1 Einleitung: Die wachsende Bedeutung beruflicher Weiterbildung

Die qualifikatorischen Anforderungen an Beschäftigte sind infolge der ökonomischen Transformationsprozesse der letzten Jahre einem erheblichen Wandel unterworfen. Die Entwicklung hin zu einer digitalisierten Wissensgesellschaft bedingt die steigende Nachfrage nach qualifizierten und hochqualifizierten Arbeitskräften (IAB 2016).

Eine Herausforderung für Beschäftigte besteht darin, nach dem Eintritt in den Arbeitsmarkt ihre Qualifikation kontinuierlich an die sich wandelnden Anforderungen der verschiedenen Beschäftigungsfelder anzupassen. Im Sinne eines „lebenslangen Lernens“ ist die Notwendigkeit von Qualifizierung zu konstatieren, die das Nachholen von Bildungsabschlüssen, Berufswechsel und berufliche Neuorientierungen ebenso einschließt wie die kontinuierliche Erweiterung der Qualifikation durch Weiterbildungen zur Sicherung der Beschäftigungsfähigkeit. Dies gilt gleichermaßen für beschäftigte wie arbeitslose Personen. Nutznießer von Weiterbildung sind sowohl der Einzelne durch die Steigerung seiner Arbeitsmarktchancen als auch die Gesellschaft insgesamt, da Weiterbildung vor dem Hintergrund der Herausforderungen des demographischen Wandels einen wichtigen Beitrag zur Sicherung des Fachkräftebedarfs leisten kann (Eisermann et al. 2013).

Eine Reaktion auf diese gestiegenen Anforderungen stellt die Intensivierung der Weiterbildungsaktivitäten dar: Nahmen 1991 in Deutschland 37 % aller Beschäftigten an einer Weiterbildung teil, ist dieser Anteil bis 2014 auf 51 % gestiegen (BMBF 2015). Auf der Arbeitgeberseite engagiert sich gegenwärtig mit 53 % mehr als die Hälfte aller Betriebe im Bereich der betrieblichen Weiterbildung (Janssen und Leber 2015). Schließlich kommt Maßnahmen zur Förderung der betrieblichen Weiterbildung unter arbeitslosen Personen durch die Bundesagentur für Arbeit (BA) – trotz starker Rückgänge in den letzten Jahren – mit über 300.000 Förderungen im Jahr 2015 (Statistik der BA) als Instrument für die Arbeitsmarktintegration nach wie vor eine nennenswerte Bedeutung zu.

1.1 Weiterbildungsberatung

Angesichts der gestiegenen Bedeutung von Weiterbildung haben sich in den vergangenen Jahrzehnten spezifische darauf bezogene Beratungsangebote etabliert. Weiterbildungsberatung ist begrifflich gefasst eine spezifische Kategorie des übergeordneten Konzepts der Bildungsberatung, die sich auf Fragen der Weiterbildung bezieht (Stanik 2014). Individuen sollen danach durch die Beratung befähigt werden, Entscheidungen bezüglich ihrer Bildungs- und Berufsbiografien und mit Blick auf Weiterbildungsmaßnahmen oder -einrichtungen zu treffen (ebd.; Schiersmann 2011). Der Bedarf an einer spezialisierten Form der Beratung, die auf die passgenaue Auswahl eines Qualifizierungsangebots zielt, ergibt sich aus dem Anstieg der Komplexität der Arbeitswelt, der mit einem erhöhten Orientierungs- und Entscheidungsbedarf der Individuen einhergeht, aber nicht (mehr) von den Individuen (allein) gedeckt werden kann. Beratung fungiert hier als systematische und methodisch fundierte Reflexionsinstanz (Seel 2009) bzw. als „Orientierungs- und Entscheidungshilfe, die im Lebenskontext auf Arbeit, Beruf und Bildung bezogen ist“ (Käpplinger und Maier-Gutheil 2015, S. 164).

Weiterbildungsberatung kann somit klassifiziert werden als eine personenbezogene (im Unterschied zur institutionsbezogenen) Beratungsinteraktion zwischen Ratsuchenden und Berater oder Beraterin, die zielgerichtet, aber ergebnisoffen sein sollte (Schiersmann 2011). Analytisch lässt sich die Interaktion in der Weiterbildungsberatung differenzieren anhand der von Gieseke und Opelt (2004) getroffenen Unterscheidung zwischen informativer, situativer und biografieorientierter Beratung, die sich vor allem auf die Reichweite und Art der Anliegen in der Beratung bezieht. Eine weitere Dimension der Interaktion betrifft die Frage, inwieweit die Entscheidung der Ratsuchenden durch die Beratenden bewusst beeinflusst wird (Rogers 1976), abhängig z. B. davon, ob die Beratenden im Gespräch direktiv handeln oder nicht.

Angebote der Weiterbildungsberatung werden in der Regel von Kammern, Bildungsträgern oder auch spezialisierten Beratungsstellen von Bund oder Land sowie von der Bundesagentur für Arbeit vorgehalten (Stanik 2015). Die unterschiedlichen Anbieterkontexte und ihr Einfluss auf die Beratungsinteraktion wurden von verschiedenen Autoren analysiert: Kritisch diskutiert wurde dabei insbesondere, dass mit Beratungen teilweise auch institutionelle Interessen verfolgt werden, zulasten sowohl der Ergebnisoffenheit der Beratung als auch der Interessen der Ratsuchenden (z. B. Stanik 2014; Gieseke 1997). Insbesondere der Beratungsprozess wurde von den meisten Studien der letzten Jahre in den Fokus genommen (Käpplinger und Maier-Gutheil 2015). Zu nennen sind in diesem Zusammenhang z. B. die Analysen von Gieseke und Opelt (2004), Müller (2005) oder Stanik (2014). Als Beispiele für Untersuchungen, die Beratung im Kontext der Arbeitsverwaltung betrachten und die Beratung von arbeitslosen Ratsuchenden mit Blick auf deren „Zwangscharakter“ analysieren, sind die Beiträge von Hielscher und Ochs (2009), Schütz et al. (2011) und Müller (2014) anzuführen. Einen Überblick über den Forschungsstand zur Qualität und Wirksamkeit der Beratung bei der Vermittlung von Arbeitslosen geben Hofmann et al. (2014).

1.2 Angebote zur Weiterbildungsberatung

In einigen Bundesländern und Regionen gibt es nicht nur eine große Spannweite von Angeboten, die unter dem Oberbegriff Weiterbildungsberatung firmieren, der landesweite Ausbau von Beratungsstrukturen hat auch ein differenziertes Gefüge von Einrichtungen entstehen lassen, die Weiterbildungsberatung anbieten (Käpplinger und Maier-Gutheil 2015). Ein Überblick über relevante Angebote findet sich u. a. unter „Infoweb Weiterbildung“ (http://www.iwwb.de/), das das bundesweite Weiterbildungsangebot bündelt, in Datenbanken wie „weiterbildunghessen“ (https://weiterbildunghessen.de/), die sowohl einen Überblick über Kurse der beruflichen, allgemeinen und politischen Weiterbildung sowie deren Anbieter geben als auch Informationen zur Zertifizierung von Einrichtungen, Inhalten und „Beratungspersonen“ vermitteln. Ähnliches bieten auch andere landesweite Monitoring- und Dokumentationssysteme wie die Koordinierungs- und Evaluierungsstelle Berlin (KES) oder das Portal „weiterbildungsberatung.nrw“ der Gesellschaft für innovative Beschäftigungsförderung, G.I.B. (https://www.weiterbildungsberatung.nrw/). Insgesamt positiv wird bewertet, dass die Strukturen der Weiterbildungsberatung der „Vielfalt der Ratsuchenden“ entsprechen und „kundenorientierte Beratung“ ermöglichen (Imelli und Jaensch 2010, S. 43). So bieten insbesondere kommunale Einrichtungen Beratung zu allgemeinen Weiterbildungsanliegen und der Lebensplanung an.

Auch die BA hält seit mehreren Jahren mit den Qualifizierungsberatern ein weiterbildungsbezogenes Beratungsangebot vor, das sich an Arbeitgeber richtet, und die Berufsberatung der BA kann als orientierende Beratung zu Beginn des Erwerbslebens verstanden werden. Die Agenturen für Arbeit und Jobcenter sind auch mit Angeboten wie dem Berufsnavigator (https://ben.arbeitsagentur.de) oder WeGebAU fester Bestandteil von regionalen Netzwerken der Bildungsberatung. Allerdings orientieren sich diese primär an spezifischen Zielgruppen (Arbeitssuchende und Arbeitslose, Leistungsbezieher in der Grundsicherung, Berufsrückkehrer und Wiedereinsteiger). Es geht dabei darum, „Handlungsbedarfe zu ermitteln und die Arbeitslosen zu motivieren, an Maßnahmen zur Verbesserung der Integrationschancen teilzunehmen“ (Kupka et al. 2017, S. 144). Darauf sind auch die fachlichen Standards des 4‑Phasen-Modells der Integrationsarbeit (4PM) und des Beratungskonzeptes der BA (Beko) ausgerichtet, die das methodische Fundament der Beratung in der BA bilden.

1.2.1 Weiterbildungsberatung als neues Angebot der Bundesagentur für Arbeit

Die spezialisierte, qualifizierungsbezogene Beratung von Ratsuchenden, die bereits in den Arbeitsmarkt eingetreten sind, konstituierte hingegen bislang weitgehend eine Leerstelle im Dienstleistungsangebot der BA bzw. war dies Bestandteil der Aufgaben der Integrationsfachkräfte. Gleichwohl bietet der institutionelle Rahmen der BA (stabile Finanzierung, regionale Präsenz, Anzahl qualifizierter Beratungspersonen) die Voraussetzungen für ein bundesweit flächendeckendes und einheitliches Beratungsangebot (Bläsche et al. 2017).

Im Zeitraum von April 2015 bis April 2016 wurde von der BA in 5 Regionen mit insgesamt 34 Beratenden an 15 Standorten die Pilotierung eines Angebots der Weiterbildungsberatung (WBB) unternommen.

Aus einer Makroperspektive lässt sich die Einrichtung der WBB als Anpassung des institutionellen Auftrags der BA an die sich verändernden Anforderungen der Umwelt interpretieren, da sich der institutionelle Beitrag zum Ausgleich am Arbeitsmarkt über das „Kerngeschäft“ der Vermittlungsarbeit hinaus ausdehnt. Dabei wird nicht nur die Gruppe der Beschäftigten als Adressat der Leistungen ins Visier genommen, sondern auch die Arbeitsvermittlung als Kernprozess der Organisation durch ein spezialisiertes Angebot unterstützt und entlastet. Das Weiterbildungsberatungsangebot der BA gehört damit in den Anwendungsbereich einer Beratungsleistung zur individuellen Entscheidungsfindung für eine Bildungs- oder Qualifizierungsmaßnahme (Giesecke 2000). Dabei ist anzunehmen, dass die Beratungssituation je nach institutioneller Ausgestaltung die individuelle Entscheidungsfindung grundsätzlich mitprägen kann.

Das Beratungsangebot der BA kann aus eigener Initiative von allen Interessierten wahrgenommen werden (Direktzugang) oder ergänzender Bestandteil der Vermittlungsarbeit sein (Einschaltung). Während die Ratsuchenden im ersten Fall somit aus eigenem Interesse und mit einem mehr oder weniger klaren Anliegen die Beratung nutzen, befinden sich die zweitgenannten in Beratungskonstellationen, die strukturell stärker dem regulären Setting der Beratung in der Arbeitsverwaltung mit den davon implizierten Zwängen gleichen.

Programmatisch sollen die Beratenden nicht nur beraterische Qualifikation und Professionalität aufweisen, sondern zum Beispiel auch die Bedarfe, Anforderungen und Qualifizierungsangebote des lokalen Arbeitsmarktes kennen und dort mit den relevanten Akteuren vernetzt sein (Fuchs et al. 2017), was auch den in der Literatur formulierten Ansprüchen an eine solche Tätigkeit entspricht (Schiersmann 2011).

Es wurden in der Pilotierung hinsichtlich exogener Faktoren, wie der Arbeitsmarktstruktur, heterogene Regionen als Standorte ausgewählt. Zusätzlich wurden lokale Rahmenbedingungen der Umsetzung mit Blick auf die Bestimmung einzelner Zielgruppen der Beratung (z. B. Stille Reserve) sowie die Definition verschiedener Umsetzungsmodelle hinsichtlich der Gestaltung der innerorganisatorischen Steuerungsbefugnisse variiert.

1.3 Fragestellung

Sowohl die Variation der Rahmenbedingungen der Pilotierung als auch Erfahrungen aus der Implementationsforschung (exemplarisch Bauer et al. 2010) legen nahe, dass sich das allgemeine Konzept der WBB in unterschiedliche lokale Praktiken übersetzt. Daher soll zum einen der Frage nachgegangen werden, wie sich die Heterogenität der Praxis der WBB beschreiben lässt und zum anderen, welche Faktoren für die Entstehung der Heterogenität ausschlaggebend sind. Am Beispiel zweier Pilotierungsstandorte werden zu diesem Zweck sozialstrukturelle Merkmale der Regionen sowie Befunde aus der Begleitforschung zur Pilotierung herangezogen, um die Beschaffenheit der lokalen Praxis der WBB und die Ursachen für ihre Entstehung näher zu beleuchten. Dies umfasst auch die Analyse der Interpretationen des Beratungsauftrags durch die Akteure auf den verschiedenen Ebenen und deren Folgen für die Beratungspraxis in den beiden Regionen. Mit Blick auf eine mögliche bundesweite Einführung dieses Beratungsangebots stellt sich letztlich die Frage, inwieweit Beratung durch die allgemeinen und lokalen institutionellen Kontexte geprägt wird.

2 Empirische Basis

Empirisch stützen sich die präsentierten Ergebnisse auf die wissenschaftliche Begleitung der Pilotierung der WBB (Fuchs et al. 2017). Quantitativ wurden hierfür im Rahmen eines Monitorings die Angaben etwa über Anliegen, Dauer und Ergebnis der Beratung als prozessproduzierte Daten im Verlauf der Beratung erhoben. Diese wurden mit den Integrierten Erwerbsbiographien (IEB)Footnote 1 des IAB der Ratsuchenden verknüpft. Der so erstellte Datensatz ermöglicht Aussagen über die soziodemographische Zusammensetzung der RatsuchendenFootnote 2 einschließlich ihrer Erwerbshistorie und gewährt Einblick in Verlauf und Ergebnis des Beratungsprozesses.

Auf der qualitativen Ebene wurden neben Dokumentenanalysen leitfadengestützte Interviews mit allen Akteuren, die auf den verschiedenen Organisationsebenen an der Umsetzung beteiligt waren, durchgeführt und inhaltsanalytisch (Mayring 2010) ausgewertet. Hierzu zählen je Standort drei Beratende und drei Ratsuchende, die fachlichen Vorgesetzten der Beratenden, zusätzlich zwei Kolleginnen und Kollegen der Beratenden aus der Arbeitsvermittlung sowie jeweils zwei Führungskräfte der lokalen Arbeitsagenturen. Schließlich wurden je Standort zwei Beratungsgespräche passiv-teilnehmend beobachtet.

Der empirische Teil nimmt im Rekurs auf ein analytisches Schema verschiedene Ebenen der Implementation und der daran beteiligten Akteure, Institutionen und Rahmenbedingungen in den Blick. Zunächst wird das analytische Schema erläutert, um in der Folge anhand zentraler Strukturdaten zum Arbeitsmarkt die Ausgangssituationen in den betrachteten Regionen darzulegen. Den zweiten Schritt bildet eine Kontrastierung auf der Ebene der Organisationen, hier im Sinne einer Identifikation von unterschiedlichen Deutungen der WBB und der mit ihr verknüpften Ziele durch die umsetzenden Akteure. Die Einbettung des Beratungsangebots, insbesondere die Kooperation mit der Arbeitsvermittlung, bildet den Fokus des dritten Teils, während die Praxis der Interaktion in der Beratung Gegenstand des letzten Teils ist.

2.1 Analytisches Schema

Die Makro-Ebene des analytischen Schemas bezieht sich auf den gesamten deutschen Arbeitsmarkt. Die eingangs skizzierten Transformationsprozesse führen auf dieser Ebene zu einer Problemdiagnose, die die Entwicklung des Angebots der WBB als Reaktion darauf nach sich zieht. Zwischen politischen Akteuren auf Bundesebene und den Akteuren der BA-Zentrale wird auf diese Weise Einigkeit über die Anpassung des institutionellen Auftrags der BA erzielt (Abb. 1).Footnote 3

Abb. 1
figure 1

Analytisches Schema. Quelle: eigene Darstellung

Im Zuge der Umsetzung des allgemeinen Konzepts in eine lokale Praxis können sich die regionalen Disparitäten am Arbeitsmarkt als relevante Einflussgröße zwischen Makro- und Meso-Ebene erweisen, da sich die Gesamtentwicklung am Arbeitsmarkt lokal sehr unterschiedlich darstellt und wiederum heterogene Anforderungen und Bedarfe begründet, die sich auf die Implementation der WBB auswirken dürften. So lässt sich etwa annehmen, dass in einer Region mit Arbeitsmarktbedingungen nahe der Vollbeschäftigung das Ziel der Fachkräftesicherung stärker im Vordergrund steht als in einer eher strukturschwachen Region.

Auf der Meso-Ebene der Region und Organisation muss das Angebot der WBB in den lokalen Arbeitsmarkt- und Organisationskontext integriert werden. Hierzu zählen die Bedarfe an Weiterbildung auf der Nachfrageseite genauso wie die Abstimmung mit lokalen Arbeitsmarktakteuren (Kammern, andere Beratungsangebote etc.) sowie die Einordnung der WBB in die bestehenden Strukturen der lokalen Arbeitsagentur. Auch die Traditionen, also das etablierte lokale Selbstverständnis der einzelnen Arbeitsagentur, wird diesbezüglich vermutlich berücksichtigt. Besondere Bedeutung als vermittelnde Größe zwischen der Meso-Ebene der Organisation und der Mikro-Ebene der Beratungspraxis kommt der Einbettung der WBB in die Organisation mit Blick auf die Kooperation mit der Arbeitsvermittlung zu, da ein (wesentliches) Ziel der WBB in deren Unterstützung besteht.

Schließlich wird die Dienstleistung der Beratung auf der Mikro-Ebene der direkten Interaktion zwischen Beratenden und Ratsuchenden erbracht. Entscheidend sind hierfür die Neigungen und Wünsche sowie Arbeitsmarktstellung und Einkommen der Ratsuchenden sowie das Beratungsverständnis der Beratenden, aus denen sich der Beratungsauftrag und dessen praktische Umsetzung ergeben. Auch auf dieser Ebene spielen die lokalen Arbeitsmarktbedingungen eine Rolle, da diese durch die Beratenden in den Beratungsprozess einbezogen werden oder auch die Wünsche der Ratsuchenden prägen.

Dieses analytische Schema greift auf das systemische Kontextmodell von Beratung bei Schiersmann (2011) zurück. Das dort beschriebene Beratungssystem (Lebensrollen) findet hier seinen Niederschlag auf der Mikro-Ebene der Beratung. Dem organisationalen Kontext entsprechen Aspekte der Beratung, die auf der Meso-Ebene unseres Schemas anzusiedeln sind. Gesellschaftlicher Kontext (ebd.) schließlich wird in unserer Analyse weiter ausdifferenziert und berührt die beschriebenen Strukturen sowohl auf der Meso- als auch der Makro-Ebene.

2.2 Kontrastierung der Ausgangslage der Regionen

Die Arbeitsmärkte der beiden betrachteten Pilotierungsstandorte der WBB sind denkbar unterschiedlich. Standort A, eine Großstadt in Westdeutschland, verfügt im Vergleich zu Standort B, einer Großstadt in Ostdeutschland, über günstige Arbeitsmarktbedingungen mit einer niedrigen Arbeitslosigkeit und hohem Beschäftigtenbestand (Tab. 1). Gleichzeitig weist der dortige Arbeitsmarkt für westdeutsche Großstädte typische Eigenschaften auf, etwa einen hohen Anteil von Personen mit ausländischer Staatsangehörigkeit an der Bevölkerung und entsprechend an den Beschäftigten und Arbeitslosen.

Tab. 1 Arbeitsmarktindikatoren Standort A und Standort B, 30. Juni 2015

Die Unterschiede in der Arbeitsmarktlage spiegeln sich in der Struktur der Ratsuchenden wider: Am Standort A befinden sich 44,1 % der Ratsuchenden in sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung, und weitere 14,3 % sind zusätzlich zu einer solchen Beschäftigung bereits arbeitsuchend gemeldet, so dass Personen in Beschäftigung die Mehrheit der Ratsuchenden bilden. Hier gibt es bereits eine Tradition des Angebots von Beratung, so dass von Beginn an eine direkte Nachfrage nach einer weiterbildungsbezogenen Beratung von Personen in Beschäftigung besteht. Am Standort B hingegen stellen mit gut 42 % die ausschließlich arbeitslosen Personen die mit Abstand größte Gruppe der Ratsuchenden (Tab. 2).

Tab. 2 Status im Monat des Beginns der WBB, Anteile in %

2.3 Deutung des Angebots der WBB auf Leitungsebene der Agenturen

Weiterhin können für die Umsetzung der WBB die Einstellungen auf der Leitungsebene der einzelnen Arbeitsagenturen als wichtige Einflussgröße erachtet werden. Den Geschäftsführungen obliegen grundlegende Entscheidungen, und sie müssen das Beratungsangebot in ihre Organisation, deren Abläufe und Ziele integrieren.

Im Fall von Standort A besteht schon länger eine Tradition der Beratung, insbesondere von Hochqualifizierten. Darüber hinaus verweist ein Akteur auf Leitungsebene auf eine klare Zielsetzung von Beratung: Die Beratenden sollen die Ratsuchenden in die Lage versetzen, selbst zu entscheiden, ohne dabei die Entscheidungen zu implizieren. Folglich kann ein wichtiges Ergebnis der Beratung für diesen Interviewpartner auch die Umorientierung der Ratsuchenden ohne Nutzung einer Qualifizierung umfassen oder auch den generellen Verzicht auf die Realisierung eines Fortbildungswunsches. Dies entspricht einem non-direktiven Beratungsansatz (Rogers 1976) bzw. der „Selbstentscheidung nach der Beratung“ (Gieseke und Stimm 2015, S. 232). Von institutionellen Zielen des Anbieters – wie der Einmündung in Qualifizierungen oder der Arbeitsmarktintegration – sowie möglichen persönlichen Präferenzen der Beratenden wird in der Beratung abgesehen.

Eine andere Perspektive nimmt die Gesprächspartnerin auf der Leitungsebene in Standort B ein. Für sie dominiert das Ziel der Einmündung in eine Qualifizierung infolge der Beratung, die idealerweise an das Ziel einer anschließenden Integration in Beschäftigung gekoppelt sein soll. Bei der Wahl der Qualifizierung steht für sie die Balance zwischen Angebot und Nachfrage im Vordergrund, da die gewählte Qualifizierung sowohl den individuellen Fähigkeiten und Neigungen der Ratsuchenden entsprechen, aber auch an den Bedürfnissen des Arbeitsmarkts ausgerichtet sein soll. Die WBB ist für sie eine instrumentell auf den Ausgleich am Arbeitsmarkt bezogene, spezialisierte Dienstleistung, die zugleich der Erreichung der übrigen institutionellen Ziele dient.

Nicht unwesentlich für diese variierenden Einstellungen auf Leitungsebene dürfte die Arbeitsmarktlage sein: Die vergleichsweise gute Arbeitsmarktlage am Standort A erleichtert das Absehen von sonstigen institutionellen Zielen zugunsten einer stärker an den Interessen der Ratsuchenden orientierten Beratung. Da Standort B den deutlich schwierigeren Arbeitsmarkt aufweist, liegt es aufgrund des daraus resultierenden Drucks für die Organisation nahe, die WBB stärker am Ziel des Abbaus der Arbeitslosigkeit auszurichten. Während an Standort A die WBB eher als eigenständiges und offenes, non-direktives Beratungsangebot verstanden wird, das somit tendenziell auch den o. g. theoretischen Grundsätzen der Weiterbildungsberatung folgt, stärkt die Leitungsebene an Standort B eher den Vermittlungsprozess als Kernaufgabe der Agentur mittels des Angebots und verknüpft sie mit den übrigen institutionellen Zielen.

Diese Priorisierung findet ihre Entsprechung in der Struktur des Zugangs der Ratsuchenden: So wurde die WBB am Standort A in den ersten zehn Monaten ihres Bestehens mit 71,5 % zu fast drei Vierteln von Direktzugängen genutzt, also Personen, die von sich aus – oftmals ohne vorliegende Arbeitslosigkeit – eine Beratung nachgefragt haben. Dieser Anteil lag am Standort B im selben Zeitraum bei 34,2 %, so dass hier die Nutzung der WBB im Kontext des Vermittlungsprozesses von Arbeitsuchenden überwiegt (vgl. Fuchs et al. 2017).

2.4 Einbettung in die Organisation

Ein wesentlicher Schritt zur Umsetzung der WBB besteht in deren Einbettung in die Strukturen und Abläufe der Arbeitsagenturen. Diese Aufgabe fällt neben der Leitungsebene auch Koordinatorinnen und Koordinatoren zu, die die Arbeit der Beratenden in ihrer Region begleiten. Als zentral für diese Einbettung erweist sich die Schnittstelle zur Arbeitsvermittlung, da auch dort ein gesetzlicher Beratungsauftrag wahrgenommen wird und die dort beschäftigten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter durch die Einschaltung der WBB in ihrem Beratungsprozess wesentlich dazu beitragen (können), Beratungsfälle zu generieren.

Am Standort A herrscht eine deutlich distanzierte Haltung gegenüber der Arbeitsvermittlung vor. Zwar wird eine vertrauensvolle Zusammenarbeit angestrebt, doch letztlich nüchtern davon ausgegangen, dass dies nicht flächendeckend möglich sein wird. Ursächlich wird dies vom Koordinator auf eine seit längerem bestehende innerorganisatorische Unterscheidung zwischen Beraterinnen und Beratern einerseits und Arbeitsvermittlerinnen und -vermittlern andererseits zurückgeführt. Während ersteren der Nimbus anhänge, sich als „freischaffende Künstler“ mit Distanz zum Kerngeschäft der Vermittlung zu verstehen, so der Koordinator, dominiere in der Arbeitsvermittlung die Orientierung an der Erreichung des institutionellen Ziels der Erwerbsintegration. Die Entlastung vom Vermittlungsdruck und die ausschließliche Orientierung an den Wünschen und Zielen der Ratsuchenden im Sinne eines offenen und non-direktiven Beratungsansatzes werden von ihm als entscheidendes Distinktionsmerkmal der WBB verteidigt: Der Beratungsauftrag der WBB soll gewissermaßen nicht durch das institutionelle Ziel der Vermittlung kontaminiert werden.

Im Fall von Standort B setzt sich hingegen die Deutung der WBB als Instrument zum Ausgleich am Arbeitsmarkt bei gleichgewichtiger Berücksichtigung von Angebot und Nachfrage über die Hierarchieebenen hinweg fort. Ein Interviewpartner auf der mittleren Leitungsebene paraphrasiert diese Idee mit der Formulierung, man müsse in der WBB „auch in die richtige Richtung beraten“, also nicht nur die Wünsche der Ratsuchenden, sondern auch die Bedarfe und Potenziale des Arbeitsmarktes im Blick behalten. Dies entspricht einem stark direktiven Beratungsverständnis und spiegelt den allgemeinen institutionellen Auftrag der BA wider. In einer stärkeren Akzentuierung der innerorganisatorischen Perspektive betont die Koordinatorin das Ziel der WBB, innerhalb der Arbeitsagentur von den Arbeitsvermittlerinnen und -vermittlern als unterstützendes und auf den Integrationsprozess gerichtetes, spezialisiertes Beratungsangebot wahrgenommen zu werden. In dieser Logik ist der Einfluss des institutionellen Kontexts auf die Beratung in der WBB durch eine Orientierung am allgemeinen Ziel der Institution deutlich größer als im Fall von Standort A. Auf der operativen Ebene der Beraterinnen und Berater drückt sich ein solches Verständnis der WBB durch die Annäherung der Beratung an den eigentlichen Vermittlungsprozess aus. So räumt ein Berater ein, dass man seine Arbeit letztlich als Arbeitsvermittlung bezeichnen könne, auch wenn er hervorhebt, dass er dies dank der größeren zeitlichen Ressourcen und der Abwesenheit von Fragen der Gewährung finanzieller Leistungen zum Lebensunterhalt in einem strukturell entlasteten Setting durchführen könne.

2.5 Interaktion in der Beratung

Schließlich stellt sich die Frage, wie sich die dargelegten Unterschiede in der Praxis der Beratung niederschlagen. Tab. 3 gibt zunächst einen Überblick über die Anliegen der Ratsuchenden auf Basis der von den Vermittlungsfachkräften vorgenommenen Zuordnung zu insgesamt sieben Kategorien.Footnote 4 Die Anliegen der Ratsuchenden weisen in diesem Zusammenhang erneut erhebliche Differenzen zwischen den beiden Standorten auf. Ratsuchende, die sich für einen Zugang zur Hochschule oder Alternativen zu einem abgebrochenen Studium interessieren, spielen am Standort A mit 12 % eine untergeordnete Rolle. Hier überwiegen mit mehr als der Hälfte aller Beratungsfälle „komplexe WBB-Anliegen“, deren Anteil am Standort B weniger als ein Viertel beträgt. Die größte Gruppe am Standort B stellen mit über 43 % Personen, die zu Fragen des Dritten Bildungswegs beraten werden, insbesondere Bachelor-Absolventinnen und -Absolventen sowie Studienabbrecher.

Tab. 3 Anliegen der Beratenen, Anteile in %

Die herausgehobene Bedeutung komplexer Fälle am Standort A lässt sich u. a. auf den hohen Anteil von Direktzugängen zurückführen, deren Anliegen vorab kaum steuerbar sind, sowie auf das am Standort vorherrschende Beratungsverständnis.Footnote 5 Die starke Orientierung an den Wünschen der Ratsuchenden bedingt dort eine Affinität der Beratenden zu Ansätzen der systemischen Beratung. Dies ist zum einen konsistent mit dem bislang skizzierten Beratungsverständnis, zum anderen legt dies eine vielschichtige Perspektive auf die Beratungsfälle nahe, da es für einen solchen Beratungsansatz konstitutiv ist, den Blick auf das soziale Umfeld der Beratenen und weitere Rahmenbedingungen auszuweiten (Warschburger 2009, S. 36).

Stärker auf die regionalen Rahmenbedingungen gehen womöglich die Differenzen bei den am Standort B deutlich häufiger beratenen „Spätstartern“ zurück, die zwischen 25 und 34 Jahren alt sind und einen Ausbildungswunsch verfolgen. Dies dürfte durchaus typisch sein für eine wirtschaftlich schwächere Region, in der Ausbildungsplätze schwerer zu finden sind und sich manche Jugendliche daher zunächst für die Aufnahme einer Helfertätigkeit entscheiden oder arbeitslos werden.

Am Standort B sind in der Folge die Erwerbsbiografien auch insgesamt stärker perforiert. Dort waren nur knapp 14 % der Ratsuchenden zwischen 2010 und 2014 durchgehend beschäftigt. Brüchigere Erwerbskarrieren gehen häufig mit unterdurchschnittlichen Löhnen einher. Es lassen sich gravierende Unterschiede mit Blick auf die von den Ratsuchenden erzielten Einkommen identifizieren (Tab. 4). Während die Ratsuchenden am Standort B zu mehr als 70 % Löhne im Bereich von unter 2000 € erhalten, finden sich am Standort A deutlich höhere Anteile für die Einkommensgruppen über 2000 €, Gehälter von 3000 € und mehr kommen dort fast dreimal so häufig vor.

Tab. 4 Entlohnung der vollzeitbeschäftigten Beratenen, Anteile in %

Da am Standort A zum einen deutlich höhere Löhne gezahlt werden, zum anderen Direktzugänge bzw. Personen in sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung als Ratsuchende überwiegen, finden sich hier häufiger weiterreichende Anliegen der Ratsuchenden. So schildert ein Ratsuchender in einer gut bezahlten Vollzeitbeschäftigung sein Anliegen in einem beobachteten Beratungsgespräch mit den Worten: „Ich bin gerade am Überlegen, was ich mit meinem Leben machen könnte“. Das Thema Weiterbildung ist hier stärker geprägt von dem Motiv der Sinnstiftung durch Arbeit im Sinne einer Aufgabe, die eine inhaltliche Identifikation ermöglicht. Infolgedessen dehnt sich der Beratungsauftrag in der WBB geradezu zwangsweise auf andere Sphären als den Arbeitsmarkt aus und nimmt den Charakter einer biografieorientierten Beratung an (Gieseke und Opelt 2004). Ein solches Anliegen weist zudem eine große Nähe zu dem in diesem Standort kultivierten Selbstverständnis der Beratenden auf.

Für die Ratsuchenden am Standort B stehen hingegen oftmals die Existenzsicherung oder der Ausstieg aus Low-Pay-No-Pay-Zyklen mittels Qualifizierung im Mittelpunkt der Beratung. Diese Einschätzung findet sich sowohl in den Interviews mit Beratenden als auch Ratsuchenden in dieser Region. Eine Ratsuchende führt etwa an, sie wolle „arbeiten, um zu leben“. Der Fokus ihres Anliegens in der WBB liegt für die Ratsuchenden folglich eher auf der Erzielung einer möglichst hohen Bildungsrendite und damit der Erlangung einer stabilen und existenzsichernden Beschäftigung, die angesichts der regionalen Arbeitsmarktlage keineswegs selbstverständlich ist. Entsprechend prägen auch die Anliegen der Ratsuchenden den Charakter der Beratungspraxis an Standort B in Richtung Arbeitsvermittlung. Damit wird der distinkte Charakter einer offenen Beratung „verwässert“. Folglich dominieren hier eher Interaktionen, die einer informativen oder situativen Beratung entsprechen (ebd.), wie sich auch in zwei beobachteten Beratungsgesprächen zeigt, in denen es überwiegend um die Weitergabe von Informationen und die Vermittlung an spezialisierte Beratungsangebote geht.

Schließlich finden die skizzierten Differenzen ihren Niederschlag in den Ergebnissen der Beratung (Tab. 5). Am Standort A konstituiert der Verzicht auf eine Qualifikationsempfehlung das häufigste Ergebnis der Beratung. Dies wird begünstigt durch die Dominanz von komplexen Beratungsanliegen ohne konkrete Weiterbildungswünsche der Ratsuchenden dort und der sich offensichtlich daraus ergebenden Ergebnisoffenheit der Beratung. Zudem deckt sich dies nicht nur mit der Aussage auf Leitungsebene, dass auch das Absehen von einer Qualifizierung ein legitimes Ergebnis eines Beratungsprozesses sein könne, sondern mag auch der Perspektive der Beratenden auf die Ratsuchenden geschuldet sein. So formuliert ein Berater dort, dass es für ihn in der Beratung weniger um die Suche nach einem geeigneten Kurs gehe, als vielmehr um die gemeinsame „Veränderung der Beruflichkeit“, wozu eine Qualifizierung hilfreich sein könne, aber keinesfalls zwingend. Damit distanziert er sich von einem Fokus auf informative Beratung und betont stattdessen seine Orientierung an situativer bzw. biografieorientierter Beratung (Gieseke und Opelt 2004). Dass es am Standort A zudem deutlich häufiger zur Empfehlung von Qualifizierungen kommt, die nicht von der BA finanziert werden, folgt daraus, dass viele Ratsuchende sich eben noch in Beschäftigung befinden und daher nur in Ausnahmefällen solche Angebote überhaupt in Anspruch nehmen können.

Tab. 5 Ergebnis der Beratung, Anteile in %

Das mit Abstand häufigsteFootnote 6 Ergebnis der Beratung am Standort B besteht hingegen in der Empfehlung einer BA-finanzierten Qualifizierung. Dies kann zum einen als Folge der Dominanz von arbeitslosen Ratsuchenden verstanden werden, zum anderen handelt es sich bei den hier empfohlenen Qualifizierungen in der Regel um Angebote mit kürzerer Dauer, die auf zügigere Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt abstellen. Schließlich kann auf diesem Wege eine bessere Auslastung von Maßnahmen erzielt werden, was im Interesse der Organisation liegen dürfte. Insgesamt reproduziert sich hierin die stärkere Orientierung der WBB am Standort B an dem allgemeinen institutionellen Ziel der Arbeitsvermittlung und die größere Distanz zu einer offenen und non-direktiven Beratung, wie sie an Standort A praktiziert wird.

3 Fazit

Anhand zweier Standorte wurde der Versuch unternommen, den Prozess der Pilotierung des Angebots der WBB in der BA nachzuzeichnen und die in diesem Zuge entstehende Heterogenität zu beschreiben und zu erklären. Dabei werden analytisch drei Ebenen unterschieden:

  • die Makro-Ebene der Arbeitsmarktpolitik, d. h. Problemdiagnose und Umsetzungsentscheidung sowie Konzeption der WBB,

  • die Meso-Ebene der regionalen Umsetzung (lokale Arbeitsmarktagentur und lokaler Arbeitsmarkt) und

  • die Mikro-Ebene der Interaktion zwischen Beratenden und Beratenen.

Die unterschiedlichen Interpretationen und institutionellen Prägungen des Beratungsauftrags durch die Akteure auf den verschiedenen analytischen Ebenen werden auch vor dem Hintergrund der in der theoretischen Literatur formulierten Grundsätze einer ergebnisoffenen, non-direktiven Beratung diskutiert. Es zeigt sich, dass sich divergierende Verständnisse von den Anforderungen an ein solches Beratungsangebot durch die verschiedenen Hierarchieebenen der einzelnen Organisationen ziehen und letztlich den Prozess der Erbringung der Dienstleistung auf der operativen Ebene maßgeblich konturieren: Der institutionelle Einfluss der Organisation der BA auf Beratungsprozess und -ergebnis ist am Standort B offensichtlich besonders ausgeprägt. Dort dominiert ein Verständnis von Beratung, das vor allem auf den Ausgleich am Arbeitsmarkt und damit instrumentell durch ein spezialisiertes Angebot auf die Verbesserung der Arbeitsvermittlung abzielt. Dem entspricht die Bemühung um eine enge Kooperation mit der Arbeitsvermittlung und eine Praxis der Beratung, die sich stärker in der Nähe des Vermittlungshandelns positioniert und eine balancierte Berücksichtigung von Angebot und Nachfrage am Arbeitsmarkt anstrebt. Das Beratungsverständnis am Standort A ist im Vergleich stärker von einer ergebnisoffenen, an den Neigungen und Wünschen der Beratenen orientierten Dienstleistung geprägt. Die Distanz zur Arbeitsvermittlung ist hier sowohl innerorganisatorisch als auch von der Beratungspraxis her deutlich größer, da der Fokus auf der Angebotsseite liegt und weniger der Frage nach der Verwertung durch die Nachfrageseite. Die Referenz des Handelns für die Beratenden an Standort A bildet eher die systemische Beratung, im Kontrast zu einer strukturell entlasteten Form der Arbeitsvermittlung, die die Beratungspraxis am Standort B prägt.

Dass auf der Mikro-Ebene die Beratungspraxis dem theoretischen Ideal einer primär an den Belangen des Ratsuchenden orientierten Beratung je nach Standort unterschiedlich nahekommt, ist zum einen auf spezifische Traditionen (Meso-Ebene) der lokalen Organisationen zurückzuführen. Insbesondere Standort A verfügt über einschlägige Vorerfahrungen und ein etabliertes Beratungsverständnis. Zum anderen haben die Rahmenbedingungen der lokalen Arbeitsmärkte (Meso-Ebene) Einfluss auf die Beratungspraxis. Für den Fall von Standort B führen die angespannte Arbeitsmarktlage, die stärker perforierten Erwerbsbiografien der Beratenen und die meist deutlich niedrigeren Löhne dazu, dass sich die Beratungsanliegen mehr auf Fragen der Existenzsicherung beziehen, wofür eine Berücksichtigung der Nachfrageseite essentiell ist. Mit Blick auf den Grundsatz der Selbstentscheidung in der Beratung wäre diese ausgeprägte Orientierung der Beratenden am Ausgleich am Arbeitsmarkt z. B. dann unkritisch, wenn die angespannte Arbeitsmarklage auch die Beratungswünsche der Ratsuchenden ganz überwiegend in Richtung Arbeitsvermittlung bestimmt. Dies sollte, obwohl am Standort B überwiegend Arbeitslose beraten werden, die sich vermutlich um Wiederintegration bemühen, durchaus kritisch hinterfragt werden, da der tendenzielle Zwangscharakter der Beratungssituation von Arbeitslosen durch die BA die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass abweichende Beratungswünsche der Ratsuchenden nicht vorgebracht oder weniger berücksichtigt werden. Infolgedessen besteht die Gefahr, dass die allgemeinen institutionellen Ziele der BA die WBB dominieren, wodurch Chancen eines offenen Beratungsangebots verschenkt würden. Die Ergebnisse für den Standort B weisen zumindest der Tendenz nach in diese Richtung. Dabei sollte gerade in Regionen mit angespannter Arbeitsmarktlage die Beratungsstruktur der BA Offenheit – ohne Sanktionsgefahr – und Unterstützung signalisieren, um Niedrigschwelligkeit zu gewährleisten und keine Klientel abzuschrecken (Bläsche et al. 2017).

Die weniger angespannte Arbeitsmarktlage am Standort A begünstigt hingegen, dass Fragen der Sinnstiftung durch Arbeit in Absehung von der Nachfrageseite in den Mittelpunkt der Beratung rücken. Da sich am Standort A große Teile der Ratsuchenden in Beschäftigung befinden und mit komplexen, häufig wenig konkreten Beratungsanliegen an die Beratenden wenden, ist ferner anzunehmen, dass das häufige Ausbleiben einer Qualifizierungsempfehlung als Beratungsergebnis den Bedürfnissen (der Selbstentscheidung) der Ratsuchenden durchaus entspricht. Die Praxis der WBB am Standort A fordert die Gesamtorganisation BA entsprechend mit Blick auf deren einheitlichen institutionellen Auftrag in besonderem Maße, stärkt dafür aber ein Beratungsverständnis, das sich an den allgemeinen Standards der Profession orientiert.

Dass es zu solch unterschiedlichen Formen der Umsetzung kommt, ist die logische Folge der Einpassung einer neuen Dienstleistung in den lokalen organisationalen und ökonomischen Kontext. Die umsetzenden Akteure verstehen die WBB vor dem Hintergrund des lokalen Arbeitsmarkts und der Tradition ihrer Organisation. Am Standort A begünstigt dies eine stärkere Berücksichtigung von Grundsätzen guter Beratungspraxis, am Standort B orientiert sich die Beratung deutlicher an den institutionellen Interessen der BA.

Für diesen Beitrag wurde eine Perspektive des maximalen Kontrastes gewählt, was die regionale Arbeitsmarktlage angeht. Die Wirklichkeit der WBB dürfte freilich zumeist in der Mitte liegen. Ein Weiterbildungsberatungskonzept für die Organisation müsste entsprechend das Mischverhältnis von direktiven und nicht-direktiven Elementen vor Ort ansprechen und würde das Beratungsverständnis und das Verhältnis zwischen Ratsuchenden und Beratenden auch in jenen Situationen miteinschließen, in denen die WBB Bestandteil der Arbeitsvermittlung ist (Einschaltung). Soll die WBB in der Öffentlichkeit als ein an alle Interessierten gerichtetes und offenes Beratungsangebot etabliert und wahrgenommen werden, erscheint die Orientierung an den Standards einer ausschließlich an den Interessen der Ratsuchenden und non-direktiven Beratung zentral. Eine Dominanz der übrigen institutionellen Ziele, insbesondere der Arbeitsvermittlung, die zulasten der Orientierung an den Anliegen der Ratsuchenden geht, erscheint hingegen problematisch.

Schließlich besteht weiterer Forschungsbedarf mit Blick auf die berufliche Entwicklung und Erwerbsgeschichte der Ratsuchenden im Anschluss an die Nutzung der WBB. Dabei scheint insbesondere interessant, welche Rolle dafür (Verweise an) andere Organisationen der Weiterbildungsberatung spielen. Umgekehrt besteht Informationsbedarf mit Blick darauf, welche Rolle diese Organisationen bei der Vorgeschichte einer WBB bei der BA spielen.