Die Tierärzteschaft wird mit vielfältigen Arbeitsbelastungen konfrontiert. Daraus ergeben sich hohe physische und psychische Beanspruchungen, was Studien belegen. Depression oder Suizidraten sind in dieser Berufsgruppe höher als in der Allgemeinbevölkerung oder im Vergleich anderer Berufe. Es bedarf einer Bestandsaufnahme von Arbeitsbelastungen, die Erfassung der daraus resultierenden Beanspruchungen sowie Maßnahmen des Arbeitsschutzes zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes der Beschäftigten bei der Arbeit.

In den vergangenen Jahren wurden vermehrt nationale und internationale Studien zum Thema Stressbelastungen und psychische Gesundheit bei TierärztInnen durchgeführt. In einem Scoping-Review wurden mehrere Studienbefunde zu Stress und Arbeitsbelastung bei TierärztInnen aufgezeigt, die eine schlechtere mentale Gesundheit bei Tierärztinnen aufweisen als bei ihren männlichen Kollegen [23].

Untersuchungen aus den USA und Australien befassten sich mit dem Suizidrisiko von TierärztInnen und weisen auf eine hohe Prävalenz von Suizidgedanken in dieser Berufsgruppe hin [1, 13, 21, 30]. Die im veterinärmedizinischen Beruf vielfältig vorhandenen Arbeitsbelastungen, die die TierärztInnen psychisch beanspruchen, beziehen sich vorwiegend auf lange Arbeitszeiten und geringes Einkommen [16], aber auch auf berufsspezifische Stressoren, wie die Durchführung von Euthanasie [21] oder der permanenten Erwartungshaltung von Patientenbesitzern ausgesetzt zu sein [11]. Daneben fand sich eine hohe Belastung durch berufliche Rahmenbedingungen bei 27 % der befragten deutschen TierärztInnen [11].

Weitere Studien zur Belastungssituation in der Tierärzteschaft befassten sich mit der durchschnittlichen Wochenarbeitszeit und deren Einfluss auf die psychische Gesundheit. Die Ergebnisse zeigten, dass TierärztInnen ca. 50 h pro Woche arbeiten [16]. Am häufigsten sind TiermedizinerInnen in Kliniken von langen Arbeitszeiten betroffen, weil hier die tierärztliche und pflegerische Versorgung der Tiere immer gewährleistetet werden muss [16]. Des Weiteren können gesellschaftliche Faktoren auf die Belastungen am Arbeitsplatz wirken [20]. Eine Studie aus Neuseeland untersuchte die Stressbelastung bei Veterinärstudenten. Diese gaben an, dass die Arbeitsbelastung einer der häufigsten Stressfaktoren sei [29]. Durch die mangelnde Arbeitszufriedenheit ist ein Personalmangel zu verzeichnen, wodurch in den Tierkliniken kein 24-Stunden-Notdienst mehr aufrechterhalten werden kann. Auf diese Weise verlieren viele Kliniken ihren Status [12]. Ebenfalls wird berichtet, dass die Nachfrage nach TierärztInnen in der Arbeitswelt deutlich ansteigt [12].

Im Allgemeinen kann ein Anstieg psychischer Belastung und Beanspruchung sowie deren Folgen in der Arbeitswelt verzeichnet werden. Nicht nur die Ermittlung und Beurteilung psychischer Belastungen, sondern auch andere arbeitsplatzbezogene Gefährdungen sind im § 5 des „Gesetzes über die Durchführung von Maßnahmen des Arbeitsschutzes zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes der Beschäftigten bei der Arbeit (Arbeitsschutzgesetz – ArbSchG)“ verankert [6]. Maßnahmen zum Schutz vor gesundheitlichen Folgen sind daraus abzuleiten. Des Weiteren ist der „psychische Arbeitnehmerschutz“ auf Ebene der Europäischen Union ebenfalls präsent, dabei verlangt die Mehrheit der EU-Länder ein explizites Erfassen der psychischen Gesundheit per Gesetz (5 Länder tun das nicht; [14]). Anhand des aktuellen Fehlzeitenreports (2022) ist erkennbar, dass die meisten psychischen und Verhaltensstörungen bei Beschäftigten im tertiären Sektor zu finden sind [15].

Es ist von großer Bedeutung, geschlechtsspezifisch und differenziert die psychische Gesundheit zu erforschen, da Geschlecht eine wichtige Rolle bei der Entwicklung, Prävalenz, Diagnose und Behandlung psychischer Störungen spielt. So wiesen zwar Männer in der Allgemeinbevölkerung im Vergleich zu Frauen eine höhere Anzahl an Fehltagen aufgrund von Herz-Kreislauf-Erkrankungen auf, dennoch fallen Frauen deutlich häufiger aufgrund von psychischen Erkrankungen aus. So ist die Anzahl der Fehltage aufgrund von psychischen Erkrankungen bei Frauen um 66,9 % höher im Vergleich zu Männern [24].

TierärztInnen gehören zu den Gesundheitsberufen mit dem dritthöchsten Krankenstand an AU-Tagen von AOK-Mitgliedern [19].

Aufgrund der Vielfältigkeit des Tierarztberufes bedarf es Untersuchungen im Bereich der arbeitsbezogenen Belastungen unter Berücksichtigung diverser Kontextfaktoren (z. B. Geschlecht, Tätigkeitsbereich, Arbeitsumgebung usw.). Die Beurteilung von psychischen (Fehl‑)Beanspruchungsfolgen im tierärztlichen Kontext kann aufschlussreiche Erkenntnisse zur psychisch-gesundheitlichen Situation von TierärztInnen evaluieren. Eine geschlechtsdifferenzierte Analyse zu arbeitsbezogenen Belastungsfaktoren im Tierarztberuf ist bisher im nationalen Kontext nicht ausreichend beschrieben. Daher soll es das Ziel der Studie mit der explorativen Fragestellung sein, die arbeitsbezogenen Faktoren beider Geschlechtergruppen in der Tierärzteschaft zu vergleichen und Unterschiede in den Beanspruchungsfolgen analysieren.

Methodik

Die Daten wurden in der seit Juli 2021 laufenden Querschnittsstudie „Ursachen und Folgen psychischer Belastung im Arbeitsalltag und im Notdienst der Tierärzteschaft in der Bundesrepublik Deutschland“ des Bereiches Arbeitsmedizin der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg in assoziierter Kooperation mit dem Fachbereich Veterinärmedizin des Landesamtes für Verbraucherschutz Sachsen-Anhalt und der Tierärztekammer Sachen-Anhalts erhoben. Die Studie ist gefördert durch die Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienste und Wohlfahrtspflege (BGW) unter der Förderungsnummer 1544.

Der Link zur Umfrage wurde über die jeweiligen Landestierärztekammern sowie über das Deutsche Tierärzteblatt verbreitet [22]. Das vollständige Studienprotokoll ist publiziert und online abrufbar [4].

Stichprobe

An der Onlinebefragung nahmen 1046 TierärztInnen mit einem durchschnittlichen Alter von 41,7 ± 10,16 Jahren (23–79 Jahre) teil. Davon waren 369 Männer und 677 Frauen. Die Teilnehmenden wurden in 3 Altersgruppen eingeteilt: < 30 Jahre, 30–44 Jahre und ≥ 45 Jahre. Die Onlinebefragung wurde so programmiert, dass die Beantwortung der jeweiligen Items aus den verwendeten Instrumenten Pflicht waren und nur so die Befragung abgeschlossen werden konnte. Insofern sind bei den vorhandenen Daten zu den Irritationsskalen keine Missings zu verzeichnen.

Bei allen Befragten wird eine freiwillige Teilnahme vorausgesetzt. Die Daten wurden anonym erhoben.

Im Rahmen dieser Studie wurden soziodemografische Daten wie Alter, Geschlecht (männlich, weiblich, divers), Familienstand, Anstellungsverhältnis, Fachbereich, Arbeitsort und die Teilnahme an Notdiensten erfragt.

Untersuchungsablauf

Zur Erfassung der arbeitsbezogenen Beanspruchungsfolgen von TierärztInnen wurde die Irritationsskala nach Mohr et al. (2007) verwendet [20], die sich als ein validiertes und zuverlässiges Instrument zur Messung von arbeitsbezogenen Beanspruchungsfolgen erwiesen hat. Zudem ist die Verwendung für die Teilnehmenden gut verständlich und einfach anzuwenden, was eine effiziente Datenerhebung erleichtert und folglich eine umfassende Analyse der Ergebnisse ermöglicht. Insofern erfüllt die Irritationsskala die Anforderungen der Studie am besten und stellt eine solide Grundlage für die Untersuchung arbeitsbezogener Beanspruchungsfolgen dar. Das Konstrukt Irritation wird von den Autoren definiert als ein Zustand zwischen Erschöpfung/Müdigkeit, die nicht durch ein freies Wochenende als Erholung ausgeglichen werden kann, aber insgesamt noch beeinflussbar ist, sodass keine psychische Diagnose erfasst werden kann [20]. Der Fragebogen zu den Irritationsskalen besteht aus 8 Items. Diese sind in die 2 Komponenten emotionale (3 Items) und kognitive Irritation (5 Items) sowie einem Gesamtindex zusammengefasst. Für die Beantwortung der Fragen können die Befragten ihre Einschätzung auf einer 7‑stufigen Likert-Skala auswählen (1 „trifft überhaupt nicht zu“ bis 7 „trifft fast völlig zu“). Für die Umwandlung der Punktwerte in Stanine wurde die neunstufige Normierung (Stanine-Werte) anhand von Skalensummen nach einer altersdifferenzierten Referenzprobe vorgenommen [10]. Diese Altersdifferenzierung fand nur Anwendung bei der kognitiven Irritation und beim Gesamtindex. Die Stanine teilten die Ausprägungen der kognitiven, emotionalen und des Gesamtindexes in „unterdurchschnittlich“ (≤ 3), „normal“ (4–6) und „überdurchschnittlich“ (≥ 7–9) ein [20].

Außerdem werden sozioökonomische Daten zum Arbeitslohn und der eigenen wirtschaftlichen Lage miterfasst.

Statistische Auswertung

Die Auswertung der Ergebnisse erfolgte im Programm SPSS, Version 28 (IBM, Armonk, NY, USA). Hierbei wurden der Kolmogorov-Smirnov-Test für die Prüfung der Daten auf Normalverteilung, die Kreuztabellen mit Chi-Quadrat-Test nach Pearson bzw. der exakte Test nach Fisher sowie Mittelwertvergleiche mittels Mann-Whitney-Test durchgeführt. Die Effektstärke wird jeweils nach < 0,3, 0,3–0,5 und > 0,5 interpretiert. Des Weiteren wurden zur Ermittlung des Einflusses mehrerer Variablen auf die Ergebnisse der Irritationsskala die Effektstärken des korrigierten Modells berechnet und als partielles Eta-Quadrat dargestellt. Im korrigierten Modell wird geprüft, ob die gemeinsame Aufnahme aller Haupteffekte und Interaktionen signifikant ist. Die Beurteilung der Effektstärke erfolgte nach dem folgenden Schema: Partielles η2 < 0,06 entspricht einem kleinen Effekt, partielles η2 von 0,06 bis 0,14 einem mittelgradigen Effekt und partielles η2 > 0,14 einem großen Effekt [18]. Als Signifikanzniveau bei den statistischen Tests wurde eine Irrtumswahrscheinlichkeit von α = 5 % angenommen. Für die Prüfung der Zusammenhänge zwischen verschiedenen Variablen wurden Korrelationsanalysen nach Spearman durchgeführt. Hier gilt ein Wert Rho (ρ) von 0,1 als klein, ein Wert von 0,3 als mittel und ein Wert von 0,5 als stark.

Ergebnisse

Soziodemografische und berufsbezogene Auswertungen

Der Anteil der Tierärztinnen an der Gesamtstichprobe von 1046 Teilnehmern lag deutlich höher als jener der Männer (64,7 % vs. 35,3 %). Tierärzte hatten das Durchschnittsalter von 43,4 ± 10,76 Jahren. Die Tierärztinnen waren mit 40,7 ± 9,70 Jahren signifikant jünger (pχ2 < 0,001).

Die Altersgruppen unterschieden sich signifikant zwischen den Geschlechtern und dem Familienstand (pχ2 < 0,001; Tab. 1). Im Vergleich zu den Frauen mit 49,8 %, war der Großteil der Männer mit 79,0 % ledig. Zudem lebten mehr Frauen als Männer in einer Ehegemeinschaft.

Tab. 1 Vergleich der soziodemografischen Daten nach Geschlechtern

Des Weiteren werden in Tab. 2 die Anteile der Anstellungsgruppen in der jeweiligen Geschlechtergruppe und in der Gesamtstichprobe dargestellt. Von den 677 an der Studie teilnehmenden Tierärztinnen arbeiteten 35,3 % (n = 239) als Selbstständige/Praktikerinnen. Das waren wesentlich weniger als bei den Tierärzten. Hier lag der Anteil der Selbstständigen/Praktiker bei 49,3 % (n = 182) von 369 männlichen Teilnehmern der Befragung. An zweiter Stelle standen in beiden Geschlechtergruppen die Assistenzärzte/Referendare. Hier lag der Anteil der Frauen bei 24,2 % (n = 164) und der der Männer bei 28,5 % (n = 105). Ein großer Unterschied bei den Anteilen war in der Gruppe der Angestellten in Praxis/Klinik zu finden: 22,9 % der Frauen (n = 155) und nur 1,9 % der Männer (n = 7). Diese Verteilung der Anstellungsgruppen in beiden Geschlechtergruppen war signifikant unterschiedlich (pχ2 < 0,001).

Tab. 2 Vergleich der berufsbezogenen Daten nach Geschlechtern

Auf den Fachbereich der Kleintiere waren 55,0 % der untersuchten Tierärzteschaft spezialisiert (52,0 % Männer und 56,6 % Frauen). Die Gruppenverteilung der Fachbereiche in beiden Geschlechtergruppen war nicht signifikant (pχ2 = 0,092). Bei der Analyse des Arbeitsortes stellte sich heraus, dass ein etwas größerer Anteil der Befragten im ländlichen Bereich angesiedelt war (39,6 % vs. 33,6 % in Mittel‑/Kleinstadt bzw. 26,9 % in Großstadt). Es bestand keine signifikante Verteilung des Arbeitsortes innerhalb der Geschlechtergruppen (pχ2 = 0,343). Etwa drei Viertel der Befragten (Männer 75 % und Frauen 77 %) der TierärztInnen nahmen am Notdienst teil.

Bei den nichtselbstständigen TierärztInnen wurde zusätzlich die Arbeitszeit nach dem Arbeitsvertrag erfasst, die bei jedem zweiten Tierarzt im Bereich 30–40 h/Woche lag. Die tatsächliche Arbeitszeit bei Nichtselbstständigen lag bei 30–40 h/Woche. Bei 36,9 % betrug die wöchentliche Arbeitszeit 40–50 h und bei 15,2 % der Befragten > 50 h/Woche.

Während 266 Tierärztinnen (39,3 %) und 140 Tierärzte (39,7 %) nur teilweise ihren Leistungslohn gerecht und fair fanden, beurteilten hingegen 203 Tierärztinnen (30 %) und 118 (33,4 %) Tierärzte ihren Arbeitslohn als gerecht und fair (Tab. 3; pχ2 =0,362). 44,1 % bzw. 3,8 % der Männer und 44,4 % bzw. 42,8 % und 8,7 % der Frauen gaben an, sich in einer guten bzw. sehr guten wirtschaftlichen Lage zu befinden (pχ2 = 0,300).

Tab. 3 Vergleich der sozioökonomischen Daten nach Geschlechtern

Bei der Erfassung der arbeitsbezogenen Beanspruchungsfolgen durch die Irritationsskalen in dieser Stichprobe (Tab. 4) wurde ersichtlich, dass die Irritationsausprägungen zwischen den Geschlechtern keine signifikanten Unterschiede aufwies (pMann-Whitney-Test > 0,05) und sich oberhalb der Normwerte einordnen ließ (Normwerte: 4–6 Stanine). Tierärztinnen wiesen im Vergleich zu den männlichen Tiermedizinern einen etwas höheren Wert in allen Skalen auf.

Tab. 4 Vergleich der Irritationsausprägungen zwischen den Geschlechtern

Um sich einen besseren Überblick über die Irritationsausprägungen zu verschaffen, wurden die Angaben in 3 Ausprägungsdimensionen (unterdurchschnittlich, normal und überdurchschnittlich) unterteilt (Abb. 1). Über die Hälfte der männlichen und weiblichen Tierärzte wiesen überdurchschnittliche kognitive Irritation auf (Männern: 59,4 %; Frauen: 61,8 %). Etwa 34 % der Männer und Frauen hatten eine normale kognitive Ausprägung und nur 6,2 % der Männer und 4,3 % der Frauen eine unterdurchschnittliche Irritationsausprägung. 11,2 % der Männer und 9,0 % der Frauen hatten nach Auswertung der Angaben eine unterdurchschnittliche emotionale Irritationsausprägung. Bei 35 % der Tierärzte und 32 % der Tierärztinnen lagen die Ausprägungen des Gesamtindex im Normalbereich. Eine unterdurchschnittliche Irritationsausprägung zeigten nur 7,1 % der Männer und 6,8 % der Frauen auf.

Abb. 1
figure 1

Vergleich Irritationsausprägungen der beiden Geschlechtergruppen. KI Kognitive Irritation, EI emotionale Irritation, GI Gesamtindex

In Tab. 5 wird der Einfluss der möglichen Prädiktoren Geschlecht, Familienstand, Alter, Fachbereich und Anstellungsart auf den Irritations-Gesamtindex sowie seiner Subdimensionen kognitive und emotionale Irritation im multivariaten Modell dargestellt. Die einfaktorielle Varianzanalyse wies bei allen 3 Irritationsvariablen ein signifikantes Ergebnis auf (p < 0,05). Insgesamt zeigten die Variablen Fachbereich und Anstellungsart keine, die anderen drei allenfalls schwache Effekte.

Tab. 5 Ergebnis der multivariaten einfaktoriellen Varianzanalyse (ANOVA) und Vergleich der Irritationsausprägungen nach der Durchführung des Post-hoc-Tests nach Bonferroni (n = 1046)

Bei der Analyse der Zusammenhänge zwischen den tatsächlich geleisteten wöchentlichen Arbeitszeiten bei Nichtselbstständigen und den Irritationsskalen wurden signifikante Korrelationen festgestellt: zur kognitiven Irritation (Rho = 0,223 bei p < 0,001), zur emotionalen Irritation (Rho Irritation = 0,141 bei p < 0,001) sowie zum Gesamtindex Irritation (Rho = 0,181 bei p < 0,001). Mit der steigenden Anzahl an Überstunden wuchs die emotionale und kognitive Irritation und somit die (Fehl‑)Beanspruchung.

Diskussion

Die Irritationsskala dient der Erfassung arbeitsbedingter Beanspruchungsfolgen [20]. Die Stichprobe der befragten TierärztInnen wies hohe Werte kognitiver und emotionaler Irritation auf. Dies wurde nach der Berechnung des Gesamtindex nochmals deutlich, wobei die beiden Geschlechtergruppen in Bezug auf die einzelnen Skalen und den Gesamtindex vergleichbar sind. Die emotionale und kognitive Irritation in dieser Berufsgruppe scheint geschlechterunabhängig zu sein. Auch andere soziodemografische und berufsbezogene Variablen hatten kaum Einfluss auf die Ergebnisse.

In Bezug auf die untersuchten Prädiktoren zeigt das Alter einen signifikanten Einfluss auf alle 3 Irritationsmaße. Dies legt nahe, dass jüngere Personen möglicherweise eine höhere kognitive und emotionale Irritation erfahren als ältere Personen. Der Familienstand hat ebenfalls einen signifikanten Einfluss auf die kognitive und emotionale Irritation, wobei verheiratete Personen möglicherweise weniger Irritationserleben haben als unverheiratete Personen. Der Fachbereich scheint einen signifikanten Einfluss auf die emotionale und den Gesamtindex der Irritation zu haben. Dies deutet darauf hin, dass der Fachbereich, in dem eine Person tätig ist, Auswirkungen auf ihre emotionale Irritation und insgesamt auf ihre Irritationswahrnehmung haben kann. Dennoch muss festgestellt werden, dass nur relativ geringe Effekte zu verzeichnen sind, was darauf hindeutet, dass die hier untersuchten Prädiktoren nur einen kleinen Anteil der jeweiligen Irritationsskalen (und deren Varianz) erklären.

Bereits im Studium wurde bei Tiermedizinstudierenden eine subjektiv gesundheitsgefährdende Stressbelastung nachgewiesen. 37 % der Befragten schätzten im Fragebogen Burnout-Screening-Skalen (BOSS) ein, gestresst zu sein [8]. Die körperlichen und kognitiven Beschwerden lagen im signifikant erhöhten Bereich, wobei die emotionalen Beschwerden im unauffälligen Bereich waren. Ebenso wurden bei 54 % der Studierenden signifikant erniedrigte Ressourcenwerte ermittelt, die den Belastungen im Studium entgegenwirken könnten. Des Weiteren gaben 67 % der Teilnehmenden an, unter erhöhten Stress- und Beschwerdewerten in Bezug auf Studium zu leiden [8].

Die Arbeitszufriedenheit wurde in unserer Untersuchung nicht ermittelt. Dennoch zeigt sich, dass über 40 % der Männer (44,1 %) und Frauen (42,4 %) ihre wirtschaftliche Lage als gut empfinden. Bei der Auswertung der von uns durchgeführten Studie zu den Irritationsausprägungen fiel auf, dass im Vergleich mit anderen Studien am meisten Frauen von Belastungen betroffen sind und sich dadurch beanspruchter fühlten. 67 % der Tierärztinnen wiesen eine kognitive Irritation auf.

Shiragni et al. (2013) führten in ihrer Studie an, dass das psychische Wohlbefinden von Tierärztinnen kaum untersucht wurde. Innerhalb der Studie wurden Daten zur allgemeinen psychischen Gesundheit bei Tierärztinnen im Zusammenhang mit möglichen Auswirkungen von Arbeitszeiten und Kindererziehung erhoben. Aus der Studie geht zudem hervor, dass 37 % der befragten Tierärztinnen eine geringe psychische Belastung aufwiesen; es zeigt sich weiterhin, dass Frauen mit Kindern weniger Angstzustände und Depressionen aufweisen als Frauen, die keine Kinder haben. Längere Arbeitszeiten wurden bei Tierärztinnen mit erhöhter Angst und Depression in Verbindung gebracht [27]. Dass Frauen zu den vulnerablen Gruppen mit erhöhter Anfälligkeit für psychische Erkrankungen gehören, konnte durch das Pandemiegeschehen und die damit verbundenen Belastungen für die psychische Gesundheit durch u. a. Bäuerle et al. (2020) manifestiert werden. Dort zeigten vor allem Frauen mehr generalisierte Ängste als Männer (einschließlich höherer COVID-19-bezogener Ängste) sowie mehr Symptome einer Depression und mehr psychischen Distress [2]. Auch die Prävalenzen von Burnout und psychosozialen Arbeitsbelastungen sind bei chirurgisch tätigen Krankenhausärztinnen höher als bei Krankenhausärzten [17]. Dennoch lassen sich diese und andere geschlechterspezifischen Unterschiede nicht in jeder Berufsgruppe erkennen. So wurden bspw. bei Lehrkräften keine Geschlechtsunterschiede bei der Wahrnehmung der einzelner Belastungsfaktoren festgestellt [26].

Dennoch ist das geschlechterspezifische Ungleichgewicht bei psychischen Erkrankungen klar belegt. Die Gründe dafür sind vielfältig und können u. a. in der höheren Belastung durch Mehrfachrollen wie berufliche Verantwortung, Haushaltsführung, Kinderbetreuung und Pflege von Angehörigen gesehen werden, aber auch eine unausgewogene Work-Life-Balance und damit verbundene traditionelle Geschlechterrollen und kulturelle Erwartungen können dazu führen, dass Frauen mehr Verpflichtungen außerhalb des Arbeitsplatzes haben und weniger Unterstützung bei der Vereinbarkeit von Beruf und Familie erhalten. Die ungleiche Entlohnung von Frauen und Männern kann sich auch auf die Bewältigung von Belastungen auswirken, da ein Ungleichgewicht zwischen Anstrengung und Belohnung besteht (Effort-reward imbalance-Modell; [15]).

Eine Studie der Federation of Veterinarians of Europe (2015) zeigte, dass Tierärztinnen im Vergleich zu ihren männlichen Kollegen 28 % weniger verdienen [9]. Auch innerhalb des Anstellungsverhältnisses sind Unterschiede festzustellen. So verdienen niedergelassene Tierärzte fast doppelt so viel wie praktizierende angestellte Tierärzte, was sich zudem auf eine höhere Zufriedenheit hinsichtlich der Bezahlung bei der Gruppe der niedergelassen Tierärzte auswirkt [16]. Die Gruppe der angestellten TierärztInnen verdient generell im Vergleich zu den anderen tierärztlichen Anstellungsverhältnissen am wenigsten. Inwieweit es Zusammenhänge zwischen der Arbeitszeit, Gehalts‑, Arbeits- und Zufriedenheit konnte in einer Studie von Kersebohm et al. (2017) nicht eindeutig abgeleitet werden. Es konnte jedoch gezeigt werden, dass die Arbeitszufriedenheit die Lebenszufriedenheit der meisten Studienteilnehmenden beeinflusst [16]. Nach der Betrachtung der uns vorliegenden Daten, gaben die teilnehmenden TierärztInnen an (Männer 44,1 %, Frauen 42,4 %), sich in einer guten wirtschaftlichen Lage zu befinden. Nur 1,6 % der Männer und 0,9 % der Frauen gaben an, sich in einer schlechten wirtschaftlichen Situation zu befinden. In den Bezug auf die Frage, ob sie ihren Arbeitslohn fair und gerecht finden, gaben 39,7 % der Männer und 39,3 % der Frauen an, nur teilweise einen fairen und gerechten Arbeitslohn zu erhalten. Negativ ist anzumerken, dass 30,7 % der Frauen und 26,9 % der Männer finden, dass sie keinen fairen und gerechten Arbeitslohn erhalten. Dabei sollte beachtet werden, dass knapp die Hälfte der Männer Praxisinhaber sind. Nach wie vor gibt es Lohnunterschiede in vielen Berufsbereichen, auch zwischen den Geschlechtern [28]. Inwieweit jedoch gleiche und faire Bezahlung unter praktizierenden TierärztInnen unterschiedlicher Tierbereiche und Anstellung im Vergleich zu bspw. Verantwortung (PraxisinhaberInnen vs. Angestellte o. Ä.) besteht, muss künftig erforscht werden.

In der Literatur zeigte sich ein erhöhter Interventionsbedarf bei den Veterinärstudierenden. Hier sollten schon während des Studiums zusätzliche Kurse und Präventionsangebote stattfinden, um die Studierenden auf die Belastungen vorzubereiten und somit die (Fehl‑)Beanspruchungen zu vermeiden.

Beide Irritationssubskalen zeigten bei der hier befragten Tierärzteschaft positive Zusammenhänge zu den tatsächlich geleisteten wöchentlichen Arbeitszeiten bei Nichtselbstständigen. Knapp die Hälfte der TiermedizinerInnen arbeitet länger als die gesetzlich erlaubten Wochenstunden [16]. Ähnliche Ergebnisse wurden auch in der hier vorgestellten Stichprobe gefunden. Die tatsächliche Arbeitszeit bei Nichtselbstständigen lag bei 36,9 % um ca. 40–50 h/Woche und bei 15,2 % der Befragten > 50 h/Woche. Zwischen der Anzahl an Überstunden und der emotionalen und kognitiven Irritation bestehen positive Korrelationen. Das unterstreicht die Bedeutung, die schon Mohr und Rigotti beschrieben haben: Die Irritation kann zur Störung der Life-Domain-Balance beitragen [20]. Irritation ist als ein Indikator psychischer (Fehl‑)Beanspruchung infolge der Arbeitsbelastungen zu betrachten. Da dieser als Vorläufer weiterer gesundheitlicher Beeinträchtigungen gesehen wird, wird eine Gegenregulation im Sinne einer Prävention in dieser Berufsgruppe empfohlen.

Zunächst sollten jedoch die Grundlagen des gesetzlich geregelten Arbeitsschutzes eingefordert werden. In Deutschland gibt es 10.186 Tierarztpraxen, die größtenteils zu Kleinunternehmen gehören [7]. Zwar spielt der Arbeits- und Gesundheitsschutz bei Beschäftigten in Klein- und Kleinstunternehmen eine wichtige Rolle, dennoch ist das Wissen über gesetzliche Regelungen bei den Verantwortlichen gering [25]. Daher sollte der Fokus mehr auf Informationen und Unterstützung zu den Aktivitäten im Arbeits- und Gesundheitsschutz liegen. (Effektive) Gefährdungsbeurteilungen über die Arbeitsbelastungen sind verpflichtend durchzuführen (ab einem Mitarbeitenden), Maßnahmen abzuleiten und umzusetzen. Nachhaltigkeitskontrollen sind durchzuführen [6]. Explizit wird auch eine psychische Gefährdungsbeurteilung gefordert [6]. Dafür steht eine Vielzahl diverser Erhebungsmethoden für die subjektive und/oder objektive Beanspruchungsanalyse zur Verfügung [3]. Nach Ermittlung der Gefährdungen sollten diese nach dem TOP-Prinzip reduziert oder sogar beseitigt werden. Technische und organisatorische Schutzmaßnahmen stehen dabei im Vordergrund, anschließend bedarf es persönlicher Schutzmaßnahmen [5]. Auch durch notwendige Maßnahmenergreifung im Rahmen der psychischen Gefährdungsbeurteilung ist es möglich, Arbeitsplätze zu optimieren und gesund gestalten und somit Gesundheit und Wohlbefinden bei der Arbeit langfristig verbessern. Beschäftigte sollten dabei mit einbezogen werden.

Diverse Studien deuten darauf hin, dass sich psychische Erkrankungen bei Männern und Frauen auf unterschiedliche Weise manifestieren und dass sie möglicherweise differenzierte Behandlungsansätze erfordern [10]. Geschlechterspezifische Unterschiede können sich auf biologische, soziale und kulturelle Faktoren zurückführen lassen, die das Risiko für psychische Störungen beeinflussen können. Indem wir die geschlechterspezifischen Unterschiede in der psychischen Gesundheit verstehen, können wir maßgeschneiderte Präventions- und Interventionsstrategien entwickeln, um gezielte Unterstützung und Behandlung anzubieten. Darüber hinaus kann die Forschung zu geschlechterspezifischen Unterschieden auch dazu beitragen, bestehende geschlechterbezogene Ungleichheiten in der psychischen Gesundheit anzusprechen und zu verringern, indem sie die Aufmerksamkeit auf spezifische Bedürfnisse und Herausforderungen lenkt, mit denen Männer, Frauen und Personen anderer Geschlechter konfrontiert sind.

Der Tierarztberuf spielt eine entscheidende Rolle im Wohlergehen und der Gesundheit von Tieren. Um sicherzustellen, dass Tierärzte ihre Aufgaben effektiv erfüllen können, ist es wichtig, bestimmte Strukturen und Rahmenbedingungen zu überdenken und anzupassen. Das kann u. a. eine Verbesserung der Balance zwischen Arbeit und Freizeit durch eine Einführung von flexibleren Arbeitszeitmodellen und die Begrenzung der Arbeitsstunden sein. Eine Überprüfung der Entlohnungsstrukturen und -richtlinien, einschließlich der Berücksichtigung von Fachkenntnissen und Erfahrung, könnte dazu beitragen, finanzielle Anreize für TierärztInnen zu schaffen. Dies könnte qualifizierte TierärztInnen anziehen und im Beruf halten.

Limitationen der Studie

Limitationen dieser Studie sind das querschnittliche Design und die Subjektivität der Ergebnisse aufgrund der Selbstbeurteilung der teilnehmenden TierärztInnen. Die Studie hebt zwar die Relevanz von arbeitsbezogenen Belastungsfaktoren und deren Auswirkungen auf die psychisch-gesundheitliche Situation von TierärztInnen hervor, dennoch konnten keine psychosozialen Arbeitsmerkmale, wie die Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben, die Interaktion mit Tierbesitzern, Aspekte der Euthanasie, der Umgang mit schlechtem Wohlergehen von Tieren, Kundenbeschwerden oder Bereitschaftsdienste als weitere Stressoren innerhalb dieser Erhebung berücksichtigt werden.

Aufgrund der fehlenden Vergleichbarkeit mit Ergebnissen andere Berufsgruppen fehlt die notwendige Zuordnung der Ergebnisse bzw. das Kontrollgruppendesign. Diese begrenzte Datenlage zu den Irritationsskalen kann wiederum als Stärke dieser Studienergebnisse angesehen werden.

Letztendlich muss die Repräsentativität der Studie auf nationaler und internationaler Ebene betrachtet werden. Aufgrund der Stichprobengröße (n = 1046) und der Geschlechterverteilung ist eine gewisse Repräsentativität für die Population der TierärztInnen in Deutschland im Vergleich zu kleineren Stichproben gegeben. Nach der Statistik der Bundestierärztekammer (2022) waren im Jahr 2021 insgesamt 32.930 TierärztInnen in Deutschland tätig [7]. Sowohl die Grundgesamtheit der aktiv praktizierenden TierärztInnen in Deutschland als auch die Stichprobe dieser Studie weisen ein vergleichbares Geschlechterverhältnis auf. Im Rahmen der Online-Befragung wurden 677 (64,7 %) weibliche und 369 (35,3 %) männliche Tierärzte erfasst. In Deutschland sind im Jahr 2021 22.689 weibliche (68,9 %) und 10.241 männliche (31,1 %) tierärztlich tätigen Personen registriert [7]. Auf internationaler Ebene kann die Repräsentativität aufgrund von Unterschieden in den Arbeitsbedingungen variieren.

Fazit für die Praxis

  • Die frühzeitige Identifizierung von psychischen Fehlbeanspruchungen kann das Risiko weiterer psychischer Erkrankungen im veterinärmedizinischen Beruf mindern.

  • Die Erfassung der kognitiven und emotionalen Irritation von Tierärzten konnte zusätzliche Informationen zur Beanspruchungslage liefern.

  • Es müssen weitere Erhebungen erfolgen, um die Einflussfaktoren auf die Irritation detaillierter zu analysieren.

  • Präventions- und Interventionsprogramme sollten bereits früh im Berufsleben oder vorab in den Universitäten angeboten werden.

  • Rollenspezifische Aspekte der tierärztlichen Arbeit sollten berücksichtigt werden, da diese Auswirkungen auf das Wohlbefinden von Tierärzten haben.