine nicht-sozialistische Position durchgesetzt. Es ist eine Position der eher politischen Abstinenz oder Neutralität, die hier formuliert wird. Sie ist gekennzeichnet von einem humanistischen Bildungsverständnis. Untere Schichten oder bestimmte Klassen, wie Arbeiter oder Werktätige, werden in den Leitsätzen, anders als beispielsweise in der Leipziger oder Berliner Richtung, nicht direkt angesprochen, wenngleich Erwerbslose Kurse kostenlos besuchen durften. Demokratisierung oder Demokratie sind keine expliziten Bezüge. Auch das neue Staatswesen ist kein explizites Thema, wenngleich sich mit dem Freiheitsbegriff zumindest implizite Bezüge zur neuen Gesellschaftsordnung durchaus rekonstruieren lassen.

Letzteres stellt im Übrigen über alle Unterschiede hinweg eine Gemeinsamkeit der Volkshochschulen in Bremen und Gießen dar, die sich beide bis 1933 nicht offen für das Staatswesen der Demokratie positionieren, sondern Neutralität proklamieren. Lediglich die nur kurzlebige Volkshochschule des Guttemplerordens wollte die Bildung von Staatsbürgern explizit fördern, aber anscheinend war ausgerechnet dafür die Zeit leider nicht reif, da sich diese demokratische Volkshochschule in Bremen weder bereits 1919 noch in der Zeit der Weimarer Republik durchsetzen konnte.

5 Fazit und Rückbindung an den Forschungsstand der Programmforschung

Die Arbeiten zur Volkshochschule Halle von Ebner von Eschenbach und Dinkelaker (2019, 2020), welche mit ihrem speziellen Fokus Arbeitspläne primär als erwachsenenpädagogische Angebotskommunikationen begreifen wollen, sind, wie bereits erwähnt, sehr anregend und Fokussierungen in der Forschung sind zu begrüßen. Allerdings sollte man damit vorsichtig sein, von einem speziellen Analysefokus auf die allgemeine Charakteristik und die verschiedenen Funktionen des Forschungsgegenstandes Programm oder Arbeitsplan zu schließen. Die Analyse der inneren Umschlagseite und der dortigen Leitsätze können interessante Aufschlüsse bieten.

Die Angebotskommunikation von Volkshochschulen gerade in ihrer Gründungsphase war unter anderem bezogen auf die jeweiligen Stadtgesellschaften. Hier geht es auch um Legitimation und reaktive oder proaktive Entkräftung von Gegenargumenten. Wenn in Gießen in den Leitsätzen formuliert wird, dass die Volkshochschule „keine verwässerte Universität“ sein soll, dann ist dies eine institutionelle Positionierung gegenüber elitären Teilen des akademischen Milieus, welche damals den „Volkshochschulrummel“ (vgl. Urbach 1971, S. 84) kritisierten und die gegenüber einer populären Öffnung der Universitäten erfolgreich über Dekaden hinweg widerständig waren. Generell kann die Entstehung der Volkshochschulen in Deutschland partiell als ein Ausweg angesehen werden, wodurch man die mangelnde Öffnung der Universitäten für die Breite des Volkes zu kompensieren suchte. Das Bildungsprivileg, studieren zu dürfen, wurde in der Weimarer Republik zwar abgebaut, da unter anderem deutlich mehr Frauen als im Kaiserreich studieren durften, aber von einer Massenuniversität wie heute war man noch sehr weit entfernt. Insofern geht die Angebotskommunikation über die Werbung von Teilnehmenden deutlich hinaus und die Volkshochschulen kommunizierten mit den Leitsätzen in Richtung von mehr als einer Adressatengruppe, was heute nicht anders sein dürfte, wo Träger, Regionalpolitik oder Finanziers auch mit im Blick sind, was in der heutigen Zeit noch sehr relevant ist und zum Beispiel bei Vorwörtern zu Fluchtbewegungen ganz deutlich sichtbar wird (Stanik und Franz, 2016). Man kann behaupten, dass Vorwörter in Programmen eine Art Leitbild im Kontext des Zeitgeistes sind, wo sich Einrichtungen sichtbar und politisch positionieren können.

Der spezielle Fall der Volkshochschulen Bremen mit mehreren, konkurrierenden Volkshochschulgründungen 1919 (Schlutz 1995, S. 19f.) sowie einer Bremer Arbeiterbewegung, die sich bewusst in Distanz zu „bürgerlichen Bildungseinrichtungen“ Wollenberg (1985, S. 175) positionierte, zeigt auf, dass die neuen Volkshochschulen sich regional etablieren mussten, was divergente Prozesse und divergente Ergebnisse bedeuten konnte. Dementsprechend unterschiedlich stellen sich Programm und Angebotskommunikation dar, was man durch die Programmanalysen erkennt. Trotz der gravierenden Unterschiede fällt jedoch als Gemeinsamkeit der Volkshochschulen Bremen und Gießen, wie auch der von Ebner von Eschenbach und Dinkelaker (2019, 2020) analysierten Volkshochschule Halle, auf, dass sich der Vorgang etablierte, auf der inneren Umschlagseite rund einseitig die Leitideen der Volkshochschule festzuhalten. Dafür gab es wohl kaum eine überregionale Vorgabe oder gar Standardisierungen des Austausches, aber dennoch haben die Arbeitspläne eine bemerkenswert ähnliche Erscheinungsform angenommen. Zu prüfen wäre in weiterführenden Arbeiten, was diese ersten Arbeitspläne und Programme in ihrer Gestaltung inspiriert hat und welche Bedeutung überregionale Gremien oder Austauschformate wie Tagungen hatten. Standen eventuell Programme anderer Bildungseinrichtungen, wie Schulen oder Hochschulen, als Inspirationsquellen Pate?

Diese Angebotskommunikation erfolgte jedoch nicht nur nach außen, sondern auch nach innen. In den analysierten Leitsätzen – gerade in Gießen – wird eine gewisse Suchbewegung deutlich, mit der Bestrebung, zu definieren, was Volkshochschule ist. Es zeigt sich eine Identitätssuche einer damals neuen Einrichtung, die nach Institutionalisierung strebte. Bester Beleg dafür ist die Formulierung in Gießen „Die Volkshochschule wird eine ständige Einrichtung sein“, der (erst) nach sieben Jahren entfällt. Dies ist unter anderem eine Botschaft an das potenziell oder tatsächlich lehrende Personal. Letzterem musste die Volkshochschule vertraut gemacht und Lehrkräfte mussten gewonnen werden. Wie am Beispiel von Bremen und Gießen veranschaulicht, und was durch weitere Richtungen, wie zum Beispiel eher sozialistische bis sozialdemokratische Richtungen in Berlin oder Leipzig, ergänzt werden könnte, bestanden gravierende regionale Unterschiede zwischen den Volkshochschulen. Man sprach und spricht zwar von der Volkshochschulbewegung im Singular und Fachartikel diskutieren das Proprium oder die Idee der Volkshochschule (Ahlheim 2015), aber dahinter verbargen sich sehr diverse Strömungen, die auch miteinander in verdeckter oder offener Konkurrenz standen, wie es für den partiellen Streit zwischen den Thüringer und Berliner Richtungen gilt (Reimers 2000, S. 1). Leitsätze in einem Arbeitsplan müssen vor diesem Hintergrund gelesen werden. Leitsätze im Arbeitsplan sind zum Teil Signale bzw. Schwellendefinitionen, wer und was im Programm personell und inhaltlich gewünscht und unerwünscht ist. Damit werden Vorentscheidungen getroffen, die später „Anfangssituationen“ in Bildungsveranstaltungen maßgeblich vorstrukturieren. Programmanalysen können nicht die Kursrealitäten erfassen. Ebenso begrenzt können dies andere Methoden, wie Interviews oder Umfragen und selbst Unterrichtsvideos. Trotzdem gewinnt man einen Grundeindruck, wie im Kontext des Möglichen und Gewünschten bereits Weichenstellungen vorgenommen werden, und über die Zeit hinweg kann man beobachten, was es ggf. an Verschiebungen und Veränderungen gibt oder nicht gibt. Im Detail wäre zudem noch zu analysieren, ob es größere oder kleinere Abweichungen zwischen der Programmatik in den Leitsätzen und den einzelnen Lehrangeboten gibt.

Letztlich zeigt sich, dass Programme und Arbeitspläne recht komplexe Kommunikationsmedien sind, mit denen man verschiedenen Schichten und Weiterbildungsrealitäten nachspüren kann. Interessant wäre das Auffinden und der Zugang zu historischen Arbeits- und Lehrplänen, die weitere Richtungen versinnbildlichen und ggf. dazu beitragen könnten, bestehende Richtungssystematiken wie von Steinmetz (1929, in Schulenberg 1978, S. 57ff.) oder Langewiesche (1989, S. 340) einer Revision oder Ergänzung zu unterziehen. Gegebenenfalls könnte dies in Analysen über Deutschland hinaus in anderen Ländern mit Volkshochschulen (vgl. Dostal 2019; Filla 2013) erfolgen. Mit Blick auf die Gegenwart und Zukunft bleibt zu hoffen, dass die damals völkische Volkshochschulrichtung, die nichts mit der heutigen Volkshochschule in Bremen gemein hat, jedoch theoretisch leider möglich ist, keinerlei Nachahmung in der Praxis mehr findet. Hier sind die heutigen Volkshochschulen gut beraten, ihre Geschichte kritisch aufzuarbeiten bzw. an die bereits vorliegenden Geschichtsaufarbeitungen (z. B. Schlutz 1994; Oppermann und Röhrig 1995; Seifert 2019) zu erinnern.

Jenseits der historischen Analyse wäre bei aktuellen Programmen interessant, Leitbildanalysen durchzuführen, um zu sehen, wie Volkshochschulen sich heute gegenüber Adressatinnen und Adressaten und den jeweiligen Kommunen positionieren. Es ist wahrscheinlich, dass Volkshochschulen nicht nur in der Vergangenheit sehr unterschiedlich waren, sondern dies auch heute noch sind, wobei es eine Hypothese sein könnte, dass heute die Vielfalt deutlich geringer als früher ist. Was die genaueren Ursachen (Personal, Region, Verbände, Politik etc.) für diese größeren oder kleineren Unterschiede sind, wäre ebenfalls zu klären.