Liebe Leserinnen und Leser,

liebe Autorinnen und Autoren,

„Die überlieferten Formen der Angst- und Unsicherheitsbewältigung in sozial-moralischen Milieus, Familien, Ehe, Männer- und Frauenrolle versagen. In demselben Maße wird deren Bewältigung den Individuen abverlangt. Aus den damit verbundenen sozialen und kulturellen Erschütterungen und Verunsicherungen werden über kurz oder lang neue Anforderungen an die gesellschaftlichen Institutionen in Ausbildung, Beratung, Therapie und Politik entstehen“ (Beck 1986, S. 251 f.). Dieses nahezu 30 Jahre alte Zitat des kürzlich verstorbenen Soziologen Ulrich Beck scheint aktueller denn je. Bildungsberatung in ihren verschiedenen Formen hat Prominenz in politischen und wissenschaftlichen Texten erlangt. Viele Förderprogramme finanzieren Beratungsstellen oder Bildungsmaßnahmen mit flankierenden Beratungsangeboten. Die Beratungslandschaft leidet allerdings oft unter „Projektitis“, d. h. der Aufbau nachhaltiger Strukturen über befristete Laufzeiten ist eine große Herausforderung. Eine nicht minder große Herausforderung stellt jedoch der von Beck angedeutete Fakt dar, dass Individualisierungsschübe nicht allein Anomien mit sich bringen, sondern immer auch mit neuen Normierungen und institutionellen Arrangements verbunden sind. Beratung kann so des Öfteren die (politisch gewünschte) Form „regulativer Beratung“ (Käpplinger und Klein 2013; Käpplinger und Stanik 2014) annehmen, d. h. als eine Art „Transmissionsriemen“ für das möglichst reibungslose Funktionieren eines Förderprogramms (z. B. Weiterbildungsgutscheinen) entsprechend der politisch intendierten Ziele dienen. So erstaunt nicht, dass Monitoring- und Evaluationspraktiken zunehmen und das Interesse steigt, mehr über die genauen Wirkungen von Bildungsberatung zu erfahren. Solche Steuerungshoffnungen treffen auf sich mehr und mehr etablierende professionelle Standards, nach denen Beratung primär den Klientinnen und Klienten verpflichtet ist. Damit entsteht ein neues und vielleicht sogar wachsendes Spannungsfeld zwischen administrativer Steuerungsintention, professionellem Selbstverständnis und Selbstbestimmung der Subjekte. Da sich administrative Steuerungsintentionen jedoch in komplexen Umwelten niemals komplett systemisch auf allen Ebenen des Mehrebenensystems Weiterbildung (Schrader 2011) durchsetzen können, sondern jeweils ebenenspezifisch re-kontextualisiert werden, ist es umso wichtiger, die aktuellen Entwicklungen theoretisch und empirisch präzise zu analysieren, um die Wirkungen zu verstehen. Dies führte zu einem Call for Papers zu „Beratung und Regulation“ für die Zeitschrift für Weiterbildungsforschung (ZfW), welcher sehr intensiv nachgefragt wurde.

Bernd Käpplinger und Cornelia Maier-Gutheil geben in ihrem Beitrag einen Überblick über verschiedene Ansätze und Ergebnisse in der weiterbildungsbezogenen Beratungsforschung mit qualitativen oder quantitativen Methoden. Sie plädieren für eine bessere Verknüpfung der des Öfteren relativ isolierten Forschungsstränge. Henning Pätzold und Susanne Ulm diskutieren die häufig und gern proklamierte, aber selten definierte Dimension der Freiwilligkeit in der Beratung. Neben bloßer berufsethischer Reflexion wird vielmehr betont, dass der Freiwilligkeit darüber hinaus vielmehr auch im beraterischen Handeln Geltung zu verschaffen ist. Freiwilligkeit ist offenzuhalten oder auch schrittweise in Beratungssituationen zu erweitern. Tim Stanik fokussiert in seiner qualitativen Analyse auf verschiedene institutionelle Anbieterkontexte und zeichnet durchaus institutionenkritisch nach, wie bzw. inwiefern diese Kontexte die Beratungen eingrenzend regulieren. Dabei wird das professionelle Handeln der Beratenden anscheinend nicht durch den institutionellen Kontext determiniert, sondern folgt auch einer (berufsbiografischen) Eigenlogik. Klaus Buddeberg untersucht mit einem Mixed-Methods-Ansatz die Rolle von (nicht-professioneller) Beratung bzw. Information durch Personen im Umfeld selbst, hier bezogen auf Analphabetismus. Es zeigt sich, dass vorhandenes Wissen nicht ausreichend vom sozialen Umfeld an die Zielgruppe weitergeben wird. Dies unterstreicht, dass noch deutliche Aufklärungspotenziale im sozialen Umfeld erschlossen werden könnten, aber auch, wie wichtig gleichzeitig das Vorhandensein professioneller Beratungen bleibt. Wiltrud Gieseke und Maria Stimm verfolgen intensiv professionelle Praktiken in der Weiterbildungsberatung durch eine Dialogmusteranalyse von Gesprächsmitschnitten aus der Berufs- und Weiterbildungsberatung. Vor allem dialogmusterspezifische Ziele dominieren. Jeder Satz in einer Beratung ist bedeutsam und wirksam. Im Fazit wird daher die Notwendigkeit eines vertieften Wissens um die Komplexität von Beratung betont. Schließlich eröffnet der schwedische Gastbeitrag von Anki Bengtsson europäische Perspektiven, die auch für Deutschland relevant sind. Die gouvernementalitätskritische Analyse will subtile Praktiken aufzeigen, die zu einer Neu-Konstituierung von Beratung führen können. Insbesondere Evaluations- und Monitoringpraktiken sowie politische Texte und ihre Bedeutung werden kritisch hinterfragt. Es wird abschließend dafür plädiert, die Effekte solcher Praktiken genauer zu untersuchen.

Die ins Heft aufgenommenen Beiträge zeigen erfreulicherweise, wie unterschiedlich, aber auch wie komplementär das Thema bereits untersucht wird. Es bleibt zu hoffen, dass die bereits vorliegenden Erkenntnisse nicht nur in der Forschung zur Weiterbildung, sondern auch in Politik und Praxis intensiv rezipiert und fortgeführt werden.

Neben den Beiträgen zum Themenschwerpunkt bietet das vorliegende Heft drei Forumsbeiträge. Im ersten Beitrag geht Ewelina Mania der Frage nach, welche Kompetenzanforderungen im Bereich der finanziellen Grundbildung für die Entwicklung bedarfsgerechter Angebote von Bedeutung sind. In diesem Zusammenhang wird ein Kompetenzmodell präsentiert, das eine theoretisch und empirisch begründete Strukturierung und Bestimmung von Fortbildungsinhalten in Angeboten zur finanziellen Grundbildung ermöglicht.

Zwei weitere, nach dem Peer Review gründlich überarbeitete Beiträge im Forum setzen die Diskussion aus Heft 1 zur Lebenslauf- und Biografieforschung fort. Lutz Bellmann, Sandra Dummert, Margit Ebbinghaus, Elisabeth M. Krekel und Ute Leber erörtern die Frage, inwieweit erwartete bzw. bestehende Schwierigkeiten bei der Besetzung von Fachkräftestellen dazu führen, dass Betriebe verstärkt Beschäftigte mit einfachen Tätigkeiten in Weiterbildung einbeziehen. Burkhard Schäffer, Olaf Dörner und Franz Krämer vertreten in ihrem Beitrag die These, dass sich Lernen Erwachsener im Rahmen von formaler und non-formaler Weiterbildung nach wie vor in dem Sinne lebensphasenabhängig vollzieht, als sich Subjekte in ihren biografischen Entscheidungen an der soziokulturellen Konstruktion eines „Normallebenslaufs“ orientieren. Dem wird mit dem Konzept des „Lernens in Lebensphasen“ eine empirisch fundierte Alternative zur simplifizierenden Rede vom „lebenslangen Lernen“ gegenübergestellt.