Hintergrund und Fragestellung

Arbeitszeiten, die außerhalb der normalen Tagesarbeitszeit liegen, können aufgrund einer Störung der inneren Uhr die Physiologie, die Gesundheit sowie die Sicherheit von Beschäftigten stören und gefährden [42]. Beschäftigte im Schichtdienst haben ein erhöhtes Risiko, an Adipositas, Diabetes mellitus Typ 2, kardiovaskulären Erkrankungen, Bluthochdruck und Depression bzw. Angstzuständen zu erkranken [2, 4]. Ebenso haben sie ein höheres Risiko für Arbeitsplatzunfälle, Absentismus und einen erhöhten Krankenstand [27, 32, 37]. Auch bei Pflegepersonal werden diese Folgen der zirkadianen Störung beobachtet, die sich auch in einer Tagesschläfrigkeit zeigen kann, welche wiederum mit einem erhöhten Risiko für Arbeitsunfälle assoziiert ist [37, 39].

Die zusätzliche hohe Arbeitsbelastung sowie der Umgang mit traumatischen Situationen, trauernden Angehörigen und sterbenden Patient:innen können eine Normalisierung der zirkadianen Störung erschweren [9, 31]. Im Vergleich zu anderen Branchen mit Schichtarbeit ist der überwiegende Anteil (80 %) der Beschäftigten im Gesundheitswesen bzw. des Pflegepersonals weiblich [7, 36]. Weibliche Beschäftigte haben oftmals noch andere Verpflichtungen außerhalb der Arbeit, die sie daran hindern können, genug Zeit für Schlaf und Erholung zu finden. Somit sind Frauen öfter von einem Work-Family-Konflikt, einer problematischen Vereinbarkeit der Lebensbereiche von Arbeit und Privatem, betroffen [26, 43]. Studien zeigen, dass ein Work-Family-Konflikt bei Beschäftigten in Schichtarbeit zu negativen gesundheitlichen Folgen führen und auch als ein Mediator in dem Zusammenhang von Schichtarbeit und Gesundheit auftreten kann [18, 28, 38].

Zahlreiche Studien haben untersucht, welche Faktoren mit Tagesschläfrigkeit in Zusammenhang stehen. Hier spielt insbesondere der späte Chronotyp eine wichtige Rolle, der nicht nur mit Tagesschläfrigkeit, sondern auch mit einem ungünstigen Gesundheitsverhalten assoziiert ist [5, 11]. Weiterhin wurde in einer systematischen Übersichtsarbeit zu Pflegepersonal beobachtet, dass die Anzahl der Jahre im Schichtdienst, Kinder und verheiratet zu sein positiv mit Tagesschläfrigkeit assoziiert sind. Unterschiede nach Geschlecht wurden nicht beobachtet [9]. Studien hingegen, die Schichtarbeiter:innen bzw. Pflegepersonal mit Beschäftigten aus anderen Branchen ohne Schichtarbeit hinsichtlich Tagesschläfrigkeit vergleichen, gibt es nach unserem Kenntnisstand nicht.

In der vorliegenden Arbeit soll explorativ untersucht werden, ob Beschäftigte in der Pflege ein höheres Risiko für Tagesschläfrigkeit haben als andere Berufsgruppen, die nicht im Schichtdienst arbeiten. Darüber hinaus soll ebenfalls explorativ analysiert werden, inwiefern das Geschlecht in Verbindung mit der Beschäftigung im Schichtdienst eine Rolle hinsichtlich der Tagesschläfrigkeit spielt.

Methoden

Die Grundlage zur Beantwortung der Studienfrage lieferten Daten der Baseline-Stichprobe der Hamburg City Health Study (HCHS; [21]). Die HCHS ist eine bevölkerungsbezogene epidemiologische Kohortenstudie, die im Zeitraum 2017 bis 2019 über das Stichprobenverfahren Baseline-Daten von 10.000 Probanden im Alter von 45 bis 74 Jahren aus Hamburg erhoben hat. Das primäre Ziel dieser großangelegten Studie ist die Ermittlung von Risikofaktoren für Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Demenz im Längsschnitt.

Fragebogen

Neben demografischen Angaben (Alter, Geschlecht, Geburtsland, Schulabschluss, beruflicher Abschluss, Erwerbsstatus) sind in der HCHS auch Daten zu der Berufsbiografie erhoben worden. Anhand der Berufsbezeichnung, der Beschreibung der beruflichen Tätigkeit und der Branche des Betriebs erfolgte eine Kategorisierung in das System der Klassifikation der Berufe 2010 (KldB 2010; [3]). Tagesschläfrigkeit wurde anhand des Epworth-Sleepiness-Scale-Fragebogens (ESS) erhoben [8]. Anhand von 8 Items wurde ein Summenscore dazu gebildet (Wertebereich 0–24 Punkte). Bei einem Punktewert von über 10 wird von einer exzessiven Tagesschläfrigkeit ausgegangen [22]. Mit einem Cronbachs Alpha von 0,73 wiesen die Items zur Tagesschläfrigkeit eine akzeptable Reliabilität vor. Als potenzielle Einflussfaktoren für Tageschläfrigkeit wurden die Beschäftigung in der Pflege (ja/nein) und der Chronotyp erhoben. Zur Ermittlung des Chronotyps wurde anhand der Einschlafzeit und der Aufwachzeit an freien Tagen der Zeitpunkt des Schlafmittelpunkts ermittelt. Auf Grundlage der Kategorisierung von Rönneberg et al. wurde eine dreistufige Variable zum Chronotyp gebildet (früh, normal, spät; [33]). Des Weiteren wurde anhand des Fragebogens erhoben, ob die Teilnehmenden Kinder haben (unter 18 Jahren), ob sie Schlafmedikamente einnehmen, eine Belastung durch Wohnlärm vorliegt (In welchem Maße fühlen Sie sich in Ihrer Wohnung zu verschiedenen Zeiten durch Lärm jeder Art gestört? Gar nicht/etwas=nein, /ziemlich/sehr=ja), ob sie regelmäßig Sport treiben (Treiben Sie regelmäßig Sport? Ja/nein) und ob Angehörige von ihnen gepflegt werden (Wie viele Freunde und Verwandte pflegen Sie insgesamt?). Um eine Schätzung für den sozioökonomischen Status zu erhalten, wurden die Angaben zu der schulischen und beruflichen Bildung nach dem Klassifikationssystem International Standard Classification of Education (ISCED), Version 2011, in eine dreistufige Variable kategorisiert (geringe, mittlere und hohe Bildung; [17]).

Matching

Anhand des KldB-Codes wurden alle Personen ausgewählt, die zum Zeitpunkt der Baseline-Untersuchung aktiv in der Pflege beschäftigt waren (KldB-Codes: 81301–81323, 81382, 81383, 81384, 81393, 82101, 82194). Es wurde ein Propensity-Score-Matching mit dem Nächsten-Nachbarn-Verfahren durchgeführt. Anhand des Alters, des Geschlechts und des Chronotyps haben wir aus dem HCHS-Datensatz aktiv Beschäftigte im Verhältnis 1:3 gezogen, die aus Branchen stammen, in denen es vorwiegend keine Schichtarbeit gibt (Kontrollen). Hierzu wurden KldB-Codes von Berufen ohne Schichtarbeit aus folgenden Branchen ausgewählt: 1. Architektur, Vermessung und Gebäudetechnik, 2. Naturwissenschaft, Geografie und Informatik, 3. kaufmännische Dienstleistungen, Warenhandel und Vertrieb (ohne Verkauf, Hotelgewerbe und Tourismus) und 4. Unternehmensorganisation, Buchhaltung, Recht und Verwaltung.

Statistische Auswertung

Anhand von Kreuztabellen mit zugehörigen Chi-Quadrat-Tests und resultierenden Odds-Ratios wurde überprüft, inwieweit potenzielle Einflussvariablen mit exzessiver Tagesschläfrigkeit assoziiert waren. Zur simultanen Berücksichtigung der Einflussfaktoren haben wir multivariate logistische Regressionsmodelle berechnet. Aufgrund der hohen Anzahl fehlender Werte zur Berechnung des Chronotyps (60 %) wurden Proband:innen ohne zugeordneten Chronotyp in der multivariaten Regressionsanalyse nicht ausgeschlossen, sondern bildeten eine eigene Kategorie (Chronotyp unbekannt). Zur Überprüfung eines Interaktionseffekts zweier Expositionsvariablen, Geschlecht und Arbeit in der Pflege, wurde nach einer gängigen Methode von Rothman eine Kombinationsvariable mit 4 Ausprägungen in das Modell eingefügt [34]: männlich/keine Pflege (Referenz), weiblich/keine Pflege (Expositionsklasse 1), männlich/Pflege (Expositionsklasse 2), weiblich/Pflege (Expositionsklasse 3). Die multivariate Analyse folgt im ersten Schritt der Fragestellung, inwieweit Beschäftigte in der Pflege (im Vergleich zu anderen Berufsgruppen) und Frauen (im Vergleich zu Männern) ein erhöhtes Risiko für exzessive Tagesschläfrigkeit aufweisen. Im zweiten Schritt soll anhand der oben beschriebenen Interaktionsvariable ein Interaktionseffekt überprüft werden. Das Signifikanzniveau wurde auf p < 0,05 festgelegt. Die statistische Analyse erfolgte mit dem Statistikpaket SPSS Statistics for Windows Version 27.0. (Armonk, NY, IBM Corp)

Ergebnisse

In der Gesamtstichprobe von 10.000 Proband:innen der HCHS waren 4646 Personen aktiv beschäftigt. Unter diesen befanden sich 134 Personen, die angaben, in der Pflege zu arbeiten. Mit einem Matching von 1:3 anhand des Alters, Geschlechts und des Chronotyps wurde ein Analysedatensatz von 536 Personen erzeugt (402 Kontrollpersonen aus anderen Branchen). Das mittlere Alter lag bei 55,2 Jahren (SD: 4,9), 81 % der Teilnehmenden waren weiblich und 94 % besaßen die deutsche Staatsangehörigkeit (Tab. 1). Hinsichtlich des Chronotyps zeigt sich, dass 11 % dem frühen, 12 % dem normalen und 17 % dem späten Chronotyp zuzuordnen waren. Für 60 % konnte der Chronotyp aufgrund fehlender Werte nicht ermittelt werden. Insgesamt ermittelten wir für 2 % einen niedrigen, für 60 % einen mittleren und für 38 % einen hohen Bildungsabschluss. Beschäftigte in der Pflege haben häufiger niedrigere Bildungsabschlüsse als Kontrollpersonen (p < 0,001). Für die Gesamtgruppe wurde hinsichtlich der Tagesschläfrigkeit ein Mittelwert von 7,1 (SD: 3,7) beobachtet. Beschäftigte aus der Pflege hatten einen statistisch signifikant höheren Mittelwert in der Tagesschläfrigkeit als Beschäftigte aus den anderen Branchen (7,8 [SD: 3,7] vs. 6,9 [SD: 3,6] p = 0,018) (nicht aus der Tabelle ersichtlich). Insgesamt konnte für 19 % der Stichprobe eine exzessive Tagesschläfrigkeit beobachtet werden, wobei dies für 25 % der in der Pflege Beschäftigten und für 17 % der Beschäftigten anderer Branchen zutrifft (Tab. 2). Statistisch signifikant erhöhte Odds-Ratios wurden für Beschäftigte in der Pflege (OR 1,6; 95 % KI 1,02–2,62), für Frauen (OR 2,2; 95 % KI 1,13–4,27) und für Personen, die angaben, Angehörige zu pflegen, festgestellt (OR 2,1; 95 % KI 1,05–4,02).

Tab. 1 Beschreibung der Studienpopulation: Beschäftigte in der Pflege mit gematchten Kontrollen aus der Hamburg City Health Study (Matchingverhältnis 1:3)
Tab. 2 Potenzielle Einflussfaktoren von exzessiver Tagesschläfrigkeit (bivariate Analyse)

In der multivariaten Auswertung ergaben sich für Beschäftigung in der Pflege (OR 1,7; 95 % KI 1,02–2,67) und für Frauen (OR 2,0; 95 % KI 1,01–3,95) signifikant erhöhte Odds-Ratios für eine exzessive Tagesschläfrigkeit (Tab. 3, Modell 1). Bei der Aufnahme des Bildungsstatus in das Modell wurden diese Effekte allerdings statistisch insignifikant (Tab. 3, Modell 3). Für Geschlecht und Beschäftigung in der Pflege zeigte sich ein Interaktionseffekt (Tab. 3, Modell 2). So hatten weibliche Beschäftigte, die in der Pflege arbeiten, im Vergleich zu Männern, die nicht in der Pflege arbeiten, ein statistisch signifikant erhöhtes Odds-Ratio von 3,8 (95 % KI 1,48–9,88). Ebenso hatten Frauen, die nicht in der Pflege arbeiten, ein höheres Risiko für exzessive Tagesschläfrigkeit als Männer, die nicht in der Pflege beschäftigt sind (OR 2,5; 95 % KI 1,04–6,13). Bei der Aufnahme des Bildungsstatus blieb der Effekt für weibliche Pflegende im Vergleich zu Männern, die nicht in der Pflege arbeiten, bestehen (OR 3,5; 95 % KI 1,32–9,23) (Tab. 3, finales Modell). Die Verteilung exzessiver Tagesschläfrigkeit in der Interaktionsvariablen zeigt, dass Frauen, unabhängig von ihrer Beschäftigungsart, jeweils höhere Anteile hatten als Männer (Pflege nein: 19 % vs. 8 %, Pflege ja: 26 % vs. 19 %) (Tab. 4).

Tab. 3 Ergebnisse der multivariaten logistischen Regressionsanalysen zu exzessiver Tagesschläfrigkeit
Tab. 4 Verteilung exzessiver Tagesschläfrigkeit über Geschlecht und Beschäftigung in der Pflege

Diskussion

In der vorliegenden Studie haben wir untersucht, inwiefern Beschäftigte in der Pflege im Vergleich zu Beschäftigten aus anderen Branchen ohne Schichtdienst ein höheres Risiko für Tagesschläfrigkeit aufwiesen. Wir fanden Hinweise, dass Beschäftigte in der Pflege im Vergleich zu Beschäftigten aus Branchen ohne Schichtdienst sowie Frauen im Vergleich zu Männern ein erhöhtes Risiko für eine exzessive Tagesschläfrigkeit hatten. Für eine Interaktion beider Merkmale haben wir ebenfalls einen Hinweis gefunden: Weibliche Beschäftigte in der Pflege hatten im Vergleich zu Männern aus anderen Branchen ein statistisch signifikant erhöhtes Risiko für exzessive Tagesschläfrigkeit.

In Bezug auf Tagesschläfrigkeit wurde bei den Beschäftigten in der Pflege ein statistisch signifikant höherer Mittelwert als in der Kontrollgruppe beobachtet (7,8 vs. 6,9). Der Anteil exzessiver Tagesschläfrigkeit war mit 25 % in der Gruppe der Pflegenden ebenfalls statistisch signifikant höher als in der Kontrollgruppe (17 %). Dieser Anteil von exzessiver Tagesschläfrigkeit (ESS > 10 Punkte) liegt im Bereich der Werte in internationalen Studien. Hier wurden bei Pflegepersonal Anteile von 28 %, 19 bis 31 % und 28 % beobachtet [13, 30, 39]. In einer großen Erhebung stellten Sander et al. einen Anteil von 23 % in der deutschen Allgemeinbevölkerung fest, angesichts der Altersstruktur in der HCHS sind diese Zahlen aber nur bedingt mit den vorliegenden Ergebnissen vergleichbar [35].

In der Analyse zeigte sich, dass Pflegepersonal ein höheres Risiko für eine exzessive Tagesschläfrigkeit hatte als Beschäftigte aus anderen Branchen. Alsharani et al. beobachteten in ihrer Studie, dass Beschäftigte im Gesundheitswesen mit Schichtdienst eine höhere Tagesschläfrigkeit aufwiesen als Beschäftigte im Gesundheitswesen ohne Schichtdienst [1]. Den Ansatz in unserer Untersuchung, eine mit Schichtdienst assoziierte Berufsgruppe mit anderen Berufsgruppen ohne Schichtdienst zu vergleichen, gibt es unseres Wissens in der sonstigen Literatur nicht. Es gibt eine Reihe von Studien, die innerhalb der Gruppe von Pflegepersonal nach weiteren Merkmalen die Ausprägung von Tagesschläfrigkeit verglichen. Booker et al. beobachteten in ihrer systematischen Übersichtsarbeit zu Pflegepersonal, dass u. a. ein fortgeschrittenes Alter, verheiratet zu sein, Kinder zu haben, früher Chronotyp, erhöhter Koffeinkonsum und Neurotizismus das Risiko für Tagesschläfrigkeit bzw. Insomnie oder Schichtarbeitersyndrom erhöhten [9]. Auch gibt es Studien, die eine weitere Differenzierung von Schichtarbeitsmerkmalen untersuchen. So konnte beobachtet werden, dass z. B. die Anzahl der Schichtdienstjahre, Nachtdienst im Vergleich zu Wechselschicht oder rückwärts rotierende Schichten ein erhöhtes Risiko für Tagesschläfrigkeit mit sich brachten [19, 29, 30, 40]. In der vorliegenden Arbeit zeigte sich für den Chronotyp kein statistisch signifikanter Effekt. Möglicherweise ist dies auf den hohen Anteil des unbekannten Chronotyps zurückzuführen, wobei der Ausschluss von diesen Fällen ebenfalls zu keinem Effekt in der Chronotyp-Variablen führte. Der fehlende Alterseffekt ist eventuell auf das eingeschränkte Altersspektrum von 46 bis 70 Jahren zurückzuführen, und für das Merkmal, Kinder zu haben, wurde ebenfalls keine höhere Tagesschläfrigkeit beobachtet – auch hier könnte das Altersspektrum ab 46 Jahre eine Rolle spielen, da es dann weniger Kleinkinder in den Familien gibt.

Interaktion Beschäftigung in der Pflege und Geschlecht

Das im Vergleich zu Männern erhöhte Risiko bei Frauen (OR 2) für exzessive Tageschläfrigkeit lässt sich in den vorhandenen Studien bei Pflegepersonal nicht beobachten. Chan et al. fanden keine Geschlechtsunterschiede hinsichtlich Tagesschläfrigkeit bei Pflegepersonal [10]. Auch weitere Studien zu Pflegepersonal, die verwandte ähnliche Endpunkte wie Schlafdauer, Schichtarbeitersyndrom, Schlafqualität und Insomnie beobachteten, stellten keine geschlechterspezifischen Unterschiede fest [14, 20, 24, 25, 41]. In einer Studie von Beschäftigten in einem Telekommunikationsunternehmen zeigte sich hingegen unter den Frauen ein fast doppelt so hoher Anteil exzessiver Tagesschläfrigkeit [12]. Ausgehend von der Annahme, dass berufstätige Frauen zu Hause mehr Arbeiten im Familienumfeld erledigen als Männer, stellt sich die Frage, inwiefern die Kombination von Beschäftigung in einem Schichtdienstberuf und anfallenden Aufgaben im privaten Bereich, hier vertreten durch die traditionelle Geschlechterrolle der Frau, als Proxyvariable für einen Work-Family-Konflikt betrachtet werden kann. Leineweber et al. beobachteten bei Frauen aus der arbeitenden schwedischen Bevölkerung einen höheren Work-Family-Konflikt als bei Männern [26]. Deutsche Schichtarbeiter sind generell häufiger von den Herausforderungen der Vereinbarkeit von Arbeit und Privatleben betroffen als Nichtschichtarbeiter [28]. Zurlo et al. fanden in ihrer Untersuchung bei weiblichen italienischen Pflegekräften einen höheren Work-Family-Konflikt als bei männlichen Pflegekräften [43]. Vor diesem Hintergrund erscheint der beobachtete Hinweis auf eine Interaktion von Geschlecht und Beschäftigung in der Pflege als plausibel. Einschränkend muss erwähnt werden, dass hier die Zuordnung einer größeren familiären Herausforderung für Frauen empirisch nicht erhoben, sondern dem weiblichen Geschlecht unterstellt wird.

Limitationen

Dem standardisierten Verfahren der Prävalenzschätzung von exzessiver Tagesschläfrigkeit bei Pflegepersonal sowie der multivariaten Zusammenhangsanalyse stehen einige Schwächen in dieser Untersuchung gegenüber. Angesichts fehlender Angaben zur Schichtarbeit im Fragebogen mussten Branchen mit potenziell möglicher Schichtarbeit für die Kontrollgruppe ausgeschlossen werden. Dies führte zu einer Reduzierung der Fallzahl und somit der statistischen Power. Auf der anderen Seite wurde allen Beschäftigten in der Pflege per Definition Schichtarbeit zugeordnet, ein Klassifikationsbias der Expositionsvariablen kann daher nicht ausgeschlossen werden. Aufgrund fehlender Werte konnten wir für einen Großteil der Proband:innen keinen Chronotyp bestimmen. Diese Limitation ist bei dem Matchingverfahren von Personen aus Branchen ohne Schichtarbeit berücksichtigt worden. Das Outcome Tagesschläfrigkeit ist eine subjektive Einschätzung und kann somit durch eine persönliche Fehleinschätzung verzerrt sein. Aufgrund fehlender Angaben zum Einkommen konnte für einen großen Teil der Stichprobe der sozioökonomische Status nicht bestimmt werden. Alternativ haben wir anhand der schulischen und der beruflichen Bildung eine Proxyvariable (ISCED) des sozioökonomischen Status festgelegt. Hinsichtlich der Variable Bildung zeigt sich keine gute Vergleichbarkeit von der Pflegegruppe und den gematchten Kontrollen; diese hatten einen statistisch signifikant höheren Bildungsstatus. Da ein niedriger sozioökonomischer Status mit einem erhöhten Risiko von exzessiver Tagesschläfrigkeit bzw. einer geringeren Schlafqualität assoziiert ist, kann man nicht ausschließen, dass die Prävalenz von Tagesschläfrigkeit in der Kontrollgruppe eher unterschätzt ist und der Effekt für Beschäftigung in der Pflege eventuell überschätzt ist [6, 15, 16]. Unsere Daten zeigen in der niedrigsten Bildungsgruppe zwar die geringste Prävalenz von exzessiver Tagesschläfrigkeit, doch kann man aufgrund der geringen Fallzahl davon ausgehen, dass diese zufällig bedingt ist.

Aus arbeitsmedizinischer Sicht sollte die Prävention von Fehlern und Arbeitsunfällen aufgrund von Tagesschläfrigkeit im Gesundheitsbereich unabhängig von der Höhe der Prävalenz intensiviert werden, da eine potenzielle Mitschädigung von Patienten die Folgen der Fehler und Arbeitsunfälle deutlich erhöhen kann. Somit sollten Organisationen, aber auch Beschäftigte selbst, Strategien befolgen, die die negativen Folgen von Schichtarbeit abmildern. Mit der Berufswahl hat ein Mensch zeitlich und finanziell in seine berufliche Fachqualifikation investiert. Darüber hinaus wurde diese Entscheidung meist in jungen Jahren gefällt, sodass sich über die gesamte Beschäftigungszeit ein beruflicher Erfahrungsschatz angesammelt hat. Umso schwieriger ist es, aufgrund von Beanspruchungen durch Schichtdienst seine berufliche Tätigkeit zu wechseln. In einem Umbrella-Review zu den gesundheitlichen Folgen von Schichtarbeit und ungenügendem Schlaf haben die Autoren Richtlinien für organisationelle und individuelle Gegenmaßnahmen zusammengestellt [23]. Anhand der in der Infobox aufgeführten Punkte sollen so die Gesundheits- und Sicherheitsrisiken bei Schichtarbeit abgemildert werden. Die Verantwortung liegt bei dem Arbeitsgeber sowie bei dem Beschäftigten selbst. Die wesentlichen Punkte sind hierbei das Vorhandensein von Schichtplänen und Arbeitszeiten, die an den Schlaf- und Erholungsbedürfnissen des Arbeitsnehmers orientiert sind und dem Arbeitszeitgesetz entsprechen. Zusätzlich sollten Schichtarbeiter:innen bzgl. Schlafstörungen monitoriert und behandelt werden sowie Trainings für effektive Bewältigungsstrategien im Schichtdienst erhalten.

Infobox Organisationelle und individuelle Gegenmaßnahmen. (Nach Kecklund und Axelsson 2016 [23])

  • Schichtpläne sollten so gestaltet sein, dass Schlafmangel und Störungen des Tagesrhythmus minimiert werden, und durch Vorwärts- und Schnellrotation gekennzeichnet sein. Eine Erholungszeit von mindestens 11 h zwischen den Schichten ist einzuhalten, und lange Wochenarbeitszeiten (< 60 h) und Arbeitsschichten (< 10 h) sollten vermieden werden.

  • Schichtarbeiter sollten ihre individuelle Arbeitszeit weitgehend selbst kontrollieren, übermäßige Arbeitszeiten (Überstunden und Doppelschichten) müssen vermieden werden.

  • Regelmäßige Untersuchung (und Behandlung) auf klinische Schlafstörungen

  • Schichtarbeiter sollten über individuelle Strategien, die ihre akuten Schlaf- und Müdigkeitsprobleme abmildern und ihre Gesundheit langfristig schützen, unterrichtet werden:

    • Wissen über Schlafhygiene; wie man dem Schlaf und der Erholung vor, während und nach der Arbeit Priorität einräumt, wie man vor und während der Nachtschichten ein Nickerchen macht

    • Kenntnisse über den Konsum von Koffein und den Einsatz von künstlichem Licht in der Nacht zur Förderung von Anpassung und Leistungsfähigkeit

    • Ein gesunder Lebensstil für Schichtarbeiter beinhaltet gesunde Ernährung, wenig essen in der Nacht, Bewegung sowie die Vermeidung von Rauchen und übermäßigem Alkoholkonsum.

Fazit für die Praxis

  • Der Befund dieser Analyse bestätigt, hier anhand eines Vergleichs mit Berufsgruppen ohne Schichtarbeit, dass Schichtarbeit, vertreten durch die Berufsgruppe Pflegepersonal, mit einer erhöhten Tagesschläfrigkeit assoziiert ist.

  • Nicht nur zur Prävention von berufsbedingten Erkrankungen, sondern auch aufgrund von möglicher Mitschädigung von Patienten als Folge von Fehlern und Arbeitsunfällen durch Tagesschläfrigkeit, sollte der Prävention von Tagesschläfrigkeit bei Pflegepersonal ein angemessener Stellenwert zukommen.

  • Weibliche Beschäftigte in der Pflege scheinen in Bezug auf Tagesschläfrigkeit eine besondere Risikogruppe darzustellen.

  • Anhand der Ergebnisse der bevölkerungsbezogenen Untersuchung zeigt sich, dass Pflegepersonal im Vergleich zu Branchen ohne Schichtarbeit öfter von Tagesschläfrigkeit betroffen ist. Inwieweit Frauen, die in der Pflege arbeiten ein noch höheres Risiko für Tagesschläfrigkeit besitzen, sollte in weiteren Studien präziser untersucht werden. Persönliche Angaben zu Schichtarbeit inklusive einer Differenzierung nach der Art der Schichtarbeit sowie der Einsatz eines validierten Instruments zur Erhebung des Work-Family-Konflikts sollten in zukünftigen Studien zu dieser Fragestellung berücksichtigt werden.