1 Einleitung

Eine der Kernbotschaften zahlreicher Large-Scale-Assessments zu Grundkompetenzen von Erwachsenen lautet: Es gibt in Deutschland – ebenso wie in anderen Ländern – eine erhebliche Anzahl von Erwachsenen, die Defizite in grundlegenden Kompetenzdomänen zeigen. Bereits in den 1990er Jahren lagen vergleichbare Resultate der IALS-Studie der OECD vor (International Adult Literacy Survey), die allerdings in Deutschland im Gegensatz zu anderen Teilnehmerländern der Studie nur sehr wenig rezipiert wurde (vgl. Gnahs 2007, S. 2, 5). Zuletzt veröffentlichte die OECD im Jahr 2013 die Ergebnisse der PIAAC-Studie (Programme for the International Assessment of Adult Competencies), wonach Erwachsene in Deutschland über lediglich durchschnittliche Kompetenzen in den Domänen Lesen, Alltagsmathematik und Problemlösen in technologiereichen Umgebungen (IT-Kenntnisse) verfügen (vgl. Maehler et al. 2013, S. 42, 55, 70). Zwei Jahre zuvor hatte die leo. – Level-One Studie der Universität Hamburg die Zahl der funktionalen Analphabetinnen und Analphabeten in Deutschland auf 7,5 Mio. Erwachsene zwischen 18 und 64 Jahren taxiert (vgl. Grotlüschen et al. 2012, S. 19 f.). Bei den Betroffenen handelt es sich mehrheitlich nicht um Personen ohne jegliche Lese- und Schreibkenntnisse. Vielmehr sind funktionale Analphabetinnen und Analphabeten zumeist in der Lage, bis zur Ebene einfacherer Sätze zu lesen und zu schreiben, wenn auch mit hohem zeitlichen Aufwand und stark fehlerbehaftet. Dies ermöglicht es zumeist auch, die Probleme vor der Umwelt zu verbergen. Funktionale Analphabetinnen und Analphabeten scheitern aber zumeist an der Ebene von – auch kürzeren – Texten (zur Diskussion des Begriffs vgl. Grotlüschen et al. 2012, S. 15 ff.; Rosenbladt 2012; Nickel 2011, S. 53 ff.). Die leo.-Studie hatte zudem herausgearbeitet, dass in Deutschland mehrere Millionen Erwachsene auch bei gebräuchlichem Wortschatz fehlerhaft schreiben.

Ungeachtet der hohen Zahl von Betroffenen registrieren die Volkshochschulen als größter Anbieter im Bereich Alphabetisierung lediglich rund 20.000 Kursbelegungen pro Jahr, das sind aufgrund von Mehrfachbelegungen im selben Jahr also sogar weniger als 20.000 Teilnehmende (vgl. Rosenbladt 2011, S. 90). Aber nicht nur der Kursbesuch bleibt bei der Mehrzahl potenzieller Teilnehmender aus; bereits der Gang zu einer Beratungsstelle unterbleibt zumeist. So schreibt Kuwan bezogen auf bildungsbenachteiligte Personen (also nicht ausdrücklich bezogen auf funktionale Analphabetinnen und Analphabeten): „Der Gang zu einer institutionellen Beratung war jedoch die Ausnahme. Von den Teilnehmern werden als bevorzugte Quellen der Informationen Personen benannt, die ihnen bekannt waren und denen sie vertrauten“ (Kuwan 2002, S. 175).

Zentrale Frage aus Sicht der institutionalisierten Erwachsenenbildung ist also die der Erreichbarkeit. Daher setzen die Anbieter auch auf den „doppelten Adressaten“. Das bedeutet, dass sie nicht nur die potenziellen Teilnehmenden über Lernmöglichkeiten informieren, sondern auch deren Umfeld (vgl. Grotlüschen et al. 2014, S. 119 ff.; Ernst und Schneider 2011, S. 274). So berichten Kursteilnehmende im Kontext der AlphaPanel-Studie, dass sie, sofern sie die Entscheidung zur Kursteilnahme nicht unabhängig von Dritten getroffen haben, vor allem durch die Familie, durch den Partner oder die Partnerin, Freundinnen oder Freunde, aber auch durch das Arbeitsamt oder durch den Arbeitgeber zur Teilnahme bewegt wurden (vgl. Rosenbladt und Bilger 2011, S. 23). Anbieter von Grundbildung sprechen „zum Teil gezielt Gatekeeper beziehungsweise Menschen, die funktionale Analphabeten und funktionale Analphabetinnen kennen, [an] (…) So wird die Zielgruppe über einen Umweg versucht zu erreichen, um durch Dritte einen Zugang herzustellen“ (Popp und Sanders 2011, S. 48). Im Kontext aktueller Forschung zum Umfeld funktionaler Analphabetinnen und Analphabeten etabliert sich der Begriff des „mitwissenden Umfelds“ bzw. der Begriff des „Mitwissens“ (vgl. Grotlüschen et al. 2014, S. 120).

Dieser Beitrag untersucht, ob Mitwissende über Informationen zu Lernmöglichkeiten verfügen und ob sie diese Informationen in einer Art informeller Beratung auch weitergeben. Die empirische Grundlage für die Beantwortung der zuvor gestellten Frage bilden Ergebnisse der „Studie zum mitwissenden Umfeld funktionaler Analphabetinnen und Analphabeten“ (kurz: Umfeldstudie), die an der Universität Hamburg durchgeführt wird (http://blogs.epb.uni-hamburg.de/umfeldstudie).

2 Beratung durch das mitwissende Umfeld funktionaler Analphabetinnen und Analphabeten

Dass Personen mit geringer Literalität auf Unterstützung ihres Umfeldes zurückgreifen, um die schriftsprachlichen Anforderungen des Alltags zu meistern, kann als gegeben vorausgesetzt werden (vgl. Döbert und Hubertus 2000, S. 70; Egloff 1997, S. 161; Nuissl 1999, S. 552). Das Umfeld funktionaler Analphabetinnen und Analphabeten wurde im deutschsprachigen Raum jedoch bisher nicht systematisch empirisch erforscht. Es liegt eine Reihe von Studien vor, die den Aspekt sozialer Einbindung von Lernen fokussieren und implizit damit auch auf unterstützende Netzwerke Bezug nehmen (Wagner und Stenzel 2011) oder die konkrete Formen der Adressierung über Personen im Umfeld und Multiplikatoreneffekte quantitativ beschreiben (Breining et al. 2010, S. 19; Rygulla und Wallner-Rübeling 2011, S. 183). Die SAPfA-Studie der Stiftung Lesen (Sensibilisierung von Arbeitnehmern/innen für das Problem des funktionalen Analphabetismus in Unternehmen) betrachtet das Umfeld von Betroffenen im betrieblichen Kontext (Ehmig et al. 2015).

Wie jedoch ist dieses Umfeld genau beschaffen? Welche Auswirkungen hat dieses „Mitwissen“ über die Literalitätsdefizite der Betroffenen? Folgt aus dem Davon-Wissen auch ein Darüber-Reden? Dominiert eine – aus Sicht der Bildungsforschung – pessimistische Variante, nehmen die Mitwissenden den Betroffenen schriftbezogene Aufgaben pauschal ab und unterbinden so jegliche Handlungsproblematik, die in Lernprozesse einmünden könnte? Initiieren sie gemeinsame informelle Lernprozesse? Oder fungieren die Mitwissenden in der Tat als doppelte Adressatinnen und Adressaten und ermutigen die Betroffenen zur Nutzung von Unterstützungsstrukturen wie Kursen oder Beratungsstellen? Kann man – so die Zuspitzung der Frage im Kontext dieses Schwerpunktes – in der Interaktion zwischen Mitwissenden und Betroffenen von einer vorgeschalteten informellen Beratung sprechen?

Beratung und auch die Beratung im Kontext Alphabetisierung und Grundbildung sind ein etabliertes Forschungsfeld. Pätzold hebt im Kontext Alphabetisierung und Grundbildung einen erheblichen Beratungsbedarf hervor, den er aus den vielfach gescheiterten früheren Lerngeschichten der Lernenden ableitet. Er bezieht sich dabei also auf Teilnehmende an Grundbildungsangeboten und nicht auf die Adressatengruppe insgesamt (Pätzold 2004, S. 124, vgl. auch Tröster 2010, S. 127). Kuwan weist darauf hin, dass in Studien über Bildungsbenachteiligung bei Adressaten vielfach der Wunsch nach Informationen und eine Hilflosigkeit angesichts eines als unübersichtlich erfahrenen Weiterbildungsangebots formuliert werden (vgl. Kuwan 2002, S. 175). Als zentralen Faktor für die Teilnahme an Weiterbildung durch Bildungsbenachteiligte hebt er die Weiterbildungstransparenz hervor (vgl. ebd. S. 124 f.). Auch zahlreiche weitere Beiträge zur Nicht-Teilnahme an Weiterbildung identifizieren als Gründe fehlende Information über passende Angebote oder die fehlende Einsicht in die Notwendigkeit zur Teilnahme (Beder 1990, S. 214; Expertenkommission Finanzierung Lebenslangen Lernens 2004, S. 91 ff.; Tippelt et al. 2004, S. 56) sowie auch nicht eingelösten Bedarf an Beratungsangeboten (Hippel und Tippelt 2011, S. 807).

Was macht Beratung unter der Perspektive dieses Beitrags also aus? Können Mitwissende Beratung leisten? Und wenn ja, wie lässt sie sich begrifflich fassen? Der Deutsche Bildungsrat hat bereits 1970 im Strukturplan für das Bildungswesen Bildungsberatung als ein „Strukturelement des Bildungswesens“ bezeichnet, dessen zentrale Funktion „das Sammeln und Bereitstellen von Informationen“ sei (Deutscher Bildungsrat 1970, S. 91). Dewe versteht unter Beratung sehr allgemein eine „institutionalisierte Form hilfreicher Kommunikation in modernen Gesellschaften“, die ein „Entwicklungselement sozialen Wandels sowie der individuellen Biographie- und Identitätsgestaltung zugleich darstellt“ (Dewe 2004, S. 132). Um Beratung jedoch von bloßer Informationsweitergabe abzugrenzen und stärker zu qualifizieren, lässt sich formulieren, dass die Zwecksetzungen von Beratung im Zusammenhang mit lebenspraktisch relevanten Entscheidungsprozessen in Bezug auf identifizierbare Handlungsprobleme stehen“ (ebd., S. 133). Diese „hilfreiche Kommunikation“ beschreibt den Kern der Unterstützung und Beratung durch Mitwissende wohl schon recht plastisch, auch wenn es ihr der „institutionalisierten Form“ in der Regel mangeln dürfte. Auch die gemeinhin vorausgesetzte Professionalität von Beratung (vgl. Knoll 2008, S. 109; Dewe 2004, S. 134) dürfte im Falle der Beratung durch Mitwissende in der Regel nicht vorliegen.

Das gilt auch für die Annahme, dass sich Beratung in der Regel formalisiert und am Ort einer Beratungsstelle abspielt (vgl. z. B. Schmitz et al. 1989, S. 124). Hier jedoch hat Forschung im Bereich von Bildungsbenachteiligung ohnehin gezeigt, dass das Aufsuchen einer Beratungsstelle eher die Ausnahme darstellt. Kuwan folgert, dass „Beratungseinrichtungen, in denen Berater/innen in einer Institution darauf warten, dass Interessenten zu ihnen kommen, (…) den weitaus überwiegenden Teil der Zielgruppe nicht erreichen“ (Kuwan 2002, S. 187; vgl. auch Nuissl 1999, S. 561 f.). Da sich eine mögliche Beratung durch Mitwissende in dem jeweiligen Kontext abspielt, in dem beide Personen miteinander zu tun haben, ist sie jedoch weder an den Ort einer Institution gebunden, noch ist es eine aufsuchende Beratung im klassischen Sinne. Es ist eine dritte Form, eine Art informeller Weiterbildungsberatung en passant.

Stärker systematisiert sollten wir in diesem Kontext von einer informellen und nicht institutionengebundenen Form der Weiterbildungsberatung sprechen, der Spielart personenbezogener Beratung, „die im Vorfeld einer Bildungsmaßnahme aktiv ist“ (Käpplinger 2009, S. 228). Schiersmann spricht von Orientierungsberatung, die zunächst einmal nur die grundsätzliche Entscheidung für die Teilnahme fokussiert (vgl. 2011, S. 750). Weiterbildungsberatung betrifft dabei diejenigen Bereiche, in denen es um Entscheidungen über „Lernprozesse, Lernsituationen und Lernsysteme geht“ (Faulstich und Zeuner 2010, S. 158; vgl. auch Gieseke 2000, S. 10 f.). Im Kontext Alphabetisierung und Grundbildung hat die Frage besonderes Gewicht, „ob es geeignete Angebote für das Erlernen von Lesen und Schreiben gibt, ob diese bekannt und vertrauenswürdig sind und ob der Zugang zu ihnen in akzeptabler Weise möglich ist“ (Nuissl 1999, S. 553). Weiterbildungsberatung hat somit die Funktion, eine möglichst hohe Transparenz über Lernmöglichkeiten zu gewährleisten (vgl. Faulstich und Zeuner 2010, S. 159) und kann somit, im Anschluss an Kuwans Bedeutungszuschreibung der Weiterbildungstransparenz, eine zentrale förderliche Bedingung für Weiterbildungsteilnahme gerade von bildungsbenachteiligten Personen schaffen.

Dies kann in einer weit gefassten Auslegung durch Mitwissende geleistet werden, indem sie über Kursmöglichkeiten informieren. Damit wäre die informelle Beratung durch das mitwissende Umfeld also auch klar abzugrenzen von Anfangsberatung, Beratung zur Kurswahl oder Einstufung oder auch von kursbegleitender Beratung, die sich an Personen richtet, die sich bereits für eine Kursteilnahme grundsätzlich entschieden haben (vgl. Käpplinger 2009, S. 229).

Ein weiterer Aspekt, der sich aus der gängigen Forschung zu Weiterbildungsberatung nicht bruchlos auf informelle Beratung durch Mitwissende übertragen lässt, ist die Frage der Asymmetrie in der Beziehung zwischen beratender und ratsuchender Person (vgl. Dewe 2004, S. 32; Schmitz et al. 1989, S. 132, 140). Hinsichtlich des Wissens über Lernmöglichkeiten ist vermutlich in der Tat meist von einem Wissensgefälle auszugehen. Fraglich ist jedoch, ob die Annahme von Nittel zur Komplementarität der Beziehung in Beratungssituationen ohne Weiteres auf den speziellen Fall der Beratung durch Mitwissende übertragbar ist. Nittel stellt fest: „Im Gegensatz zur diffusen Sozialbeziehung einer Freundschaft liegt der Beratung kein reziprokes, durch Wechselseitiges gekennzeichnetes, sondern ein komplementäres Beziehungsmuster zugrunde“ (2009, S. 10). Da sich mitwissende und betroffene Personen jedoch in einer jeweils spezifischen Beziehung gegenüberstehen (Familie, Beruf, Freundschaft, Nachbarschaft u. a.) trifft diese Zuschreibung in ihrer pauschalen Form vermutlich nicht zu. Dennoch ist es denkbar – dies wäre aber empirisch noch zu überprüfen – dass die Mitwissenden im Gespräch über Lernmöglichkeiten, bei dem sie über einen Wissensvorsprung verfügen, einen Wechsel in der Interaktion vom normalen Rollenverhältnis zur informellen Beratungssituation wahrnehmen, bei dem eine Beziehung auf Augenhöhe – zumindest temporär – aufgegeben wird. Dieses vorübergehend veränderte Rollenverhältnis könnte dazu beitragen, dass Mitwissende häufig von einem Unbehagen an der Gesprächssituation berichten.

Falls Mitwissende die Funktion einer nicht institutionengebundenen Beratung übernehmen, die jeweils auch Züge einer Hilfe zur Selbsthilfe tragen kann (vgl. Faulstich und Zeuner 2010, S. 159; Knoll 2008, S. 21), so übernehmen sie eine bedeutende Funktion im Weiterbildungssystem, denn der „Weiterbildungsberatung wird eine wichtige systemische Funktion zugeschrieben, weil sie das Scharnier zwischen dem einzelnen Bürger und dem riesigen, kaum noch überblickbaren Weiterbildungsangebot darstellt“ (Nittel 2009, S. 9). Ob und in welchem Umfang Mitwissende diese Funktion übernehmen, ist Inhalt der folgenden Abschnitte.

3 Die Anlage der Umfeldstudie

Die Umfeldstudie betrachtet systematisch diejenigen Personen, die Erwachsene kennen, welche nur sehr eingeschränkt lesen und schreiben können, und nicht die Betroffenen selbst. Die zentralen Forschungsfragen der Studie sind die nach dem Umfang des Mitwissens, nach den gesellschaftlichen Bereichen, in denen Mitwissen existiert, im Kontext der Studie als Felder des Mitwissens bezeichnet (Familie, Beruf, Freundeskreis u. a.), nach den Unterstützungsmechanismen und nach einer anhand der Interaktions- und Unterstützungsformen erstellten Typik des Mitwissens.

Die Studie besteht aus zwei umfangreichen Teilstudien, die sich der Forschungsfrage qualitativ und quantitativ annähern und dabei konsequent einen Mixed-Methods-Ansatz verfolgen. Bereits in der Phase von Vorstudien wurden qualitative und quantitative Ergebnisse aufeinander bezogen, um die Erhebungsinstrumente zu entwickeln. Die Datenauswertung beinhaltet ebenfalls eine systematische Kontrastierung der Ergebnisse beider Teilstudien (vgl. Denzin 1978, S. 302; Kelle und Erzberger 2000/2013, S. 300 ff.; Flick 2011, S. 12). Die qualitative Teilstudie umfasst 30 leitfadengestützte Interviews mit Personen, die in verschiedenen Lebensbereichen mit Erwachsenen mit geringer Literalität in Kontakt stehen, sei es als Familienmitglied, als Teil des Bekanntenkreises, als Kollegin oder Kollege, als Arzt oder Ärztin oder als Ansprechperson im Jobcenter. Die Interviewdaten zeigen eine erhebliche Variationsbreite im Verhältnis zwischen Mitwissenden und Betroffenen und in den dabei realisierten Unterstützungsformen. Diese reichen von einer pauschalen Übernahme jeglicher Lese- und Schreibarbeiten durch die Mitwissenden über die Initiierung von Lernsettings innerhalb der Dyade bis hin zur Ermutigung zum Kursbesuch. Die quantitative Teilstudie umfasst rund 1.500 telefonische Interviews mit Erwachsenen in Hamburg. Diese wurden als Zufallsstichprobe aus dem Telefonmastersample des Arbeitskreises Deutscher Markt- und Sozialforschungsinstitute e. V. (ADM) herausgesucht. Die zu befragende Person wurde anhand der Last-Birthday-Methode ausgewählt. Befragt wurde also die im Haushalt lebende Person, die zuletzt Geburtstag hatte. Mobilfunk-Telefonnummern wurden einbezogen, sofern sie im Hamburger Telefonverzeichnis registriert waren. Ausgeschlossen wurden Personen, die nicht in Hamburg leben sowie Personen unter 18 Jahren. Eine obere Altersgrenze wurde nicht festgelegt. Die Gewichtung des Datensatzes erfolgte anhand der Angaben des Mikrozensus für Hamburg entlang der Kriterien Alter, Geschlecht, Haushaltsgröße, Schulabschluss, Migrationshintergrund, Staatsangehörigkeit und Bezirk.

Die hier vorgetragene Argumentation bezieht sich im Wesentlichen auf Ergebnisse der quantitativen Teilstudie.

4 Das Potenzial zur Beratung durch das mitwissende Umfeld

Die Feststellung von Döbert und Hubertus, dass funktionale Analphabetinnen und Analphabeten eine Person ihres Vertrauens haben, „die in das Problem eingeweiht ist und die Rolle des Lesers und/oder Schreibers übernimmt“ (2000, S. 70), greift den Aspekt des Mitwissens aus Sicht der betroffenen Personen auf. Wer Literalitätsprobleme hat, so die Konsequenz, benötigt Hilfe und Unterstützung von Dritten, um im Alltag zu reüssieren. Rücken aber die Mitwissenden selbst ins Zentrum der Betrachtung, so stellt sich die Frage nach ihrem Bevölkerungsanteil, also nach dem Umfang von Mitwissen in der Bevölkerung: Wie viele Menschen kennen jemanden, der oder die schlecht liest oder schreibt und dadurch möglicherweise Unterstützungsbedarf hat, um nicht – oder möglichst wenig – von gesellschaftlicher Teilhabe ausgeschlossen zu werden, wie es die gängigen Definitionen zu funktionalem Analphabetismus implizieren (zur Definition vgl. Grotlüschen et al. 2012, S. 17). Handelt es sich um eine deutliche Minderheit, die sich auch nur schwerlich für Adressierungskampagnen identifizieren lässt, oder ist im Gegenteil von einem breiten gesellschaftlichen Wissen auszugehen – mit einem dementsprechend ausgeprägten Beratungspotenzial?

Empirisch lässt sich die optimistische Hypothese bestätigen. Die repräsentative Befragung unter Erwachsenen in Hamburg ergibt eine überraschend hohe Inzidenz: Fast 40 % der Befragten geben an, dass sie eine oder mehrere Personen mit Literalitätsproblemen kennen. Mehrheitlich sind sie sicher, dass eine solche Problematik vorliegt. Etwa sechs % der Mitwissenden sind sich in dieser Angelegenheit nicht ganz sicher oder kennen eine Person nur vom Hörensagen. Es ist zudem nicht ungewöhnlich, dass die Befragten mehr als eine Person mit Literalitätsproblemen kennen.

Der hohe Anteil erklärt sich auch dadurch, dass sich das Mitwissen nicht nur auf funktionale Analphabetinnen und Analphabeten (in der Diktion der leo.-Studie) bezieht, sondern auch auf Personen mit darüber hinausgehenden Fertigkeiten. Während Large-Scale-Assessments in der Lage sind, empirisch zu ermitteln, welchem Kompetenzniveau die Fertigkeiten einer Person zuzuordnen sind, ist dies im Falle der Umfeldstudie nicht möglich. Eine ungefähre Zuordnung erfolgte hier auf Basis einer Fremdbeschreibung. Die Befragten gaben an, wie sie die Fertigkeiten der ihnen bekannten Person einschätzen. Dies erfolgte mithilfe der Kategorien zur Selbsteinschätzung im Kurskontext, wie sie in der Alpha-Panel-Studie zu Teilnehmenden an Alphabetisierungskursen zum Einsatz kamen (vgl. Rosenbladt und Bilger 2011, S. 25). Da eine Fremdbeschreibung mit Ungenauigkeiten behaftet ist, wurde nur eine sehr grobe Differenzierung vorgenommen in Personen mit erheblichen Lese- und Schreibschwierigkeiten und Personen mit orthografischen Schwierigkeiten. Erstere Gruppe beherrscht das Schreiben bis zur Wortebene und/oder hat Schwierigkeiten beim flüssigen Lesen. Die zweite Gruppe schreibt so fehlerhaft, dass es einem aufmerksamen Gegenüber auffällt.

Es lässt sich aus diesen Befunden also schließen, dass funktionaler Analphabetismus und fehlerhaftes Schreiben im Alltag häufig auffällt, obwohl dies vermeintlich ein sehr starkes Tabu-Thema darstellt. Möchte man diese Zahlen in dieser optimistischen Lesart interpretieren, so existiert ein breites Wissen und entsprechende Aufmerksamkeit für die Literalität der Mitmenschen.

Wo aber finden sich die Personen, die über gering literalisierte Mitmenschen berichten können? Sind es zuvorderst Familienangehörige? Oder werden Literalitätsprobleme eher im Beruf sichtbar, wie es die Zielrichtung des aktuellen Förderschwerpunkts des BMBF „Arbeitsplatzorientierte Alphabetisierung und Grundbildung Erwachsener“ nahelegt? Die Empirie weist diesen beiden Feldern in der Tat eine wichtige Rolle zu (vgl. Tab. 1). Die Mitwissenden im Hamburger Sample berichten zu 28 % über Kontakte im beruflichen, 15 % über Kontakte im engeren oder weiteren familialen Kontext. Es verbleiben somit 57 % der Mitwissenden, die die Betroffenen aus anderen Kontexten kennen, vor allem aus dem Freundes- und Bekanntenkreis oder aus der Nachbarschaft.

Tab. 1 Felder des Mitwissens: Gesellschaftliche Teilbereiche, aus denen über gering literalisierte Personen berichtet wird. (Quelle: Umfeldstudie, Universität Hamburg, Arbeitsbereich Lebenslanges Lernen, N = 562 mitwissende Erwachsene in Hamburg)

Hier zeigt sich, dass die Quellen des Mitwissens überaus divers sind, dass geringe Literalität also in verschiedensten sozialen Situationen sichtbar wird. So kennen die Mitwissenden die Betroffenen unter anderem über Freunde und Bekannte, von Partys oder Feiern, aus der der eigenen Schulzeit, aus nachbarschaftlichen Situationen (z. B. Kiosk, Geschäft, Park, Frisör), aus Vereinen, über den Kindergarten oder die Schule der Kinder oder aus der Arbeit in der Kirchengemeinde.

Wenn die Mitwissenden in der Form einer informellen und nicht institutionengebundenen Weiterbildungsberatung ein Scharnier zur Weiterbildung darstellen sollen, dann müssen sie in ausreichender Art und Weise über Unterstützungs- und Lernmöglichkeiten informiert sein. Im Rahmen der Erhebung wurde ermittelt, wie die Befragten über drei Unterstützungs- und Lernmöglichkeiten informiert sind, und zwar über die Existenz von Lese- und Schreibkursen für Erwachsene, über das Alfa-Telefon sowie über das Online-Lernportal ich-will-lernen.de. Darüber hinausgehende Aspekte, wie etwa das Wissen über Beratungsstellen im Allgemeinen, wurden nicht erhoben. Empirisch zeigt sich, dass mit rund 95 % die weit überwiegende Mehrheit der Erwachsenen weiß, dass es Kurse gibt, in denen Erwachsene das Lesen und Schreiben erstmalig lernen oder aber verbessern können (vgl. Tab. 2, linke Datenspalte). Das vom Bundesverband Alphabetisierung und Grundbildung betriebene Alfa-Telefon kennt etwa jede/r Vierte zumindest dem Namen nach. Das Online-Portal des deutschen Volkshochschulverbands „ich-will-lernen.de“ kennen etwa 13 % der Erwachsenen. Unter Mitwissenden sind alle drei abgefragten Unterstützungsformen anteilig geringfügig häufiger bekannt als unter Erwachsenen insgesamt (vgl. Tab. 2, rechte Datenspalte). Die Unterschiede liegen aber jeweils im Bereich weniger Prozentpunkte.

Tab. 2 Bekanntheit von Unterstützungsmöglichkeiten unter Erwachsenen allgemein und unter Mitwissenden. (Quelle: Umfeldstudie, Universität Hamburg, Arbeitsbereich Lebenslanges Lernen, n = 1.511 Erwachsene in Hamburg)

Die vergleichsweise geringe Bekanntheit des Alfa-Telefons relativiert dessen Potenzial, an der Beratung potenzieller Kursteilnehmender in größerem Umfang mitzuwirken. In der Tat, dies zeigt wiederum das AlphaPanel, lassen sich rund zwei Drittel der Kursteilnehmenden an Alphabetisierungskursen vor dem Kurs beraten und zwar vor allem durch die Volkshochschulen und in geringerem Maße von Arbeitsagenturen und Jobcentern, anteilig seltener hingegen durch das Alfa-Telefon (vgl. Rosenbladt und Bilger 2011, S. 23).

Das andererseits weit verbreitete Wissen über Kursmöglichkeiten für Erwachsene gibt einen Hinweis darauf, welches Potenzial zur Beratung grundsätzlich im mitwissenden Umfeld funktionaler Analphabetinnen und Analphabeten schlummert. Und in der Tat weisen rund 20 % der Mitwissenden in der Hamburger Stichprobe die ihnen bekannten Personen mit Lese- und Schreibschwierigkeiten auf Kursmöglichkeiten hin (vgl. Tab. 3).

Tab. 3 Hinweis auf Kursmöglichkeiten durch mitwissendes Umfeld. (Quelle: Umfeldstudie, Universität Hamburg, Arbeitsbereich Lebenslanges Lernen, n = 562 mitwissende Personen in Hamburg)

Dieser in allgemeiner Betrachtung als gering erscheinende Anteil – nur jeder Fünfte macht von dem Wissen über Kurse Gebrauch – relativiert sich bei einer Betrachtungsweise, die auch das Kompetenzniveau der Betroffenen berücksichtigt. Im Falle gravierender Lese- und Schreibprobleme der Betroffenen haben die jeweiligen Mitwissenden zu fast einem Drittel (31,2 %) den Besuch eines Kurses empfohlen. Sind die Probleme mit dem Lesen und Schreiben weniger fundamental und werden eher als Schwierigkeiten beim flüssigen Lesen sichtbar, so ergeht in etwa einem Viertel der Konstellationen (23,8 %) eine Kursempfehlung. Und in denjenigen Fällen, in denen die Mitwissenden eher von einer auffällig fehlerhaften Schreibung bei grundsätzlich guter Lesekompetenz berichten, empfehlen sie in 15 % der Fälle, einen Kurs zu besuchen (vgl. Tab. 4). Dieser Zusammenhang ist zwar erwartungskonform, aber dennoch bemerkenswert, lässt er doch die Vermutung zu, dass Lese- und Schreibkurse in der Bevölkerung zwar grundsätzlich bekannt sind, dass sie aber vornehmlich als Kurse für Menschen rezipiert werden, die von Grund auf Lesen und Schreiben lernen, die also im Wortsinne „alphabetisiert“ werden. Im Umkehrschluss wäre dies ein Hinweis darauf, dass die breite Differenzierung der Angebote in verschiedene Lernniveaus weitgehend unbekannt sein dürfte.

Tab. 4 Kursempfehlung durch mitwissendes Umfeld in Abhängigkeit vom Kompetenzniveau der betroffenen Person. (Quelle: Umfeldstudie, Universität Hamburg, Arbeitsbereich Lebenslanges Lernen, n = 562 mitwissende Personen in Hamburg)

Da selbst in Konstellationen, in denen die Mitwissenden von gravierenden Problemen beim Lesen und Schreiben ausgehen, jede bzw. jeder Dritte das Wissen über Lernmöglichkeiten in Kursen an die Betroffenen weitergibt, stellt sich die Frage nach den verbleibenden zwei Dritteln. Warum geben sie keine Informationen über Lernmöglichkeiten weiter, obwohl sie doch nach eigener Aussage durchaus über ebendiese Möglichkeiten informiert sind? Warum also wird das Potenzial zur Beratung nur von einer Minderheit ausgeschöpft?

Diejenigen Mitwissenden, die zwar prinzipiell über Kurse informiert sind, dies aber nicht als Hilfemöglichkeit den Betroffenen gegenüber empfohlen haben, führen eine Reihe verschiedener Gründe dafür an. Dazu zählen etwa die Annahme, mit der Angelegenheit nicht wirklich zu tun zu haben („Ich habe das Gefühl, dass mich das nichts angeht“), die Vermutung, der bzw. die Betroffene werde dieses Hilfeangebot nicht annehmen oder die Vermutung, keine der Hilfemöglichkeiten sei erfolgversprechend (vgl. Tab. 5).

Tab. 5 Gründe, aus denen keine der Unterstützungsmöglichkeiten empfohlen wird (Basis: Mitwissende, die zwar von Kursen wissen, aber keinen Kursbesuch empfohlen haben (n = 388); es waren Mehrfachantworten möglich, die Prozentangabe bezieht sich auf die Gesamtheit von 388 Personen)

Die am häufigsten genannten Argumente sind jedoch, dass der/dem Betroffenen die Angelegenheit nicht wichtig genug ist und dass die Mitwissenden nicht gut genug über die Möglichkeiten informiert sind. Beide Aspekte bedürfen einer Einordnung in die Frage der Beratung durch Mitwissende.

Die Begründung, der betroffenen Person sei die Angelegenheit nicht wichtig genug, wird selbst dann häufig ins Feld geführt, wenn die Mitwissenden gravierende Lese- und Schreibschwierigkeiten beobachten. So wird die Begründung von zwei Dritteln (≈ 67 %) der Mitwissenden genutzt, die über Personen mit leichteren Problemen berichten. Aber auch wenn die Betroffenen gravierendere Probleme haben, gehen die Mitwissenden zu mehr als der Hälfte (≈ 56 %) davon aus, dass das Problem als nicht so wichtig erachtet werde. Mehrheitlich vermuten diejenigen Mitwissenden, die diese Aussage treffen zudem, dass die ihnen bekannte betroffene Person an der Situation nichts ändern möchte. Dies kann unter Umständen auch ein Argumentationsmuster darstellen, um sich selbst als Mitwissende bzw. Mitwissender aus der Verantwortung herauszuziehen, und die beschriebene Funktion des Gatekeepings bzw. der informellen Weiterbildungsberatung nicht übernehmen zu müssen.

Die zweite genannte Argumentation – „Ich weiß zu wenig über diese Möglichkeiten“ – verweist auf eine gravierende Problemlage. Das breit vorhandene Wissen über Kursmöglichkeiten (vgl. Tab. 2) beschränkt sich ganz offensichtlich vielfach auf das reine Wissen, „dass es so etwas gibt“. Häufig fehlt aber vermutlich eine vertiefte Kenntnis über konkrete Lernmöglichkeiten hinsichtlich der Frage der Anbieter, der Kursdauer, der Kursniveaus, der Kosten oder etwaiger Möglichkeiten der Kostenübernahme.

Eine Passage eines Interviews mit einer Seminarleiterin im Bereich der politischen Erwachsenenbildung, das im Rahmen der qualitativen Teilstudie geführt wurde, illustriert diesen Sachverhalt.

Und den [Teilnehmenden] hatte ich dann mal angesprochen in einem Vier-Augen-Gespräch war das damals, ähm, dass mir das halt aufgefallen wäre und dass ich ihm das halt gern mal sagen würde, und dann sagte er zu mir: „Ja, ich weiß das, aber ich hab da totale Probleme mit“ und dann habe ich auch in dem Moment nicht gewusst, wie kann ich ihm richtig helfen.

Die Interviewpartnerin ist Mitwissende, sie überschreitet die psychologische Hürde, die das Ansprechen des Problems fraglos bedeutet, scheitert dann aber an der nächsten Hürde, nämlich der konkreten Beratung, welches ein sinnvoller nächster Schritt in Richtung nachholende Grundbildung sein könnte.

5 Fazit

Die Gesamtschau der empirischen Ergebnisse fällt ambivalent aus. Zunächst verleiten das hohe Ausmaß des Mitwissens in der Bevölkerung und die prinzipiell hohe Kenntnis über Lernangebote zu dem positiven Befund eines sehr hohen Potenzials an informeller Beratung durch Mitwissende. Rund 40 % von Erwachsenen, die andere Erwachsene mit Literalitätsproblemen kennen, und mehr als 90 % dieser Mitwissenden, die grundsätzlich über Grundbildungsangebote für Erwachsene informiert sind, sollten eine ausreichende Basis für Beratung durch das mitwissende Umfeld bieten. Da über Mitwissen aus praktisch allen Lebensbereichen berichtet wird – von der Familie über den Freundes- und Bekanntenkreis und die Nachbarschaft bis hin zum Beruf – scheint es geboten, dass sich Beratung und Information nicht allein auf einzelne Bereiche beschränken, also etwa nur die betriebliche Ebene umfassen sollten. Wie die leo.-Studie gezeigt hat, kann etwa die Gruppe häuslicher funktionaler Analphabetinnen und Analphabeten, also derjenigen, die nicht erwerbstätig sind und auch keine Arbeit suchen, als besonders gefährdet gelten, von Weiterbildung abgekoppelt zu werden (vgl. Buddeberg 2012, S. 197).

Die detaillierte Sicht auf die Weitergabe dieses Wissens in Form einer Beratung en passant zeigt jedoch, dass das Wissen im Rahmen der „hilfreichen Kommunikation“ (Dewe 2004, S. 132) eben zumeist nicht weitergegeben wird, mithin keinerlei Form jeglicher Weiterbildungsberatung stattfindet. Dies führt zu dem Schluss, dass Mitwissende noch weitaus stärker im Rahmen von Strategien und Kampagnen mitzudenken sind. In der Konsequenz folgt daraus die Notwendigkeit, das Wissen über Grundbildungsmöglichkeiten für Erwachsene aus dem Zustand des bloßen „Wissens, dass es so etwas gibt“, weiterzuentwickeln zu einem profunden und beratungsgeeigneten Wissen über Lernmöglichkeiten in ihren zahlreichen Spielarten und Facetten, um das zweifellos vorhandene Beratungspotenzial, das im mitwissenden Umfeld schlummert, stärker auszuschöpfen. Es folgt daraus auch, die gefühlte Verantwortlichkeit, die aus dem Wissen resultieren kann, abzufedern, um sie nicht zu einem Informations-, ergo Beratungshemmnis werden zu lassen.

Drei Einschränkungen sollen nicht unterschlagen werden. Zum einen dürfte die betroffene Person in letzter Konsequenz aufgrund subjektiver Entscheidungsfindung ohnehin das letzte Wort haben, ob sie dem dann fundierten Ratschlag zur Kursteilnahme folgen will oder nicht (vgl. Schmitz et al. 1989, S. 143). Zum zweiten sollten die Einflussmöglichkeiten von Beratung realistisch eingeschätzt werden, denn es gilt, „die Unterstellung zu vermeiden, individuelle Problemlagen ließen sich durch besseres ‚Wissen‘, das in Beratungsgesprächen zu erwerben sei, umstandslos auflösen“ (Dewe 2004, S. 135). Und drittens sollte das Plädoyer, das mitwissende Umfeld mit ausreichender fundierter Information auszustatten, um sein informelles Beratungspotenzial weiter auszuschöpfen, nicht missverstanden werden als eine Argumentation gegen die Notwendigkeit institutionalisierter und ausreichend ausgestatteter Beratung; auch wenn gegenwärtig allenthalben ein neoliberaler Rückzug des Staates zu beobachten ist, der Beratung gleichsam individualisiert und Bürgerinnen und Bürgern somit auch im Bildungsbereich mehr Selbstverantwortung abverlangt (vgl. Käpplinger 2009, S. 232).