Humanität, abgeleitet vom lateinischen Wort humanitas, bedeutet Menschlichkeit. So sagen es die Wörterbücher. In seiner heutigen Bedeutung, die sich seit der Renaissance aus den Ideen des Humanismus speist, ist es mehr als Menschlichkeit – es ist ein philosophisch-moralisches Konzept. Dieses Konzept begegnet uns etwa in der Rede vom „humanen“ Menschenbild, das immer positiv besetzt ist. Der Topos legt zugleich nahe, dass es auch ein „inhumanes“ Menschenbild geben könne. Und in der Tat gibt es dies: Homo homini lupus. Ja, der Mensch hat auch schlechte Seiten, vielleicht mehr als gute. Menschlichkeit, im Sinne von „Menschsein“, ist also nicht per se „gut“, sondern wird durch einen gesellschaftlichen Konsens, der sich in Ethik und Moral, in Philosophie und Religion, letztlich auch in Gesetzen widerspiegelt, normativ mit „gutsein“ aufgeladen.

Was aber ist das Gute? Was ist das menschlich Gute? Es drückt sich in den zehn Geboten des Christentums aus, die im Grunde als Verbote das Ungute (wie Töten, Habgier, Ehebruch) untersagen. Wir finden es in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948, die – ebenso wie die Europäische Menschenrechtskonvention von 1950 – die Würde und die Freiheit des Einzelnen sowie Gerechtigkeit und Frieden postulieren. Konkreter, und auf die Staatsform der Demokratie hin angewandt, versteht es die International Association for the Evaluation of Educational Achievement (IEA) in ihren Studien: Sie formuliert „liberal-humanistische“ Lernziele, wie Solidarität und Gleichheit, soziales Engagement und soziale Verantwortung (Torney-Purta et al. 2001).

Wir wissen, dass diese humanistischen Grundsätze sehr unterschiedlich ausgelegt werden. Wir wissen auch, dass weltweit hundertfach dagegen verstoßen wurde – und wird. Das geschieht nicht nur dort, wo sie nicht ratifiziert sind. Auch diese Verstöße haben ihren ideologischen und politischen, ihren historischen und gesellschaftlichen Hintergrund. Seit José Ortega y Gasset weicht der Begriff „Humanisierung“ dem Begriff „Dehumanisierung“. Er bedeutet Entmenschlichung und weist auf einen Prozess der Veränderung der zwischenmenschlichen Beziehungen hin. Diese Beziehungen werden unpersönlich. Die Einstellung der Menschen zu anderen nimmt eine objektive, analytische Form an, die auf Gefühl, Empathie und Affekte verzichtet. Demütigungen führen im Zusammenwirken mit zunehmender sozialer Ungleichheit und rückläufiger Solidarität zu moralischer Verwüstung und sozialen Konflikten (Bauman 1976, 2008).

Edmund Husserl hat in seinem Vortrag „Die Krise der europäischen Menschlichkeit und Philosophie“ im Jahr 1935 in Wien darauf hingewiesen, dass es mit dem Besitz instrumentaler Vernunft allein für den Menschen nicht getan ist. Objektive Tatsachen, so führte er aus, enthüllten keine lebensbezogenen Zusammenhänge, Ideale, Normen oder Bedeutungen und böten keine existenzielle Unterstützung. Sein „Heroismus der Vernunft“, der in der Überwindung der instrumentellen Vernunft zu bestehen habe, wirkt heute, in der Ära postfaktischer Wahrheiten, noch herausfordernder, weil es schwierig ist, auf „objektive Tatsachen“ zu zählen. „Glück, das durch Erfolg ersetzt wurde; Weisheit, die von einer Zivilisation des Wissens geleugnet wird; Theorie, in ihrer griechischen Urbedeutung als Kontemplation und Bewunderung für Wahrheit, Güte und Schönheit aufgefasst, wurden durch eine als effiziente Hypothese verstandene Theorie beseitigt“ (Gadacz 2017, S. 223).

Wir haben es in dieser Ausgabe der Zeitschrift für Weiterbildungsforschung vorwiegend mit einer erziehungswissenschaftlichen Sichtweise zu tun, die zudem auf Erwachsene fokussiert. Sie schaut mehr auf den Prozess, wie Humanität erzeugt wird, und wie dazu beigetragen werden kann, dass die „guten“ Seiten der Menschlichkeit dominieren. Dieser Prozess ist ein Prozess des Handelns, des didaktischen Handelns, ein Teil von pädagogischer Professionalität und individuellen Lernens. Auch dieser Prozess ist niedergelegt in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, wenn auch erst im Artikel 26: „Die Bildung muss auf die volle Entfaltung der menschlichen Persönlichkeit und auf die Stärkung der Achtung vor den Menschenrechten und Grundfreiheiten gerichtet sein. Sie muss zu Verständnis, Toleranz und Freundschaft zwischen allen Nationen und allen rassischen oder religiösen Gruppen beitragen und der Tätigkeit der Vereinten Nationen für die Wahrung des Friedens förderlich sein.“

Bildung wird dabei nicht wertneutral verstanden. Schon bei Comenius war Bildung, auch die Bildung Erwachsener, verbunden mit humanistischen Zielen, d. h. mit solchen Zielen, die den Menschen als Ebenbild Gottes im Blick hatten und auf diese Weise Gottes Schöpferrolle bestätigen würden. Seine Bestimmung war es demnach, an der „vollkommenen Herrlichkeit und Seligkeit auf ewig teil zu haben“ (Comenius 1954 [1657], S. 28). Die göttlichen Anlagen, die der Mensch in sich trug, galt es im Leben zu entfalten. Ein anderes Bild des Menschen prägte John Locke in seinen Gedanken über Erziehung (1970 [1693]). Ausgehend von der Lehre, dass jedes Kind in geistiger Hinsicht als Tabula rasa zur Welt kommt, forderte er die prinzipiell zur Vernunft fähigen Menschen, zu lehren, auf die Befriedigung dieser Wünsche zu verzichten, die „nicht durch Vernunft gerechtfertigt sind“ (Locke 1693/1970, S. 40). Jean-Jacques Rousseau ging wiederum von der Grundannahme aus, dass der von Natur aus zu Güte veranlagte Mensch vor dem verderblichen Einfluss der Gesellschaft zu schützen sei (1762/1995). Als Kritiker seiner Gegenwart argumentierte er, dass die Gesellschaft einen destruktiven Einfluss auf den Menschen ausübe, in dem sie ihn dazu verführe, Bedürfnisse und Gewohnheiten zu entwickeln, die ihm von Natur aus fremd seien.

Sowohl das didaktische Handeln als auch der Prozess des Lernens der Menschen ist diesen Zielen zu verpflichten, sollen Menschen sich im Lernen humanisieren. Humanisierung, als Prozess des Handelns und Lernens verstanden, hat Humanität zum Ziel und als Voraussetzung: zum Ziel, weil sie in einer humanen Gesellschaft Ziel allen Lernens ist; als Voraussetzung, weil sonst keine humanisierenden Lehr-Lernprozesse entstehen.

Hier stehen wir heute vor mannigfachen Herausforderungen. Die wichtigsten von ihnen sind:

  • die Herausforderungen der Technologien, insbesondere der Bio- und Informationstechnologien;

  • die Herausforderungen von Verzweiflung und Angst in der Risikogesellschaft;

  • die Herausforderung, Widerstandskraft zu entwickeln gegen die Ansinnen der modernen Technologien;

  • die Herausforderung, das Fremde und Ungewisse ohne Vereinfachungen (Populismus etc.) zu verstehen.

1 Die Herausforderungen der Technologien, insbesondere der Bio- und Informationstechnologien

Die zentrale gesellschaftspolitische Frage lautet: Wie lässt sich in unserer Zeit der Besitz sensibler Daten regulieren und dabei gleichzeitig die eigene und persönliche Einzigartigkeit schützen? Hierbei geht es zugleich um den Sinn und das Vertrauen in die liberale Erzählung, die noch vor nicht allzu langer Zeit unbestreitbar schien. Es handelt sich dabei auch um eine politische Herausforderung, denn die Grundwerte Freiheit und Gleichheit sind gleichermaßen bedroht. Die Entwicklung von Informationstechnologie und Biotechnologie muss sich auch mit globaler Zusammenarbeit verbinden lassen. Demgegenüber zielen jegliche Nationalismen, Religionen und Kulturen eher auf Teilung ab statt auf das Hervorbringen gemeinsamer globaler Handlungen.

2 Die Herausforderungen von Verzweiflung und Angst in der Risikogesellschaft

Hier müssen sich die dringendsten Bildungsaktivitäten mit dem Problem der universellen Existenzangst, dem Menschen ausgesetzt sind, auch mit Lösungen für Migrationsprobleme befassen. Migrationen bringen ewige Probleme und menschliche Dramen mit sich: die Erfahrung von Leid, Ungleichheit, Ausbeutung, Angst, Zusammenstöße von Kulturen und häufig Destabilisierung. Es zeigt sich eine weitere Herausforderung, nicht nur in Bezug auf Verzweiflung, sondern gerade auch mit Blick auf die Hoffnung. Wir müssen uns fragen: Wie kann man lernen, Verzweiflung zu überwinden und seine eigenen Ängste und Befürchtungen zu kontrollieren? Wie erzieht man Menschen zu Hoffnung und Demut gegenüber den eigenen Einschätzungen? Eine Bewertung ist immer auch mit einer weiteren Herausforderung in Bezug auf die Kategorie der Wahrheit in einer Welt verbunden, in der globale gesellschaftliche Prozesse zu komplex vernetzt sind, um noch von einer einzelnen Person verstanden zu werden. Woher soll sie also wissen, was die Wahrheit über die Welt ist? Wie man nicht der Lüge, düsteren Ideologien und gezielter Desinformation zum Opfer fällt? Uns kommt es oft so vor, als wären wir Teil einer Matrix: „Wir kaufen Wasser, aber kriegen gar nicht mehr mit, dass nebenan ein Fluss vorbeifließt.“ Um diese Matrix zu überwinden, muss der Mensch zunächst lernen, die begrenzte Definition des eigenen „Selbst“ zu überwinden, selbstsüchtige Unersättlichkeit zu mildern und sich ständig zu fragen: Wie viel ist eigentlich genug?

3 Die Herausforderung, Widerstandskraft zu entwickeln gegen die Ansinnen der modernen Technologien

Eine Bewertung ist immer auch mit einer weiteren Herausforderung in Bezug auf die Kategorie der Wahrheit in einer Welt verbunden, in der globale gesellschaftliche Prozesse zu komplex vernetzt sind, um noch von einer einzelnen Person verstanden zu werden. Woher soll sie also wissen, was die Wahrheit über die Welt ist? Wie man nicht der Lüge, düsteren Ideologien und gezielter Desinformation zum Opfer fällt? Es geht um das Erlernen von Widerstandskraft. Wie kann man leben, wenn alte Erzählungen zusammenbrechen, aber noch keine neuen ihren Platz eingenommen haben? Niemand weiß, wie die Welt in Zukunft aussehen wird, daher ist die grundlegende Frage die, was und wie man lernen sollte, um im Labyrinth eines Lebens zu bestehen, dessen einzige Konstante der Wandel ist. Die Antwort darauf scheint einfach zu sein. Es ist die Rückkehr zu den humanistischen Universalien des gesellschaftlichen Lebens, das heißt zu dem, was die Würde des Einzelnen schützt und gleichzeitig die Gesellschaft als Gemeinschaft zusammenhält. Dem ist hinzuzufügen, dass sich die Entwicklungsziele eines guten menschlichen Lebens auf eine Schlüsselannahme beziehen müssen, und zwar die, dass der Staat und seine Bildungspolitik gegenüber all ihren Konzepten und Varianten neutral zu bleiben haben. Oder anders gesagt: Die „gute Gesellschaft“ muss in einem öffentlichen Raum entstehen, der durch Rechte definiert ist, aber ungeachtet jener Differenziertheit von Rechten, die dem Einzelnen zustehen.

4 Die Herausforderung, das Fremde und Ungewisse ohne Vereinfachungen (Populismus etc.) zu verstehen

Die einfache Annahme des Kommunitarismus mag in der Welt der offensiven Bildungspolitik des entmenschlichten Korporatismus utopisch erscheinen. Aber wir haben die Wahl: Wir können alles daran setzen, zu lernen und uns selbst zu erkennen, um unsere Menschlichkeit – unser Menschsein – auf ethisch-moralische Weise zu gestalten.

Wie kann man sich angesichts solcher Herausforderungen auf die Kategorie „Subjektivität“ beziehen, die die Geistes- und Sozialwissenschaften unermüdlich einfordern? Man kann, wenn man Subjektivität mit einer Reihe von humanen Aspekten in Verbindung bringt, darunter das Bewusstsein, dass das Individuum in einer Wechselbeziehung zu seiner Außenwelt steht, das Verstehen der Umgebung und sich daraus ergebender notwendiger Konsequenzen, die Fähigkeit zum Entdecken von Ursache-Wirkungs-Beziehungen sowie das Erkennen der Auswirkungen des eigenen Verhaltens. Subjektivität ist dann das Antonym zu Vergegenständlichung, ein Ausdruck des Strebens nach der Befähigung des Individuums, rationale, sich auf die Zukunft auswirkende Entscheidungen zu treffen sowie verlockende, aber undurchführbare (oder gar inhumane) Angebote abzulehnen. Die etwaige „Abkürzung“ solch rationaler Entscheidungen, wie Bauman die populistischen Erzählungen nennt, wäre „ein Weg ins Nirgendwo“. Ein Beispiel dafür ist das gegen Migrantinnen und Migranten gerichtete Narrativ, das suggeriert, dass die Welt ohne Neuankömmlinge sicherer und frei von Ungewissheiten wäre (Bauman 2016).

Ein Verständnis dafür, was die Werte der Humanität ausmacht, entsteht selbst erst im Prozess. Es ist Teil eines intersubjektiven Aushandlungsprozesses, der von den Beteiligten vereinbart wird. Die Ethnologen wissen heute ein Lied davon zu singen: Die Idee von Humanität der westlichen Gesellschaften auf indigene Gesellschaften normativ zu übertragen ist nicht human, sondern inhuman. Es fehlt der Kern von Humanität: Die gemeinsame Akzeptanz der damit verbundenen Werte. Dies zu erreichen ist genuine Aufgabe von Bildung. Und eben dieser Prozess ist ergebnisoffen. Die Akzeptanz der Werte entsteht nur im Diskurs.

Einer der wesentlichen Gedanken zu „humaner Bildung“ für heute ist das Konzept von Zygmunt Bauman, der in der lebenslangen Bildung und Erziehung die Unabdingbarkeit der „Ermächtigung“ des Menschen zum Fällen rationaler Entscheidungen aufdeckt. Bauman möchte mehr als nur Bildung für den Markt, den Beruf, die Arbeitswelt und die Erfüllung individueller Ansprüche des Einzelnen (z. B. des Konsumenten). Er will vor allem staatsbürgerliche Bildung, Achtung der Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Selbstverwaltung, Verantwortung und Solidarität, eine Bildung, die Schluss macht mit der Abgrenzung und Abwendung von Bedürftigen und Verletzten, Ausgeschlossenen und Opfern der wirtschaftlichen Globalisierung. „Die Menschheit steckt in der Krise – und der Ausweg aus ihr führt über zwischenmenschliche Solidarität“, so Bauman (2016, S. 26).

Viele Humanisten teilen die Position Baumans und fordern, dass Bildung für Krieg, Aggression und Gewalt einer Bildung Platz machen soll, die solche Ideen, Einstellungen und Verhaltensweisen fördert, die für eine Zeit des Friedens angemessen sind. Ein Blick auf jene Spiele, die heute unsere Kinder faszinieren (wie LoL und Fortnight), und auf Medieninhalte, die junge Menschen erreichen, genügt, um zu wissen, in welchen Zeiten wir leben.

Der metaphorische Grenzraum und seine Durch- und Überschreitung scheinen in der humanistischen Bildung aus mehreren Gründen von grundlegender Bedeutung zu sein. Die menschliche Existenz ist ohne ständige Entscheidungen und das Einlassen auf einen Mehrdeutigkeitsdiskurs unmöglich. Nach dem Konzept von Bachtin (1979) kann sie nicht außerhalb des Dialogs verwirklicht werden. Ebenfalls nah an dieser Idee ist Bubers dialogische Herangehensweise an das Leben, bei der nur die Beziehung zum „Du“ das Entstehen des „Ich“ ermöglicht (Buber 2008). Es gibt daher im metaphorischen Grenzraum keinen Platz für eine dogmatische, autoritäre Sicht der Welt; sein konstitutives Merkmal ist die Polyphonie, d. h. die Gleichwertigkeit, Gleichheit und gegenseitige Koexistenz verschiedener Weltbilder, verschiedener Diskurse und Realitätserzählungen, die Menschen auf unterschiedliche Weise erfahren. Gerade auch in der Erwachsenenbildung werden diese Ansätze energisch vertreten, etwa von Rolf Arnold (2003), der konstruktivistische Paradigmen im Verständnis eines systemischen, diskursorientierten Lernens weiterentwickelt hat.

Wir verfolgten mit dem Setzen unseres Themas Humanisierung in der und durch die Bildung dreierlei Ziele: zum einen die Bedeutung dieses Ziels zu betonen; zum zweiten nach Forschungen zu diesem Thema zu suchen; und zum dritten zu Forschungen, die Ansätze der Humanisierung untersuchen, zu ermutigen. Die geringe Anzahl der Einsendungen, die auf den Call for Papers reagierte, legt die Vermutung nahe, dass es derzeit nicht viele Arbeiten zu diesem Thema gibt. Auch hat es den Anschein, dass sich das Sujet der Humanisierung den heutigen Anforderungen an empirisch gehaltvolle, forschungsbasierte Texte nur schwer erschließt. So können wir in dieser Nummer letztlich nur einen Beitrag zum Thema präsentieren, andere können in den nächsten Nummern folgen. Wir konnten mit unserer Ausgabe auf die Bedeutung des Themas hinweisen, das war das erste Ziel. Und wir haben – das wissen wir aus den Rückmeldungen auf den Call for Papers – auch zu weiteren Arbeiten zur Humanisierung ermutigen können. So gehen wir zuversichtlich davon aus, dass wir in Zukunft weitere einschlägige Arbeiten werden veröffentlichen können.

Der einzige in dieser Ausgabe veröffentlichte Text zum Thema, verfasst von Nils Bernhardsson-Laros, beschäftigt sich mit ethischen und moralischen Fragen in der erwachsenenpädagogischen Lehre und dem Umgang der Lehrenden damit, ermittelt in knapp 20 intensiven Interviews. Die dort beschriebene Ausgangslage bestätigt das Ergebnis unseres Call for Papers: In der Erwachsenenbildung mangelt es an Forschungen zur Bereichs- und zur Berufsethik. Dies hat verschiedene Gründe, etwa den offenen Zugang zur Tätigkeit in der Lehre, die wenig standardisierte Ausbildungssituation oder das Fehlen eines übergreifenden Berufsverbands. Der Beitrag thematisiert drei Ebenen der Ethik (Ideale, Standards und Anwendungen) und konstatiert auf allen drei Ebenen praktische Problemfelder. So sei es, schreibt Bernhardsson-Laros,

nicht ausreichend, dass Erwachsenenbildnerinnen und Erwachsenenbildner bloß pädagogisch-ethische Überzeugungen haben; sie müssen diese auch in konkrete ethische Fragen bringen können. Des Weiteren kann es problematisch sein, wenn eine Person pädagogisch-ethische Überzeugungen hat, sie aber gar nicht merkt, dass sie dagegen verstößt. Außerdem wäre es wichtig, dass sie sich daraufhin beobachtet, ob ihre pädagogisch-ethischen Überzeugungen und ihre ethischen Orientierungen zusammenpassen.

Bernhardsson-Laros betont, dass Erwachsenenpädagogen und -pädagoginnen sich in ethisch-moralischen Fragen auf allen vier Ebenen des vorgestellten Modells weiterentwickeln müssten, dass sie Zusammenhänge zwischen Situationen, Fragen, Überzeugungen und Orientierungen reflektieren sollten und eine Sensibilität für moralische Probleme auszubilden hätten.

Dies, so der Autor, mache deutlich,

in welche Richtung bereichsethische Forschung zu moralischen Problemen von Lehrenden der Erwachsenen- und Weiterbildung gehen sollte. Es darf nicht ausschließlich das Ziel sein, relevante pädagogisch-ethische Überzeugungen und ethische Orientierungen theoretisch zu reflektieren, wie dies bisher vornehmlich geschieht. Sondern es muss darum gehen, den skizzierten Zusammenhang bzw. die Zusammenhänge zwischen den vier Dimensionen moralischer Probleme empirisch weiter zu erforschen.

Auf einer gediegeneren, vor allem auch empirisch profunderen Basis wäre es auch möglich, den Zusammenhang von Ethik, Moral und Humanität weiter auszudifferenzieren und konkreter auf erwachsenenpädagogisches Handeln zu beziehen.

Auch wenn die weiteren, in dieser Ausgabe präsentierten Beiträge nicht explizit dem Thema gewidmet sind, so berühren sie doch – wenig erstaunlich – immer wieder moralische und ethische Fragen und Probleme, selbst wenn dies nicht expliziert hervorgehoben wird. So verweisen etwa Datenerhebungen und -nutzungen (Statistiken von Angebot und Teilnahme) ebenso auf moralische Prinzipien wie Analysen des Teilnehmerschwunds, des sogenannten „Drop-Outs“. Es existiert offensichtlich (noch) kein bereichsspezifisches Forschungsverständnis, zu diesen Aspekten aus einer ethischen Perspektive Stellung zu beziehen.

In dem Beitrag zum „Drop-out“ von Stefanie Hoffmann, Veronika Thalhammer, Aiga von Hippel und Bernhard Schmidt-Hertha wird dieses Phänomen spezifisch auf die Erwachsenenbildung hin thematisiert. Forschungen zum Drop-Out liegen vor allem im Schul- und im Hochschulbereich, aber auch in der beruflichen Bildung vor, wo sie nicht zuletzt durch gravierende didaktische und ökonomische Konsequenzen bedeutsam sind. In der auf Freiwilligkeit basierenden Erwachsenenbildung ist die Diskussion weniger intensiv, auch wenn der Drop-Out für die Arbeit von Institutionen und das Selbstbewusstsein von Lehrkräften von immenser Bedeutung ist. Aber auch für die Lernenden handelt es sich um einen bedeutsamen Sachverhalt, wie die Autoren und Autorinnen eingangs feststellen:

Zum Problem werden Weiterbildungsabbrüche besonders dann, wenn vorhandene Weiterbildungsinteressen nicht weiter realisiert werden können und/oder wenn damit ein grundsätzlicher Rückzug aus dem System Weiterbildung eingeleitet wird.

Der Beitrag stützt sich empirisch auf elf Interviews mit Personen, die Träger und Verbände der Weiterbildung repräsentieren. Sie umreißen den (unzureichenden) Stand der einschlägigen Grundlagenforschung und versuchen, den Drop-out systematisch im Kontext von Weiterbildung zu verorten. Vertieft wird dies durch Einbezug der Ergebnisse zum Drop-out im Nationalen Bildungspanel (NEPS). Im Ergebnis, so die Autorinnen und Autoren,

spitzt sich für die professionellen Erwachsenenbildnerinnen und -bildner – aber auch für die Teilnehmenden – im Drop-out die Ungewissheitsantinomie zu. […] Die Ungewissheitsantinomie meint hier, dass Erwachsenenbildnerinnen und -bildner Vermittlungsversprechen machen müssen bei gleichzeitig struktureller Ungewissheit, ob gemeinsame Bildungsziele erreicht werden können (da das Erreichen nicht völlig in den Händen der Professionellen liegt).

Der Begriff „Drop-out“ könne in verschiedenen Konstellationen damit sowohl Ausdruck freiwilligen Bildungsverhaltens als auch eines didaktischen Problems sein, werfe aber in jedem Fall immer auch Fragen nach gesellschaftlicher Teilhabe und der Gestaltung von Bildungsbiographien auf – auch dies ein ethisch höchst relevanter Aspekt.

Im Beitrag „Berufliche Weiterbildung – Teilnahme und Abstinenz“ von Normann Müller und Felix Wenzelmann geht es nicht um das Verlassen, den Abbruch einer Weiterbildungsmaßnahme, sondern darum, ob teilgenommen wird oder nicht. Betrachtet wird die Teilnahme an beruflicher Weiterbildung, gezielt untersucht wird der Einfluss persönlicher Ziele, Resilienzen und Nützlichkeitserwägungen. Zugrunde liegen Daten aus der Erhebung „Berufliche Weiterbildung – Aufwand und Nutzen der Individuen“, welche vom Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) 2015 realisiert wurde. Der Beitrag steht in einer langen Reihe von Untersuchungen zur Weiterbildungsteilnahme, hier mit dem Fokus auf der beruflichen Bildung, und bestätigt zunächst die Grunderkenntnisse früherer Studien, was Berufstätigkeit, Vorbildung, Alter, Migration und Orte (Betriebe, Räume) angeht. Im Ergebnis zeigen sich jedoch auch Erkenntnisse, die

in den bisherigen Untersuchungen vernachlässigt wurden. Demnach stehen auch Teile der Persönlichkeit, namentlich die individuelle Bedürfnisstruktur, in Zusammenhang mit der Weiterbildungsbeteiligung. Personen, denen Freude an der Erwerbstätigkeit, Sozialkontakt im Erwerbsleben, ein Nützlichkeitsgefühl und Einfluss im Beruf sehr wichtig sind, nehmen tendenziell eher an Weiterbildung teil als andere. Bemerkenswert ist, dass sich ein Zusammenhang zwischen psychischen Belastungen in Zusammenhang mit kursförmigem Lernen oder Prüfungen und der Weiterbildungsaktivität nicht belegen lässt.

Vier Autoren und Autorinnen aus dem Deutschen Institut für Erwachsenenbildung (DIE), Sarah Widany, Elisabeth Reichart, Ingrid Ambos und Markus Huff, stellen in einem weiteren Beitrag nicht nur die dort betreute Anbieterstatistik zur Deutschen Erwachsenenbildung vor, sondern vor allem auch deren Revision, die in den vergangenen Jahren stattfand. Statistiken sind zwar im Idealfall auf Dauer angelegt, unterliegen aber immer wieder der Notwendigkeit, Veränderungen im Feld angemessen aufzugreifen. In der Weiterbildung handelt es sich dabei vor allem um neuere Dienstleistungen (wie etwa Beratung), die einen zunehmend relevanten und auch statistisch sichtbaren Tätigkeitsbereich darstellen. Die Revision der VHS-Statistik und der Verbundstatistik, so die Autorinnen und Autoren, „ist ein aktuelles Beispiel für einen koordinierten Abstimmungsprozess zur Modernisierung der Statistik mit Blick auf die verschiedenen Nutzungskontexte“ und betraf vor allem die Ziele: Abbildung neuer Lerndienstleistungen, Modernisierung und Ergänzung der bisherigen Systematik der Datenerfassung, bessere Sichtbarkeit verbandsspezifischer Angebotsprofile, Anschlussfähigkeit an aktuelle und zukünftige bildungspolitische Anforderungen sowie Erhalt eines gemeinsamen Merkmalskerns der vier Verbände. Die statistischen Daten, wichtige Grundlage vieler Forschungen zur Weiterbildung und so mancher Entscheidungen in der Weiterbildungspolitik, werden nun in ihrer weiteren Verwendbarkeit geprüft, Zeitreihen unter Einbezug der vorliegenden Jahrzehnte dieser Statistiken sind nicht mehr durchgängig möglich.

Es gibt praktisch keine Einrichtung der Erwachsenenbildung in Deutschland mehr, die nicht über ein implementiertes System des Qualitätsmanagements verfügt. Die zu Beginn der 1990er Jahre aus der Wirtschaft in die Weiterbildung diffundierte Anforderung an Qualitätssysteme hat sich durch- und umgesetzt. Die drei Autoren des Beitrags „Qualitätsmanagementsysteme – Eine Analyse von Diffusionsprozessen in verschiedenen organisationalen Feldern der Erwachsenenbildung“, Martin Reuter, Andreas Martin und Stefan Koschek, nutzen als Grundlage zur Beantwortung der entsprechenden Analysefragen die Ergebnisse des von ihnen selbst mitgestalteten Erhebungsinstruments „wb monitor“, einer regelmäßigen Befragung von Weiterbildungseinrichtungen in der Kooperation von BIBB, DIE und Universität Gießen. Sie stellen die Frage, inwiefern sich Organisationen bei der Implementation von Qualitätsmanagementsystemen „an ihrer organisationalen Feldzugehörigkeit orientierten und welche Bedeutung bildungspolitische Interventionen in Form von gesetzlichen Vorgaben für die Gestaltung dieser Diffusionsprozesse besaßen“. Angemessen zur Pluralität der Weiterbildung betrachten die Autoren getrennt verschiedene Kontexte. Sie kommen zu dem Ergebnis, dass sich trotz eines ähnlichen Gesamtverlaufs bei der Implementierung auch Unterschiede zwischen den organisationalen Feldern (1 „VHS“, 2 „gemeinnützig/öffentlich“, 3 „Gemeinschaften“ und 4 „kommerziell privat“) zeigen.

Der Beitrag von Alexander Nitzschke, Stefanie Velten, Agnes Dietzen und Reinhold Nickolaus über „Die Bedeutung beruflicher Erfahrungen und fachsystematischen Wissens für die Bewältigung fachlicher Problemstellungen – eine Analyse bei angehenden Technikern und Technikerinnen“ geht davon aus, dass in der beruflichen Kompetenzdiagnostik hauptsächlich die kognitiven Faktoren herangezogen werden, um erreichte Leistungen zu erklären. Berufliche Erfahrungen „werden hingegen nur zum Teil als relevant ausgewiesen und bleiben in ihrer Erklärungskraft zumeist hinter den kognitiven Faktoren zurück“, so die Autorinnen und Autoren. Sie gehen daher der Frage nach, welcher Einfluss den beruflichen Erfahrungen neben den kognitiven Faktoren zukommt. Der Beitrag stützt sich auf die Befragung von gut 200 Technikern und Technikerinnen der Elektroindustrie, die sich zu ihrer beruflichen Erfahrung äußerten. Operationalisiert wurde diese mit der Dauer der Berufsausübung einerseits und der Häufigkeit der Durchführung berufstypischer Tätigkeiten andererseits. Im Ergebnis zeigt sich, dass „unter Kontrolle der kognitiven Variablen (kognitive Grundfertigkeit und fachspezifisches Wissen) die Dauer der Berufsausübung keine zusätzliche prädiktive Kraft zur Erklärung der Fachkompetenz erbringt“, wohingegen „die Operationalisierung der Berufserfahrung auf Basis konkreter Tätigkeiten, welche zu Tätigkeitsbündeln zusammengefasst wurden, einen deutlichen und signifikanten Beitrag zur Erklärung der berufsfachlichen Leistung“ leiste.

Auch wenn die vorliegende Nummer zu Humanität und Humanisierung in der und durch die Erwachsenenbildung keine Vielzahl von Beiträgen generierte – ganz offensichtlich und bedauerlicherweise stecken entsprechende Forschungsarbeiten hierzu noch in den Kinderschuhen – ermöglichen doch die entsprechenden, auf Moral und Ethik abzielenden Fragestellungen neue Perspektiven bei der Interpretation oder Reinterpretation von Forschungsergebnissen. Wir verbinden die vorliegende Ausgabe mit der Hoffnung, dass ebendies – neben genuiner eigener Forschung – ebenfalls erfolgen möge.