Die Geschichtsschreibung und die Quellenkritik im Rahmen der Erwachsenenbildungsforschung hätte den Schwerpunkt dieses Heftes bilden sollen. Für gewöhnlich besteht die Aufgabe eines Editorials darin, allgemeine Ausgangsüberlegungen zum inhaltlichen Kontext der Schwerpunktsetzung des Heftes zu umreißen, überblicksartig den thematischen Fokus bzw. die Ergebnisse der Einzelbeiträge vorzustellen und darüber hinaus noch Perspektiven für eine weiterführende vertiefte Analyse zu skizzieren. Im Fall der vorliegenden Ausgabe verhält es sich notgedrungen anders, da sich unter den eingereichten und das Peer-Review erfolgreich durchlaufenen Manuskripten für die geplante Ausgabe lediglich nur ein Beitrag mit einer historisch entfalteten Argumentation befindet; dies, obwohl das Spektrum möglicher inhaltliche Zugänge durchaus breit angelegt war und sich daraus wohl eine Vielzahl an Anknüpfungspunkten für die Theorie und Praxis der Erwachsenenbildung geboten hätte.

Die Hoffnung der Herausgeber, dass sich im Anschluss an eine erfolgreich verlaufene historische Fachkonferenz im Frühjahr 2016, die vom Deutschen Institut für Erwachsenenbildung (DIE) und dem Österreichischen Volkshochschularchiv in Bonn ausgerichtet worden war, eine Ausgabe der ZfW mit Fachbeiträgen zu historiografischen Fragestellungen gestalten ließe, hat sich leider nicht erfüllt.

Die Gründe für diese sichtlich geringe Resonanz neuerer Erwachsenenbildungsforschung an einer Auseinandersetzung mit der Historiografie der Erwachsenenbildung als Praxis und Theorie sind sicherlich vielfältig und schwer auf einen Nenner zu bringen.

Aber einmal abgesehen davon, dass es womöglich einer längeren Vorlaufzeit für die Einwerbung von Beiträgen für eine derartige Schwerpunktausgabe bedurft hätte, ist es – insbesondere auch unter historischer Perspektive – wohl nicht von der Hand zu weisen, dass die Erwachsenenbildung sowohl als akademische Disziplin als auch als konkreter Bildungspraxis seit Langem ein keineswegs ungestörtes Verhältnis zur eigenen Geschichte aufweist.

So wenig Erwachsenenbildung in den einschlägigen Werken der allgemeinen Fachhistoriografie, der Erziehungswissenschaft, der Politologie oder auch der Soziologie berücksichtigt wurde, so wenig hat die Qualität und Quantität des bisherigen Outputs historischer Erwachsenenbildungsforschung dazu beitragen können, dieses Missverhältnis, das freilich keineswegs der Rolle und Bedeutung von Erwachsenenbildung im gesellschaftlichen Modernisierungsprozess entspricht, aufzulösen. Die Durchsicht der einschlägigen kultur-, wissenschafts- und bildungshistorischen Fachliteratur sowie ein Blick auf die Gestaltung von medialen historischen Großproduktionen oder Ausstellungen der vergangenen Jahrzehnte bestätigen jedenfalls eindrücklich, dass die gesellschaftliche Existenz früher Volksbildung und gegenwärtiger Erwachsenenbildung bisher kaum Eingang in die kollektive kulturelle Erinnerung gefunden hat – und dies keineswegs nur im deutschen Sprachraum.

In pointierter Zuspitzung verwies Klaus Künzel bereits 1985 in einem von Hans Tietgens herausgegebenen Sammelband auf diese bis heute bestehende Form von Selbstmarginalisierung, indem er meinte: „Geschichtsfähigkeit beinhaltet, dass Erwachsenenbildung von der universalgeschichtlichen Betrachtung zur Kenntnis genommen wird. Letztere wird dies nur tun können, wenn der historiographischen Einzelforschung der Nachweis gelingt, EB habe nicht nur in den Köpfen und Schriften von programmtrunkenen Pädagogen existiert, sondern ein geschichtliches, d. h. für gesellschaftliches Werden belangvolles, Dasein geführt.“Footnote 1

Kritik an der großen Heterogenität der Forschungsansätze, den methodischen Unzulänglichkeiten, an der sukzessiven Abkoppelung einer hochgradig normenorientierten Erwachsenenbildungstheorie von ihrer Geschichte sowie auf die bis in die Gegenwart unhinterfragt nutzenorientierte pädagogische Erwartungshaltung gegenüber der Geschichte der Erwachsenenbildung artikulierten Hans Tietgens und Horst Dräger ebenfalls bereits vor drei Dekaden.

Obwohl die Auseinandersetzung mit der EB-Historiografie seitdem keineswegs vollständig abgerissen ist,Footnote 2 blieb die theoriegeleitete und primärquellenorientierte Auseinandersetzung mit der Geschichte nach wie vor ein Desiderat universitärer Erwachsenenbildung, von themenspezifischen „weißen Flecken“ wie Entnazifizierung, Antisemitismus und Rassismus, Kalter Krieg oder Frauen- bzw. Geschlechtergeschichte einmal ganz abgesehen.

Angesichts dieser Ausgangslage scheint eine kritische Standortbestimmung ebenso erforderlich zu sein wie eine größere Anschlussfähigkeit an andere Wissenschaftsdisziplinen. Ohne Zweifel würde etwa eine stärkere Annäherung gegenwärtiger Erwachsenenbildungsgeschichte an die Ergebnisse und Methoden der historischen Fachwissenschaft dazu beitragen, neue Herangehensweisen zu erschließen, bereits vorhandene Forschungsergebnisse unter Einbeziehung neuer Quellen kritisch zu prüfen, so dass diese Anschluss an die erweiterten Perspektiven einer interdisziplinär orientierten europäischen Zeitgeschichtsschreibung finden können. Dies könnte künftig dazu beitragen, das vielgestaltige Forschungsfeld Erwachsenenbildung im Hinblick auf dessen soziale, politische, ökonomische, kulturelle und biografische Dimension neu zu verorten.

Wenn auch in sehr bescheidenem Maße, ist für die beiden vergangenen Jahrzehnte erfreulicherweise ein leichter Anstieg soziologischer und genuin fachhistorisch orientierter Zugänge zur Geschichte der Erwachsenenbildung zu verzeichnen,Footnote 3 was in Österreich insbesondere der Sammlungs- und Dokumentationsarbeit des Österreichischen Volkshochschularchivs zu verdanken ist.Footnote 4

Auch in der Schweiz ist gerade eine neuere Arbeit „Migration macht Schule – Bildung und Berufsqualifikation von und für Italienerinnen und Italiener in Zürich, 1960–1980“ (verfasst von Philipp Eigenmann, Universität Zürich) erschienen, welche quellenbasiert eine jüngere Phase der Erwachsenenbildung in den Blick nimmt. Dennoch ist nicht zu bestreiten, dass die „kritische Masse“ im Bereich der Historie im deutschsprachigen Raum, aber auch international, ausbaufähig bleibt, sowohl was Gesamtdarstellungen, institutionelle Entwicklungen im nationalen und internationalen Kontext, aber auch spezifische Fragen der Vermittlung und des Lernens bezüglich Erwachsener betrifft.

Dass nun die vorliegende Ausgabe aus nur einem singulären Fachbeitrag besteht, der dem Heftschwerpunkt zugeordnet werden kann, ist jedenfalls bedauerlich, auch wenn einzelne angekündigte Eingaben allensfalls zu einem späteren Zeitpunkt noch nachgeliefert werden sollen.

In seinem Beitrag „Aufklärung über Andragogik. Kulturhistorische Betrachtungen zum Primat der Andragogik in der Anthropagogik“ skizziert Horst Dräger ausgehend von einer Kritik am pädagogischen Paradigma – in welcher primär auch die Erwachsenbildung/Weiterbildung disziplinär verankert sei – ein Argument, das mit wesentlichem Bezug auf den deutschen Idealismus das Primat der intragenerationellen Vermittlung im Zuge kultureller Innovationen und informeller Lernprozesse – als individuelle Weiterbildung formatiert – hervorhebt. Der Bezug zur Historie dient hierbei als diskursive Grundlegung einer Kritik an der Disziplin, bzw. an ihrer fehlenden Bereitschaft, sich mit ihren wenig explizit ausformulierten Konzepten auseinanderzusetzen.

Eine Studie anderer Ausrichtung präsentiert Carolin Knauber, die für den Bereich der international-vergleichenden Erwachsenenbildungsforschung mit Begriffen aus dem Bereich der vergleichenden Politikwissenschaft eine systematische Literaturreview von Datenbanken und Fachzeitschriften für den Zeitraum von 2006–2016 zur Bildungspolitik durchführte. Als bildungspolitische Schwerpunkte konnte die Autorin vorwiegend Untersuchungen aus dem Bereich der formalen Bildung identifizieren, währenddessen das Lebenslange Lernen lediglich einen kleinen Teil abdeckt. Ein großer Teil der Studien, welche sich mit Input beschäftigten, beruhe auf qualitativen Forschungsmethoden, während umgekehrt Outcome eher quantitativ vermessen würde, was auch einhergeht mit der konzeptionellen politwissenschaftlichen Ausrichtung.

Dem Thema Programmplanung in der Weiterbildung auf den Ebenen System, Organisation und (mikrodidaktischer) Interaktion widmet Aiga von Hippel ihre Erörterungen, die eine Systematik zur Differenzierung vorschlägt. In der wenig curricular gesteuerten Erwachsenenbildung geht es gerade auch darum, das Verständnis von Bildung im Kontext von Erwartungen seitens der öffentlichen Hand, professioneller Träger und der Teilnehmenden phänomenologisch zu identifizieren.

In einem Beitrag, welcher auch eine historische Perspektive entfaltet, verfasst von Michael Geiss, wird die berufliche Weiterbildung im Rahmen europapolitischer, wirtschaftlicher und technologischer Veränderungen in der jüngeren Zeitspanne, beginnend mit der „Ölpreiskrise“ 1973 und der Etablierung des Mikrochips in der industriellen Fertigung thematisiert. Die sich daraus ergebenden struktur- und beschäftigungspolitischen Fragen spiegeln sich in der Thematisierung von Weiterbildung, welche auch im Rahmen der Forderung, lebenslang zu lernen zu sehen sind.

Eine weitere Erörterung von Blazej Przyblski befasst sich mit der Einstellung von angehenden Pädagoginnen und Pädagogen zur jüngsten politischen Entwicklung in Polen. Die Auswertung eines Samples von gut 500 Studierenden ergab die paradoxe Zustimmung zur rechtskonservativen Politik, die mit eigenen eher linken Positionen in einem deutlichen Kontrast steht und als Folge eines bis dahin geringen Interesses an öffentlichen Angelegenheiten gedeutet wird.

Wie die Vielfalt der Beiträge in dieser Ausgabe zeigt, ist ein historischer Zugang ein Desiderat, das für die Analyse auch aktueller Phänomene und Prozesse in der Erwachsenenbildung nur gewinnbringend sein kann.