Eine standardisierte Erfassung von Muskel-Skelett-Beschwerden ist wichtig für die valide Beschreibung der Auswirkungen körperlicher Belastungen im Beruf. Zu diesem Zweck wurde ein neuer Fragebogen entwickelt und hinsichtlich Praktikabilität und Reliabilität getestet. Inhaltlich wurde der Fragebogen durch Expertinnen und Experten bestätigt und auf Grundlage der Ergebnisse eine überarbeitete Version des Fragebogens erstellt. Dieser Fragebogen kann als Modul im Rahmen von Betriebsbefragungen oder für Forschungszwecke genutzt werden.

Hintergrund und Ziele

Muskel-Skelett-Erkrankungen stellen die häufigste Ursache für Arbeitsunfähigkeit in Deutschland dar. Sie verursachten in 2020 ca. 22,6 % aller Arbeitsunfähigkeitstage sowie ca. 19,6 Mrd. Euro Produktionsausfallkosten [1]. Zusammenhänge zwischen Beschwerden und Erkrankungen des Muskel-Skelett-Systems und körperlichen Belastungen am Arbeitsplatz sind bekannt und über systematische Reviews belegt [2,3,4].

Nach der Neugestaltung der Verordnung zur arbeitsmedizinischen Vorsorge 2013 (ArbMedVV; [5]) muss beim Vorliegen körperlicher Belastungen des Muskel-Skelett-Systems am Arbeitsplatz arbeitsmedizinische Vorsorge angeboten werden. Vor diesem Hintergrund besteht Bedarf an einem standardisierten und validen Instrument zur Erfassung von Muskel-Skelett-Beschwerden (MSB). Dafür wurde meist der Nordic Musculoskeletal Questionnaire (NMQ) von Kuorinka et al. (1987; [6]) eingesetzt. Der NMQ erfasst die Beschwerdeprävalenz in 9 Körperregionen für verschiedene retrospektive Zeiträume und die daraus resultierenden funktionellen Einschränkungen im Alltag und Beruf. Das Instrument ermöglicht Aussagen zur Chronizität und erhebt soziodemografische und berufsbiografische Daten.

Der NMQ wurde hinsichtlich Reliabilität und Validität systematisch getestet [6,7,8,9,10,11,12,13,14,15,16,17,18,19,20,21,22]. Standardisierte Übersetzungen mit Validierungen des NMQ für Sprachen wie Chinesisch [10], Griechisch [11], Persisch [7], Portugiesisch [12], Spanisch [22] und Türkisch [23] wurden vorgenommen. In 2 Studien wurde der NMQ zu reliablen und validen Langversionen erweitert, indem die Kriterien der Gesamtdauer der Beschwerden und funktionelle Einschränkungen auf die restlichen 7 Körperregionen ausgeweitet wurden [14, 17]. Auch in Deutschland wurde der NMQ in Studien in modifizierten Versionen eingesetzt [24,25,26,27,28,29,30,31,32] und für die betriebliche Praxis empfohlen.

Im Rahmen eines narrativen Reviews wurde der Einsatz des NMQ in internationalen Studien untersucht [33]. Es konnte bestätigt werden, dass der NMQ weltweit zur Prävalenzerhebung von MSB in vielen Querschnittstudien im beruflichen Kontext und in der Allgemeinbevölkerung verwendet wurde. Allerdings zeigte sich, dass meist modifizierte Versionen genutzt wurden [33]. Gründe für die Modifizierung wurden nur selten benannt. Entsprechend forderten Dawson et al. bereits 2009 [17] eine auf dem NMQ beruhende vereinheitlichte Version als Screening-Instrument für muskuloskeletale Beschwerden.

Problemstellung

Obwohl der NMQ weltweit als wichtiges Instrument zur Erfassung von MSB gilt, wird er in verschiedenen, modifizierten und bisweilen nicht validierten Versionen eingesetzt. Die Originalversion des NMQ [6] weist in der Anwendung, z. B. in der Abfolge und Formulierung einzelner Items, viele Unstimmigkeiten auf [33]. Dies betrifft beispielsweise die Abfragelogik und die Formulierung einzelner Items für verschiedene Körperregionen sowie die enthaltenen Sprungfragen. Eine Langversion des NMQ liegt nur für den unteren Rücken, die Schultern sowie den Nacken vor. Für andere Gelenkregionen wird im NMQ eine tabellarische Abfrage angeboten. In Feldstudien führt diese tabellarische Abfrage zu vielen Fehlangaben. Soweit die in Studien eingesetzten Fragebögen überhaupt berichtet werden, weisen die eingesetzten Versionen des NMQ daher teilweise deutliche, uneinheitliche und nicht validierte Modifikationen hinsichtlich der Art der Periodenprävalenz (Wochenprävalenz, Monatsprävalenz), den erfassten Körperregionen, der Abfragelogik und der Erfassung zusätzlicher Items auf [33]. Die Operationalisierung der Fragen der Originalversion des NMQ, z. B. für Datenbankanwendungen zur Vorbereitung statistischer Auswertungen, ist mit erheblichem Aufwand verbunden.

In deutscher Sprache existiert derzeit keine validierte Übersetzung des NMQ, weder für die originale Version von Kuorinka et al. (1987) [6] noch für deutschsprachige modifizierte Versionen. Es wurde daher die Notwendigkeit für eine neugestaltete deutschsprachige und validierte Version des Fragebogens gesehen [33]. Eine Neuformulierung des NMQ sollte kurz und modular sein, eine einfache und einheitliche Abfragelogik enthalten und in betriebsepidemiologischen Studien sowie in der arbeitsmedizinischen Vorsorge verwendbar sein.

Ziele

Im ersten Schritt bestand das Anliegen, einen einheitlichen deutschsprachigen Fragebogen zur Erfassung von MSB in verschiedenen Körperregionen auf Basis des NMQ neu zu erstellen.

Die nachfolgende Erprobungsstudie hatte das Ziel, die Praktikabilität, Interpretierbarkeit und Antwortstabilität (Test-Retest-Reliabilität) des Fragebogens im Rahmen eines Pretests unter Freiwilligen zu validieren und die Inhaltsvalidität des Fragebogens, d. h. die Relevanz, Klarheit, Einfachheit der Fragen, sowie Vollständigkeit der Fragen durch Expertinnen bzw. Experten bewerten zu lassen.

Berichtet wird außerdem, in welcher Form die Ergebnisse des Pretests in einer überarbeiteten Version des Fragebogens berücksichtigt wurden.

Methodik

Vorarbeiten: Entwicklung und Aufbau des Beschwerdefragebogens NFB*MSB

In einer Arbeitsgruppe der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA; Ute Latza, Falk Liebers, Lotte Kreis) und der BGW Hamburg (Madeleine Dulon, Sonja Freitag) wurden vorab Recherchen durchgeführt, der originale NMQ wurde ins Deutsche übersetzt und der Fragebogen hinsichtlich Inhalt, Gestaltung und Fragen priorisiert bzw. formuliert. Die überarbeitete Version wurde als Nordischer Fragebogen zu Muskel-Skelett-Beschwerden (NFB*MSB) vorgestellt [34]. Dieser ist Grundlage der nachfolgend beschriebenen Validierung.

Im NFB*MSB werden einheitlich 3 Fragen für 10 Körperregionen gestellt. Einbezogen sind die oberen und die unteren Extremitäten sowie der Rücken. Die Bereiche werden wie folgt bezeichnet: „Nacken und Halswirbelsäule“, „Schultergelenke und Oberarme“, „Ellenbogen und Unterarm“, „Hand und Handgelenke“, „Brustwirbelsäule“, „Lendenwirbelsäule“, „Hüftgelenk und Oberschenkel“, „Kniegelenke“, „Unterschenkel“ sowie „Fuß und Sprunggelenke“. Im Unterschied zur Originalversion NMQ [6] werden Unterschenkelbeschwerden mit betrachtet, um orthostatische Probleme, z. B. bei Steharbeit, erfassen zu können.

Für jede der 10 Körperregionen wird im NFB*MSB einheitlich das Vorliegen von Beschwerden in den letzten 12 Monaten in 5 Kategorien („Nein“, „Ja, an 1–7 Tagen“, „Ja, an 8–30 Tagen“, „Ja, an mehr als 30 Tagen, aber nicht täglich“ sowie „Ja, [fast] jeden Tag“) erfasst. Falls Beschwerden vorlagen, werden dichotom („Nein“, „Ja“) Einschränkungen bei beruflichen Tätigkeiten oder in der Freizeit, sowie Beschwerden in den letzten 4 Wochen erhoben. Um die Zahl der Fragen zu reduzieren, wurde auf die Erhebung der Beschwerden in den letzten 7 Tagen sowie der Lateralität verzichtet.

Im Fragebogen wurde für jede Gelenkregion der Bereich, in dem Beschwerden erwartet wurden, anatomisch und in Abgrenzung zu anderen Regionen grafisch eindeutiger als in der originalen Version des NMQ definiert und je in einem männlichen und einem weiblichen Körperschema von vorn und von hinten (soweit erforderlich) gekennzeichnet.

Individuelle Charakteristika wie Geschlecht, Alter, Körpergröße, Körpergewicht, Textangaben zur Art und Dauer der derzeitigen beruflichen Tätigkeit werden im NFB*MSB ähnlich wie in der Originalversion erfragt [6]. Um eine korrekte Kodierung der Freitextangaben zur beruflichen Tätigkeit nach der Deutschen Klassifikation der Berufe KldB2010 [35, 36] zu gestatten, wurden im NFB*MSB Fragen zur schulischen und beruflichen Ausbildung sowie zur beruflichen Stellung aus dem Gesundheitsfragebogen der RKI-Studie DEGS 2009 [37] integriert.

Erprobung des Beschwerdefragebogens (Pretest)

Erprobt wurde der Fragebogen NFB*MSB [34] bei erwerbstätigen Personen im Alter zwischen 18 und 67 Jahren ohne weitere Teilnahmebeschränkungen bezüglich Geschlecht, Vorerkrankungen und gesundheitlicher Beschwerden.

Die Rekrutierung der Gelegenheitsstichprobe erfolgte 2021 online über einen Newsletter der BAuA. Interessierte Personen erhielten die Studienmaterialien postalisch. Diese umfassten Informationen über die Studie und zum Datenschutz, die Einwilligungserklärung, ein Abrechnungsformular, einen frankierten Rückumschlag, den NFB*MSB sowie einen Feedback-Fragebogen (siehe Online-Zusatzmaterial ZM 1). In den Rückantworten wurden personenbezogene Angaben von den Antworten im Beschwerde- und Feedbackfragebogen getrennt (erste Befragung).

Mit der Einwilligungserklärung wurde für die Analyse der Antwortstabilität (Test-Retest-Reliabilität) zusätzlich die Bereitschaft zur Teilnahme an einer zweiten Befragung erfasst. Bei Zustimmung wurde der NFB*MSB nach 7 bis 14 Tagen erneut zugesandt. Die Teilnahme an den Befragungen wurde mit jeweils 15 Euro vergütet. Der Ablauf der 1. und 2. Befragung ist in Abb. 1 dargestellt.

Abb. 1
figure 1

Methodischer Ablauf der 1. und 2. Befragung

In der Erprobung wurde der NFB*MSB [34] im Format einer A4-Broschüre eingesetzt. Die Befragten wurden gebeten, vorliegende Beschwerden des Muskel-Skelett-Systems in allen Körperregionen zu dokumentieren. Der NFB*MSB wurde anschließend hinsichtlich Bearbeitungsdauer, Verständlichkeit, Aufbau des Dokuments anhand eines Feedback-Fragebogens mit offenem und geschlossenem Antwortformat (siehe Online-Zusatzmaterial ZM 1) beurteilt. Anregungen konnten als Freitext angegeben werden.

Datenerfassung, -aufbereitung und -auswertung

Die Datenerfassung erfolgte mit Microsoft Access® Version 2016. Die Datenaufbereitung und -auswertung wurde vollständig syntaxbasiert durchgeführt (IBM SPSS® Version 26).

Die Daten des NFB*MSB und des Feedback-Fragebogens wurden deskriptiv hinsichtlich Vollständigkeit, Plausibilität, Boden- und Deckeneffekten sowie fehlenden Antworten ausgewertet.

Die berufsbezogene Beschreibung der Stichprobe erfolgte händisch durch die Kodierung des Berufes nach KldB 2010 [35, 36]. Die Dimensionen der Berufsfachlichkeit (erste 3 Stellen des Codes), der Zuordnung als Aufsichts- bzw. Führungskraft (4. Stelle des Codes) sowie des fachlichen Anforderungsniveaus (5. Stelle des Codes) wurden zur Deskription verwendet.

Die Beschwerdeprävalenz der verschiedenen Körperregionen wurde deskriptiv (Häufigkeitsverteilungen) dargestellt.

Falls in einer Gelenkregion keine Beschwerden in den letzten 12 Monaten vorlagen, konnten die nachfolgenden Fragen zu Funktionseinschränkungen und der 4‑Wochen-Prävalenz ignoriert werden (Sprungfrage). In diesen Fällen wurden letztere Items mit „Nein“ codiert.

Die 5‑stufig ordinal-skalierten Antwortmöglichkeiten der 12-Monats-Prävalenz wurden zusätzlich in „Nein“ und „Ja“ dichotomisiert.

Zur Überprüfung der Test-Retest-Reliabilität wurden die Antworten der Einzelitems des NFB*MSB für jede Gelenkregion zwischen beiden Messzeitpunkten T1 und T2 verglichen. Für die 12-Monats-Prävalenz der Beschwerden (ordinale Antworten) wurde die Test-Retest-Übereinstimmung mit dem Intraklassen-Korrelationskoeffizient (ICC 3,1) getestet [38, 39]. Die Werte < 0,50, < 0,75, < 0,90 und ≥ 0,90 indizieren eine schlechte, moderate, gute bzw. exzellente Übereinstimmung [38].

Zur Überprüfung der Übereinstimmung der 4‑Wochen-Prävalenz sowie der Funktionseinschränkungen zwischen den beiden Messzeitpunkten (dichotomes Antwortformat) diente der nichtparametrische McNemar-Test [40, 41]. Cohens Kappa wird als Effektstärke berichtet (Signifikanzschwelle p < 0,05; [42]).

Aus dem Feedback-Fragebogen wurden die Häufigkeitsverteilungen der Einzelitems ermittelt. Die Freitextantworten der drei offenen Fragen wurden manuell kategorisiert und zusammengefasst deskriptiv dargestellt.

Bewertung des NFB*MSB durch Expertinnen und Experten und Expertenworkshop

Zur Bewertung der Inhaltsvalidität wurde der Fragebogen NFB*MSB vier Expertinnen und Experten per E‑Mail übermittelt und diese um eine schriftliche Bewertung anhand eines Fragenkataloges gebeten. Der Katalog umfasste 9 Fragen zu inhaltlichen Aspekten, 5 Fragen zur Praktikabilität, 4 Fragen zur formellen Gestaltung und 3 Fragen zu generellen Aspekten (siehe Online-Zusatzmaterial ZM 2). Die Freitextantworten wurden manuell nach Inhalt und Bewertung (zustimmend, ablehnend, neutral) kategorisiert und deskriptiv zusammenfassend pro Item beschrieben.

Alle Ergebnisse des Pretests und der Bewertung durch Expertinnen und Experten wurden in einem Online-Workshop vorgestellt und von den Autorinnen und Autoren und drei interessierten Expertinnen und Experten diskutiert. Notwendige Modifikationen, fachliche sowie redaktionelle Anmerkungen wurden mit Übereinkunft verabschiedet.

Ergebnisse

Pretest

Die Studienmaterialien zur Erprobung des NFB*MSB wurden im Rahmen der Erstbefragung (T1) an 90 Interessierte versandt und von 83 Personen beantwortet (43,4 % weiblich; 92,2 % Rücklaufquote). Die Teilnehmenden waren zu T1 zwischen 22 und 64 Jahre alt (MW = 45,49; SD = 11,39) und zumeist in Vollzeit erwerbstätig (85,5 %). Alle Befragten waren bereit, an der Wiederholungsbefragung (T2) teilzunehmen. Zu T2 wurden 80 von 83 Fragebögen beantwortet (96,4 % Rücklaufquote).

Die Berufe der Befragten ließen sich den Berufsbereichen Verkehr, Logistik, Schutz und Sicherheit (31,3 %) sowie in Unternehmensorganisation, Buchhaltung, Recht und Verwaltung (21,7 %) zuordnen. Vorrangig waren hier komplexe und hochkomplexe Berufe in der Arbeitssicherheit und Sicherheitstechnik (z. B. Sicherheitsfachkräfte). Weitere soziodemografische Indikatoren zur Stichprobe sind Tab. 1 zu entnehmen.

Tab. 1 Stichprobenbeschreibung (n = 83, Basiserhebung T1)

Zu beiden Befragungszeitpunkten kam es pro Frage im NFB*MSB und je Gelenkregion nur vereinzelt zu fehlenden Angaben (max. 2,4 %, z. B. bei Beschwerden in den letzten 12 Monaten im Bereich der Brustwirbelsäule). Fehlende Angaben wurden nicht imputiert.

Beschwerdeprävalenz (T1)

Die Ergebnisse der 12-Monats-Prävalenz (12MP), der 4‑Wochen-Prävalenz (4WP) sowie der Funktionseinschränkungen in Beruf oder Freizeit in den letzten 12 Monaten (FE) werden in Tab. 2 dargestellt. Die meisten Beschwerden wurden in den Bereichen „Halswirbelsäule und Nacken“ (85,5 %) sowie „Lendenwirbelsäule und unterer Rücken“ (78,3 %) berichtet. Die niedrigste 12MP wurde für den Bereich „Unterschenkel“ (21,7 %) angegeben.

Tab. 2 Prävalenz von Muskel-Skelett-Beschwerden nach Körperregion im Pretest (n = 83 zu T1)

Für die Körperregionen „Ellenbogen und Unterarm“ (EBU) sowie „Unterschenkel“ (US) wurden Bodeneffekte in der ordinalen Erfassung der Beschwerden über 5 Kategorien gefunden, da in der höchsten Antwortkategorie „Ja, fast jeden Tag“ maximal eine Antwort (EBU: n = 1; US: n = 0) abgegeben wurde.

Hinsichtlich der Antwortlogik wurde die Sprungfrage in den verschiedenen Körperregionen bis zu 5‑mal (für Schultergelenke und Oberarme) ignoriert. Die Befragten machten hier Angaben zur 4WP und zu FE, obwohl keine Beschwerden in den letzten 12 Monaten angekreuzt wurden. Lediglich für die Körperregion Kniegelenke wurde die Sprungfrage von allen Befragten beachtet.

Weitere Angaben zur Prävalenz an Beschwerden in den letzten 12 Monaten bzw. in den letzten 4 Wochen sowie zu Funktionseinschränkungen sind Tab. 2 zu entnehmen.

Zur Test-Retest-Reliabilität (Antwortstabilität)

Die Zeitspanne zwischen den beiden Befragungszeitpunkten lag im Mittel bei 19 Tagen (SD = 9,8; Spanne = 7 bis 58 Tage). Für die ordinal ausgeprägte 12MP wurde ein moderates (Fußgelenkbeschwerden: ICC = 0,67 [0,53–0,78]) bis exzellentes (Kniegelenkbeschwerden: ICC = 0,89 [0,83–0,93]) Maß an Übereinstimmung gefunden (siehe Online-Zusatzmaterial Tab ZM 3.1).

Für die dichotom erfasste 4WP der Beschwerden ergab der McNemar-Test für keine der Körperregionen eine relevante Veränderung der Beschwerdeangaben zwischen T1 und T2. Cohens Kappa als Maß der Übereinstimmung erreichte Werte von κ = 0,50 bis κ = 0,67 (p < 0,001). Für die FE zeigte sich ein relevanter Unterschied zwischen den Messzeitpunkten ausschließlich für die Körperregion Hand und Handgelenke (p = 0,007). Hier sank der Anteil an Befragten mit FE von 37,2 % zu T1 auf 23,1 % zu T2. Cohens Kappa erreicht hier wiederum einen Wert von κ = 0,55 (p < 0,001), was einer moderaten Übereinstimmung entspricht. Für die übrigen Körperregionen fanden sich keine relevanten Veränderungen der Beschwerdeangaben zwischen T1 und T2. Die mit Cohens Kappa ermittelte Übereinstimmung war moderat bis substanziell (κ = 0,49–0,73; p < 0,001).

Bewertung des NFB*MSB durch die Befragten

Für die Beantwortung des Fragebogens gaben 95,2 % der Befragten Zeiten zwischen 5 und 30 min an. Am häufigsten (36,1 %) wurde eine Bearbeitungszeit von 5 bis 10 min berichtet. Die Zustimmung bezüglich der positiv formulierten Aussagen zum Interesse, zur Verständlichkeit, Übersichtlichkeit und Lesbarkeit der Fragen und Abbildungen lag bei fast 100 %. Lediglich die Aussage zur Verständlichkeit der Fragen zur derzeitigen beruflichen Stellung erhielt durch 12 % der Befragten eher keine Zustimmung (Abb. 2).

Abb. 2
figure 2

Beurteilung des Nordischen Fragebogens zu Muskel-Skelett-Beschwerden (NFB*MSB) durch Beschäftigte im Pretest (n = 83 zu T1)

Die Freitextantworten der Befragten ließen sich in die 6 Kategorien „Fehlende Aspekte“, „Allgemeine Hinweise“, „Soziodemografie“, „Körperregion“, „Darstellung“ und „Ausfüllhinweise“ zusammenfassen. Bei 48 % der insgesamt 125 Antworten kamen die meisten Anregungen zu „Fehlenden Aspekten“, z. B. Angaben zur Ursache der Beschwerden, Angaben zur Tätigkeit/Belastung oder Erfassung von Arbeitsunfähigkeitstagen. Angemerkt wurde eine klarere Definition des Begriffs „Einschränkung“ (Kategorie „Allgemeine Hinweise“). Die meisten Hinweise wurden in Bezug auf die Verständlichkeit der beruflichen Stellung genannt (Kategorie „Soziodemografie“). Mehrmals wurde der Vorschlag geäußert, ausstrahlende Schmerzen mit zu erfassen (Kategorie „Körperregion“). Außerdem wurde der Bedarf geäußert, Beschwerden auch in weiteren Gelenk- und Körperregionen (z. B. der Hand) detaillierter beschreiben zu können. Die Befragten gaben zusätzlich Hinweise zu Formatierungen und Beschriftungen sowie zur differenzierteren Darstellung der Körperregionen (Kategorien „Darstellung“ und „Ausfüllhinweise“; siehe Online-Zusatzmaterial Tab. TM 3.2).

Bewertung des NFB*MSB durch die Expertinnen und Experten

Bestätigt wurden von den Expertinnen und Experten die anatomische Markierung und die Bezeichnung der Körperregionen. Der Auswahl der Körperregionen wurde überwiegend zugestimmt. Probleme wurden in der Differenzierung zwischen Nacken, oberem und unterem Rücken sowie Hüfte und Oberschenkel gesehen. Hinweise wurden in Bezug auf die Bezeichnung der Region des unteren Rückens gegeben („im Bereich der LWS“, „Kreuz- und Steißbein“).

Überwiegend zugestimmt wurde der Verwendung des Begriffs „Beschwerden“, jedoch wurde er als zu allgemein bewertet. Es wurde angeregt, den Begriff einzuschränken (z. B. „mit ärztlicher Behandlung“) sowie genauer zu erklären.

Der Erhebung funktioneller Einschränkungen bei beruflichen Tätigkeiten oder in der Freizeit bezogen auf Beschwerden in den letzten 12 Monaten wurde überwiegend zugestimmt, die dichotome Erfassung allerdings als grob eingeschätzt.

Auch wurde der Erfassung der 12MP über 5 Kategorien und der dichotomen Erfassung der 4WP ähnlich wie in der Originalversion des Fragebogens zugestimmt und eine Erfassung der 7‑Tage-Prävalenz und der Chronizität von Beschwerden angeregt. Es wurde als sinnvoll erachtet, die FE und die 4WP über eine Sprungfrage nur zu erheben, falls Beschwerden in den letzten 12 Monaten aufgetreten sind.

Dem Verzicht auf die Erhebung der Lateralität der Beschwerden wurde überwiegend zugestimmt, jedoch die Erwartung geäußert, diese Information für die obere Extremität mit zu erheben.

Eine unterschiedliche Bewertung erfuhr der Abschnitt mit den allgemeinen Fragen zur Person und zur beruflichen Stellung. Kritisiert wurde teilweise das Ungleichgewicht zwischen der Vereinfachung des Beschwerdefragebogens und dem Grad der Ausdifferenzierung des allgemeinen Teils.

Kritisiert wurde die im Fragebogen nicht integrierte Erhebung physischer und psychosozialer beruflicher Belastungen, aber auch von Belastungen durch Freizeitaktivitäten.

Die Ausfüllhinweise zum Fragebogen wurden einheitlich als verständlich bezeichnet. Der generelle Aufbau des Fragebogens und die Formulierungen der Fragen wurden als klar, logisch und übersichtlich bezeichnet. Die Anzahl der Items wurde als angemessen bewertet. Der Zeitaufwand zum Ausfüllen wurde zwischen 5 und 15 min abgeschätzt. Die formelle Gestaltung des Fragebogens in der Broschüre wurde als gut, übersichtlich und die Schriftgröße als leserlich bewertet. Der Fragebogen sollte ggf. kompakter formatiert sein.

Die grafische Gestaltung der Körperformen wurde einheitlich als gut bewertet. Der Darstellung der männlichen und weiblichen Körperform wurde zugestimmt. Es wurde aber auch ein neutrales Körperschema erwogen. Angeregt wurde, die Körperschemata zu bezeichnen („Frau von vorn“ usw.).

In Bezug auf den Einsatz des Fragebogens bei Erwerbstätigen sahen die Expertinnen und Experten keine Einschränkungen. Angeregt wurde, die Bereitstellung von übersetzten Varianten. Es wurde bestätigt, dass die Expertinnen und Experten den Fragebogen selbst in betrieblichen Studien verwenden oder Kolleginnen und Kollegen zum Einsatz empfehlen würden.

Ergebnis des Expertenworkshops/Empfehlungen für Veränderungen

Im Expertenworkshop wurden die Ergebnisse des Pretests und der Expertenbewertung vorgestellt und diskutiert sowie die Bewertungen der Expertenbefragung bestätigt. Als notwendige Modifikationen wurden herausgearbeitet:

  • den Begriff „Beschwerden“ besser zu erläutern,

  • die 7‑Tage-Prävalenz im Fragebogen zu integrieren,

  • die Lateralität für die oberen Extremitäten abzufragen,

  • die Sprungfrage zu optimieren,

  • die Erhebung der Berufsmerkmale bzw. des sozioökonomischen Status anzupassen,

  • die Körperschemata zu bezeichnen und

  • Beschwerden in der Hand (insbesondere der Daumenregion) genauer zu erheben.

Diskussion

Insbesondere im beruflichen Kontext werden für die Erfassung von Muskel-Skelett-Beschwerden (MSB) häufig modifizierte Versionen des standardisierten Nordischen Fragebogens NMQ von Kuorinka et al. (1987) [6]) eingesetzt, da die Originalversion eine Reihe von Defiziten aufweist. Standardisierte deutschsprachige Versionen des NMQ liegen nicht vor.

Die vorliegende Studie hatte das Ziel, einen neuen deutschsprachigen Fragebogen zu erarbeiten und diesen hinsichtlich Praktikabilität, Antwortstabilität (Test-Retest-Validität) und der inhaltlichen Validität zu testen und ggf. zu modifizieren.

Auf Basis des NMQ von Kuorinka et al. (1987) [6] wurde unter der Bezeichnung NFB*MSB eine deutschsprachige Version des Beschwerdefragebogens erarbeitet und validiert. Unter Berücksichtigung der Änderungsvorschläge aus Pretest und Expertenbefragung wurde anschließend der Fragebogen NFB*MSB überarbeitet und unter dem Namen FB*MSB veröffentlicht [46]. Die wesentlichen Veränderungen der überarbeiteten Version des Fragebogens zu Muskel-Skelett-Beschwerden (FB*MSB, [46]) im Vergleich zur Originalversion des NMQ [6] sind in Tab. 3 aufgelistet.

Tab. 3 Gegenüberstellung der Veränderungen des neuen Fragebogens zu Muskel-Skelett-Beschwerden (FB*MSB, Liebers et al. 2022 [46]) im Vergleich zur Originalversion des Standardized Nordic Musculoskeletal Questionnaire (NMQ, Kuorinka et al. 1987 [6])

Im Pretest konnten in einer relativ kleinen Gruppe von Beschäftigten mit 83 Befragten Beschwerden im Muskel-Skelett-System zu 2 Messzeitpunkten im typischen Muster abgebildet werden [32]. Ähnlich wie bisherige Versionen des NMQ wurde auch das neue Instrument hinsichtlich Praktikabilitätsaspekten wie Verständlichkeit [8, 9] und Anwendbarkeit [6] getestet, was die Befragten überwiegend bestätigten.

Auch in der inhaltlichen Bewertung durch die Expertinnen und Experten wurde der Fragebogen insgesamt positiv und im Detail als verständlich, übersichtlich und im Umfang akzeptabel bewertet. Änderungsbedarf wurde u. a. in Bezug auf Angaben zum Schmerzcharakter und zu beruflichen Einflussfaktoren gesehen. Die Auswahl der Körperregionen, die anatomischen Bezeichnungen und Markierungen sowie die Erfassung 12-Monats- und 4‑Wochen-Prävalenz wurden bestätigt, die zusätzliche Erfassung der 7‑Tage-Prävalenz wurde empfohlen.

Ähnlich wie für den NMQ [6,7,8,9,10,11,12,13,14,15,16,17,18,19,20,21] wurde die Wiederholungsbefragung im Rahmen des Pretests im Mittel nach 19 Tagen durchgeführt. Die Test-Retest-Reliabilität war abhängig von der Körperregion moderat bis exzellent. Da die Fragen zur 12-Monats- und 4‑Wochen-Prävalenz Beschwerden in deutlich längeren Zeiträumen erfassen, wären bei dem kurzen Abstand der Wiederholungsbefragung höhere Übereinstimmungen, wie z. B. in der Studie von Pugh et al. (2015; [14]), zu erwarten gewesen.

Die Stichprobe ist in jedem Fall nicht repräsentativ und teilweise selektiv. Dies wird über die beruflichen Hintergründe der Befragten deutlich. Ein sehr hoher Anteil arbeitete im Bereich der Arbeitssicherheit, Sicherheitstechnik und der Produktionsplanung. Zu diskutieren ist, ob dadurch möglicherweise Antworten gegeben wurden, die zum Pretest-Zeitpunkt T1 eher der Erwartung der Befragten entsprachen, den Fragebogen vollständig auszuprobieren und nicht dem Ausmaß tatsächlicher Beschwerden entgegen den Instruktionen zum Ausfüllen des Fragebogens. Dafür spricht, dass die ermittelten Beschwerdeprävalenzraten teilweise erheblich über den Erwartungen liegen. Im Projekt MEGAPHYS wurden mit einem Vorläufer des Beschwerdefragebogens 12-Monats-Prävalenzraten zwischen 13 % (Hüftgelenke) und 62 % (Lendenwirbelsäule) ermittelt [32]. Auf der anderen Seite haben wir das vollständige Erproben des Fragebogens positiv gewertet, da dadurch ein sehr breites Spektrum an konkreten Empfehlungen gegeben wurde, die bei der Überarbeitung der Vorversion berücksichtigt werden konnten.

Aufgrund dieser Vermutung wurde auch auf eine Überprüfung der Konstruktvalidität gegenüber anderen Beschwerdefragebögen, wie sie beim originalen NMQ erfolgte [7, 13, 14], beim NFB*MSB verzichtet, da die Testung von Validitätskriterien [7, 15, 16, 18,19,20,21, 43, 44] eine repräsentative Stichprobe ohne Erwartungshaltung gegenüber dem Fragebogeninstrument selbst voraussetzt.

Auch die Konsistenz der Fragebogenitems war aus unserer Sicht nicht sinnvoll zu prüfen, wie dies für andere Versionen des NMQ vorgestellt wurde [8, 11, 13, 14]. Die Items zur Prävalenzerhebung (z. B. 12-Monats-Prävalenz an Beschwerden im Nackenbereich) sind eigenständig, d. h. nicht ein Konstrukt basierend auf einer Reihe von Einzelitems. Sie sind sowohl inhaltlich und zeitlich stark korreliert.

Ebenfalls verzichtet haben wir auf eine formelle Berechnung der Übereinstimmung der Bewertungen von Expertinnen und Experten, wie sie z. B. von Pugh et al. (2015; [14]) vorgestellt wurde, da uns dies methodisch bei 4 Bewertungen nicht angebracht schien.

In unserer Papier-Bleistift-Befragung wurden die Anweisungen zum Überspringen vertiefender Fragen (Beschwerden in den letzten 4 Wochen, Funktionseinschränkungen) teilweise nicht beachtet, falls keine Beschwerden in den letzten 12 Monaten vorlagen. Daher wurde die Sprungfrage vereinfacht.

Interessant wäre, andere Formen der Administration [6, 45] bzw. eine andere Verteilung des Fragebogens zu untersuchen, z. B. ein onlinebasiertes Ausfüllen, die Erhebung im Telefoninterview oder im Rahmen einer ärztlichen Anamneseerhebung.

Auf Grundlage der Ergebnisse des Pretests und der Bewertung durch Expertinnen und Experten wurde eine modifizierte Version des NFB*MSB erarbeitet. Diese überarbeitete Version wurde unter der Bezeichnung Fragebogen zu Muskel-Skelett-Beschwerden (FB*MSB) von der BAuA publiziert ([46]; siehe auch Online-Zusatzmaterial ZM 1). In der modifizierten Fragebogenversion FB*MSB wurde der Beschwerdefragebogen von den Anwendungshinweisen klar getrennt, und die allgemeinen Hinweise wurden ergänzt und erweitert. Hinweise zum Einsatz, zu den ableitbaren Effektmaßen und zur Auswertung des Fragebogens werden gegeben. Es wurde außerdem die Erhebung der Beschwerden in den letzten 7 Tagen sowie von Angaben zur Körperseite der Beschwerden für den Bereich der oberen Extremitäten ergänzt. Weiterhin wurde auf die detaillierte Erhebung des Berufsstatus verzichtet, da hier standardisierte Instrumente zur Verfügung stehen.

Für die weitergehende Prüfung des neuen Beschwerdefragebogens FB*MSB ist der Einsatz in repräsentativen betrieblichen Stichproben notwendig. Dabei sollte das Instrument in der Lage sein, bei Beschäftigten mit erhöhten körperlichen Belastungen auch eine erhöhte Beschwerdeprävalenz in den entsprechenden Körperregionen nachweisen zu können.

Fazit für die Praxis

  • Für die Erfassung von Beschwerden des Muskel-Skelett-Systems sollten im Rahmen von Befragungen von Mitarbeitenden im Betrieb, im Rahmen der arbeitsmedizinischen Vorsorge oder bei Forschungsfragen standardisierte Befragungsinstrumente verwendet werden.

  • Basierend auf den Ergebnissen des Pretests und der Bewertung von Expertinnen und Experten erfüllt der in der vorliegenden Studie getestete Fragebogen NFB*MSB weitestgehend die Erwartungen an Praktikabilität, Test-Retest- und Inhaltsvalidität.

  • Auf Grundlage der Ergebnisse der Studie wurde der Fragebogen NFB*MSB weiter modifiziert. Der daraus entstandene Fragebogen FB*MSB steht für die Praxis in vollem Umfang zur weiteren Erprobung frei zur Verfügung.

  • Vertiefende Aussagen zur Qualität des neuen Fragebogens FB*MSB (z. B. Praktikabilität und inhaltliche Validität) sind notwendig.