Durch den demografischen Wandel wird es für die Arbeitswelt zukünftig sehr bedeutend sein, Beschäftigte so lange wie möglich im Erwerb zu halten. Dies setzt aber u. a. voraus, dass die Beschäftigten auch arbeiten können. Personen mit schlechter Gesundheit steigen früher aus dem Erwerbsleben aus als jene mit guter Gesundheit. Ein gesundheitsbewusster Lebensstil kann in jedem Alter die Gesundheit begünstigen. Der Zusammenhang gesundheitsrelevanter Verhaltensweisen älterer Beschäftigter mit der Erwerbsperspektive, wie lange sie noch arbeiten können, wurde bislang nicht untersucht.

Hintergrund

Bunter, älter, kleiner – der demografische Wandel wird unsere Lebenswelten und die Arbeitswelt unweigerlich beeinflussen. So werden u. a. dem Arbeitsmarkt weniger Personen zur Verfügung stehen. Selbst dann, wenn es gelingt, das Arbeitskräftepotenzial noch stärker als bisher zu nutzen und auszuweiten (u. a. mittels Erweiterung der Erwerbsaltersgrenzen, Förderung der Vollzeitbeschäftigungen, Zuwanderung; [10]). Auch werden die Belegschaften in den Betrieben älter [10, 11]. Jetzige und zukünftige Beschäftigte so lange wie möglich im Arbeitsleben zu halten, ist daher gesamtgesellschaftlich und individuell von großer Bedeutung. Die Erforschung von Faktoren für den Verbleib im Arbeitsleben erscheint vor diesem Hintergrund wesentlich.

Als Indikator für die Dauer der Erwerbsteilhabe wird die subjektive Erwerbsperspektive (EP) angesehen, zu der als zentrale Komponente die eigene Bewertung, wie lange man noch arbeiten kann, zählt [23, 43]. Das zugrundeliegende Konzept dieser Bewertung stellt nach Hasselhorn und Ebener [14] die Arbeitsfähigkeit dar. Eine schlechte Gesundheit wie auch physische und mentale Arbeitsbelastungen gehen mit der Intention, frühzeitig das Erwerbsleben zu verlassen, einher [37]. Frühere Untersuchungen zeigten, dass die Bewertung des (noch arbeiten) Könnens mit der physischen und mentalen Gesundheit assoziiert ist [12, 23].

Die Gesundheit ist einer der am meisten untersuchten Einflussfaktoren für die Dauer der Erwerbsteilhabe [38]. Beschäftigte mit schlechter Gesundheit steigen im Mittel früher aus dem Erwerbsleben aus als jene mit guter Gesundheit [38, 39]. Auf individueller Ebene kann ein gesundheitsbewusster Lebensstil die Gesundheit in jedem Alter begünstigen. Frühere Studien zeigen, dass Verhaltensweisen wie ein normales Körpergewicht, Nichtrauchen und ein ausreichendes Maß an körperlicher Aktivität, die Gesundheit im mittleren Erwachsenenalter positiv beeinflussen können und das Morbiditäts- und Mortalitätsrisiko langfristig minimieren [3, 35, 36]. Allerdings ist die Mehrheit der älteren Beschäftigten in Deutschland zu wenig körperlich aktiv, übergewichtig, und gut ein Viertel von ihnen raucht [6, 9, 31, 44].

Gesundheitsbezogene Verhaltensweisen (GVh) werden durch individuelle (z. B. Geschlecht, Bildung) und kontextuale (z. B. Arbeitsbedingungen) Faktoren determiniert. So haben z. B. Männer ungünstigere Ernährungsgewohnheiten und sind häufiger übergewichtig als Frauen [27]. Eine geringere berufliche Qualifikation und eine manuelle Arbeitstätigkeit können früheren Studien nach häufiger mit körperlicher Inaktivität in der Freizeit, Adipositas und Rauchen einhergehen [5, 28]. Andere Studien zeigten, dass diese Berufsgruppen in ihren Arbeiten häufiger mit physischen und psychosozialen Belastungen (z. B. Heben und Tragen schwerer Lasten, geringere Entwicklungsmöglichkeiten) konfrontiert sind [7] und ein höheres Risiko für eine Frühverrentung aufgrund verminderter Erwerbsfähigkeit haben [17, 21, 33, 40].

Der Zusammenhang von GVh und der EP älterer Beschäftigter wurde nach unserem Wissensstand bislang nicht erforscht. Bisherige Studienergebnisse zum Zusammenhang der Erwerbsteilhabe und GVh deuten darauf hin, dass ein Mangel an körperlicher Aktivität, Übergewicht bzw. Adipositas und Rauchen das Risiko eines frühzeitigen Erwerbsausstiegs aufgrund Erwerbsunfähigkeit begünstigen können [8, 16, 20, 29].

Aufbauend auf diesen Erkenntnissen untersucht dieser Beitrag in einer repräsentativen Studie die Effekte der GVh körperliche Aktivität, Körpergewicht und Rauchverhalten auf die Bewertung des (noch arbeiten) Könnens älterer Beschäftigter, als Teilaspekt der EP.

Methodik

Daten und Studienteilnehmer

Analysiert wurden die Daten von 3368 älteren Beschäftigten, die 2018 an der dritten Befragungswelle der lidA(leben in der Arbeit)-Studie teilgenommen hatten und zum Erhebungszeitpunkt in einem Arbeitsverhältnis mit mindestens einer Stunde pro Woche tätig waren. lidA erforscht longitudinal die Zusammenhänge von Arbeit, Alter, Gesundheit und Erwerbsteilhabe an Beschäftigten der Geburtsjahrgänge 1959 und 1965. Die Stichprobenziehung erfolgte auf Basis der Beschäftigtenhistorik der Integrierten Erwerbsbiografien (IEB) des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB). Grundgesamtheit für die Studie sind Personen, die gemäß der Beschäftigtenhistorik am 31.12.2009 sozialversicherungspflichtig beschäftigt waren. Dies umfasst etwa 80 % der gesamten Erwerbsbevölkerung hierzulande. Nicht eingeschlossen sind Beamte und Selbstständige [15, 32]. Die Stichprobe ist repräsentativ für die sozialversicherungspflichtig Beschäftigten dieser beiden Alterskohorten [32]. In regelmäßigen Abständen werden die Studienteilnehmerinnen und -teilnehmer zu Hause mittels computergestützter Interviews („computer-assisted personal interviews“ [CAPI]) zu verschiedenen Aspekten ihrer Arbeit, Gesundheit, des Privatlebens und ihrer Erwerbsperspektive befragt. Bisher fanden drei Befragungswellen statt. An der ersten Befragung 2011 nahmen 6585 Personen teil. Von den Befragten gaben 5618 (85,3 %) schriftlich ihr Einverständnis („informed consent“), sie für Folgeerhebungen wieder kontaktieren zu dürfen. Somit konnten 2014 im Rahmen der zweiten Befragung 4244 Personen (64,5 %) und 2018 im Rahmen der dritten Befragung 3568 (54,2 %) erneut interviewt werden. Eine ausführliche Beschreibung der Konzeptualisierung und des Designs der Studie wird an anderer Stelle gegeben [15, 32].

Variablen

Subjektive Erwerbsperspektive (EP).

Die Befragten sollten angeben, bis zu welchem Alter (Altersangabe numerisch in Jahren) sie glaubten, arbeiten zu können. Als gültig wurden alle Altersangaben gezählt, die das tatsächliche Alter zum Befragungszeitpunkt nicht unterschritten (1959 Geborene ab 58 Jahre; 1965 Geborene ab 52 Jahre).

Gesundheitsbezogene Verhaltensweisen (GVh).

Untersucht wurden die körperliche Aktivität in der Freizeit, das Körpergewicht und Rauchverhalten. Die körperliche Aktivität wurde anhand der Frage erfasst, an wie vielen Tagen pro Woche die Teilnehmer sich in ihrer Freizeit für mindestens 30 Minuten körperlich so anstrengten, dass sie ins Schwitzen oder außer Atem kommen. Die Formulierungsergänzung ins Schwitzen oder außer Atem kommen sollte die Befragten bei ihrer Interpretation für eine mindestens mäßig anstrengende körperliche Aktivität sensibilisieren, die mit einer Zunahme der Herz- und Atemfrequenz assoziiert ist [19, 26]. Die ursprünglich vier Antwortausprägungen wurden zu dreien zusammengefasst (aktiv ≥ 3 Tage/Woche, 1–2 Tage/Woche, < 1 Tag/Woche). Das selbstberichtete Körpergewicht wurde mittels Body-Mass-Index (BMI, kg/m2) in Anlehnung an die WHO-Klassifikation [42] in die Gruppen kein Übergewicht (BMI < 25), Übergewicht (BMI 25 < 30) und Adipositas (BMI ≥ 30) eingestuft. Zu Rauchern wurden jene gezählt, die zum Zeitpunkt der Befragung gelegentlich oder täglich rauchten (Antwortmöglichkeiten: Ich habe noch nie geraucht bis auf ganz seltenes Probieren, ich habe früher geraucht, ich habe in den letzten zwölf Monaten aufgehört zu rauchen, ich rauche zurzeit gelegentlich, ich rauche zurzeit täglich).

Kovariaten.

Kontrolliert wurde für Geschlecht, Alter, berufliche Qualifikation, für körperliche Arbeitsbelastungen und Arbeitsstress sowie für körperliche und mentale Gesundheit. Die berufliche Qualifikation wurde anhand des Anforderungsniveaus (Helfer‑, Fachkraft‑, Spezialisten- oder Expertentätigkeit) der derzeit ausgeübten Tätigkeit mittels der Klassifikation der Berufe 2010 (kldb2010; 5-Steller) erfasst. Nach dieser Einteilung wird für eine angelernte Helfertätigkeit generell keine berufliche Ausbildung vorausgesetzt, für eine fachliche Tätigkeit eine zwei‑ bis drei‑jährige Berufsausbildung, für eine komplexe Spezialistentätigkeit eine Meister- oder Technikerausbildung und für eine hochkomplexe Expertentätigkeit eine Hochschulausbildung [1]. Zu den körperlichen Arbeitsbelastungen sollten die Teilnehmer beurteilen, wie häufig sie während ihrer Tätigkeit in ungünstigen körperlichen Haltungen arbeiten (gebückt, hockend, kniend, liegend oder über Kopf) und wie häufig sie schwere Lasten heben und/oder tragen (Frauen mehr als 10 kg; Männer mehr als 20 kg). Die Bedingungen wurden von den Befragten jeweils auf einer fünf‑stufigen Skala (nie–mehr als ein Dreiviertel der Zeit) bewertet. Für die Analysen wurden die Werte beider Items gemittelt (Spanne: 0–4). Die interne Konsistenz ist akzeptabel (Cronbachs Alpha = 0,69). Arbeitsstress wurde anhand der Kurzfassung des Modells zur beruflichen Gratifikationskrise (Effort Reward Imbalance [ERI]; [34]; modifizierte Version) untersucht. Die Befragten wurden nach dem Auftreten potenziell verausgabender Arbeitsbedingungen („efforts“; 3 Items zu Arbeitsunterbrechungen, Quantitative Anforderungen, Zeitdruck) und belohnender Arbeitsbedingungen („rewards“; 7 Items, u. a. Entwicklungsmöglichkeiten, Anerkennung durch den Vorgesetzten) gefragt. Bei Vorliegen eines „effort“ bzw. bei Fehlen eines „reward“ sollten die Befragten ihre daraus empfundene Belastung auf einer vier‑stufigen Skala (gar nicht–sehr stark) einschätzen. Das Verhältnis von „efforts“ und „rewards“ wurde dann mittels der Summenskalen beider Dimensionen gebildet (Spanne „efforts“: 3–12; Spanne „rewards“: 7–28). Der Quotient wurde um den Faktor 7/3 gewichtet, um die Differenz der Itemanzahl von „efforts“ und „rewards“ zu berücksichtigen (gewichtetes Verhältnis: ERI-R). Die körperliche Gesundheit und die mentale Gesundheit wurden anhand der Short Form-12 Health Survey (SF-12)-Subskalen Physical health und Mental health (SF12-v2 Sozio-oekonomischer Panel (SOEP) Version; [24]) untersucht. Niedrigere Werte bedeuten einen schlechteren Gesundheitszustand.

Fehlende Werte

Von den 3368 älteren Beschäftigten, die zum Zeitpunkt der Befragung (2018) erwerbstätig und nicht verrentet waren, lagen 3137 gültige Angaben zur EP vor (93,1 %). Die Anzahl fehlender Werte zu den GVh-Faktoren und Kovariaten reichte von 0 bis 367. Die fehlenden Werte wurden mittels multipler Imputation mit der Fully-Conditional-Specification(FCS)-Methode [4] ersetzt. Hierdurch erhöhte sich die Anzahl eingeschlossener Fälle im gemeinsamen multiplen Analysemodell von 2718 auf 3365.

Analysen

Mit multiplen linearen Regressionsmodellen wurden die Effekte der GVh und Kovariaten auf die EP unter blockweiser Hinzunahme der Variablen in das Modell (Modelle 0–3) untersucht. So wurden zuerst die Effekte der GVh-Faktoren auf die EP ohne Kontrolle der Kovariaten geprüft (Modell 0). Dann wurden die GVh-Effekte auf die EP unter Hinzunahme der soziodemografischen Aspekte geprüft (Modell 1). Im nächsten Schritt wurden die Arbeitsbedingungen als weitere Kovariaten in das Modell mitaufgenommen (Modell 2). Abschließend erfolgte die Hinzunahme der Gesundheitsvariablen in das Modell (Modell 3). Durch dieses Vorgehen wurde ersichtlich, inwieweit sich die Regressionskoeffizienten der GVh unter Kontrolle der aufgenommenen Variablen verändern und inwieweit die aufgenommenen Variablen zur Varianzaufklärung der EP beitragen. Das gemeinsame Modell 3 wurde zudem auf Interaktionen der GVh mit der körperlichen Gesundheit und mentalen Gesundheit geprüft. Die Variablen körperliche Arbeitsexposition, Arbeitsstress und die Gesundheitsvariablen wurden mittelwertzentriert. Vorab wurde der Zusammenhang aller Variablen des Analysemodells mittels Korrelationen auf Signifikanz geprüft und bivariate lineare Regressionsmodelle zum Einfluss der jeweiligen GVh-Faktoren und Kovariaten auf die EP berechnet. Die statistischen Analysen wurden mit IBM Statistical Package for Social Science (IBM SPSS Statistics for Windows, Version 25.0. Armonk, NY, USA: IBM Corp.) durchgeführt.

Ergebnisse

Stichprobenbeschreibung

Die Mehrheit der Befragten war weiblich, 1965 geboren und beruflich als Fachkraft tätig. Im Mittel gingen die Befragten davon aus, dass sie bis zu einem Alter von 65 Jahren und zwei Monaten (M = 65,15, SD = 3,77) arbeiten können. Die Mehrheit von ihnen war zu wenig körperlich aktiv (weniger als 1 Tag/Woche bzw. 1–2 Tage/Woche = 65,7 %), übergewichtig bzw. adipös (69,3 %) und gut ein Viertel rauchte. Tab. 1 stellt die deskriptiven Charakteristika der Stichprobe dar.

Tab. 1 Deskriptive Charakteristika der Studienteilnehmer (N= 3368)

Analysemodelle

Bis auf das Rauchverhalten waren alle getesteten GVh und Kovariaten in den bivariaten Modellen (nicht dargestellt) signifikant mit der EP assoziiert. Multikollinearität der Prädiktoren konnte anhand der Korrelationsanalysen untereinander sowie der Prüfung der Toleranz und des Varianzinflationsfaktors (VIF) in den multiplen Analysemodellen ausgeschlossen werden. Tab. 2 stellt die linearen Regressionsmodelle dar.

Tab. 2 Multiple hierarchische lineare Regressionsmodelle zur Einschätzung der Befragten, bis zu welchem Alter (in Jahren) sie arbeiten können (N= 3368)

Zusammenhang der GVh mit der EP

Die körperliche Aktivität war in allen Modellen signifikant mit der EP assoziiert. Kontrolliert für alle GVh und Kovariaten (Modell 3) zeigte sich, dass körperlich Aktive (mindestens 3 Tage/Woche) davon ausgehen, vier Monate länger arbeiten zu können als mäßig Aktive (B = −0,342 [95 % KI: −0,680 – −0,005]) und fünf Monate länger als wenig bzw. nicht Aktive (B = −0,378 [95 % KI: −0,650 – −0,105]). Für das Körpergewicht zeigte sich kontrolliert für die soziodemografischen Faktoren und die Arbeitsbedingungen (Modell 1 und Modell 2), dass Adipositas signifikant mit der EP assoziiert war. Beschäftigte ohne Übergewicht (BMI < 25) gehen davon aus, fünf Monate länger arbeiten zu können als Adipöse (Modell 2: B = −0,456 [95 % KI: −0,797 – −0,114]). Der Effekt war unter Kontrolle der Gesundheitsfaktoren (Modell 3) nicht mehr signifikant. Das Rauchverhalten zeigte keinen signifikanten direkten Effekt auf die EP.

Modell 0 war signifikant, allerdings konnten hierbei die GVh nur einen geringen Teil der Varianz erklären (korr. R2 = 0,010; F(5;3365) = 6,638; p < 0,05). Unter Kontrolle der soziodemografischen Faktoren (Vergleich Modell 0 zu Modell 1), verringerte sich der Effekt für geringe körperliche Aktivität (weniger 1 Tag/Woche) und von Adipositas. Der Effekt für mäßig Aktive verstärkte sich kontrolliert für die soziodemografischen Faktoren und Arbeitsbedingungen (Modell 0 zu Modell 1 zu Modell 2). Kontrolliert für die Gesundheitsvariablen verringerten sich die Effekte beider körperlichen Aktivitätsgruppen (Modell 2 zu Modell 3). In den durchgeführten Interaktionstestungen zeigte sich ein signifikanter Effekt für die Interaktion Rauchen mit körperlicher Gesundheit (B = 0,047 [95 % KI: 0,016 – 0,077]). Der positive Zusammenhang der körperlichen Gesundheit mit der EP ist demzufolge bei Rauchern stärker als bei Nichtrauchern. Abb. 1 veranschaulicht grafisch den Zusammenhang der körperlichen Gesundheit mit der EP je nach Rauchverhalten (Raucher vs. Nichtraucher).

Abb. 1
figure 1

Interaktion Rauchen × körperliche Gesundheit

Unter Einschluss dieser Interaktion in das Modell wurde auch der direkte Effekt des Rauchverhaltens auf die EP signifikant (B = 0,296 [95 % KI: 0,034 – 0,569]). Tab. 3 stellt das signifikante Interaktionsmodell dar.

Tab. 3 Gemeinsames Analysemodell (Modell 3) inklusive der Interaktion Rauchen und körperliche Gesundheit (N= 3368)

Zur weiteren Untersuchung der signifikanten Interaktion wurden Simple Slope Testungen ([2]; nicht dargestellt) durchgeführt. In diesen zeigte sich, dass Rauchen lediglich bei guter körperlicher Gesundheit (+ 1 SD) die EP direkt beeinflusst (B = 0,725 [95% KI: 0,328 – 1,122). Bei guter körperlicher Gesundheit gehen Raucher davon aus, etwa neun Monate länger als die Nichtraucher arbeiten zu können.

Zusammenhang der Kovariaten mit der EP

Alle Kovariaten waren über die Modelle hinweg signifikant mit der EP assoziiert. Im gemeinsamen Modell 3 zeigte sich, dass Männer und Ältere (1959 Geborene) im Vergleich zu den Übrigen davon ausgehen, fünf bzw. sechs Monate länger arbeiten zu können (Männer: B = 0,382 [95 % KI: 0,127 – 0,638]; 1959 Geborene: B = 0,521 [95 % KI: 0,278–0,765]). Spezialisten berichteten eine um acht Monate (B = 0,633 [95 % KI: 0,308 – 0,957]), Experten eine um 16 Monate (B = 1,363 [95 % KI: 1,008 – 1,718]) längere EP als Fachkräfte. Der Unterschied in der EP von Fachkräften zu Beschäftigten mit Helfertätigkeiten war im gemeinsamen Modell 3 nicht signifikant. Körperliche Arbeitsbelastungen (B = −0,498  [95 % KI: −0,658 – −0,339]) und Arbeitsstress (B = −1,095 [95 % KI: −1,435 – −0,754]) waren erwartungskonform negativ mit der EP assoziiert. Körperliche Gesundheit (B = 0,091 [95 % KI: 0,077 – 0,106]) und mentale Gesundheit (B = 0,058 [95 % KI: 0,045 – 0,071]) zeigten erwartungskonform einen positiven Effekt auf die EP.

Diskussion

Die Ergebnisse dieser Untersuchung lassen darauf schließen, dass spezifische GVh (hier: körperliche Aktivität, Körpergewicht, Rauchverhalten) für die EP älterer Beschäftigter von Bedeutung sein können – auch wenn sie diese nur bedingt erklären. Im Schnitt gingen die Befragten davon aus, bis zu einem Alter von 65 Jahren und zwei Monaten arbeiten zu können. Vergleichbar mit den Ergebnissen anderer repräsentativer Studien zu GVh von Personen im mittleren Erwachsenenalter [9, 19, 31, 44] zeigte sich, dass mehr als die Hälfte der befragten Alterskohorten zu wenig körperlich aktiv, übergewichtig bzw. adipös ist und etwa ein Viertel raucht.

Übereinstimmend mit den Ergebnissen früherer Studien zum Zusammenhang von GVh mit einem gesundheitsbedingten Erwerbsausstieg [8, 16, 20, 29] waren die körperliche Aktivität und Adipositas signifikant mit der EP assoziiert. Unter Berücksichtigung aller getesteten soziodemografischen, arbeitsbezogenen und gesundheitlichen Faktoren haben wenig bzw. nicht Aktive eine um etwa fünf Monate kürzere EP als aktive Personen. Ferner zeigte sich, dass Adipöse eine um fünf Monate kürzere EP berichteten als Personen ohne Übergewicht. Dieser Effekt war allerdings kontrolliert für die körperliche und mentale Gesundheit nicht mehr signifikant.

Unter Einschluss der soziodemografischen Variablen (Modell 0 zu Modell 1) verringerte sich der Effekt für die Subgruppen wenig bzw. nicht Aktive und Adipositas auf die EP. So ist davon auszugehen, dass diese soziodemografischen Variablen einen Teil des Unterschiedes im arbeiten Können bei wenig bzw. nicht Aktiven und bei Adipösen erklären. Der Effekt für die Gruppe mäßig Aktiver verstärkte sich über die Modelle hinweg. Demnach modifizieren die untersuchten Kovariaten in dieser Aktivitätsgruppe offenbar den Einfluss auf die EP. Dies deutet wiederum auf ein komplexes Zusammenspiel der Kovariaten mit der körperlichen Aktivität im Einfluss auf die EP. So können Unterschiede in der Art und Weise der körperlichen Aktivität zwischen den untersuchten Personengruppen möglicherweise die unterschiedliche Bewertung der EP erklären. Es ist z. B. bekannt, dass sich Frauen und Männer in ihrer Wahl der Sportarten und der Intensitätsausübung unterscheiden [27]. Dem Erklärungsgehalt dieser Annahme kann aufgrund der herangezogenen Parametrisierung der körperlichen Aktivität an dieser Stelle nicht nachgegangen werden.

Der signifikante Effekt von Adipositas war unter Kontrolle der Gesundheitsvariablen nicht mehr signifikant. Adipöse haben in unserer Studie eine deutlich kürzere EP als Personen ohne Übergewicht, was aber statistisch nahezu vollständig mit ihrer schlechteren Gesundheit erklärt werden kann.

Das Rauchverhalten war in den Analysemodellen nicht mit der EP assoziiert. Unter Einschluss der signifikanten Interaktion Rauchen und körperliche Gesundheit wurde aber auch der Haupteffekt von Rauchen signifikant. Die Simple Slope Testungen zeigten sowohl einen stärkeren Zusammenhang der körperlichen Gesundheit mit der EP für Raucher als auch, dass Rauchen lediglich bei guter körperlicher Gesundheit mit der EP direkt assoziiert ist. Demnach haben Raucher mit guter körperlicher Gesundheit eine um etwa neun Monate längere EP als Nichtraucher. Dass Rauchen eine gesundheitsschädigende Wirkung hat, ist bekannt. Doch Raucher unterschätzen häufig das relative Gesundheitsrisiko des Tabakkonsums [18]. Denkbar ist daher, dass Raucher wegen des vorliegenden Risikofaktors ihre EP stärker mit Blick auf ihre körperliche Gesundheit bewerten, die EP bei wahrgenommener guter körperlicher Gesundheit aber eher überschätzen. Dies sollten weitere Studien prüfen.

Bezüglich der festgestellten Zusammenhänge der Kovariaten mit der EP stehen die Befunde in Übereinstimmung zu Berichten in Übersichtsarbeiten, nach denen Männer und Beschäftigte in höheren beruflichen Tätigkeiten länger erwerbstätig sind [30, 41]. Dies gilt ebenso für unsere Befunde, nach denen körperliche Arbeitsbelastungen und Arbeitsstress mit einer kürzeren EP einhergehen und körperliche und mentale Gesundheit mit einer längeren. Der signifikante Altersunterschied bei der EP ist konsistent mit Ergebnissen anderer Untersuchungen zur selbstberichteten EP zu sehen [13, 22, 23, 25, 43]. Es ist anzunehmen, dass mit zunehmendem Alter sich der Einfluss der gegenwärtigen Lebens- und Arbeitsunterschiede auf die EP wandelt [13, 22]. Auch verringert sich der Prognosezeitraum mit zunehmendem Alter, was die EP beeinflussen kann [13]. Allerdings kann es auch sein, dass der Altersunterschied auf die Zugehörigkeit zur Geburtskohorte zurückzuführen ist. Hierbei können beispielsweise verschiedene Normen (z. B. unterschiedliche Betroffenheit durch Bestimmungen zur gesetzlichen Regelaltersgrenze des Renteneintritts) und Werte (z. B. Stellung der Arbeit im persönlichem Leben) bei der Bewertung der EP von Bedeutung sein [13]. Aufgrund des querschnittlichen Untersuchungsdesigns und der Befragung lediglich älterer Beschäftigter ist nicht eindeutig zu beurteilen, ob der signifikante Altersunterschied ein Alters- oder Kohorteneffekt ist.

Eine Stärke dieser Untersuchung ist die Repräsentativität der Studienpopulation für die sozialversicherungspflichtig Beschäftigten der Geburtsjahrgänge 1959 und 1965 hier in Deutschland [32]. Sie ermöglicht es, Rückschlüsse auf die Verteilungen und Zusammenhänge der Faktoren für Beschäftigte dieser beiden Alterskohorten zu ziehen. Die Generalisierbarkeit der Ergebnisse auf die Gesamtheit aller älteren sozialversicherten Beschäftigten ist aber durch die Befragung von nur zwei Geburtsjahrgängen eingeschränkt. Eine weitere Stärke der Untersuchung stellt die Größe der Stichprobe dar. Sie ermöglicht die multiple Testung von Unterschieden in Subgruppen (z. B. Raucher mit guter körperlichen Gesundheit). Die multiple Imputation mittels FCS-Methode sehen wir als weitere Stärke an. Dadurch erhöhte sich die Anzahl der im multiplen Analysemodell eingeschlossenen Fälle von 2718 auf 3365. Berechnete Analysemodelle ohne Imputation zeigten sehr ähnliche Ergebnisse. Wegen des querschnittlichen Untersuchungsdesigns sind kausale Wirkzusammenhänge vorsichtig zu betrachten. Die untersuchten GVh wurden subjektiv erfragt. Daher ist nicht auszuschließen, dass die Angaben einer Verzerrung aufgrund sozialer Erwünschtheit unterliegen, bzw. einer Abweichung zum tatsächlichen GVh aus anderen Gründen. Nichtsdestotrotz sind die Verteilungshäufigkeiten der körperlichen Aktivität, des Körpergewichts und des Rauchverhaltens der befragten Alterskohorten vergleichbar mit denen anderer repräsentativer Studien zu GVh von Personen im mittleren Erwachsenenalter [9, 19, 31, 44].

Schlussfolgerung und Ausblick

Die Alterung und Schrumpfung der Bevölkerung machen es aus sozialpolitischer wie wirtschaftlicher Sicht möglicherweise unerlässlich, dass ältere Beschäftigte länger arbeiten müssen. Die Befragten dieser repräsentativen Studie gingen im Schnitt aber davon aus, bis zu einem Alter von 65 Jahren und zwei Monaten arbeiten zu können. Dies unterschreitet das derzeitige Regelrenteneintrittsalter von 66 bzw. 67 Jahren für die untersuchten Alterskohorten. Wenn nun die Bewertung, wie lange man noch arbeiten kann, relevanter Prädiktor für den tatsächlichen Erwerbsausstieg ist, sollten beeinflussende Faktoren dieser Einschätzung für die rechtzeitige Planung von Gegenmaßnahmen von Interesse sein.

In diesem Beitrag ging es darum, zu untersuchen, inwieweit spezifische GVh mit der Bewertung des eigenen (noch arbeiten) Könnens älterer Beschäftigter zusammenhängen. Die hier festgestellten Zusammenhänge weisen darauf hin, dass für diesen Teilaspekt der EP die untersuchten GVh bis zu einem gewissen Grad von Bedeutung sein können.

Die Effekte der GVh auf die Bewertung des eigenen (noch arbeiten) Könnens sind als gering einzustufen. Dabei ist allerdings zu bedenken, dass auch die anderen untersuchten Merkmale wie Geschlecht, körperliche Arbeitsbelastungen und Gesundheit die EP nur eingeschränkt erklärten. So deuten die Analysen auf ein komplexes Zusammenwirken der verschiedenen individuellen und kontextualen Faktoren bei der Bewertung des (noch arbeiten) Könnens hin. Nichtsdestotrotz zeigte sich, dass die körperliche Aktivität unabhängig vom Gesundheitszustand und allen anderen untersuchten Faktoren, die EP signifikant begünstigen kann.

Zukünftige Studien sollten die Zusammenhänge der EP mit den hier untersuchten GVh und Kovariaten längsschnittlich überprüfen. Die Überprüfung der Effekte von Veränderungen der GVh über die Zeit auf die EP kann für Interventionen interessant sein. Die Gründe, warum körperliche Aktivität kontrolliert für alle anderen untersuchten Variablen, einen signifikanten positiven Effekt auf die EP hat, sollte in qualitativen Untersuchungen näher untersucht werden. Dies kann einen tieferen Einblick in das mögliche Potenzial dieser GVh für die Erwerbsteilhabe geben. Es ist durchaus denkbar, dass die Förderung von körperlicher Aktivität über den gesundheitlichen Nutzen hinaus zur Erwerbsteilhabe älterer Beschäftigter beitragen kann. Unternehmen sollten die gefundenen Ergebnisse daher nutzen, um gezielter auf individuelle Pläne und Bedarfe, besonders von Beschäftigten mit potenziell kürzeren EP, eingehen zu können. So können betriebliche Maßnahmen zur Gesundheitsförderung und Prävention, die individuelle und kontextuale Prädiktoren der subjektiven EP gezielt berücksichtigen, möglicherweise über den gesundheitlichen Nutzen hinaus dazu beitragen, dass Beschäftigte meinen, länger arbeiten zu können und es dann vielleicht auch eher tun.

Fazit

  • Für die Arbeitswelt wird es zukünftig sehr bedeutend sein, Beschäftigte so lange wie möglich im Erwerb zu halten. Die subjektive Erwerbsperspektive (EP) gilt als prädiktiv für die Erwerbsdauer und sollte daher wissenschaftlich und gesellschaftlich mehr Beachtung finden.

  • Als zentrale Komponente der EP wird die eigene Bewertung, wie lange man noch arbeiten kann, angesehen. Dieser Bewertung scheint ein komplexes Zusammenspiel individueller und kontextualer Faktoren zugrunde zu liegen. Um die Wirkmechanismen genauer zu verstehen, sollten die hier gefundenen Zusammenhänge in längsschnittlichen Untersuchungen weiter erforscht werden.

  • Eine regelmäßige körperliche Aktivität (mind. 3 Tage/Woche) begünstigt die EP älterer Beschäftigter. Die Gründe hierfür sollten im Rahmen qualitativer Forschungen näher untersucht werden, um das Potenzial dieser gesundheitsrelevanten Verhaltensweise für die Erwerbsteilhabe genauer bewerten zu können.

  • Unternehmen sollten die gefundenen Ergebnisse nutzen, um bei der Planung und Implementierung von Maßnahmen gezielter auf die Bedürfnisse und Belange älterer Beschäftigter eingehen zu können.