Hintergrund: Prävalenz muskuloskelettaler Erkrankungen

Der Begriff muskuloskelettale Erkrankungen (MSE) umfasst alle Verletzungen und Störungen, die das Muskel-Skelett-System betreffen, das heißt Muskeln, Sehnen, Knochen, Knorpel, Gefäßsystem, Bänder und Nerven [22]. Entstehen diese Erkrankungen des Bewegungsapparates oder verschlimmern sie sich durch die berufliche Tätigkeit und die Umstände ihrer Ausführung, handelt es sich um arbeitsbedingte muskuloskelettale Erkrankungen [22].

Muskuloskelettale Erkrankungen sind weltweit die häufigste Ursache für Schmerzen und Beeinträchtigungen der körperlichen Leistungsfähigkeit [20, 52]. Die Lebensqualität von Betroffenen weltweit wird dadurch immens eingeschränkt [11, 45, 47]. Unter MSE fallen circa 200 Erkrankungen, die in folgende Kategorien eingeteilt werden: degenerative Gelenkerkrankungen (z. B. Arthrose), entzündliche Gelenkerkrankungen (z. B. rheumatoide Arthritis) und Skeletterkrankungen (z. B. Osteoporose; [18]). Engel et al. [11] haben zusätzlich Rückenschmerzen und Weichteilrheuma als eigene Kategorien differenziert. In der „Global Burden of Disease“-Studie aus dem Jahre 2019 unterscheiden die Autoren folgende 5 Erkrankungen: rheumatoide Arthritis, Osteoarthritis, Gicht, Schmerzen des unteren Rückens und Nackenschmerzen. Alle weiteren Erkrankungen fassen sie unter „weitere MSE“ (z. B. Autoimmun- und Gelenkerkrankungen; Erkrankungen des Muskel‑, Bänder- und Sehnenapparates) zusammen [2]. Dabei leiden im weltweiten Vergleich die meisten Menschen an Schmerzen des unteren Rückens mit 568 Mio. Fällen (37,52 % Anteil an MSE) und Osteoarthritis (528 Mio., 34,84 % Anteil an MSE), gefolgt von Nackenschmerzen mit 223 Mio. Fällen (14,7 % Anteil an MSE). Darüber hinaus ist die Zahl an muskuloskelettal bedingten Arbeitsausfällen von 1990 bis 2019 weltweit um insgesamt 63 % gestiegen [7]. Während Erkrankungen des unteren Rückens und Nackens Steigerungen von 47 % bzw. 79 % zeigten, hat sich die Prävalenz von Osteoarthritis, rheumatoider Arthritis und Gicht seit 1990 mehr als verdoppelt [7].

Zusammenfassend sind Rücken- und Nackenschmerzen sowie Osteoarthritis die am häufigsten auftretenden Muskel-Skelett-Erkrankungen. Die Auswirkungen sind dabei nicht rein körperlicher Natur, sondern haben ebenfalls einen maßgeblichen Einfluss auf die Lebensqualität und das Wohlbefinden. Darüber hinaus ist neben der hohen Prävalenz auch der Zuwachs über die letzten Jahrzehnte alarmierend, wobei an dieser Stelle der generelle Anstieg der Weltbevölkerung berücksichtigt werden sollte.

Arbeitsbedingte Fehlbeanspruchungen des Muskel-Skelett-Systems führen primär zu Muskelverspannungen, können aber im weiteren Verlauf zu degenerativen Erkrankungen, also Abnutzungserscheinungen, wie beispielsweise Degenerationen der Hals- und Lendenwirbelsäule und der Gelenke der oberen und unteren Extremitäten (z. B. Arthrosen) führen oder auch die Entstehung akuter Verletzungen (Arbeitsunfälle) begünstigen [54, 55]. Des Weiteren reagieren Muskeln und andere Strukturen (Sehnen, Bänder, Menisken und Schleimbeutel) auf statische oder wiederholte Dauerbelastung [35]. Diese Degenerationen führen häufig zu Schmerzen des Muskel-Skelett-Systems. In einer europaweiten Studie zu arbeitsbedingten MSE sind 35,4 % der Befragten der Meinung, dass ihre Arbeit ihre Gesundheit beeinflusst. Weiter gaben 24,7 % an, unter Rückenschmerzen zu leiden und 22,8 % klagen über Muskelschmerzen [46].

Etwa jeder vierte Berufstätige (27,4 %) im Alter von 40–54 Jahren in Europa klagt über Rückenschmerzen. Aber nicht nur die ältere Bevölkerung ist betroffen; bei den unter 25-Jährigen leiden 17,7 % an Rückenschmerzen [46]. In einer weiteren Befragung mit 20.000 Teilnehmenden gaben 46,3 % der Befragten an, Rückenschmerzen zu haben. Eine noch höhere Prävalenz mit 49,5 % wurde im Schulter- und Nackenbereich ermittelt. Schmerzen in Hüften (13,8 %), Knien (22,3 %) und allgemein in Beinen und Füßen (20,4 %) wurden im Vergleich seltener genannt [37].

Schmerzen und MSE der unteren Extremitäten sollten trotz geringerem Auftreten nicht vernachlässigt werden. Sie stehen den Beschwerden des Rückens und der oberen Extremitäten in der Wichtigkeit in nichts nach. Nichtsdestotrotz finden sie in der Literatur eher wenig Beachtung, was auch Hartmann [22] in seinem Bericht kritisiert.

Allgemeine und berufsbezogene Risikofaktoren muskuloskelettaler Erkrankungen

Das allgemeine Risiko für muskuloskelettale Erkrankungen wird vor allem durch drei nichtmodifizierbare Faktoren beeinflusst: Alter, Geschlecht und genetische Faktoren [11, 42]. Dabei ist die Entstehung oft multifaktoriell bedingt, das heißt, dass häufig mehr als ein Risikofaktor vorliegt. Mody und Brooks [41] haben Risikofaktoren und mögliche, daraus resultierende MSE zusammengefasst (Tab. 1).

Tab. 1 Allgemeine Risikofaktoren muskuloskelettaler Erkrankungen. (Mod. nach [25])

Im Hinblick auf die zuvor erwähnten Risikofaktoren soll nun das Geschlecht etwas genauer betrachtet werden: Frauen sind häufiger von MSE betroffen als Männer [18, 33, 45]. 50,1 % der Frauen und 33,9 % der Männer zwischen 50 und 79 Jahren leiden an mindestens einer der Krankheiten Osteoporose, Arthrose oder rheumatoide Arthritis [18]. Frauen sind bspw. anfälliger für chronische Schmerzen im unteren Rücken und den oberen Extremitäten, auf Grund von hormonellen und reproduktiven Faktoren, wie Einnahme der Pille oder Schwangerschaften [57]. Des Weiteren kann das weibliche muskuloskelettale System im Vergleich zu dem der Männer im Durchschnitt nur etwa zwei Drittel der Kraft ausüben. Der Körper von Frauen ist somit bei gleicher Arbeit in der Regel höheren Beanspruchungen ausgesetzt [21]. Mit zunehmendem Alter vermindert sich auch die Belastbarkeit des gesunden Skelettsystems, wobei diese Unterschiede im Vergleich zur interindividuellen Variabilität geringer ausfallen. Dagegen vermindert sich die isometrische Maximalkraft, insbesondere des Hand-Arm-Systems erst vermehrt nach dem 50. Lebensjahr, wobei die Kraftausdauer speziell bei isometrischen und rhythmischen Kontraktionen verhältnismäßig langsamer abnimmt, während die dynamische Kraftausdauer bereits ab dem 40. Lebensjahr merklich sinkt [49].

Verschiedene Risikofaktoren können für die Entstehung von MSE im betrieblichen Umfeld verantwortlich sein. So können biomechanische Beanspruchungen durch körperliche Anforderungen, die Einwirkung physikalischer, Veränderungen in der Arbeitsorganisation oder psychosoziale Faktoren ursächlich sein. Insbesondere biomechanische Fehlbeanspruchungen der Muskulatur, Bänder, Sehnen, Sehnenansätze, der Gelenke und Gelenkstrukturen nehmen eine wichtige Rolle ein. Diese muss nicht zwangsweise durch hohe physische Belastungen auf den Stütz- und Bewegungsapparat entstehen, sondern kann ihre Ursache ebenfalls in einer unzureichenden Beanspruchung oder Unterforderung haben. Allerdings liegen keine Studien zur Verteilung der Ursachen von Arbeitsunfähigkeitstagen bezüglich beruflicher und nichtberuflicher Anteile vor. Jedoch konnte ein Zusammenhang zwischen physischen Belastungen und Muskel-Skelett-Erkrankungen durch systematische Reviews belegt werden [4, 8]. Hierzu hat das NIOSH (National Institute for Occupational Safety and Health) 1997 unter dem Titel „Musculoskeletal Disorders and workplace Factors – A critical review of epidemiologic evidence for work-related musculoskeletal disorders of the neck, upper extremity, and low back“ das bis dato umfassendste epidemiologische Review zu arbeitsbezogenen Muskel-Skelett-Erkrankungen veröffentlicht [4]. Es prüft die Evidenz physikalischer Risikofaktoren für das Auftreten von Muskel-Skelett-Erkrankungen mit Ausnahme der unteren Extremitäten. 2010 wurde durch da Costa und Vieira die Studie aktualisiert und um die untere Extremitäten erweitert [8]. Die Ergebnisse dieses Reviews sind in Tab. 2 zusammengefasst.

Tab. 2 Evidenz für den Zusammenhang von physischen Risikofaktoren und dem Auftreten von Muskel-Skelett-Erkrankungen. (Mod. nach [8], Übersetzung aus MEGAPHYS Band 1 (2019) [39])

Die bisherigen Ergebnisse zum Zusammenhang physikalischer Risikofaktoren und MSE zeigen nur eine begrenzte Evidenz (Tab. 2), da derartige Reviews nur solche Beziehungen darstellen können, für die qualitativ hochwertige Primärstudien vorliegen. Aufgrund des komplexen Ursachengeflechts von MSE sind derartige Erkenntnisse zurzeit noch nicht gegeben [39]. Wie Tab. 2 zeigt, gab es für keinen Belastungsfaktor eine gute Evidenz für das Auftreten von MSE. Allerdings zeigten die physischen Belastungsarten „Zwangshaltungen“, „schwere körperliche Arbeit“ und „Heben von Lasten“ immerhin eine mäßige Evidenz für das Auftreten von MSE im unteren Rücken.

Im Projekt MEGAPHYS wurden hierzu 6 Grundtypen körperlicher Belastungsarten definiert (Tab. 3), die sich aus spezifischen physiologisch-biomechanischen Beanspruchungskonstellationen des Muskel-Skelett-Systems ergeben und die Grundlage für die Bestimmung arbeitsplatzbezogener Risikofaktoren darstellen [34].

Tab. 3 Übersichtstabelle zu den körperlichen Belastungsarten. (Mod. nach [34])

Veränderungen in der Arbeitsorganisation, wie die Gestaltung von Arbeitsinhalten, psychosoziale Faktoren wie soziale Strukturen, Entwicklungsmöglichkeiten im Unternehmen sowie das Führungsverhalten können die Progredienz von arbeitsbedingten MSE begünstigen.

Des Weiteren sind arbeitsbedingte MSE auch multifaktoriell bedingt. Neben den Einflüssen durch die Arbeit sind auch die grundsätzlichen Risikofaktoren – wie beispielsweise Alter, Geschlecht oder Körpergewicht [35] – bedeutend. Zusätzlich sollten psychosoziale Faktoren, wie das Arbeiten unter Stress und Zeitdruck, das Fehlen von sozialer Unterstützung sowie Unzufriedenheit mit der Tätigkeit, berücksichtigt werden [18]. Durch eine Diskrepanz zwischen den körperlichen Voraussetzungen der Arbeitnehmer/innen und den Ansprüchen an die körperliche Arbeit können Überlastungen und Verletzungen des Muskel-Skelett-Systems resultieren [37].

Was bei vielen Betroffenen mit leichten Schmerzen des Muskel-Skelett-Systems anfängt, kann häufig zu chronischen Erkrankungen führen [5, 35]. Die Folgen belasten nicht nur die Betroffenen ein Leben lang, sondern verursachen zudem immense Kosten für das Gesundheitssystem.

Methoden zur Bestimmung arbeitsplatzbezogener Risikofaktoren

Im deutschsprachigen Raum wird die Arbeitsmedizinische Regel (AMR) 13.2 als wesentlicher Maßstab zur Beurteilung arbeitsplatzbezogener Risiken körperlicher Belastung angeführt [34]. Im Zuge neuer arbeitswissenschaftlicher und arbeitsmedizinischer Erkenntnisse durch das multizentrische und mehrjährige MEGAPHYS-Projekt (mehrstufige Gefährdungsanalyse physischer Belastungen am Arbeitsplatz; [39, 40]) erfolgte die Neufassung der AMR 13.2 im Februar 2022. Danach sind Arbeitgeber/innen verpflichtet, arbeitsmedizinische Vorsorge anzubieten, wenn „Tätigkeiten mit wesentlich erhöhten körperlichen Belastungen mit Gesundheitsgefährdungen für das Muskel-Skelett-System“ [1] nachweisbar sind.

Es gibt unterschiedliche Methoden, um arbeitsplatzbezogene Risikofaktoren für MSE zu bestimmen. Im Allgemeinen lassen sich Verfahren zur Bestimmung arbeitsplatzbezogener Risikofaktoren in drei Kategorien einteilen: subjektive Beurteilung (z. B. Fragebögen und Messskalen), systematische Beobachtung und messtechnische Analysen [5].

Das multizentrische MEGAPYHS-Projekt [39, 40] unter der Leitung von BAuA und der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV) vereint verschiedene Methoden zur Schätzung des Risikos für gesundheitliche Beeinträchtigung in einem Konzept. Hierzu wurden Gefährdungsbeurteilungsmethoden mit verschiedenen Detaillierungsgraden neu- und weiterentwickelt, validiert und aufeinander abgestimmt. Daraus ergeben sich folgende Methodenebenen: Grobscreening, spezielles Screening, Expertenscreening, Messtechnische Analysen und Labormessung/Simulation. Das Grobscreening kann z. B. mittels der auf MEGAPHYS-Ergebnissen weiterentwickelten DGUV-Checkliste zur orientierenden Gefährdungsbeurteilung bei Belastungen des Muskel- und Skelettsystems durchgeführt werden [23]. Die Checkliste hilft eine Entscheidung darüber zu treffen, „(..) welche körperlichen Belastungsarten am Arbeitsplatz eine Gefährdung für den Beschäftigten beinhalten können“ [23]. Als weiteres Grobscreening-Instrument steht das BAuA-Einstiegsscreening zur Verfügung [3], das basierend auf MEGAPHYS entwickelt wurde. Beide Grobscreening-Instrumente prüfen anhand einfacher Kriterien, ob Belastungsschwerpunkte vorliegen und ggf. Handlungsbedarf besteht. Kann eine erhöhte Belastung durch eine oder mehrere Belastungsarten nicht ausgeschlossen werden, sollte in einem ergänzenden Screening genauer analysiert werden, ob z. B. wesentlich erhöhte oder hohe Belastungen vorliegen, die nach ArbMedVV und AMR 13.2 das Angebot arbeitsmedizinischer Vorsorge auslösen. Ergänzende Gefährdungsbeurteilungen (Spezielles Screening) können mittels Leitmerkmalmethoden (LMM) durchgeführt werden. Die überarbeitete Version der LMM bietet die Möglichkeit, eine detaillierte Bewertung auf der Ebene der Beobachtungsverfahren zu geben. Dabei wurden die bereits bestehenden LMM „Manuelles Heben, Halten und Tragen von Lasten“, „Manuelles Ziehen und Schieben von Lasten“ und „Manuelle Arbeitsprozesse“ methodisch überarbeitet und um die Belastungsarten „Ausübung von Ganzkörperkräften“, „Körperzwangshaltungen“ und „Körperfortbewegung“ erweitert. In MEGAPHYS wurden die LMM als jeweilige „Papier-Bleistift-Version“ und als „Erweiterte Leitmerkmalmethode“ mit integrierten Rechenhilfen weiterentwickelt und hinsichtlich der Gütekriterien Praxistauglichkeit, Objektivität, Reliabilität sowie Konvergenz- und Kriteriumsvalidität geprüft [26].

Bei komplexeren Arbeitsprozessen (z. B. häufiger Wechsel von Höhe und Dauer der Belastungen oder Abfolge verschiedener Belastungsarten) kann eine intensivere Beurteilung der Arbeitssituation mit entsprechenden Expertenscreening-Verfahren vorgenommen werden. Auf der Methodenebene „Experten-Screening“ stehen Verfahren zur Verfügung, die auf dem Ergonomic Assessment Worksheet (EAWS; [44]) oder dem Montagespezifischen Kraftatlas [53] basieren und in MEGAPHYS überarbeitet und evaluiert wurden [39, 40]. Neben der Bewertung einzelner Belastungsarten (Körperhaltung und -bewegung, Aktionskräfte, manuelle Lasthandhabung (Heben/Halten/Tragen/Ziehen/Schieben) und repetitive Belastungen der oberen Extremitäten) wird auch einen summarischer Wert für die Gesamtbelastung ermittelt. Zudem gibt es die rechnergestützten Tools „MEGAPHYS-MultipLa“ und „MEGAPHYS-MonKras“ zur Bewertung von heterogenen Last- bzw. Kraftfällen.

Grob‑, Experten- und spezielles Screening sind Beobachtungsverfahren, die durch grobe Klassifizierung der Belastungskategorien die Komplexität von Arbeitsprozessen nur bedingt widerspiegeln. Insbesondere Rotationsbewegungen und Belastungen im zeitlichen Verlauf können nicht adäquat erfasst werden [39].

Einen höheren Differenzierungsgrad für komplexere Analysen bieten direkte Messungen. Sie ermöglichen die Analyse von Belastungsfaktoren, die sich durch einfache Beobachtung nicht erfassen lassen, wie Zeitverläufe von Gelenkwinkeln, Kräften oder physiologischen Kenngrößen. Auf der Methodenebene „Betriebliche Messungen“ werden mithilfe des CUELA-Messverfahrens kinematische Daten kontinuierlich erfasst und mit weiteren physischen Belastungsfaktoren, wie energetisch-kardiopulmonalen, muskulären und psychophysikalischen, epidemiologischen oder biomechanischen Kriterien, gekoppelt [9, 10, 19, 24, 56]. Im Rahmen von Labormessungen können Arbeitsprozesse unter standardisieren Bedingungen simuliert und detaillierte Erkenntnisse über Belastungsfaktoren gewonnen werden [19, 30, 32]. Hierzu können kinematische Analysen mit Simulationen verbunden werden (z. B. mit Der Dortmunder [31, 32]), um beispielsweise Aussagen über resultierende Wirbelsäulenbelastungen und eventuelle Überlastungen zu erhalten (z. B. revidierte Dortmunder Richtwerte [29]). Da solche Analysen mit einem hohen Aufwand verbunden sind, wurde diese nur für bestimmte Belastungsschwerpunkte (Analysen von Pflegetätigkeiten [32] oder spezifische Belastungen mit besonderen Fragestellungen [19, 30, 40]) angewandt. Daher kann ggf. auf Ergebnisse ähnlicher Analysen, die für branchenübergreifende und branchenspezifische Belastungsfälle zusammengestellt sind, zurückgegriffen werden [40]. Auch mobile Messverfahren, die häufig auf Inertialsensorik basieren (z. B. Xsens) und im Gegensatz zu optischen Messverfahren im Feld angewandt werden können, werden immer praktikabler und kommen häufiger zum Einsatz [43, 48, 50].

Neben deutschsprachigen Methoden zur Gefährdungsbeurteilung existieren zahlreiche international anerkannte Verfahren zur Bestimmung körperlicher Belastung am Arbeitsplatz. Hierzu verglichen Chiasson et al. [6] in einer Studie acht verschiedene Verfahren, die international Anwendung finden, miteinander: den Quick Exposure Check (QEC), die Ergonomic Workplace Analysis entwickelt vom Finnish Institute of Occupational Health (FIOH), die ACGIH’s Hand Activity Level threshold limit values method (HAL), den Job Strain Index (JSI), den OCRA Index, die Norm EN 1005‑3, das Rapid Upper Limb Assessment (RULA) und das Rapid Entire Body Assessment (REBA). Die spezifischen Anwendungsbereiche der Verfahren und die Arbeitscharakteristika, die evaluiert werden, sind in Tab. 4 abgebildet. Daraus geht hervor, dass fast alle Verfahren Haltung und Gewicht/Kraftaufwendung evaluieren, während Arbeitsmerkmale wie Bewegungen, Umweltfaktoren, psychosoziale Faktoren oder anthropometrische Daten durch die wenigsten Verfahren berücksichtigt werden.

Tab. 4 Arbeitsmerkmale, die bei den Risikobewertungsverfahren berücksichtigt werden. (Mod. nach [6])

Im Rahmen der Untersuchung durch Chiasson et al. [6] wurden insgesamt 224 Arbeitsplätze mit 567 Aufgaben in unterschiedlichen Industriezweigen (Luft- und Raumfahrt, Nahrungsmittelproduktion, Hausgeräteindustrie, Baumschulen und Kunst- und Verbundwerkstoffproduktion) untersucht. Die führenden Belastungsarten waren Vibration, starke Anstrengung, leichte bis schwere manuelle Lastenhandhabung, Repetition, Arbeit in kalter Umgebung, häufiges Bücken und Verdrehen, ungünstige und statische Körperhaltung.

Dabei unterschieden sich die verschiedenen Methoden zur Bestimmung von arbeitsplatzbezogenen Risikofaktoren teilweise deutlich in der Bewertung von Arbeitsplätzen (Abb. 1).

Abb. 1
figure 1

Verteilung arbeitsplatzbezogener Risiken für alle untersuchten Arbeitsplätze basierend auf 11 Indizes der 8 Untersuchungsmethoden. (Aus [6])

Besonders konservativ in der Einschätzung des ergonomischen Risikos war in dieser Untersuchung die Norm EN 1005‑3, die 86 % der untersuchten Arbeitsplätze im hohen Risikobereich einordnete. Neben der EN 1005‑3 gibt es weitere europäische bzw. internationale Normungen je nach Handhabungsart, die allesamt Verfahren zur Risikoanalyse enthalten (außer 1005‑1 [13]). Dazu zählen die EN-Normen 1005‑2 [14], 1005‑3 [15], 1005‑4 [16] und 1005‑5 [17] sowie die ISO-Normen 11226 [25], 11228‑1 [26], 11228‑2 [27] und 11228‑3 [28]. Während mittels der EN 1005‑3 hauptsächlich hohe Risiken ermittelt wurden, stufte der HAL 37 % aller Arbeitsplätze mit niedrigem ergonomischen Risiko ein (Abb. 1). Die Ergebnisse der Studie legen nahe, dass es wichtig ist vorab herauszufinden, welches Verfahren sich für den jeweiligen Arbeitsplatz eignet, um die Charakteristika der spezifischen Arbeit zu erfassen. Bei den hier verglichenen Verfahren handelt es sich ausschließlich um Beobachtungsverfahren analog zu Grob‑, Experten-und speziellem Screening von MEGAPHYS [39, 40]. Anknüpfend an die Gefährdungsbeurteilungsstufen von MEGAPHYS werden in internationalen Verfahren immer häufiger Messdaten herangezogen, um die Gefährdungsbeurteilung zu objektivieren. Dabei werden meistens Motion-Capture-Daten (MoCap) aus inertialen Messmethoden herangezogen und entweder mittels bereits bestehender Beobachtungsmethoden kombiniert (beispielsweise Kombination MoCap-Daten mit RULA [38, 50, 51]) oder neue ergonomische Auswertungsverfahren integriert [12, 36].

Es gibt somit nicht die eine Methode, um arbeitsbezogene Risikofaktoren für muskuloskelettale Erkrankungen zu bestimmen. Um Risikofaktoren grundsätzlich minimieren zu können, sind Verhaltens- und/oder Verhältnisinterventionen zur Prävention bzw. Rehabilitation von MSE speziell für verschiedene Arbeitsplätze förderlich.

Fazit für die Praxis

  • Insgesamt wurden 6 Grundformen körperlicher Belastung definiert: 1) manuelles Heben, Halten und Tragen von Lasten; 2) manuelles Ziehen und Schieben von Lasten; 3) manuelle Arbeitsprozesse; 4) Ausübung von Ganzkörperkräften; 5) Körperzwangshaltungen; 6) Körperfortbewegung.

  • Basierend auf der revidierten Arbeitsmedizinischen Regel 13.2 können wesentlich erhöhte körperliche Belastungen definiert und auf dieser Basis arbeitsmedizinische Vorsorgeuntersuchungen angeboten werden. Hierzu sollte sich am Top-down-Ansatz des MEGAPHYS-Projekts orientiert werden, um situationsbedingt die passende Methode zur Gefährdungsbeurteilung je nach Detaillierungsgrad erfassen zu können (vom Grobscreening bspw. anhand einer Checkliste zu messtechnischen Analysen bzw. Simulationen).

  • Neben Methoden zur Bestimmung des arbeitsplatzbezogenen Risikos aus dem deutschsprachigen Raum existieren zahlreiche international anerkannte Methoden (RULA, REBA, QEC etc.).