Aktuell liegt unser Land der Dichter bei innovativen Patenten qualitativ und quantitativ pro Kopf an der Weltspitze. Gleichzeitig geht bei uns seit Jahrzehnten die „German angst“ vor der elektronischen Erfassung, Verarbeitung und Analyse von Informationen um. Künstliche Intelligenz (KI) steht hier oft eher für künstliche Angst und damit auch für den konsekutiven Verlust des Anschlusses an den Fortschritt anderer wirtschaftlich starker Länder. Je nach Betrachtungsweise sind wir sogar bereits im Nachteil gegenüber einigen industriellen Schwellenländern (Abb. 1).

Abb. 1
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Aus dem Bericht einer Testpraxis mit dem seit Februar 2022 dort eingeführten E‑Rezept. Je nach Betrachtungsweise sind wir sogar bereits im Nachteil gegenüber einigen industriellen Schwellenländern. – Als QR-Code-Beispiel dazu rechts jener, der zum Aufruf von Wikipedia mit der Abbildung des eigenen QR-Codes führt. URL: https://de.wikipedia.org/wiki/QR-Code#/media/Datei:QR_deWP.svg – Abruf: 5. Jan. 2023, 10:35 Uhr – CC0 1.0 Universal (CC0 1.0) Public Domain Dedication. URL: https://creativecommons.org/publicdomain/zero/1.0/deed.en – Abruf: 5. Jan. 2023, 10:48 Uhr – Univ.-Prof. Dr. Andreas J. W. Goldschmidt

Ist die multimediale Präsenz von Politikern neben scheinbar innovativen Lastenfahrrädern und Ähnlichem für die Erreichung der selbstgesetzten Ziele möglicherweise vorteilhafter als die Darstellung neben einer durch KI und Robotik assistierten Operation oder neben einer durch Pflege-Roboter ermöglichten Entlastung des Gesundheitspersonals? Damit überhaupt eine Vision von digitaler Zukunft entsteht, sind unendlich viel Geduld und Fleiß von Wissenschaft und Wirtschaft zur Stärkung politischer Entscheidungsprozesse erforderlich. Vorzeigbare Ergebnisse sind die Medizininformatik-Initiative (MII) des Bundesforschungsministeriums (BMBF) seit 2015 [25] und das Krankenhauszukunftsgesetz (KHZG von 2020) unter Jens Spahn als Bundesgesundheitsminister) [9]. Ist das jetzt endlich der dringend notwendige große Wurf? Oder ist das erst die elektronische Patientenakte (ePA), die unter Karl Lauterbach als Bundesgesundheitsminister vielleicht bis 2024 endlich Wirklichkeit werden soll?

Historische Fehlentwicklungen zum Nachteil der Gesundheitsversorgung in Deutschland

Um den Stand sowie die Chancen und Risiken für die Zukunft der Digitalisierung und der Forschung dazu im Bereich der Krankenhausversorgung als Kernbereich der Gesundheitswirtschaft verstehen zu können, muss man einen Blick auf einige bisherige Entwicklungen der wirtschaftlichen und politischen Rahmen- und Randbedingungen in Deutschland werfen. Vor allem deshalb, um jahrzehntelange Fehler nicht zu wiederholen.

Pharmafortschritt trifft auf Forschungsfolgen, Ideologie vs. Logik und Managementversagen (Hybris)

„Bashing“ ist der neudeutsche Begriff, der heute meist für Übergriffe durch verbale Anfeindungen steht, die bevorzugt über neue und alte Medien von Facebook, Twitter & Co. bis hin zu den verbliebenen gedruckten Zeitungen und Journalen verbreitet werden. Die Pharmabranche, einer der wenigen Pioniere und zumindest in Teilen noch verbliebenen innovativen Pfeiler der deutschen Wirtschaft, kennt das „Pharmabashing“ seit Jahrzehnten. Einer der Gründe, warum mit der ehemaligen Hoechst AG einer der namhaftesten Produzenten Deutschland verließ bzw. von einem Konkurrenten aus Frankreich gekauft und nach der Fusion mit Rhone-Poulenc zu Aventis im Wesentlichen dorthin verlagert wurde [30]. Neben den politisch herausfordernden Rahmenbedingungen auf nationaler und schließlich auch auf EU-Ebene kamen in der Pharmabrache allerdings auch unangenehm ausgeprägte Management-Hybris und -Fehler, ethisch grenzwertige Preisgestaltung, Korruption im Vertrieb sowie extrem umweltfeindliche, gesundheitsgefährdende Produktionsmethoden hinzu. Über Forschungsfolgenabschätzungen hatte man sich bis zu diesem Zeitpunkt noch viel zu wenig Gedanken gemacht. Als Supergau und eine der größten Umweltkatastrophen in Europa mit Giftwolke und Fischsterben durch die Rhein-Verschmutzung bis hin zur Loreley erlangte schließlich der Sandoz-Chemieunfall nach dem Großbrand der Schweizerhalle in Basel am 1. Nov. 1986 unrühmliche Berühmtheit. Das Unternehmen Novartis, in dem Sandoz und dessen Konkurrent Ciba-Geigy schließlich aufgingen, beschrieb 20 Jahre später bzw. 2006 die Situation wie folgt: „Im Rhein wurde der Fischbestand fast völlig zerstört.“ Der öffentliche Druck führte letztlich zu weiteren Auflagen für die Chemie- und Pharmaproduzenten und zu einer heilsamen Rheinsanierung [11].

Markenausverkauf sowie wirtschaftliches und politisches Missmanagement in der Elektroindustrie und IT

Ähnliche, anfangs aber oft weniger auffällige Managemententscheidungen und politische Ursachen wie im Falle der Hoechst AG, führten auch zur Erosion großer deutscher Marken in der Elektroindustrie wie Telefunken, Grundig und vielen anderen mehr mit einigen namhaften Ablegern in der Medizintechnik. Siemens gilt als einer der letzten Grundpfeiler dieser Branche, der aber bereits 2005 seine Mobilfunksparte an den taiwanesischen Konzern BenQ verkaufte und 2013 auch sein Telekom-Geschäft an den finnischen Konzern Nokia veräußerte [10, 29]. Für den Fortschritt des Standorts Deutschland in dieser aufstrebenden Schlüsseltechnologie eine Katastrophe. Aufgrund der Entscheidung des damaligen Postministers Schwarz-Schilling für die flächendeckende Verlegung von Kupferkabel wurde der Glasfaserausbau in Deutschland für Jahrzehnte ausgebremst [3]. Mit Stand Ende 2021 nur 19,9 % Glasfaserleitungen bis zu einem Netzabschluss‑/Übergabepunkt im Keller eines Gebäudes („fiber to the building“, FTTB) liegt Deutschland im Bereich der Versorgung mit digitalen Netzwerk- und Telefondiensten um mehr als 25 % unter dem Durchschnitt der EU-Mitgliedstaaten; und wiederum nur ein Drittel der in Deutschland mit einem Glasfaseranschluss versorgten Haushalte haben einen Nutzungsvertrag ihres Gigabitanschlusses mit einem Netzbetreiber [21].

Lange, viel zu lang wurde nach dem Beginn des Netzausbaus über rechtliche Fragen und technische Details debattiert wie Datensicherheitserwägungen, Zugriffsberechtigungen zur Verhinderung von Datenmissbrauch, Dokumentationsinhalte (Versichertendaten, E‑Rezept, EU-KV-Karte, Notfallinformationen u. v. a. m.), zentrale vs. dezentrale Speicherung sowie Trustcenter für die Sicherheitszertifikate. Es war also früh erkennbar, dass die vorgenannten Konzepte und Überlegungen an verschiedenen Stellen noch vielerlei Unschärfen aufwiesen und Unwägbarkeiten zu Problemen führen könnten. Der Aufbau einer Informations‑, Kommunikations- und Sicherheitsinfrastruktur für den Einsatz von Telematik im Gesundheitswesen erstickte schließlich mehr oder weniger an den rechtlich-politischen und bürokratischen Hürden, den Widerständen in der Ärzteschaft und den stets von den Anbietern auf ihre Proprietät bedachten, technisch daher oft nicht interoperablen Entwicklungen. Hinzu kam wie bereits beschrieben das Desaster, veraltete Kupferdrahtkabel statt Glasfaser zu verlegen.

Ausgangssituation im Gesundheitswesen

Erste Modellversuche (Projektname „bIT4health“, bessere IT für bessere Gesundheit) mit der elektronischen Gesundheitskarte (eGK) sollten laut Planungen des Bundesministeriums für Gesundheit und Soziale Sicherung (BMGS) noch 2005, spätestens aber zum 1. Januar 2006 beginnen und bereits im gleichen Jahr abgeschlossen werden. Mit der eGK sollte als entscheidendem Baustein eine dazu gehörige allgemeine Telematikinfrastruktur innerhalb kürzester Zeit aufgebaut werden, maximal aber im Zeitraum weniger Jahre. Alle damals 72 Mio. gesetzlich Krankenversicherten sollten die eGK erhalten. Insgesamt sah die Telematik-Infrastruktur aber die Vernetzung von 80 Mio. Versicherten bei 300 gesetzlichen Krankenkassen einschließlich 8 Mio. Privatversicherten mit 130.000 Arztpraxen, 2200 Krankenhäusern, 20.000 Apotheken, 54.000 Zahnärzten und anderen Heilberufen vor, die pro Jahr 560 Mio. Behandlungsfälle bzw. Patientenkontakte hatten und 740 Mio. Verordnungen ausstellten (jeweils Stand 2005 gerundete Zahlenangaben; Abb. 2; [23]).

Abb. 2
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Positive Effekte der geplanten elektronischen Patientenakte und Telematikinfrastruktur in Deutschland aus Sicht des Jahres 2004. (Eigene Originalabbildung aus dem Vortrag: Goldschmidt AJW: eGK und Rahmenarchitektur als IT- und QM-Schlüsseltechnologie integrierter Versorgung. GMDS-Symposium Gesundheitsmanagement. 49. GMDS-Jahrestagung, Innsbruck, 30.09.2004) Univ.-Prof. Dr. Andreas J. W. Goldschmidt

Die Corona-Krise hat in aller Deutlichkeit die Digitalisierungslücke im Gesundheitssystem aufgedeckt und gezeigt, dass digitalisierte Medizinprozesse eine Versorgung unter Pandemiebedingungen sicherer und effektiver machen könnten. Andererseits ist absehbar, dass in einer pandemiefreien Situation durch Digitalisierung die medizinische Versorgung kostengünstiger und qualifizierter erbracht, knappe Ressourcen (Ärzte, Pflege) effektiver genutzt und die Versorgungssektoren enger verzahnt werden könnten.

Versorgungsengpässe bei Medizinprodukten, insbesondere Produkten der persönlichen Schutzausrüstung, sind weniger durch objektive Fehlmengen zustande gekommen, sondern waren eher die Konsequenz mangelhafter Informationen über den objektiven Bedarf in den Krankenhäusern und der zeitpunktbezogenen Lieferfähigkeit von Handel und Herstellern. Eine digitale Plattformlösung fehlte.

Auch die Patientenversorgung im niedergelassenen Bereich und in der Notfallversorgung war während der Pandemie aufgrund fehlender digital basierter medizinischer Leistungsangebote mit Qualitätseinschränkungen verbunden. Auch Patientenportale mit Symptom-Checker-Funktionalität, gesundheitsspezifische Messenger-Dienste, Video-Kommunikationsinfrastruktur zwecks virtueller Hausarztvisite und Home-Health-Versorgungsoptionen standen nicht zur Verfügung.

Dass die Arbeitsbelastung von Ärzten und Pflegekräften durch Dokumentations- und Verwaltungsaufgaben bereits vor Ausbruch der Pandemie bis zu 4 h der täglichen Arbeitszeit ausmachte und eine Arbeitsentlastung durch digitale IT-Anwendungssysteme seit Jahren versäumt wurde, beeinträchtigte die Arbeit am Patienten während der Pandemie zusätzlich [22].

Die Pandemiesituation hat schließlich vor Augen geführt, welche bedrohlichen Effekte von einer Überbetonung des Datenschutzes ausgehen. Wenn exzessiver Datenschutz höhere Priorität genießt als die gezielte zeitnahe Nachverfolgung von Infektionsketten, wenn Datenschutz den Aufbau eines Impf- und Testregisters verhindert und wenn die Kernfunktionalität einer Corona-Warn-App auf dem Altar des Datenschutzes geopfert wird, dann hat sich eine Diskussion über die Digitalisierung von Gesundheitsämtern und die Qualitätseffekte von Impfregistern, elektronischen Patientenakten und Warn-Apps erledigt – mit allen negativen Konsequenzen für eine bedarfsgerechte und wirtschaftliche Gesundheitsversorgung [15].

Die Digitalisierungslücke, d. h. der im internationalen Vergleich extrem niedrige digitale Reifegrad deutscher medizinischer Leistungsanbieter (Details dazu später im Absatz „Zwischenbericht des ‚Digitalradar Krankenhaus‘ Stand 2021“), erwies sich als Hindernis auf dem Weg zur Etablierung einer pandemiegerechten Organisation für ein effektives Infektionsmanagement (Corona-App-Desaster) ebenso wie für eine plattformgesteuerte Versorgungslogistik für systemkritische Produkte zum Abgleich von Produktverfügbarkeit und Bedarf.

Das Fehlen telemedizinischer Dienste, von Plattformen für virtuelle Arztbesuche, von Tele-Monitoring-Optionen zur Betreuung von Patienten im häuslichen Bereich und von Diagnose- und Therapie-unterstützenden Smartphone-Apps [17] führte (aus Angst vor einer Corona-Infektion) zu einem teilweise bedenklichen Rückgang von Patientenzahlen in Praxen, Krankenhäusern und Notaufnahmen [26]. Die medizinischen Spätfolgen und volkswirtschaftlichen Kosten unterlassener Vorsorgeuntersuchungen bei Brustkrebs-Screening (−83 %), Hautkrebs-Screening (−70 %) und diagnostischen Koloskopien sowie die Konsequenzen des Rückgangs ambulanter Behandlungsfälle (−23 %) lassen sich nur erahnen.

Aufbruch in die digitale Zukunft ab 2020

Treffend beschreibt daher die Ärztegewerkschaft Marburger Bund Ende 2022 in einem Perspektivpapier zum „Krankenhaus der Zukunft“, dass die Rahmenbedingungen für eine sektorenübergreifende Nutzung von Patientendaten endlich geschaffen werden müssen. „Ein Wechsel eines Patienten vom ambulanten in den stationären Versorgungsbereich führt immer noch zu Doppeluntersuchungen, weil die Schnittstellen zwischen den Bereichen nicht funktionieren. Mit der sinnvollen Durchlässigkeit der Daten würden Zeitkapazitäten eingespart bzw. freigesetzt, die für die Versorgung dringend benötigt werden.“ Ärztinnen und Ärzte würden im Durchschnitt immer noch 3 h pro Tag mit bürokratischen Tätigkeiten verbringen. Daher sei mehr Zeit für ärztliche Tätigkeit am Patienten seit Jahren der Wunsch von Ärztinnen und Ärzte und – angesichts der anstehenden Versorgungsprobleme – auch das Gebot der Stunde. Als weitere Wünsche werden telemedizinische Anwendungen oder Telekonsile genannt. „Der Übergang von der Praxis in die Klinik und zurück muss optimiert werden. Die elektronische Patientenakte kann hierbei eine wichtige Rolle spielen, um redundante Untersuchungen zu vermeiden und den jeweils behandelnden Ärztinnen und Ärzten alle zur Verfügbarkeit stehenden Gesundheitsdaten bereitzustellen.“ [27].

Chancen und Förderprogramme

Welch eine Chance nun für die Digitalisierung der Krankenhäuser. Auf der Homepage des Bundesgesundheitsministeriums heißt es zum KHZG: „Mit einem Investitionsprogramm verschafft [Anm.: der ehemalige] Bundesgesundheitsminister Jens Spahn den Krankenhäusern ein digitales Update. Der Bund wird ab dem 1. Januar 2021 3 Mrd. € bereitstellen, damit Krankenhäuser in moderne Notfallkapazitäten, die Digitalisierung und ihre IT-Sicherheit investieren können. Die Länder sollen weitere Investitionsmittel von 1,3 Mrd. € aufbringen. Mit dem Gesetz wird das durch die Koalition am 3. Juni 2020 beschlossene ‚Zukunftsprogramm Krankenhäuser‘ umgesetzt. Am 29. Oktober 2020 ist das KHZG in Kraft getreten.“ [6]. Diese summa summarum 4,3-Mrd.-Euro-Spritze des Krankenhauszukunftsfonds (KHZF) soll also die Ausstattung der Kliniken verbessern und vor allem deren Digitalisierung beschleunigen oder überhaupt erst ermöglichen. Viele Krankenhäuser konnten über die zugehörigen Bundesländer bis Ende des Jahres 2021 Förderanträge einreichen. In zwei Podiumsdiskussionen namhafter Gesundheitswirtschaftsveranstaltungen stellten maßgebliche Entscheider und deren IT-Partner u. a. einige der eingereichten Förderanträge vor und diskutierten Chancen, Risiken sowie Fallstricke.

Status quo 2021/2022

Der digitale Reifegrad

Parallel zur Förderung wurde der Stand und soll in Zukunft dann auch der Fortschritt der Krankenhausdigitalisierung durch ein Experten-Konsortium evaluiert werden, um den Nutzen im Rahmen der Förderung im Vergleich zur gegenwärtigen Situation bewerten zu können, konkret den Unterschied innerhalb von 2 Jahren bzw. zwischen den beiden Beobachtungszeitpunkten 30. Juni 2021 und 30. Juni 2023. Das zugehörige Messinstrument zur Feststellung der digitalen Reife der deutschen Krankenhäuser entwickelte das Konsortium selbst. Es beinhaltet einen eigenen Digital-Radar-Score (DR-Score) mit Merkmalsausprägungen zwischen 0 für „nicht digitalisiert“ und 100 für „voll digitalisiert“. Zur initialen Bestimmung des digitalen Reifegrades im Rahmen einer bundesweiten Analyse durch das Konsortium gehörte bei der individuellen Antragstellung auch eine entsprechende Selbsteinschätzung durch die betreffende Einrichtung. Die Selbsteinschätzung untergliederte sich in die 7 Dimensionen (a) Strukturen und Systeme, (b) Resilienz-Management und Performanz, (c) organisatorische Steuerung und Datenmanagement, (d) klinische Prozesse, (e) Telehealth, (f) Informationsaustausch sowie (g) Patientenpartizipation. Nach Angaben des Konsortiums beteiligten sich 1624 Häuser bzw. 91 % aller Plankrankenhäuser an der 234 Fragen umfassenden Selbsteinschätzung.

Anträge für förderfähige Vorhaben

Die meisten Anträge betrafen die Fördervorhaben Behandlungsdokumentation (1532 bzw. 95 % der Krankenhäuser), Patientenportale (1274 bzw. 79 %) und digitales Medikationsmanagement (1097 bzw. 68 %; [12]). Insgesamt sind 11 vorgegebene Vorhaben förderfähig [8]. In Diskussionen mit Antragstellern in verschiedenen Kongressveranstaltungen zeigte sich, dass die betroffenen Bundesländer die notwendige Frist in den meisten Fällen eingehalten hätten. Beispiel Rheinland-Pfalz: Hier stehen 200 Mio. € aus dem Krankenhauszukunftsfonds (KHZF) zur Verfügung, davon 140 Mio. € vom Bund und 60 Mio. € vom Land. Eine exemplarische Anfrage beim Ministerium für Wissenschaft und Gesundheit Rheinland-Pfalz ergab, dass fast alle Krankenhäuser des Landes Mittel aus dem KHZF beantragten und „dass zum 02.09.2021 bereits 85 % aller Anträge aus Rheinland-Pfalz beim Bundesamt für Soziale Sicherung (BAS) eingereicht wurden und der erste Bewilligungsbescheid des BAS bereits am 13.09.2021 erfolgte. Von insgesamt 268 Projektanträgen standen zum 19.09.2022 nur noch 27 Entscheidungen des BAS aus (voraussichtlich 2 Bewilligungen, eine Teilbewilligung und 24 Ablehnungen), alle anderen Anträge wurden bereits seitens des BAS bewilligt und auf dieser Basis auch von Seiten des Landes. Das Mittelabrufverfahren läuft in RP seit 04.05.2022. Der Abruf ist in 3 Raten pro Maßnahme möglich und zwar bei 35 %, 85 % und 100 % Kostenfälligkeit. Aufgrund der straffen Verfahrensdurchführung des Landes Rheinland-Pfalz wurden nach den Informationen aus dem Nachweisverfahren (Stand 01.04.2022) bereits zahlreiche KHZF-Projekte (schätzungsweise rund 100) von KH in RP gestartet. Vor dem Hintergrund eines SWR-Aktuell-Berichts kurz zuvor bzw. am 14.09.2022 um 9:00 Uhr, dass RLP bei der Digitalisierung im Gesundheitswesen schlecht abschneide, war die Notwendigkeit dieser schnellen Vorgehensweise besonders gut nachvollziehbar [31].

Zwischenbericht des „Digitalradar Krankenhaus“ Stand 2021

Aus dem Zwischenbericht des „Digitalradar Krankenhaus“ [1] durch das Konsortium im Auftrag des Bundesgesundheitsministeriums (BMG) geht schließlich hervor, dass der Grad der Digitalisierung deutscher Krankenhäuser zum ersten Messzeitpunkt am 30. Juni 2021 international im Mittelfeld liege. Der durchschnittliche DR-Score aller teilnehmenden Häuser liege bei 33,3 bzw. bei einem Median von 30,0. Die durchschnittlichen anteiligen Bruttolohnkosten für eine Vollzeit-IT-Fachkraft hätten Stand 2020 bei ca. 1385 € pro Planbett gelegen. Die Bettenzahl korreliere dabei mit einem höheren DR-Score, d. h. sogenannte Grundversorger hätten nur einen mittleren DR-Score von 30,2 und Maximalversorger einen von 41,1. Als Schlüsselfaktor wurde ein „ausbaufähiger“ Internetanschluss oder gar fehlender Breitbandanschluss genannt (Abb. 3).

Abb. 3
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Gemäß Zwischenbericht des „Digitalradar Krankenhaus“ durch das Konsortium im Auftrag des Bundesgesundheitsministeriums (BMG) lag der Grad der Digitalisierung deutscher Krankenhäuser zum ersten Messzeitpunkt am 30. Juni 2021 bei einem durchschnittlichen DR-Score aller teilnehmenden Häuser von 33,3 bzw. bei einem Median von 30,0 Punkten. Bei 70 % der Teilnehmer lag der Wert zwischen 23 und 44. (Eigene Abbildung gemäß Pressebericht zu [1])

Mangelhafte Digitalisierung laut MB-Monitor Stand 2022

Der Marburger Bund untermauert in seiner Mitgliederumfrage zum aktuellen „MB-Report“ für das Jahr 2022 eine mangelhafte Digitalisierung zur Unterstützung der ärztlichen Gesundheitsversorgung anhand folgender Ergebnisse: Zwei Drittel aller Befragten seien „eher unzufrieden“ bzw. „unzufrieden“ mit der IT-Ausstattung an ihrem Arbeitsplatz (66 %). „Sehr zufrieden“ bzw. „eher zufrieden“ wären nur ein Drittel aller Befragten (34 %). Ärztliche Anforderungen würden bei der Anschaffung neuer Software häufig nicht berücksichtigt (45 % nein vs. 20 % ja). Schulungen für IT-gestützte Abläufe kämen so gut wie nicht vor (74 % nein vs. 18 % ja). Datenschutz sei 84 % wichtig (vs. 15 %). Die Hälfte der Befragten gäbe an, dass Mehrfacheingaben identischer Daten „gelegentlich“ vorkämen, bei rund einem Drittel (32 %) sei das sogar „häufig“ der Fall, bei 18 % „selten“ (Abb. 4; [28]).

Abb. 4
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Zwei Drittel aller Befragten des Marburger Bundes waren in seiner Mitgliederumfrage zum aktuellen „MB-Report“ für das Jahr 2022 „unzufrieden“ bzw. „eher unzufrieden“ mit der IT-Ausstattung an ihrem ärztlichen Arbeitsplatz (24 % + 42 %). „Eher zufrieden“ bzw. „sehr zufrieden“ war nur ein Drittel aller Befragten (31 % + 3 %). (Eigene Grafik gemäß Daten aus [28])

Nachholbedarf beim digitalen Medikationsmanagement und E‑Rezept

In Krankenhäusern sind zwischen 19 und 35 % aller Fehlerereignisse mit einer patientenschädigenden Wirkung auf Arzneimittelirrtümer zurückzuführen. Etwa 15.000 Patienten versterben jährlich in deutschen Krankenhäusern als Folge eines Arzneimittelfehlers. Etwa 14 % der durchschnittlichen Verweildauer ist durch ungeplante Arzneimittelwirkungen (UAW) begründet. Unabhängig von gesundheitlichen Beeinträchtigungen und spürbaren Einschränkungen des Wohlbefindens für betroffene Patienten bewirkt jeder nichtfatale Medikationsirrtum im Durchschnitt ca. 3000 € zusätzliche Kosten [13].

Der Prozess der Medikamentenversorgung von der Medikamentenanamnese bei Aufnahme bis zur Medikationsempfehlung bei Entlassung ist ein komplexer, stark arbeitsteiliger Prozess mit einer Vielzahl von Fehlermöglichkeiten. Zwischen 26 % und 44 % der Fehler im Medikationsprozess treten bei Tätigkeiten auf, an denen die Pflege in erheblichem Maß beteiligt ist (Richten, Ausgeben, Stellen der Medikation; [5]).

Allein angesichts der Tatsache, dass pro Jahr Tausende von Patienten an teilweise vermeidbaren Neben- oder Wechselwirkungen sterben, wird klar, warum gut zwei Drittel aller Anträge die Verbesserung des digitalen Medikationsmanagements beinhalten. In vielen Krankenhäusern könnte die Arzneimittelgabe durch elektronische Unterstützung optimiert werden („closed-loop medication“), wie nicht zuletzt auch ein Praxisprojekt zur Arzneimitteltherapiesicherheit (AMTS) an der Universität Trier im Jahr 2017 zeigte [24], welches sich u. a. an den Erfahrungen der Apotheke im Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) orientierte [2]. Dabei sind aus heutiger Sicht der Status quo zur AMTS im stationären Bereich, die daraus abgeleitet notwendige digitale Anbindung der Krankenhäuser zur Patientenüberleitung mit den ambulant tätigen Arztpraxen und deren praktische Erfahrungen mit dem E‑Rezept besonders erschreckend.

In dem Bericht einer Testpraxis mit dem seit Februar 2022 dort eingeführten E‑Rezept heißt es u. a., dass fast alle Patienten keine E‑Rezept-App wollten. Die App sei für fast niemanden eine Option. „Sie ist ein Rohrkrepierer“, auch weil die notwendige PIN zur Freischaltung durch die Krankenkassen nur nach Identifizierung über das umständliche und aufwändige Postident-Verfahren zu erhalten sei. Der Hausarzt druckt also nun statt des Rezepts die QR-Codes aus, mit denen seine Patienten dann zur Apotheke gehen. Fortschritt? Ein Weg, den jeder Arzt beschreiben müsse, der mit dem E‑Rezept arbeite. „99 % wollen diesen Zettel!“ [4].

Nutzenpotenziale eines elektronischen Medikationsmanagements

Vor diesem Hintergrund ist es nachvollziehbar, dass gut zwei Drittel der KHZG-Anträge die Verbesserung des digitalen Medikationsmanagements betreffen. Bis 2025 sind die Krankenhäuser verpflichtet, die Medikationsversorgung nach dem Closed-Loop-Prinzip zu organisieren und eine robotikbasierte Unit-Dose-Versorgung zu realisieren. Bei nicht zeitgerechter Realisierung stehen Strafzahlungen zur Diskussion.

Unabhängig von dem engen Zeitrahmen, der für diese aufwändige Reorganisation noch verfügbar ist, sind die Anschaffungs- und Folgekosten einer Unit-Dose-Versorgung in Kombination mit robotikbasierten Ausgabesystemen für viele kleine und mittlere Krankenhäuser im Verhältnis zu alternativen und ebenso sicherheitswirksamen Organisationsformen der Arzneimittelversorgung sehr hoch. Außerdem werden über Unit Dose nur orale Arzneimittel erfasst, nicht dagegen Injektabilia (deren Bedeutung im klinischen Alltag zunimmt), Ampullen, Fertigspritzen und Salben sowie vom Patienten selbst mitgebrachte Medikamente zur Behandlung einer (chronischen) Krankheit, die unabhängig vom akuten Krankenhausaufenthalt behandlungspflichtig ist. Auch diese Arzneimittel (z. B. Therapie bei multipler Sklerose) müssen (gekühlt und sicher) verwahrt werden, und ihre Gabe ist in den Therapieplan zu integrieren.

Insbesondere in amerikanischen, englischen und niederländischen Krankenhäusern werden „elektronische Versorgungsschranksysteme“ (EVS; „Smart Cabinets“, „Automated Dispensing Machines“) eingesetzt, um Medikationsirrtümer zu vermeiden, und damit insbesondere die Pflegekräfte auf Station zu entlasten. Krankenhäuser, die dieses System eingeführt haben, berichten von deutlich weniger Medikationsfehlern in Verbindung mit einer hohen Akzeptanz durch das Pflegepersonal sowie einem Rückgang der Rate an ungeplanten Arzneimittelwirkungen von 3,5 auf 0,5 pro 1000 Patienten [15].

Für Krankenhäuser der Schwerpunkt- und Maximalversorgung, die eine eigene Apotheke betreiben, ist daher eine Kombination von robotikunterstützter Unit-Dose-Versorgung und Smart Cabinets zur Herrichtung einer patientenindividuellen therapeutischen Unit Dose, bestehend aus oralen und nichtoralen Arzneimitteln, zu empfehlen. Die Sicherheit des Medikationsprozesses wird zusätzlich erhöht, wenn das Matching zwischen Patient und Medikation durch Einsatz von Barcode- oder RFID-Komponenten digital abgesichert wird.

Für kleinere Krankenhäuser der Grund- und Regelversorgung, die über eine Lieferapotheke versorgt werden und für die eine Kombinationslösung aus Robotiksystemen zur Herstellung von Unit Doses in der Apotheke und EVS auf Station zu kostenintensiv wäre, lässt sich mit Smart Cabinets eine Prozessorganisation nach dem Prinzip „Closed-Loop-Administration“ zu überschaubaren Kosten sicherstellen. In Abb. 5 ist eine Versorgungsorganisation dargestellt, die eine Kombination aus zentralem Unit Dose-Konzept und dezentralen Smart Cabinets repräsentiert. Damit wird deutlich, dass die Smart Cabinets das Rückgrat einer digital gestützten Medikationsversorgung in einem Closed-Loop-System der Komplettversorgung (Tabletten, Injektabilia, Ampullen etc.) darstellen.

Abb. 5
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Elektronischer Verteilungsschrank (Medikamente) – Smart Cabinets sind ein wichtiges Element in einem digital unterstützten Medikationsmanagement, das nach den Closed-Loop- und Unit-Dose-Prinzipien organisiert ist. (Nach [14])

Quo vadis Krankenhausdigitalisierung ab 2023?

Kaum ein anderer Bereich im Gesundheitswesen besitzt so viel Potenzial zur Steigerung der Prozesseffizienz, zur Verbesserung von medizinischer Qualität sowie Patientensicherheit und letztlich zur Erreichung eines nachhaltigen wirtschaftlichen Erfolgs wie der Bereich der Digitalisierung. Insbesondere Anwendungen in den Bereichen Qualitätssicherung, Arzneimittelsicherheit, Wissensmanagement, Operationsmanagement, Supply-Chain-Management und Precision Medicine tragen zur Prozesseffizienz bei.

Die Ziele der Digitalisierung sind herausfordernd: Verbesserung von Patienten-Outcome, Patientensicherheit und medizinischer Qualität bei gleichzeitig sinkenden Kosten durch Bürokratieabbau und Prozessoptimierung. Weiterhin wird ein spürbarer Beitrag zur Behebung des Fachkräftemangels erwartet. Erfolgreiche Digitalisierung setzt voraus, dass die Arbeits‑, Informations- und Entscheidungsprozesse im Medizinbetrieb grundlegend reorganisiert werden. Neue Versorgungsformen von der telemedizinischen Diagnose via Smartphone über die digitale Visite, das Patienten-Monitorings zuhause, die patientenindividuelle Anfertigung von Hüftimplantaten im 3D-Drucker bis hin zwecks Gensequenzierung zur Frühdiagnostik schwerwiegender Erkrankungen werden im Zuge der Digitalisierung möglich.

Digitale Behandlungsplattformen mit virtueller Arztkonsultation (Abb. 6) bewirken Kontaktreduktionen in einer Pandemiesituation, vereinfachen die Dokumentations- und Abrechnungsprozesse, ermöglichen zeitlich parallele Zweitmeinungsabrufe, nutzen knappe Arztressourcen effizienter aus und erhöhen die Verfügbarkeit medizinischer Leistungen in der Fläche [16].

Abb. 6
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Die digitale Visite bzw. der digitale Arztbesuch ermöglichen eine qualifizierte Gesundheitsversorgung auch in Pandemiezeiten mit strengen Kontaktrestriktionen. Das Arzt-Patienten-Verhältnis und Zusammenarbeitsformen zwischen den Berufsgruppen ändern sich grundlegend. (Nach [15])

Dies alles geht einher mit massiven Veränderungen der Organisation klinischer Prozesse, von Zusammenarbeitsformen und Kommunikationsanforderungen. Auch das Arzt-Patienten-Verhältnis wird sich grundlegend wandeln: Die Medizin kommt zum Patienten und Behandlungsentscheidungen werden nach dem Prinzip des „informierten Einverständnisses“ getroffen.

Digitalisierung ist vor diesem Hintergrund nicht nur eine strategische und operative Management-Aufgabe, sondern insbesondere auch eine Herausforderung für die Mitarbeitenden. Hier ist Führung gefordert, den Prozess der Digitalisierung durch ein professionelles Change Management zu steuern.

Künstliche Intelligenz (KI) mit den Datenverarbeitungskonzepten Deep Learning und Machine Learning erlangen zunehmend Bedeutung in der Medizin. Erfolgreiche Anwendungsbeispiele sind bereits jetzt die Vorhersage optimaler Therapiezeitpunkte bei altersbedingter Makuladegeneration, die Auswahl geeigneter Antibiotika bei MRGN-Keimen, die Befundungspräzision bei bildgebenden Verfahren und die Vorhersage von Toxizität und Bioverfügbarkeit neu entwickelter Arzneimittel sowie die Anwendung von „augmented reality technology“ bei Operationen [16].

In Pandemiezeiten sind insbesondere KI-Anwendungen gefragt, die Ferndiagnosen ohne direkten Arzt-Patient-Kontakt ermöglichen oder Körperkontakte und direkte Begegnungen vermeiden oder zumindest reduzieren.

Hautkrebsdiagnosen lassen sich per Smart-Phone-Foto durch eine KI-Software wesentlich präziser durchführen (Detektionsrate 95 %) als durch einen Dermatologen (Detektionsrate 86 %; [18]). Das vom Patienten selbst oder von einem Hausarzt aufgenommene Foto wird via Teleinfrastruktur zum Facharzt übertragen und KI-gestützt befundet. Eine spezielle App sichert eine korrekte Ausrichtung der Smartphone-Kamera, so dass die richtige Bildauflösung, der richtige Bildausschnitt und die richtige Entfernung getroffen werden. Mittels KI-Software wird die Wahrscheinlichkeit des Vorliegens eines malignen Melanoms ermittelt. Priorisierte Risikofälle werden unverzüglich dem Spezialisten vorgestellt. Dieses Verfahren erspart den Patienten lange Wartezeiten auf Termine bei überlasteten Spezialisten und lange Anfahrzeiten. In Pandemiezeiten bleibt dem Patienten der Kontakt in der Arztpraxis erspart. Andererseits wird die begrenzte Kapazität von Fachspezialisten nicht durch Bagatellfälle beansprucht: In etwa 80 % der Fälle erweisen sich verdächtige Hautveränderungen als harmlos [19].

KI-basierte Thermographie ermöglicht die Erkennung von Brustkrebs im frühestmöglichen Stadium ohne Körperkontakt zum Gerät und ohne Direktkontakt zwischen Arzt und Patientin [14]. Dieses Verfahren eignet sich in Pandemiezeiten zur Sicherstellung der regelhaften Durchführung von Screening-Programmen.

Telemedizin-Roboter/Visiten-Roboter ermöglichen Arztkonsultationen ohne physische Präsenz des Arztes im Patientenzimmer. Diese Organisationsform der ärztlichen Versorgung ermöglicht in Nicht-Pandemiezeiten ein bestmögliches Ausnutzen begrenzter Facharztkapazität und macht diese Kapazität auch in der Fläche über telemedizinische Netze verfügbar. In Pandemiezeiten ist der Teleroboter ein Instrument des Infektionsschutzes auf Isolierstationen. Der Visitenroboter erlaubt eine multiprofessionelle telemedizinische Konsultation, an der auch Hausärzte, Physiotherapeuten und Reha-Mediziner beteiligt werden. Nachweise für die Effizienz und Effektivität dieser Technologie erbrachte das Innovationsfondsprojekt ERIC (Enhanced Recovery after Intensive Care) unter Federführung der Charité. Ziel ist es, evidenzbasiertes Wissen über die optimale Behandlung von Beatmungspatienten in unterschiedlichen Kliniken zu etablieren, um die Langzeitfolgen beatmeter Intensivpatienten (Post-Intensive-Care-Syndrom) zu verhindern [20].

Das Krankenhauszukunftsgesetz (KHZG)

Unabhängig von allen in den vorangegangenen Ausführungen dargelegten Nebengeräuschen zum KHZG kann man festhalten, dass diese Initiative, auch durch die finanziellen Anreize der Förderung bedingt, dem deutschen Gesundheitswesen Schubkraft auf dem Weg zur wettbewerbsfähigen Digitalisierung gegeben hat. Schubkraft bedeutet aber nur eine Vorwärtsbewegung und beschreibt nicht, ob diese zielgenau ausgerichtet ist. Im Folgenden wird genau dieser Frage nachgegangen, wie der Wirkungsgrad des KHZG in Bezug auf dessen definierte Ziele zu sehen ist.

Immer wieder wird im Kontext des KHZG auf verbesserte medizinische Qualität und optimierbare Wirtschaftlichkeit hingewiesen. Mit Verweis auf die verschiedenen Fördertatbestände und deren Auflagen (Muss-Kriterien) verweist man dann auf erreichbare medizinische und ökonomische Potenziale. Zumindest an der Formulierung der einzelnen Fördertatbestände kann man zunächst keine Kritik üben, solange man nicht auf folgende Aspekte fokussiert:

Kritische Aspekte der Fördertatbestände (FTB) im KHZG:

  • keine Gesamtsicht auf Prozessarchitektur und Workflow-Management,

  • undifferenzierte Abbildung der Fördertatbestände auf verschiedene Krankenhaustypen,

  • globale FTB-Sollauflagen für alle Krankenhaustypen,

  • Entscheidungsunterstützung ohne Organisationsrahmen,

  • Reifegradmessung als rein zeitpunktbezogene Sichtweise,

  • KHZG-Kontextkosten.

Prozessarchitektur und Workflow-Management

Wenn man die Fördertatbestände betrachtet, dann betreffen diese definierte Aufgabengebiete, die eine sicherlich notwendige und zukunftsorientierte Digitalisierung erhalten sollen. Innerhalb dieser Aufgabengebiete soll durch definierte Digitalisierungsmaßnahmen erreicht werden, dass die medizinische Versorgung und die ökonomischen Rahmenbedingungen verbessert werden. Zunächst einmal ist dies sinnvoll und auch zielführend, dass man über einen FTB ein solches Maßnahmenbündel der Digitalisierung definiert, damit die Häuser klare Vorgaben und Regeln für die Umsetzung bestimmter FTB an die Hand bekommen. Doch die Problematik liegt nicht in den einzelnen Fördertatbeständen, sondern sie liegt in der jeweils hausspezifisch notwendigen Prozessarchitektur, welche als Ganzes vom kooperativen Zusammenspiel jener (und nur jener) Fördertatbestände abhängig ist, die im erforderlichen Workflow für die Prozessarchitektur notwendig sind. Speziell aber in Bezug auf die von der Geschäftsführung definierte Prozessarchitektur geht das KHZG eigentlich nicht ein. Vielmehr wird versucht, das Thema mit simplifizierten Aussagen zu notwendigen standardisierten Schnittstellen und Daten auszublenden. Mit den Muss-Vorgaben zu Datenstandards und Schnittstellen in fast allen relevanten Fördertatbeständen glaubt man, dem Thema der Prozessarchitektur auszuweichen. Die Digitalisierungsstrategie verliert mit dieser Vorgehensweise deutlich an Schlagkraft, da die gesamtunternehmerischen Sichten des Krankenhauses ausgeblendet werden. Zwar helfen die Fördertatbestände der partiellen Optimierung in einzelnen Themen- und Aufgabengebieten, doch das Ganze im Sinne einer 4.0-Strategie geht verloren. Digitale Bruchstellen im Workflow und damit im Prozessgeschehen beseitigt man nicht durch Insellösungen. Digitalisierung ist leider keine Geschäftsidee, sondern vielmehr ein Instrument zur Unterstützung der Prozessarchitektur eines Hauses.

Undifferenzierte Abbildung der Fördertatbestände auf verschiedene Krankenhaustypen

Nachfolgend ergibt sich ein weiterer wichtiger Aspekt. Es gibt nämlich nicht die Prozessarchitektur aller Krankenhäuser, sondern es gibt immer nur die spezifische Prozessarchitektur, die vom Krankenhaustyp am Standort, der medizinischen Vielfalt der Fächerbreite und letztlich der verfügbaren und finanzierten Ressourcen abhängig ist. Selbstverständlich kann sich die Prozessarchitektur durch neue Werkzeugoptionen ändern, aber auch in der optional innovativen Prozessumgebung bleibt die Digitalisierung immer nur Werkzeug. Ausgehend von diesen Überlegungen hätte man die Fördertatbestände kategorisieren müssen. Lässt man die Fördertatbestände 1 (Gerätemodernisierung) und 11 (bauliche Maßnahmen mit Ausstattung für spezielle Patientenzimmer) außen vor, dann wäre es klug gewesen, das Angebot an Fördertatbeständen zunächst nach Versorgungsklassen zu differenzieren. Man hätte für kleine und mittlere Krankenhäuser die Fördertatbestände 3 (Dokumentation des Behandlungsgeschehens) und 5 (Medikationsgeschehen) verbindlich machen müssen, um zunächst alle Lücken der Dokumentation am Point of Care zu schließen. Damit würde die Vollständigkeit der Versorgungsdaten garantiert, was für die Sichtweise auf den Patienten und seine Behandlung elementar ist. Auch die Nutzung neuer Technologien wie Tablets (iPad oder ähnliche Geräte) wären hier wünschenswert. Daneben wäre die verbindliche Vorgabe des Fördertatbestandes 5 (Medikation) wichtig, um die bereits ausgeführten Probleme mit der Medikation zu lösen.

Globale FTB-Sollauflagen in allen Fördertatbeständen

Was sich jedoch für die Geschwindigkeit oder generelle Durchführung von Projekten gemäß Fördertatbestand 3 (Primärsysteme wie KIS/KAS/etc.) bzw. 5 (Medikation) als schwierig darstellt, ist die Muss-Auflage der infrastrukturellen bzw. semantischen Datenstandardisierung eben auch in diesen Fördertatbeständen. Warum muss man denn auch dort unbedingt den Weg zur digitalen Erschließung der Versorgungsdokumentation mit solch hochkomplexen Auflagen zur Standardisierung erschweren? Da in allen Fördertatbeständen dieses Thema der Standardisierung mitschwingt, wäre es doch sinnvoll, unabhängig von den Anbietern der Primärsysteme wie KIS/KAS (Krankenhausinformationssystem/klinisches Arbeitsplatzsystem), dieses Thema als eigenständige Projektförderung zu definieren. Damit wäre die Umsetzung der FTB 3 und 5 wesentlich effizienter, da auch die Lösungsanbieter nicht auf Release-Anpassungen warten müssten. Der Aufbau einer hausweiten Datenstandardisierungsstrategie, herausgelöst aus den einzelnen Fördertatbeständen, wäre der weit bessere Weg, der sich prozesslogisch an die Finalisierung der FTB 3 und 5 anschließen könnte. Ferner wäre dann mit einer unternehmensweiten Datenkonsolidierung und Datenstandardisierung auch der Weg für ein effizientes Portal frei. Dieses Portal verlangt nämlich hausintern einen Datenankerplatz, mit dem bidirektional Daten ausgetauscht werden können, was ja für den intersektoralen Datenverkehr jeder Art unabdingbar ist. Das betrifft auch Optionen auf den Fördertatbestand 4, dessen Antragsförderung aber auf vielen Rahmenbedingungen beruhen, die im KHZG nicht einmal erwähnt sind.

Entscheidungsunterstützung ohne Organisationsrahmen

Natürlich verlangt das Thema Entscheidungsunterstützung, dass man mit Datenstandards des eigenen Hauses an der Daten-Verbundwelt teilhaben kann. Aber diese Voraussetzung ist bei Weitem nicht ausreichend. Will man an Verbundlösungen zur Entscheidungsunterstützung teilnehmen, dann bedingt dies, dass der Patient mit der Verwendung seiner Daten im Verbundvorhaben einverstanden ist. Somit sind wir bei den organisatorischen Voraussetzungen im Sinne von „broad consent“, Datenschutz, Ethik-Kommission und Treuhandstelle. Diese Themen sind komplex, aufwendig und nur schwer in die Kommunikationsstruktur der Häuser einzubinden. In Universitätskliniken wird dieses Thema im Rahmen der Medizininformatik-Initiative gerade umgesetzt. Für kleine und mittlere Krankenhäuser ist dieses Thema weder fachlich noch ressourcentechnisch zu stemmen. Im KHZG fehlt zu dieser Problematik jeder Verweis oder jegliche Fördermöglichkeit.

Reifegradmessung als rein zeitpunktbezogene Sichtweise

Es ist eine weitgehende Ironie, wenn bei der Messung des digitalen Reifegrades alle Krankenhäuser ungleicher Versorgungsstufen, ungleicher Ressourcenausstattung und letztlich ungleicher Geschäftsziele zu einem Zeitpunkt nicht differenziert behandelt werden. Hier gewinnt man den Eindruck einer indirekten Marktbereinigung. Wenn nicht bereits initial der Digitalisierungserfolg zwischen Startpunkt und Messpunkt ermittelt wird, was erst nach der Förderphase erfolgen kann, dann ist das kleinere oder mittlere Krankenhaus immer in der Position des Verlierers. Die Ausrichtung des Reifegrades an den Muss-Vorgaben der Fördertatbestände schreibt eine fehlende Balance zwischen Krankenhaustyp und digitaler Erwartungshaltung fort. Hier muss man die Politik auffordern, ihrer ordnungspolitischen Verpflichtung im Gesundheitswesen nachzukommen und die Gesamtproblematik KHZ nach zu justieren.

KHZG-Kontextkosten

Das KHZG und seine Fördergelder sind sicherlich ein richtiger Weg, um die Krankenhäuser auf dem Weg zur Digitalisierung zu entlasten. Wenn allerdings die oft versprochenen und erwarteten Ersparnisse der Digitalisierung im Raum stehen, dann fragt man sich, ob die Verfasser solcher Erwartungen noch Realitätsnähe besitzen. Die Vorteile des umgesetzten KHZG sind bei aller Kritik noch deutlich. Man sollte aber stets bedenken, dass der digitale Betrieb neuer Strukturen und Verfahren auf Dauer erhebliche Infrastruktur- und Personalkosten mit sich bringen. Natürlich lassen sich Ersparnisse in unglaublicher Höhe fiktiv berechnen, wenn man die Kontextkosten der Digitalisierung vernachlässigt. Auch hierzu muss daher das KHZG mit Augenmaß beurteilt werden.

Kommt 2024 wirklich die ePA?

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach hat Anfang März 2023 noch Vorschläge für ein weiteres Gesetzespaket unterbreitet, dass der elektronischen Patientenakte (ePA) nach nun etwa 20 Jahren den Weg bahnen soll [7]. Sie soll demnach bis Ende 2024 für alle gesetzlich Versicherten eingerichtet werden – es sei denn, jemand lehnt das aktiv ab (Widerspruchsregelung, bzw. wer nicht ausdrücklich widerspricht, ist nach dem „opt-out principle“ automatisch dabei). Dadurch sollen für alle behandelnden Ärztinnen und Ärzte sowie die Patientinnen und Patienten möglichst sämtliche Befunde, Röntgenbilder und Medikationen einsehbar sein. In diesem Zusammenhang soll auch das E‑Rezept ab 2024 zum verbindlichen Standard werden. Gesetzlich geregelt werden soll zudem die Nutzung von anonymisierten Patientendaten für die Forschung. Ziel des BMG ist es, dass bis 2025 etwa 80 % der gesetzlich Versicherten eine ePA haben.

Spagat Datenschutz und Datensicherheit

Medizinische Laborbefunde und Bilder sind, wie alle sonstigen biometrischen Daten und Gesundheitsinformationen, hochsensible Daten, die aus gutem Grund besonders geschützt werden müssen. Da reicht es nicht, dass die europäische Datenschutz-Grundverordnung (DS-GVO) für die meisten persönlichen Daten Information und Einwilligung vorschreiben. Neben den Hauptrisiken für den weiteren Fortschritt bei der Digitalisierung des Gesundheitswesens wie Fachkräftemangel, unzureichende Finanzierung und Infrastrukturdefiziten (Netzausbau etc.) besteht die größte Gefahr durch Cybercrime, z. B. durch unberechtigte oder missbräuchliche Zugriffe oder die nichtautorisierte Weitergabe von personenbezogenen medizinischen Informationen, durch Schadcode manipulierte Befunde und sonstige fehlerhafte oder verfälschte Daten und Informationen bis hin zu Erpressungen ganzer Einrichtungen durch Hacker. Datenschutzbedenken sind daher grundsätzlich sehr ernst zu nehmen. Es ist eine ebenso ernsthafte Forschungsfolgenforschung sowie eine weiter intensivierte Begleitforschung und Entwicklung von Methoden, Instrumenten sowie konsekutiven Hard- und Softwarelösungen für Datenschutz und -sicherheit und gegen Cybercrime erforderlich: Aufbau einer Informations‑, Kommunikations- und Sicherheits-Infrastruktur für den Einsatz von Telematik im Gesundheitswesen. Einerseits möglichst ohne dass durch Kriminalität wichtige digitale Fortschritte im Gesundheitswesen und die Nutzung von Daten für die medizinische Forschung behindert und z. T. sogar zerstört werden. Und andererseits auch unabdingbar so, dass wir an den Gesetzen und Schutzmaßnahmen nicht ersticken bzw. die hochgesteckten Ziele und Erwartungen dadurch nicht konterkarieret werden.

Fazit und Ausblick

Der Nachholbedarf für die Digitalisierung des Gesundheitswesens ist also nach wie vor sehr groß. Es bleibt zu hoffen, dass sich diese Situation durch die Umsetzung der Fördertatbestände des Krankenhauszukunftsgesetzes (KHZG) nachhaltig ändert. Die Herausforderung liegt auch in der jeweils hausspezifisch notwendigen Prozessarchitektur, die vom Zusammenwirken der Fördertatbestände untereinander abhängig ist. Eine funktionierende, leistungsfähige und gut gesicherte Telematikinfrastruktur würde darüber hinaus im Zusammenspiel mit der elektronischen Patientenakte (ePA) eine qualitativ sehr viel bessere Behandlung ermöglichen. Solch eine IT ist aber nicht umsonst zu haben. Am Ende wird es schließlich auch darauf ankommen, dass die zusätzlichen Investitions- und Vorhaltekosten für die Krankenhäuser, Apotheken und niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte übernommen werden. Unsere Nachbarn in den Niederlanden und Dänemark hatten dafür eine klare Gesundheitsversorgungsstrategie: Sie investierten sehr umfangreich nicht nur in große neue zentrale Krankenhäuser und neue Mobilitätskonzepte mit massiv verstärkten Rettungsdiensten, sondern auch in die gesamte Digitalisierung nebst einer funktionierenden Telematik-Infrastruktur sowie in ausgefeilte Personalentwicklungskonzepte für die vorhandenen sowie für die neuen Fachkräfte.