1 Einleitung

Die Bedeutung von Weiterbildung hat im Zuge der Transformation von Arbeit und Gesellschaft insbesondere mit der Subjektivierung und Entstandardisierung (Schnell 2012) sowie der Digitalisierung (Langemeyer 2019) zugenommen. Dies hat aber bislang kaum Niederschlag in einer intensivierten theoretischen Diskussion zur beruflichen Weiterbildung gefunden. Angesichts dieses Desiderats wird im folgenden Beitrag eine theoretische Verortung von Weiterbildung im Kontext von Beruflichkeit entwickelt, die sich auf den aus der Professionsforschung stammenden Ansatz der iterativen Bildung (vgl. Kraus 2017a; b) stützt, bei dem die räumliche und zeitliche Verschränkung von Lern- und Bildungsprozessen mit dem kohärenzstiftenden Bezug auf Professionalität im Zentrum steht. Im folgenden Beitrag wird dieses Prinzip einer konstitutiven Verschränkung von Lern- und Bildungsprozessen für Beruflichkeit adaptiert, die wie Professionalität ebenfalls eine spezifische Form und Qualität in der Erbringung von Tätigkeiten bezeichnet. Dazu werden zunächst die beiden Zugänge Beruflichkeit und iterative Bildung dargelegt und im Anschluss daran die Grundelemente iterativer Bildung ausgehend vom Konstrukt der Beruflichkeit theoretisch ausgearbeitet. Eine solche Perspektive öffnet den Rahmen für empirische Arbeiten, die die Entwicklung von Beruflichkeit als subjektiven und zugleich institutionell gerahmten Prozess untersuchen, den Zusammenhang verschiedener Lern- und Bildungsräume im beruflichen Lernen analysieren und berufliche Entwicklungspfade über die systembedingte Zäsur zwischen Aus- und Weiterbildung hinweg rekonstruieren. Sie verweist auch auf die Notwendigkeit, Fragen zur strukturellen und konzeptionellen Gestaltung von Berufsbildung neu zu diskutieren.

2 Die Berufsform und die Diskussion um Beruflichkeit

Die Diskussion um die Berufsform, die nach wie vor für eine spezifische Art und Qualität der Erwerbsarbeit und darauf bezogener Bildungsprozesse steht, hat sich im Kontext gesellschaftlicher und ökonomischer Transformation ab den 2000er Jahren der Auseinandersetzung mit Beruflichkeit als Verbindung von Arbeit und Bildung zugewendet (vgl. Büchter 2021; Gonon 2002; Kutscha 1992, 2015; Kraus 2012; Meyer 2015; Seifried et al. 2019). Dies beinhaltet eine Abkehr vom industriell geprägten Berufsbegriff hin zu einem prozess- und entwicklungsorientierten Verständnis von Beruflichkeit. Mit dieser Wendung gewinnt Weiterbildung im Kontext beruflicher Bildung an Bedeutung (vgl. Büchter und Meyer 2010), ohne dass dies bisher Niederschlag in einer neu aufgenommenen theoretisch-konzeptionellen Diskussion zur beruflichen Weiterbildung gefunden hätte (vgl. Dobischat und Husemann 2010; Käpplinger 2021).

Die Berufsform ist ein multidimensionales Konstrukt. Sie hat eine subjektive und eine strukturelle Dimension (vgl. Büchter 2021; Kutscha 2021; Kraus 2009). Sie ist Grundlage für politische Aushandlungsprozesse und Orientierungsgröße für die gesellschaftliche Institutionalisierung im Bereich Bildung und Beschäftigung, z. B. in Form von Ausbildungsberufen, beruflich strukturierten Arbeitsmärkten oder Berufsverbänden. Berufe und berufliche Strukturen in Bildung und Arbeit bilden einen verbindlichen Bezugsrahmen für subjektive Beruflichkeit und ihre Entwicklung.Footnote 1 Gleichzeitig sind betriebliche und kollegiale Realisierungskontexte beruflichen Handelns sowie pädagogisch gestaltete Entwicklungskontexte der Berufsbildung wichtig, in denen sich Menschen in beruflich geprägten Handlungs- und Interaktionszusammenhängen bewegen. Auf der organisationalen Ebene von Betrieben und Bildungsanbietern prägt die Orientierung an der Berufsform die Strukturen, Prozesse und Inhalte. Die Berufsform hat darüber hinaus eine soziale Dimension, da sie für das Individuum gesellschaftliche Partizipationsmöglichkeiten, Identitätsangebote und Zusammenarbeitschancen bietet und aus Sicht der Gesellschaft einen wesentlichen Beitrag zu Sozialstruktur, sozialem Zusammenhang und Integration von Menschen in gesellschaftliche Zusammenhänge leistet. Die Berufsform bietet dadurch Individuen Orientierung in Bezug auf ihr berufliches Handeln, ihre Bildungs- und Erwerbsbiographien sowie ihre alltägliche Lebensführung. Zugleich hat sie Anteil an Identitätsbildung und Sinnstiftung. Die Bedeutung der Berufsform von Arbeit und Bildung bezieht sich also auf mehrere Dimensionen, die konstitutiv miteinander verbunden sind (vgl. Abb. 1).

Abb. 1
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Dimensionen der Berufsform

Die Berufsform ist einerseits ein multidimensionales Konstrukt und andererseits ein Mehrebenenkonstrukt, das im Zusammenspiel von systembezogener, betrieblicher, sozial-interaktiver und individueller Ebene funktioniert. Sie nimmt eine transsektorielle Funktion ein, indem sie Bildung und Arbeitswelt verbindet und für verschiedene gesellschaftliche Funktionsbereiche, wie z. B. Recht, Steuern oder soziale Sicherung, Relevanz hat. Ihre Stabilität gewinnt die Berufsform durch das konstitutive Zusammenspiel von Konzept und Struktur im Rahmen der „beruflichen Ordnung“ (Kraus 2007).

Beruflichkeit lässt sich über ihre Komponenten, Ziele und Entwicklungskontexte präzisieren. Berufen liegt ein fachlicher Kern zugrunde, den ein verbindlich geregeltes Tätigkeits- und Fähigkeitsbündel mit einem spezialisierten fachlichen Wissen und Können bildet. Ähnlich wie das Konzept der Professionalität geht Beruflichkeit jedoch über fachliches Wissen und Können hinaus und integriert überfachliche Kompetenzen und allgemeine Bildung. Wichtige Komponenten von Beruflichkeit sind zudem berufliche Identität (vgl. Heinemann und Rauner 2008; Unger 2010) und Berufsethos als Wert- respektive Moralbezug im beruflichen Handeln (vgl. Beck 2019; Harney 1998; Minnameier 2019). Hinsichtlich ihrer Ziele ist Beruflichkeit sowohl an der leistungsbezogenen Größe berufliche Handlungsfähigkeit (KMK 2007; Deutscher 2019; Gillen 2007) ausgerichtet als auch an der biographischen Größe erwerbsbiographischer Gestaltungskompetenz (Hendrich 2005). Als institutionalisierte Entwicklungskontexte dienen pädagogische Angebote der beruflichen Aus- und Weiterbildung. Die Entwicklung von Beruflichkeit erfolgt zudem über berufliche Sozialisation in einem gemäß der Berufsform gestalteten Kontext auf betrieblicher und sozialer Ebene (Lempert 2002) als aktiver Prozess der Auseinandersetzung mit der Umwelt, der mit besonderer Intensität in der Kindheit und Jugendphase verläuft, aber mit dem Übergang ins Erwachsenenalter keineswegs abgeschlossen ist (vgl. Bremer 2018). Beruflichkeit basiert schließlich auch auf (reflektierter) Berufserfahrung (vgl. Hendrich 2005; Neuweg 2020). Ihre Komponenten, Ziele und Entwicklungskontexte sind in der folgenden Graphik zu den Elementen von Beruflichkeit zusammengefasst (Abb. 2):

Abb. 2
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Elemente von Beruflichkeit

3 Zur Entwicklungsdynamik von Beruflichkeit

Aus dem Zusammenspiel der Dimensionen der Berufsform (vgl. Abb. 1) und der Elemente von Beruflichkeit (vgl. Abb. 2) entsteht eine spezifische Entwicklungsdynamik innerhalb des Mehrebenenkonstrukts der Berufsform. Diese wird verstärkt durch die unterschiedlichen Entwicklungsgeschwindigkeiten von Bildung und Arbeitswelt, die im Rahmen der Weiterentwicklung von Beruflichkeit miteinander verbunden sind. Wie bei der Professionalität aus der engen Verbindung zur Wissenschaft entsteht für Beruflichkeit somit aus ihrer transsektoriellen Funktion ein dynamischer Entwicklungsfaktor, der sowohl Konzept und Strukturen betrifft, als auch die Ebene individueller Entwicklung.

Die verschiedenen Komponenten von Beruflichkeit unterliegen wiederum je spezifischen Entwicklungsdynamiken und -bedingungen. Fachliches Wissen und Fertigkeiten, wie auch überfachliche Kompetenzen des jeweiligen Berufs nehmen aufgrund entsprechender fachlicher, technischer, politischer oder prozessbezogener Weiterentwicklungen immer wieder Neues auf und integrieren es in das berufliche Handeln. Berufliches Handeln wird durch die Umsetzung von Gelerntem sowie durch exploratives Lernen, d. h. ein gezieltes Ausprobieren von Neuem, verändert, worüber Routinen beruflichen Handelns variiert und neue Erfahrungen möglich werden (Kemmis 2021, S. 282). Erfahrung führt zu implizitem Wissen und gefestigtem Können, auf deren Wert für berufliches Können Neuweg wiederholt hingewiesen hat (vgl. Hermkes et al. 2020), der auch bei „fortschreitender Technisierung und Verwissenschaftlichung von Arbeit“ (Böhle 2020, S. 37) erhalten bleibt. Hascher (2005) weist allerdings explizit auf den Stellenwert der Auswertung, Bearbeitung und Reflexion von Erfahrung hin, die sie als Voraussetzung dafür formuliert, dass Erfahrung in einen spezifischen Lern- und Bildungsprozess eingebunden werden kann. Mit diesem Hinweis wird die Wichtigkeit von Reflexionsfähigkeit für berufliches Handeln und berufliches Lernen nochmals unterstrichen (vgl. Gillen 2007). Reflexive Momente, in denen sowohl eine Auseinandersetzung mit Erfahrungen wie mit Gestaltungsmöglichkeiten und dem Wertbezug beruflichen Handelns erfolgen kann, sind für die Entwicklung von Beruflichkeit wichtig. Dadurch entsteht die Möglichkeit, neben Wissen und Können auch identitätsbezogene und moralische Aspekte im Kontext von Beruflichkeit weiterzuentwickeln.

Die Komponenten von Beruflichkeit führen dazu, dass Beruflichkeit aus subjektiver Sicht quasi immer in Bewegung ist: Neues erwerben und in berufliches Handeln integrieren, Erfahrungen machen und sich mit diesen auseinandersetzen sowie ethische oder berufsbiographische Fragen im sozial-interaktiven respektive organisationalen Rahmen reflektieren. Daher ist Beruflichkeit – wiederum vergleichbar der Professionalität (vgl. Kraus 2017a) – nicht in einem einmaligen Akt einer abschlussbezogenen Qualifizierung erreichbar, sondern entwickelt sich in einem iterativen Prozess in vielen Schritten, deren Kohärenz durch den Bezug auf Beruflichkeit gestiftet wird. Beruflichkeit wird in diesem Prozess ausgehend von Berufswahl und -ausbildung (vgl. Ziegler 2019) sowie unter Einbezug der institutionellen Dimension von Beruflichkeit, z. B. in Form einer beruflichen Aus- oder Weiterbildung, der Mitgliedschaft in einem Berufsverband oder der Ausübung einer Berufstätigkeit, immer wieder aktualisiert. Dies vollzieht sich im Sinne von Beruflichkeit als einem „biographischen Prozess“, wie ihn Spöttl und Ahrens (2012) am Beispiel der Übergangsforschung entwickelt haben. Sie zeigen dabei den „zentralen Stellenwert beruflicher Ausbildung für die persönliche Entwicklung“ (ebd., S. 88), „die individuelle Lebensführung und die gesellschaftliche Positionierung des Einzelnen“ (ebd.) auch bei diskontinuierlichen Erwerbsverläufen. Damit ist „das Verhältnis von Struktur und Subjektivität als berufsbiographischer Entwicklungsprozess“ (Schnell 2012, S. 22) zu verstehen.

Beruflichkeit als biographischer Prozess erweitert den Blick über die Ausbildung hinaus und lenkt ihn auf die „erwerbsbiographische Gestaltungskompetenz“ (Hendrich 2005), die auch Weiterbildung explizit als „Qualifikations- und Identitätslernen“ (ebd., S. 22) versteht und damit eine „Integration der Weiterbildung in eine individuelle Berufsbiographie“ (Dobischat und Husemann 2010, S. 339) bedingt. Diese Integration lässt sich unter Bezugnahme auf den Ansatz der iterativen Bildung (vgl. Kraus 38,39,a, b) als nicht-lineare, aber kohärente und pfadabhängige individuelle Entwicklung im Kontext von Beruflichkeit verstehen, die durch eine Vielzahl von beruflichen Lern- und Bildungsprozessen zustande kommt, die über die Zeit sowie in verschiedenen Lern- und Bildungsräumen stattfinden und über den Bezug zur Beruflichkeit verbunden sind. So entsteht ein gesamthaft gerichteter und über die Komponenten und Ziele von Beruflichkeit gerahmter, aber in den konkreten nächsten Schritten offener Entwicklungsprozess, der sich über berufliche Bildung, berufliche Sozialisation und (reflektierte) Berufserfahrung vollzieht. Innerhalb des kohärenzstiftenden Rahmens von Beruflichkeit mit ihrer institutionellen, organisationalen, politischen und sozialen Dimension entwickeln Individuen subjektive Beruflichkeit beständig weiter. Im Anschluss an den Ansatz der iterativen Bildung lassen sich in diesem Prozess zwei grundlegende Bewegungsrichtungen identifizieren, die den Entwicklungsprozess konstituieren und in ihrer Verschränkung zur Aufrechterhaltung und Weiterentwicklung von Beruflichkeit beitragen. Eine Bewegungsrichtung in diesem iterativen Entwicklungsprozess bezieht sich auf die Dimension Raum und die andere auf die Dimension Zeit.

4 Zur iterativen Verschränkung von Lern- und Bildungsräumen

Berufliches Lernen in Aus- und Weiterbildung findet an einer Vielzahl unterschiedlicher Orte statt.Footnote 2 In der Weiterbildung gibt es eine Vielfalt an Lernorten und zudem ist die Verbindung von pädagogischen Lehr-Lern-Settings mit der beruflichen Tätigkeit – z. B. über den Einbezug des Erfahrungswissens der Teilnehmenden oder Transferelemente – ein zentrales pädagogisches Element. Die berufliche Ausbildung nimmt mit dem dualen System sogar auf der Systemebene Bezug auf die verschiedenen Lernorte. Den verschiedenen Lernorten werden dabei unterschiedliche „didaktische Qualitäten“ und damit je spezifische Beiträge an das Erreichen der Ziele der Ausbildung zugesprochen. Dies gründet zum einen auf den an den jeweiligen Orten typischen pädagogischen Settings in Bezug auf die Lehrenden, die Vermittlungsformen, Methoden, Infrastrukturen und die Inhalte. Zum anderen nimmt es Bezug auf die unterschiedlichen kollegialen respektive sozialen Zusammenhänge, in denen sich die Lernenden an den jeweiligen Orten bewegen. Realisiert werden die unterschiedlichen pädagogischen Qualitäten von Lernorten in Prozessen individueller Raumaneignung, durch die an verschiedenen Orten Räume entstehen, in denen sich Lern- und Bildungsprozesse vollziehen. Ergänzt wird dieses Setting durch digitale Elemente, die die Gestaltung und Aneignung von Lernorten erweitern und das Lernortprinzip verändern.

Das Lernen im Betrieb kann in der Ausbildung wie in der späteren Berufstätigkeit als situiertes Lernen im Sinne von Lave und Wenger (1991) verstanden werden. Denn hier sind Lernende Teil einer beruflich-betrieblichen „Community of practice“, die sich durch arbeitsteilig organisierte Tätigkeiten, gemeinsame Rahmenbedingungen und Anforderungen von Kolleginnen und Kollegen sowie Kundinnen und Kunden auszeichnet. Die Lern‑, Bildungs- und Sozialisationsprozesse vollziehen sich innerhalb dieses sozialen Zusammenhangs, was auch in der Ausbildung bereits über die direkte Instruktion durch die betrieblichen Ausbildnerinnen und Ausbildner hinausgeht. Wie Grotlüschen (2002) betont, geht es beim situierten Lernen gerade darum, über das Lernen selbst Teil der Community zu werden respektive zu bleiben, was die komplexe Bedeutung von Beruflichkeit nochmals bestätigt, die neben Fachlichkeit und überfachlichen Kompetenzen auch Aspekte wie Identität und Wertbezüge einschließt. Die Berufsschule respektive das Weiterbildungsangebot ist demgegenüber geprägt vom Modell eines curricular und methodisch-didaktisch in der Regel im Klassen- oder Gruppenverbund von Lehrpersonen organisierten Settings, an welchem die Lernenden in der spezifischen Rolle als Schülerinnen und Schüler, respektive Teilnehmerinnen und Teilnehmer partizipieren. Pädagogische Institutionen bieten den Lernenden explizit einen „Schonraum“, der sie von den Anforderungen des „realen Lebens“ weitgehend abschirmt, um in konzentrierter Form Lernprozesse zu ermöglichen und Lernzeit zu gewährleisten, die nicht von den betrieblichen Anforderungen gestört werden. Die berufliche Ausbildung ist – idealtypisch – geprägt durch den systematischen Wechsel zwischen den Lernorten, was auch die Frage der Lernortkooperation zu einer „systemrelevanten“ Frage gemacht hat (vgl. Aprea et al. 2020), während in der Weiterbildung in der Regel eher ein zeitlich strukturierter Wechsel zwischen Teilnahme an einem Weiterbildungsangebot und Berufstätigkeit vollzogen wird.

Die berufliche Weiterbildung kann wie der gesamte Bereich der Erwachsenenbildung/Weiterbildung in räumlicher Hinsicht als pluraler Bildungsbereich bezeichnet werden. Darauf hat beispielsweise Gieseke (2018) mit der Entwicklung des Konzepts der „beigeordneten Bildung“Footnote 3 Bezug genommen und verschiedene Typologien der Weiterbildungslandschaft nehmen dies auf (vgl. Faulstich und Faulstich-Wieland 2012; von Hippel und Stimm 2020; Nuissl 1992; Schrader und Martin 2021). Zudem weist Dehnbostel (2010) in seinen Arbeiten zur betrieblichen Bildung darauf hin, dass der Kompetenzzuwachs von Erwachsenen zum großen Teil im betrieblichen Rahmen stattfindet, und Molzberger (2007) hat gezeigt, inwiefern der Betrieb auch informelles Lernen im Prozess der Arbeit organisational rahmt. Das Modell der Lernorte als temporäre Konstellationen betont darüber hinaus, dass aus einer Subjektperspektive zwar prinzipiell jeder Ort zum Lernort werden kann, es aber von spezifischen Passungsverhältnissen abhängt, ob, in welchem Ausmaß und für welchen Zeitraum er als Lern- und Bildungsraum angeeignet wird und diese Prozesse dort auch tatsächlich stattfinden (vgl. Kraus 2015). Zudem konnte in diesem Zusammenhang gezeigt werden, dass ein Lernprozess sich teilweise über verschiedene räumliche Stationen erstreckt (vgl. ebd.). Mit digitalen Elementen verändern sich bestehende Lernorte respektive Lernortkonstellationen und es kommen digitale Räume hinzu (Dehnbostel 2019).

Die Einsichten aus der Thematisierung von Lernorten sowie Lern- und Bildungsräumen in der Berufsbildung respektive der Erwachsenenbildung/Weiterbildung lassen den Schluss zu, dass es eine für Lern- und Bildungsprozesse bedeutsame Vielfalt an Lernorten gibt und sich Lernende in ihrem Lernen in dieser Vielfalt bewegen, indem sie sich verschiedene Räume in ihren Lern- und Bildungsprozessen aneignen. Die räumliche Vielfalt entspricht zudem der Komplexität von Beruflichkeit (vgl. Abb. 1 und 2) und ein permanentes Sich-Bewegen in verschiedenen Lern- und Bildungsräumen trägt die individuelle Entwicklung Beruflichkeit mit den verschiedenen Komponenten und Entwicklungskontexten. Für den Erhalt und die Weiterentwicklung von Beruflichkeit ist es somit wichtig, dass einerseits das pädagogische Potenzial von Arbeitsplatz und -prozess zur Geltung kommt, also der Schwerpunkt auf Wissen und Fertigkeiten sowie Erfahrungen, neuen Routinen und Sozialisation liegt, und andererseits auch das Lernen in pädagogischen Settings einen regelmäßigen Anteil hat. Im Fall von Erwachsenen sind dies üblicherweise Angebote beruflicher Weiterbildung, die als Teil der betrieblichen Bildungsarbeit, in öffentlich-staatlichen Strukturen oder im Rahmen der freien Anbieterlandschaft stattfinden können. In diesen pädagogischen Settings stehen neben dem Erwerb von Wissen und Fertigkeiten insbesondere Möglichkeiten zur Verfügung für Reflexion sowie für die Planung und Auswertung von explorativem Lernen. Verbindendes Element ist dabei die Bezugnahme auf Beruflichkeit in der Verbindung von beruflicher Handlungsfähigkeit und erwerbsbiographischer Gestaltungsfähigkeit.

In der Perspektive iterativer Bildung stehen damit im Kontext von Beruflichkeit nicht die einzelnen Lernorte und ihre jeweiligen „pädagogischen Qualitäten“ im Zentrum, sondern vielmehr die Komplementarität von beruflichen Lern- und Bildungsprozessen in verschiedenen Räumen. Das Prinzip der räumlichen Vielfalt knüpft an die Idee der unterschiedlichen Lernorte an, indem es das Wiederkehren von Lern- und Bildungsprozessen an den unterschiedlichen Lernorten betont als Grundlage für die Entwicklung von Beruflichkeit in der im vorherigen Abschnitt dargelegten Komplexität aus Wissen und Können sowie Identitäts- und Wertbezug (vgl. Abb. 2). Die unterschiedlichen Lern- und Bildungsräume sind dabei jeweils prädestinierte Möglichkeitsräume für die Entwicklung der verschiedenen Komponenten von Beruflichkeit, deren Verbindung in allen Phasen der Berufsbiographie für die Entwicklung von Beruflichkeit zentral ist. Von entscheidender Bedeutung für die Entwicklung von Beruflichkeit ist demnach die Verschränkung von Lern- und Bildungsprozessen an verschiedenen Orten. Dabei steht das Lernen am Arbeitsplatz und das Lernen in institutionalisierten Settings der beruflichen Aus- und Weiterbildung sowie ihre reflexive und kohärenzstiftende Verbindung über Beruflichkeit im Zentrum. Dies verweist auf die im Anschluss dargelegte iterative Bewegung in der biographischen Dimension der Zeit.

5 Zur iterativen Dimension von Bildung im zeitlichen Kontext von Berufsbiographien

Lern- und Bildungsprozesse vollziehen sich immer in der Dimension Zeit: Sie finden zu bestimmten Zeiten statt, benötigen Zeit und Zeit kann der entscheidende Faktor für eine Nichtteilnahme sein (vgl. Schmidt-Lauff 2012). Die Entwicklung von Beruflichkeit ist eng mit der biographischen Zeitdimension verbunden. Als Ausgangspunkt kann dabei die Berufswahl als Setzung im Spektrum möglicher beruflicher Tätigkeiten und Qualifizierungswege angenommen werden (vgl. Ziegler 2019). Auch wenn sich spätere Berufswechsel oder „berufsfremde“ Tätigkeiten und entsprechende weitere Qualifizierungen anschließen, ist mit der ersten Berufswahl und -ausbildung doch eine Basis der Gestaltung der eigenen Erwerbsbiographie und darauf bezogener Bildungs‑, Qualifizierungs- und Identitätsprozesse gelegt (vgl. Bolder et al. 2012). Aus der Perspektive der Biographieforschung gesprochen, müssen sich nachfolgende Berufs- und Bildungsentscheide für eine Person subjektiv sinnvoll in ein kohärenzstiftendes Narrativ einfügen lassen. In diesem Zusammenhang weist Nittel (1996) den Angeboten der beruflichen Weiterbildung eine „berufsbiographische Funktion“ (ebd., S. 12) zu, die in individuelle Handlungsstrategien zur Gestaltung der eigenen beruflichen Situation und Perspektiven eingebettet sind, und betont die Notwendigkeit einer „prozesssensiblen Perspektive“ (ebd., S. 11) für die Betrachtung beruflicher Weiterbildung. In einer solchen Perspektive trägt berufliche Weiterbildung dazu bei, Beruflichkeit biographisch prozesshaft und iterativ zu gestalten.

Wichtige Erkenntnisse zum biographischen Zusammenhang von Lern- und Bildungsprozessen liefert auch die interessensbezogene Teilnahmeforschung. So arbeitet Grotlüschen (2010) in ihrer Auseinandersetzung mit der Interessentheorie zum einen die Bedeutung des Gegenstandsinteresses für Weiterbildungsbeteiligung heraus und zum anderen die Biographie als Ausgangspunkt für die Entwicklung von Interessen. Als Interessen bezeichnen Personen in der Regel Themen, die sie über eine längere Zeit begleiten oder mit denen sie sich seit mehreren Jahren wiederholt befassen (vgl. ebd., S. 255). Bei der beruflichen Bildung ist das Interesse an beruflichen Themen in der Regel grundsätzlich gegebenFootnote 4, auch wenn aus einem beruflichen Interesse nicht automatisch eine Teilnahme an einer beruflichen Weiterbildung resultiert (vgl. ebd., S. 287). In der Berufswahl und einer anhaltenden Berufstätigkeit manifestieren sich längerfristige fachliche Interessen. Hinsichtlich der Langfristigkeit des Interesses unterscheidet Grotlüschen die Phasen Latenz, Expansion und Kompetenz, deren Durchlaufen das Interesse einer Person erhalten, wenn diese mit den Themen in Berührung kommen (ebd., S. 291). Damit arbeitet sie ein wichtiges Element im iterativen Prozess beruflicher Bildung heraus. Ein grundsätzliches berufliches Interesse bleibt durch die immer wieder durchlaufenen Phasen von Latenz, Expansion und Kompetenz als beständiges Interesse und Bezugspunkt der eigenen Weiterentwicklung erhalten. Im Fall einer beruflichen Neuorientierung kann es sich in eine andere Richtung bewegen, indem Themen über den iterativen Prozess von Latenz, Expansion und Kompetenz weiterverfolgt oder vertieft werden. Das theoretische Konzept der Pfadabhängigkeit, das im Theoriestrang des Neo-Institutionalismus entwickelt wurde, lässt sich hier mit weiterführenden Überlegungen anschließen.

Pfadabhängigkeit betont die Bedeutung von Entwicklungspfaden, bei denen vorgängige Entscheidungen Weichen stellen für künftige Entwicklungsmöglichkeiten. Dabei geht es im Besonderen um die Auseinandersetzung mit Kontinuitäten und den Bedingungen, unter denen einmal eingeschlagene Entwicklungspfade verlassen oder verändert werden (vgl. Thelen 2004). In der Regel kommt es dabei zu inkrementellen Wechseln, radikale oder disruptive Wechsel im Bildungsbereich sind eher unwahrscheinlich. Das theoretische Konstrukt der Pfadabhängigkeit kann also eine Kontinuität von Entwicklung über den Zeitverlauf erklären, ohne dass es einen Determinismus der Vergangenheit gegenüber der Zukunft annimmt. Der zunächst in Bezug auf Institutionen und Organisationen entwickelte Ansatz wird auch für die Analyse von individuellen Entwicklungsverläufen im Spannungsfeld von Kontinuität und Veränderung genutzt (vgl. z. B. Turek und Henkens 2021). Damit kann man die Gerichtetheit von individuellen Entwicklungsprozessen anerkennen, ohne daraus eine deterministische Setzung gegenüber prinzipiell offenen menschlichen Lern- und Bildungsprozessen abzuleiten.

Für die Entwicklung von Beruflichkeit können Pfadabhängigkeit und Interessentheorie die Kohärenz einzelner, prinzipiell unabhängiger Entscheidungen im biographischen Zeitverlauf aufzeigen. In beiden Ansätzen stellen berufsbezogene Entscheidungen, wie beispielsweise das Absolvieren einer Ausbildung oder die Übernahme einer bestimmten Tätigkeit, die Weichen dafür, wie sich subjektive Beruflichkeit – eingebunden in die anderen Dimensionen der Berufsform (vgl. Abb. 1) – künftig entwickeln wird. Damit entsteht eine iterative Prozesslogik der kleinen Schritte, die im Prinzip unabhängig voneinander, aber über den gemeinsamen Bezug auf Beruflichkeit doch gerahmt sind und zu einem kohärenten Ganzen beitragen. In diesem Sinne ist berufliche Weiterbildung mit Berufswahl und -ausbildung verbunden, ohne dass sich die Entscheidung für eine bestimmte berufliche Weiterbildung linear aus diesen biographisch früheren Weichenstellungen ergibt.

Dieser Zusammenhang wird im Ansatz der iterativen Bildung mit Bezug auf die theoretische Figur der „Bildungsgestalten“, die aus einer biographischen Längsschnittstudie stammt (u. a. Hof et al. 2010), aufgenommen und auf Bildungsentscheidungen bezogen. Denn als Bildungsgestalt wird die Art und Weise verstanden, wie sich eine Person auf vorhandene Bildungsangebote bezieht, d. h. welche Muster von Beteiligung und Nicht-Beteiligung sie biographisch ausbildet und auf welche Themen sie sich dabei bezieht. Während die Interessentheorie also den Inhaltsbezug ins Zentrum stellt, beziehen sich die Bildungsgestalten auf die Frage, ob ein allfälliges Interesse über Bildung ausgelebt wird – und wenn ja, über welche Form von Bildung – oder über andere Handlungsmuster.Footnote 5 Über die längsschnittliche Anlage wird dabei aufgezeigt, dass diese Muster der Bildungsbeteiligung nicht additiv nacheinander folgen, sondern kumulativ in dem Sinne, dass eine Bildungsgestalt wiederum Ausgangspunkt für die nächste Bildungsgestalt ist, die in einem iterativen Prozess der vorherigen folgt. Damit werden die einzelnen Stationen von Bildungsbiographien als Serie beschreibbar, deren Abfolge in einem Zusammenhang steht und die als zusammenhängendes Narrativ erzählt werden kann. Gleichzeitig wird – wie bei der Interessentheorie und der Pfadabhängigkeit – deutlich, dass der gesamte Prozess zwar gerichtet ist, weil ein Element der Serie von Bildungsbeteiligungen jeweils der Ausgangspunkt für das nächste Element ist, aber gleichwohl nicht linear, sondern iterativ in vielen auseinander hervorgehenden und doch prinzipiell unabhängigen Schritten verläuft. In der Perspektive der Bildungsgestalten steht somit die prozesshafte Entwicklung von Beruflichkeit über Bildung im Vordergrund, bei dem die einzelnen Bildungsmomente in Inhalt und Form in einem Zusammenhang stehen, obwohl es keine direkte Abhängigkeit gibt.

Diese Zugänge betonen nicht nur die Bedeutung von eingeschlagenen Pfaden für künftige Entwicklungen, sondern auch die iterative Entwicklungslogik beruflicher Lern- und Bildungsprozesse entlang der Berufsbiographie. Bildungsentscheidungen im Kontext von Beruflichkeit, wie die Teilnahme an beruflicher Weiterbildung, sind über das Mehrebenenkonstrukt der Berufsform gerahmt, vollziehen sich biographisch kumulierend in einem iterativen Prozess und tragen in je spezifischer Weise zur Entwicklung von Beruflichkeit bei. Die berufliche Aus- und Weiterbildung nehmen im iterativen Prozess der Entwicklung von Beruflichkeit eine komplementäre Funktion ein. Als pädagogische Settings der beruflichen Bildung ergänzen sie die berufliche Sozialisation und die (reflektierte) Berufserfahrung und wechseln sich mit diesen ab.

6 Entwicklung von Beruflichkeit als iterativer Lern- und Bildungsprozess

Vor dem Hintergrund der Komplexität von Beruflichkeit und ihrer Entwicklung führt die Auseinandersetzung mit den beiden Grundelementen iterativer Bildung – der räumlichen und zeitlichen Iteration im Entwicklungsprozess – zu dem Schluss, dass es für Individuen bei der Entwicklung von Beruflichkeit auf eine biographische Kontinuität von Lern- und Bildungsprozessen in Verschränkung verschiedener Lern- und Bildungsräume ankommt und diese subjektive Entwicklung durch das multidimensionale Mehrebenenkonstrukt der Berufsform gerahmt ist. Diese Bewegung lässt sich als iterative Bildung verstehen, d. h. als Serie räumlich und zeitlich miteinander verschränkter Lern- und Bildungsprozesse im Kontext von Beruflichkeit. Die Entwicklung von Beruflichkeit über iterative Lern- und Bildungsprozesse ist in folgender Graphik zusammenfassend dargestellt (vgl. Abb. 3).

Abb. 3
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Entwicklung von Beruflichkeit über iterative Lern- und Bildungsprozesse

6.1 Die räumliche Verschränkung in der iterativen Entwicklung von Beruflichkeit

Die verschiedenen Lern- und Bildungsräume sind jeweils prädestinierte Möglichkeitsräume für je spezifische Beiträge zu Aufbau, Erhalt und Weiterentwicklung der unterschiedlichen Elemente von Beruflichkeit (vgl. Abb. 2). Die Verschränkung der Lern- und Bildungsräume durch Prozesse iterativer Bildung ermöglicht die Entwicklung von Beruflichkeit, da sie den Anforderungen des komplexen Konstrukts der Beruflichkeit Rechnung trägt, und weist über die Ausbildung hinaus auf die Weiterentwicklung von Beruflichkeit während der gesamten Berufsbiographie. Iteration bezeichnet hierbei nicht einen äußerlichen Wechsel von Orten im Laufe der Zeit, quasi einen Kulissenwechsel, sondern bedeutet das Ineinandergreifen von Prozessen beruflicher Bildung in verschiedenen Lern- und Bildungsräumen, die im Vollzug der beruflichen Tätigkeit und in pädagogischen Settings entstehen. In den Phasen der Ausbildung und der späteren Berufstätigkeit stehen mit Schule und Weiterbildung unterschiedliche Institutionalisierungsformen der „pädagogischen Settings“ zur Verfügung und auch die Zeitverteilung zwischen den verschiedenen Lern- und Bildungsräumen unterscheidet sich deutlich zwischen der Phase der Ausbildung und der daran anschließenden Berufstätigkeit. Aber über die verschiedenen Phasen hinweg bleiben Wechsel und Verbindung zwischen den verschiedenen Lern- und Bildungsräumen Voraussetzung für die Weiterentwicklung von Beruflichkeit mit ihren verschiedenen Elementen. Da die unterschiedlichen Räume ihren je eigenen und spezifischen Beitrag zur Entwicklung von Beruflichkeit leisten, braucht es während der gesamten Berufsbiographie Lern- und Bildungsprozesse an unterschiedlichen Orten, die spezifische Möglichkeiten für die Aneignung von Wissen und Fertigkeiten, für exploratives Lernen und den Aufbau neuer Routinen sowie für Identitätslernen und die Reflexion ethischer Fragen bieten, d. h. ein andauerndes Zusammenspiel von Lern- und Bildungsprozessen in verschiedenen Räumen der Entwicklung von Beruflichkeit.

6.2 Die zeitliche Verbindung in der iterativen Entwicklung von Beruflichkeit

Eine iterative Verbindung von Lern- und Bildungszeiten in der Entwicklung von Beruflichkeit versteht berufliche Weiterbildung über die Berufsform gerahmt in einer Kohärenzlinie mit vorgängigen und nachfolgenden Lern- und Bildungsprozessen, ohne dass diese Verbindung deterministisch oder linear gedacht ist. Iterativ verbundene Lern- und Bildungszeiten verweisen auf die längerfristige Zeitperspektive, in der immer wieder eine schrittweise Annäherung an die Zielvorstellung von Beruflichkeit erfolgt, ohne dass die einzelnen Schritte im Voraus festgelegt sind. Beruflichkeit ist damit weder ein einmalig zu erreichendes Ziel noch ein unerreichbarer Zustand, sondern zeigt sich gerade in iterativen Schritten, in denen sie beständig in den verschiedenen Entwicklungskontexten aktualisiert wird. Damit findet berufliche Weiterbildung eine theoretische Rahmung in der Vorstellung von Beruflichkeit, die sich als Prozess ausgehend von der Berufswahl, über die beständige Entwicklung von Interessen, in offenen, aber kohärenten Entwicklungspfaden und unter Bezugnahme auf die verschiedenen Entwicklungskontexte auch über Veränderungsprozesse hinweg als biographisches Projekt entwickelt. Dabei ergänzen sich pädagogische Settings der Aus- und Weiterbildung, berufliche Sozialisation und (reflektierte) Berufserfahrung. Sie leisten je spezifische Beiträge zur Entwicklung von Beruflichkeit als einem biographischen Prozess, der von der Berufsform institutionell und organisational gerahmt ist.

6.3 Entwicklung von Beruflichkeit als iterativer Lern‑ und Bildungsprozess

Der iterative Prozess der Entwicklung und Aufrechterhaltung von Beruflichkeit bezieht sich auf die verschiedenen Elemente von Beruflichkeit und begründet sich in der dynamischen Komplexität der Berufsform und ihrer transsektoriellen Verbindung zur Arbeitswelt. Berufliche Lern- und Bildungsprozesse nehmen im Verlaufe der Berufsbiographie beginnend mit der Berufswahl und der entsprechenden Ausbildung unterschiedliche Formen an, deren Gewichtung in verschiedenen Phasen der Berufsbiographie unterschiedlich ausfällt. Iterative Bildung im Kontext von Beruflichkeit umfasst die berufliche Aus- und Weiterbildung als pädagogisch gerahmte Lern- und Bildungsprozesse, in denen Neues erworben und ausprobiert werden kann und Reflexionen stattfinden können. Sie bezieht außerdem die berufliche Sozialisation als aktive Auseinandersetzung mit einer beruflich strukturierten Umwelt im Rahmen der Ausübung der Berufstätigkeit oder auch das Engagement in beruflichen Strukturen wie Verbänden mit ein. Dazu kommt das Lernen im Prozess der Arbeit, das weder als pädagogisch gerahmte Aus- oder Weiterbildung gestaltet ist, noch ausschließlich in den Bereich der beruflichen Sozialisation gehört, wenngleich es hier fließende Übergänge gibt. Es beruht auf Erfahrungen und Reflexion und ist eng verbunden mit explorativem Lernen durch Ausprobieren von Neuem und der Integration von neuem Wissen und Fertigkeiten in das berufliche Handeln und eine Variation beruflicher Routinen. Entscheidend für den Beitrag an die Entwicklung von Beruflichkeit ist die Verschränkung von Lern- und Bildungsprozessen, die im beruflich-betrieblichen Kontext stattfinden, mit denjenigen, die innerhalb pädagogisch gestalteter Settings stattfinden, mit ihren je spezifischen Möglichkeiten für berufliche Lern- und Bildungsprozesse. Der erste Aspekt lässt sich als iterative Bewegung in der Verschränkung von Lern- und Bildungsräumen in verschiedenen räumlichen Kontexten verstehen, der zweite Aspekt als iterative Bewegung über Lern- und Bildungszeiten in den verschiedenen Räumen entlang der Berufsbiographie. Über diese beiden verschränkten Iterationen in Raum und Zeit vollzieht sich die Entwicklung von Beruflichkeit als biographisches Projekt innerhalb der multidimensionalen Berufsform. Dies weist der beruflichen Weiterbildung einen grundlegend eigenständigen Stellenwert im Kontext von Beruflichkeit zu. Denn nur wenn Iterationen der Lern- und Bildungsprozesse in räumlicher und zeitlicher Dimension möglich sind, kann sich Beruflichkeit mit ihren verschiedenen Komponenten immer wieder aktualisieren und in der Weiterentwicklung erhalten. Aus diesem theoretischen Rahmen ergeben sich zum einen Forschungsperspektiven in Bezug auf die Räume und Orte der Entwicklung von Beruflichkeit sowie die biographische Dimension von Beruflichkeit als Prozess oder Projekt und zum anderen hinsichtlich des Zusammenspiels der verschiedenen Ebenen und Dimensionen in der Berufsform, da sich Individuen mit ihrer Beruflichkeit stets mit Bezug zur systembezogenen sowie der organisationalen und interaktiv-kommunikativen Ebene innerhalb dieses Mehrebenenkonstrukts bewegen.