Von der Novellierung der arbeitsmedizinischen Vorsorgeverordnung (ArbMedVV) [1] im Oktober 2013 wurde eine Stärkung der Wunschvorsorge und der betriebsärztlichen Vertrauensposition erwartet. Die Vorsorge, insbesondere die Wunschvorsorge, wird durch die Novelle gestärkt und das Recht auf informationelle Selbstbestimmung und der damit verbundene Datenschutz betont. Ein wesentlicher Kernpunkt der Novelle besteht auch in der Klarstellung, dass die arbeitsmedizinische Vorsorge nicht mit dem Nachweis der Eignung für bestimmte Tätigkeiten verbunden ist und es auch keinen Untersuchungszwang gibt. In den Vordergrund gerückt sind die individuelle Aufklärung und Beratung.

In Vorfeld der Novelle gab es heftige Diskussion. Insbesondere wurde die Trennung von Beratung und Untersuchung kritisiert. Deshalb scheint es sinnvoll zu sein, die Umsetzung der novellierten ArbMedVV zu evaluieren. Während einer 2-tägigen Fortbildungsveranstaltung (Dresdener Trialog) im Mai 2014 wurden die teilnehmenden Betriebsärzte gebeten, einen Fragebogen zu der Novelle zu beantworten, der ihre Einschätzung zu den Auswirkungen auf Betriebe und Betriebsärzte erfasst. Von den 85 Betriebsärzten füllten 33 den Fragebogen aus.

Informationsstand und Berufserfahrung

Von 33 Betriebsärzten waren 44 % Fachärzte für Arbeitsmedizin, 56 % führten den Zusatztitel Betriebsmedizin, lediglich ein Arzt befand sich in Ausbildung. Selbstständig in ihrer eigenen Praxis arbeiteten 38 %, während 47 % in dem von ihnen betreuten Betrieb angestellt waren. Eine mehr als 10-jährige Berufspraxis hatten 84 %, 41 % waren zwischen 35 und 55 Jahre alt, 56 % waren Frauen. Großbetriebe wurden von 44 % der Betriebsärzte betreut, 72 % betreuten Klein- und Mittelbetriebe, 66 % betreuten Krankenhäuser, 31 % bzw. 9 % betreuten Einrichtungen der stationären Altenpflege bzw. ambulante Pflegedienste. Mehrfachnennungen waren möglich. Von den Betriebsärzten fühlten sich 81 % sehr gut bis ausreichend über die Novelle informiert.

Umsetzung der Vorschrift 2 der DGUV und Zuordnung von Rechtsvorschriften

Mit mindestens einem ihrer betreuten Betriebe hatten 56 % der Betriebsärzte bereits einen Leistungskatalog nach Vorschrift 2 der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV) ausgehandelt, nur 50 % der Betriebe rechnen die spezielle arbeitsmedizinische Vorsorge in der betriebsspezifischen Betreuung ab.

Bereits 56 % der Betriebe führen die Untersuchungsanlässe mit Rechtsgrundlage in den Untersuchungsaufträgen auf. Eignungsuntersuchungen werden 6 Monate nach der Novellierung bei der Hälfte der Betriebe stärker von der Vorsorge getrennt als vorher.

Umgang der Probanden mit Untersuchungsangeboten

Einen kritischeren Umgang der Arbeitnehmer mit betriebsärztlichen Untersuchungsangeboten geben 13 % der Betriebsärzte an, die überwiegende Mehrzahl (85 %) stellt keine Änderung fest. Von den Probanden akzeptieren 97 % weiterhin Laboruntersuchungen und medizintechnische Untersuchungen. Impfungen, Blutabnahmen oder andere zusätzliche Untersuchungen werden von 88 % der Probanden gewünscht. Dies ist angesichts der immer wieder zitierten Impfmüdigkeit der deutschen Bevölkerung bemerkenswert. Über die Hälfte der Betriebsärzte (56 %) geben an, durch die arbeitsmedizinische Vorsorge weiterhin eine erhöhte gesundheitliche Gefährdung in den betreuten Betrieben erkennen zu können. Genauso viele schätzen den Beitrag der Vorsorge als positiv für die Weiterentwicklung des betrieblichen Gesundheitsschutzes ein; nur 16 % verneinen dies kategorisch.

Inanspruchnahme der Wunschvorsorge

In 97 % der Betriebe ist es noch nicht, wie beabsichtigt, zu einer verstärkten Inanspruchnahme der Wunschvorsorge gekommen. Damit wird das Ziel der Novelle bisher verfehlt. In 28 % der Betriebe berät der Betriebsarzt vermehrt zur alters- und alternsgerechten Arbeitsgestaltung, in 44 % vermehrt zum betrieblichen Eingliederungsmanagement. Eine Mehrheit der Betriebsärzte (69 %) nehmen an, dass es durch die Novelle der ArbMedVV keine besseren Möglichkeiten gibt, einen Beitrag zum Erhalt der Beschäftigungsfähigkeit einer alternden Belegschaft zu leisten und die arbeitsmedizinische Vorsorge noch nicht erkennbar gestärkt wurde. Ihre eigene Position im Betrieb schätzen 78 % als unverändert ein; 16 % gehen sogar davon aus, dass ihre betriebliche Position eher geschwächt wurde.

Einschätzung der Gefährdungszunahme

Einstellungs- oder Eignungsuntersuchungen haben bei 9 % der Betriebe zugenommen. Die Eigengefährdung der Beschäftigten wird von 3 % (1/33 Betriebsärzte) als erhöht angegeben. Eine Zunahme der Fremdgefährdung vermuten 6 %. In beiden Gefährdungsfällen wurde nach einer Zunahme der Beinahe-Unfälle oder Unfälle gefragt.

Bruch der ärztlichen Schweigepflicht

Innerhalb der vorangegangenen 6 Monate brachen 10 % der Betriebsärzte wegen eines rechtfertigenden Notstands die Schweigepflicht nach §213 Strafgesetzbuch; 78 % der Betriebsärzte meldeten innerhalb der vorangegangenen 12 Monate einen Verdacht auf Berufskrankheit an die zuständige Berufsgenossenschaft.

Umstellung der Praxisorganisation

Bereits 75 % der betriebsärztlichen Praxen haben die Bescheinigungen, die nach der Vorsorge an den Arbeitgeber und Arbeitnehmer geschickt werden, den neuen Anforderungen angepasst. Infolge der Novellierung mussten 72 % ihre Praxisorganisation umstellen. Dies wirkte sich auch auf die Praxissoftware aus; 19 % verbinden mit der Novelle auch einen wirtschaftlichen Schaden.

Diese erste Auswertung der Auswirkungen der Novelle der ArbMedVV legt nahe, dass die Veränderungen für die Betriebsärzte besser umsetzbar sind, als es die teilweise vehemente Diskussion im Vorfeld vermuten ließ.

Ausblick

Eine bundesweite Befragung der Betriebsärzte soll mit einem modifizierten Fragebogen die weitere Entwicklung in den Betrieben erfassen. Dieser Fragebogen wird 2-mal im Abstand von einem Jahr an Betriebsärzte und größere Mitgliedsunternehmen der Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege (mit der Bitte um Weitergabe an den Betriebsarzt) verschickt. Wenn auch Sie Interesse haben, an der Befragung teilzunehmen, bitten wir Sie um eine Nachricht an arbeitsmedizin@bgw-online.de oder um ein Fax an 040/20207-3297 mit Angabe Ihrer Postadresse. Wir beziehen Sie gerne in den Verteiler ein.