Einleitung

Sprache spielt im naturwissenschaftlichen Sachunterricht für den Erwerb fachlicher Kompetenzen eine bedeutsame Rolle, da sie gleichermaßen Lernmedium und Lerngegenstand darstellt (Heitzmann 2019). Im naturwissenschaftlichen Grundschulunterricht werden dabei wichtige Grundlagen zur Anknüpfung im Fachunterricht (z. B. Chemie) der Sekundarstufe gelegt (Benholz und Rau 2011). Um daher Sprachbildung im und durch Fachunterricht anzuregen, wird eine bewusste Verzahnung des Lernens fachlicher und sprachlicher Inhalte vorgeschlagen (Gesellschaft für Didaktik des Sachunterrichts 2013; Quehl und Trapp 2020). Diese Verzahnung kann für Lehrkräfte mit Herausforderungen, wie z. B. dem Umgang mit der sprachlichen Heterogenität der Lernenden, verbunden sein und setzt eine qualifizierte Aus- und Weiterbildung voraus (Rank et al. 2016).

Als Ziel solch einer Aus- und Weiterbildung kann der Ausbau spezifischer Kompetenzen, wie z. B. der Selbstwirksamkeitsüberzeugungen (Gale et al. 2021) und der professionellen Unterrichtswahrnehmung (Junker et al. 2020), angesehen werden, die sich in bisherigen Studien als relevant für qualitätsvollen Unterricht erwiesen haben (Kersting et al. 2012; Zee und Koomen 2016). Gold et al. (2017) zeigten in einer Studie, dass in der universitären Lehre beide Kompetenzen durch Seminare mit videobasierten Gestaltungselementen gefördert werden können.

In der vorliegenden Studie wurden vor diesem Hintergrund verschiedene videobasierte Gestaltungselemente in Lehrkonzepten umgesetzt, evaluiert und weiterentwickelt. Ziel war die Förderung der professionellen Unterrichtswahrnehmung (PUW) sowie der Selbstwirksamkeitsüberzeugungen (SWÜ) im Kontext der Sprachsensibilität im naturwissenschaftlichen Sachunterricht von Masterstudierenden. In diesem Beitrag wird zunächst das Konzept von Sprachsensibilität im naturwissenschaftlichen Sachunterricht erläutert, bevor auf die PUW und SWÜ von Lehrkräften im Kontext von Sprachsensibilität fokussiert wird. Anschließend werden zentrale Gestaltungselemente zur Förderung von PUW und SWÜ herausgearbeitet, aus denen die Lehrkonzepte und Fragestellungen der vorliegenden Studie abgeleitet werden. Die Ergebnisse werden mit Blick auf die Gestaltung von videobasierten Lehrkonzepten und zukünftige Forschungsansätze diskutiert.

Theoretischer Hintergrund

Sprachsensibilität im naturwissenschaftlichen Sachunterricht

Im naturwissenschaftlichen Sachunterricht nehmen die sprachlichen Kompetenzen der Lernenden eine doppelte Rolle im Lehr-Lern-Prozess ein (Rank und Wildemann 2015). Sie gelten zum einen als zentrales Medium (Michalak et al. 2015; Röhner et al. 2009), da mithilfe von Sprache z. B. ein Sachverhalt erschlossen und mit anderen Personen darüber kommuniziert werden kann (Gesellschaft für Didaktik des Sachunterrichts 2013; Heitzmann 2019). Zum anderen ist die Sprache selbst Lerngegenstand im Rahmen des naturwissenschaftlichen Lernens (Fornol 2020; Heitzmann 2019), da u. a. auf das Erlernen eines fachsprachlichen Ausdrucks sowie eines Bewusstseins für die Fachsprachlichkeit gezielt wird (Michalak et al. 2015). Der Erwerb naturwissenschaftlicher Fachsprache scheint für Grundschulkinder allerdings herausfordernd zu sein, für Kinder mit Deutsch als Zweitsprache können allgemein unzureichende Sprachkompetenzen den fachlichen Kompetenzerwerb zusätzlich beeinträchtigen (Ahrenholz 2010). So kann z. B. von sprachlichen Impulsen, die das naturwissenschaftliche Lernen in besonderem Maße anregen können (Leuchter und Naber 2018), evtl. nicht profitiert werden.

Ein Unterricht, der a) die individuellen sprachlichen Kompetenzen der Lernenden berücksichtigt und b) entsprechende individuelle Sprachbildungsprozesse im Sinne des Scaffolding-Ansatzes unterstützt (Gogolin et al. 2011; Quehl und Trapp 2020), kann an dieser Stelle ansetzen und wird im Weiteren als sprachsensibel bezeichnet.

Für den naturwissenschaftlichen Sachunterricht konkretisieren Grewe und Möller (2020) 17 sprachsensible Unterstützungsmaßnahmen, die sich in drei Bereiche kategorisieren: (1) Erleichtern bzw. Forcieren von Kommunikation (z. B. Begrenzen der Sprachkomplexität durch bspw. den Verzicht auf nicht eingeführte fach- und bildungssprachliche Begriffe), (2) sprachliches Modellieren durch vorbildliches bzw. steuerndes Sprachhandeln (z. B. explizites Einführen und Anwenden von fach- und bildungssprachlichen Begriffen) und (3) Einsetzen unterschiedlicher Repräsentationsformen (enaktiv, ikonisch, symbolisch mündlich bzw. schriftlich) zur Sprachbildung und -förderung. Die Maßnahmen wurden ausgehend von theoretischer Bezugsliteratur und empirischen Befunden abgeleitet sowie ergänzend in Unterrichtsvideos des naturwissenschaftlichen Sachunterrichts aus sehr sprachheterogenen Lerngruppen analysiert (s. Grewe in Vorbereitung; Grewe und Möller 2020). Sie bieten sich in Anlehnung an Gibbons (2006) sowohl für die konkrete Interaktion mit Lernenden im Unterricht („Mikro-Scaffolding“) als auch als Planungshilfe für sprachsensiblen Unterricht („Makro-Scaffolding“) an. Erste Studien deuten darauf hin, dass sich sprachsensible Lehr-Lern-Situationen positiv auf die Sprachleistung (Röhner et al. 2009) und die fachlichen Kompetenzen im frühen naturwissenschaftlichen Unterricht auswirken (Hardy et al. 2019).

Kompetenzen von Lehrkräften

Um solche sprachsensiblen Lehr-Lern-Situationen zu gestalten sowie sprachliches und fachliches Lernen im Unterricht zu verzahnen, sind professionelle Kompetenzen seitens der Lehrkräfte erforderlich (Michalak et al. 2015). Lehrkräfte der Naturwissenschaften integrieren sprachliches Lernen jedoch nur selten systematisch in ihren Unterricht und schätzen ihre Ausbildung bzgl. Sprachsensibilität als unzureichend ein (Riebling 2013). Eine frühzeitige Förderung professioneller Kompetenz für sprachsensibles Unterrichtshandeln scheint daher bedeutsam (Becker-Mrotzek et al. 2012; Grewe und Möller 2020). In Anlehnung an Kompetenzmodelle (Blömeke et al. 2015) kann als Grundlage für sprachsensibles Unterrichten von Naturwissenschaften von einem Zusammenspiel verschiedener kognitiver und affektiv-motivationaler Dispositionen wie professionellem Wissen und SWÜ einer Lehrkraft ausgegangen werden. Damit diese jedoch in konkretes Unterrichtshandeln transformiert werden können, bedarf es zusätzlich situationsspezifischer Fähigkeiten (Blömeke et al. 2015) wie der PUW.

Professionelle Unterrichtswahrnehmung

Die PUW bezeichnet die Fähigkeit von Lehrkräften, lernrelevante Ereignisse im Unterricht zu erkennen und wissensbasiert zu verarbeiten (Seidel et al. 2010). In Anlehnung an empirische Befunde zur Wirksamkeit sprachsensiblen Unterrichts (Hardy et al. 2019; Röhner et al. 2009) können demnach Ereignisse, in denen es sprachsensibler Unterstützung individueller Sprachbildungsprozesse bedarf, als lernrelevant angesehen werden. Die PUW umfasst zwei zentrale Prozesse (Seidel et al. 2010): (1) Beim Noticing wird die eigene Aufmerksamkeit im komplexen Unterrichtsgeschehen auf lernrelevante Ereignisse fokussiert. Im Kontext eines sprachsensiblen Unterrichts können dies z. B. Situationen sein, in denen sprachliche Probleme der Lernenden (bspw. beim Formulieren einer Vermutung) identifiziert werden können. (2) Beim Knowledge-based Reasoning werden diese identifizierten Ereignisse wissensbasiert verarbeitet. Solch eine Verarbeitung umfasst in Anlehnung an Junker et al. (2020) z. B. die Beschreibung, Interpretation und Bewertung des Ereignisses sowie ggf. die Generierung von Handlungsalternativen. In einem sprachsensiblen Unterricht könnte sich dies z. B. auf die Beschreibung der oben genannten Situation, die wissensbasierte Interpretation des sprachlichen Problems inklusive einer möglichen sprachsensiblen Unterstützung zur Formulierung einer Vermutung, die Bewertung der Unterstützung sowie auf entsprechende Handlungsalternativen beziehen.

In Anlehnung an das Modell der Kompetenz als Kontinuum (Blömeke et al. 2015) wird die PUW als Vermittlerfähigkeit zwischen dem professionellen Wissen und dem unterrichtlichen Handeln angesehen. Professionelles Wissen gilt dabei als Grundlage für die PUW, da es sowohl das Erkennen lernrelevanter Ereignisse in komplexen Unterrichtssituationen als auch deren wissensbasierte Verarbeitung zu beeinflussen scheint. Dies konnte auch in Studien bestätigt werden (König und Kramer 2016; Meschede et al. 2017). Für die PUW bzgl. sprachsensibler Maßnahmen kann sowohl fachspezifisches Wissen, z. B. zur Erkennung falscher Begriffsverwendungen, als auch pädagogisches Wissen, z. B. zur Bewertung der Angemessenheit einer Fehlerkorrektur aus motivationaler Sicht, als bedeutsam angenommen werden.

Inwiefern darüber hinaus ein Zusammenhang zwischen der PUW und dem konkreten Handeln einer Lehrkraft besteht, konnte bisher noch nicht eindeutig belegt werden (Möller et al. 2021). Erste empirische Befunde weisen allerdings darauf hin, dass die PUW eine wichtige Kompetenz für die Unterrichtsqualität sowie den Lernerfolg der Lernenden darzustellen scheint (Kersting et al. 2012; van Es und Sherin 2010). Da Studierende jedoch meist über eine nur gering ausgeprägte PUW, auch im Kontext des naturwissenschaftlichen Sachunterrichts (Meschede et al. 2017), verfügen, ist eine Förderung bereits in der universitären Ausbildung anzustreben. Dadurch können angehende Lehrkräfte frühzeitig auf ein angemessenes Handeln (u. a. in Bezug auf ein sprachsensibles Unterrichten) im Sachunterricht vorbereitet werden.

Selbstwirksamkeitsüberzeugungen

Neben der PUW können auch SWÜ als bedeutsam für sprachsensibles Handeln angenommen werden. Unter SWÜ werden subjektive Einschätzungen verstanden, herausfordernde Anforderungen mithilfe der eigenen Kompetenzen erfolgreich bewältigen zu können (Bandura 1997). Der Umgang mit der sprachlichen Heterogenität von Lernenden kann eine solche Herausforderung darstellen. So fühlen sich Lehrkräfte nicht ausreichend bzgl. der Sprachsensibilität ausgebildet (Riebling 2013). SWÜ bzgl. des Einsatzes sprachsensibler Maßnahmen beschreiben demnach die subjektive Einschätzung, der sprachlichen Heterogenität z. B. durch die Planung und Durchführung sprachbildender und sprachfördernder Maßnahmen im Unterricht erfolgreich begegnen zu können. Studien deuten darauf hin, dass Lehrkräfte mit höheren SWÜ u. a. Unterricht von höherer Qualität durchführen (Wolstein et al. 2021; Zee und Koomen 2016). So setzen Lehrkräfte eher neue Unterrichtsmethoden (wie ggf. sprachsensible Maßnahmen) ein (Schwarzer und Warner 2014) und zeigen höhere Anstrengung und Ausdauer auch in schwierigen Unterrichtssituationen (Schwarzer und Jerusalem 2002). Dies lässt vermuten, dass sich höhere SWÜ positiv auf das sprachsensible Unterrichten im naturwissenschaftlichen Sachunterricht auswirken könnten. Allerdings verfügen Grundschullehrkräfte häufig über geringe SWÜ (Möller 2004). Vor diesem Hintergrund erscheint es relevant, neben der PUW auch SWÜ hinsichtlich sprachsensiblen naturwissenschaftlichen Unterrichtens frühzeitig zu fördern.

Gestaltungselemente zur Förderung von PUW und SWÜ

Professionelle Unterrichtswahrnehmung

Im Kontext der Förderung der PUW hat sich insbesondere der Einsatz von Unterrichtsvideos als bedeutsam erwiesen (Gold et al. 2021; Steffensky und Kleinknecht 2016), da Videos eine Annäherung an eine PUW in eigenen konkreten Unterrichtssituationen ermöglichen. Bislang wurde in diesem Zusammenhang primär die Wirksamkeit übergreifender videobasierter Konzepte, d. h. ganzer Seminare oder Fortbildungsprogramme (z. B. van Es und Sherin 2010) untersucht. Erst in jüngster Zeit liegt der Fokus zunehmend auf der Identifizierung spezifischer, förderlicher Gestaltungselemente innerhalb dieser videobasierten Konzepte (z. B. Tannert et al. 2023). So haben Santagata et al. (2021) bspw. in einem Review videobasierter Programme die Nutzung von Videos und damit verbundene Unterschiede (u. a. Art der Videos, Aufgabenformate, Unterstützungsmaßnahmen) herausgearbeitet. Konkrete Gestaltungselemente zur Förderung von PUW sind bisher jedoch kaum untersucht und nur wenige Studien liefern spezifische Hinweise zur Überlegenheit einzelner Elemente (Tannert et al. 2023). Studierende könnten sogar ggf. individuell von unterschiedlichen Elementen profitieren (Stürmer et al. 2016). Genauer untersucht wurde bislang vor allem der Einsatz verschiedener Arten von Unterrichtsvideos. Dabei scheint sich sowohl der Einsatz von Unterrichtsvideos unbekannter Lehrkräfte („fremde Videos“; Koschel 2021) als auch der Einsatz von eigenen Unterrichtsvideos anzubieten (Gold et al. 2021). Während fremde Videos insbesondere Potenzial für die Analyse kritischer Ereignisse zu haben scheinen, scheinen eigene Videos insbesondere zu einer höheren Motivation und Involviertheit führen zu können (Seidel et al. 2011). Zudem stehen aufgrund der eigenen Involviertheit bei letzterem mehr Kontextinformationen (z. B. zu den Lernenden) zur Verfügung als dies bei fremden Videos meist möglich ist (Meschede und Steffensky 2018).

Für die universitäre Lehrkräftebildung legen Studien insbesondere das Potenzial eines kombinierten Einsatzes fremder und eigener Videos nahe (Gold et al. 2017, 2021; Hellermann et al. 2015). So konnte z. B. die PUW von Bachelorstudierenden bzgl. der Lernunterstützung im naturwissenschaftlichen Sachunterricht durch ein Seminar gefördert werden, in dem zunächst Videos fremder Lehrkräfte analysiert und anschließend eigene Unterrichtssituationen im Rahmen eines Microteachings geplant, umgesetzt, videografiert und in Bezug auf das eigene lernunterstützende Handeln analysiert wurden (Sunder et al. 2016).

Bislang wurde jedoch nicht untersucht, welche Bedeutung spezifische Gestaltungselemente beim Einsatz eigener Videos auf die PUW haben. Hierzu zählen der Planungsprozess zur Generierung eigener Videos, die Art der eigenen Unterrichtserfahrung (z. B. im Microteaching oder Klassenverband) und die daraus resultierende Grundlage zur videobasierten Analyse. So wird z. B. angenommen, dass der Prozess der Unterrichtsplanung bereits ähnliche kognitive Prozesse wie die PUW ermöglicht (Zaragoza et al. 2023) und somit auch relevant für die PUW sein könnte. Die Umsetzung in kleineren bzw. größeren Gruppen bestimmt zudem die Komplexität der Erfahrung und damit potenziell auch der videobasierten Analyse im Sinne der PUW.

Selbstwirksamkeitsüberzeugungen

Anders als bei der PUW wurden bzgl. der Förderung der SWÜ von Bandura (1997) bereits detaillierte Gestaltungselemente („Quellen“) herausgearbeitet: (1) eigene Erfolgserfahrungen, z. B. durch eigenes Unterrichten, (2) stellvertretende Erfahrungen, z. B. durch Beobachten erfahrener Lehrkräfte (Bautista 2011), (3) soziale Persuasion, z. B. durch positives Feedback von Peers (Gale et al. 2021) und (4) physiologische Reaktionen, z. B. positive Beurteilung von (moderatem) Stress.

Ähnlich wie bei der PUW zeigen Studien, dass insbesondere eigene naturwissenschaftliche Unterrichtserfahrungen (Cantrell et al. 2003; Velthuis et al. 2014), stellvertretende Erfahrungen oder eine Kombination aus beidem (Bautista 2011; Pawelzik 2017) förderlich für SWÜ bei angehenden Grundschullehrkräften im Kontext des naturwissenschaftlichen Unterrichtens zu sein scheinen. Stellvertretende Erfahrungen können dabei u. a. durch den Einsatz von fremden Unterrichtsvideos realisiert werden (Bautista 2011), in denen Lehrkräfte z. B. spezifische Anforderungen im Kontext der Sprachsensibilität erfolgreich bewältigen. Eigene Unterrichtserfahrungen können in ganzen Klassen (Gold et al. 2017) bzw. in komplexitätsreduzierten Microteaching-Settings (Altmann et al. 2019; Arsal 2014) realisiert werden. Eine entsprechende Planung der Unterrichtsdurchführung wird dabei auch bzgl. der SWÜ als bedeutsam angesehen (Cantrell et al. 2003), da die Planung ein tieferes Verständnis für das Unterrichtsthema ermöglicht und angehenden Lehrkräften helfen kann, ein entsprechendes Vertrauen in die Unterrichtsdurchführung zu entwickeln (Velthuis et al. 2014).

Zusätzlich scheint auch der Erwerb fachbezogenen Wissens eine Möglichkeit zu sein, die SWÜ zu fördern (Menon und Sadler 2018). So begründeten Studierende in einer Studie von Palmer et al. (2015) ihre gesteigerten SWÜ z. B. mit einem erhöhten Fachwissen, welches sie nach eigenem Empfinden für ein erfolgreiches Unterrichten der Naturwissenschaften benötigen.

Fragestellungen und Hypothesen

Ausgehend von den dargestellten empirischen Befunden zur Förderung der PUW und SWÜ scheint sich für beide Aspekte professioneller Kompetenz der kombinierte Einsatz fremder und eigener Videos in universitären Lehrveranstaltungen anzubieten (Gold et al. 2017). Der Einsatz der Videos ermöglicht dabei eine Annäherung beider Kompetenzaspekte in konkreten Unterrichtssituationen, indem z. B. spezifische Maßnahmen der Lehrperson und deren Passung zu den Voraussetzungen der Lernenden analysiert werden können. Bislang wurde ein solch videobasiertes Lehrkonzept jedoch noch nicht für die Förderung der PUW und SWÜ bzgl. sprachsensibler Maßnahmen im naturwissenschaftlichen Sachunterricht entwickelt und evaluiert.

Vor diesem Hintergrund war das Ziel der vorliegenden Studie zunächst die Entwicklung und Evaluation eines Lehrkonzeptes, in dem mit fremden Videos gearbeitet und anschließend ein sprachsensibler Unterricht geplant, in Klassen durchgeführt und anhand eigener Videos analysiert wird.

Forschungsfrage 1

Kann ein Lehrkonzept mit fremden und eigenen Unterrichtsvideos die PUW und die SWÜ bzgl. sprachsensibler Maßnahmen im naturwissenschaftlichen Sachunterricht bei Masterstudierenden im Vergleich zu einer Kontrollgruppe ohne Seminar fördern?Footnote 1

Hypothese 1

Auf Grundlage bisheriger Befunde aus anderen Domänen (z. B. Gold et al. 2017) wird angenommen, dass Studierende mit Seminar signifikant höhere Zuwächse hinsichtlich ihrer PUW und SWÜ bzgl. sprachsensibler Maßnahmen nach der Intervention aufweisen als eine Kontrollgruppe ohne Seminar.

Ausgehend von dem initialen Lehrkonzept wurden die Gestaltungselemente beim Einsatz der eigenen Videos näher untersucht, da diese in bisherigen Studien kaum berücksichtigt wurden. Im Fokus standen die Planung, Durchführung und videobasierte Analyse des eigenen Unterrichts. Die konkrete Variation der Elemente wurde sowohl theoretisch-empirisch begründet als auch maßgeblich durch Rückmeldungen der Studierenden beeinflusst. Aus diesem Grund entsprechen die zwei daraus resultierenden Interventionen eher Adaptionen im Sinne des Design-Based-Research-Ansatzes (Reinmann 2020). So wurde in beiden Adaptionen die Planungszeit gleichermaßen erweitert. In Anlehnung an theoretische Ansätze und empirische Befunde kann angenommen werden, dass sich eine erweiterte Planungszeit in beiden Adaptionen positiv auswirkt, da sie das Vertrauen in die eigene Durchführung unterstützt (Velthuis et al. 2014) und ein Wahrnehmen lernrelevanter Ereignisse vorbereiten könnte (Zaragoza et al. 2023). Unterschiede zwischen den Adaptionen bestehen hinsichtlich der Unterrichtsdurchführung und der daraus resultierenden videobasierten Analyse. Während in Adaption 1 die Durchführung der eigenen Unterrichtsplanung von einer fremden Lehrkraft stellvertretend vorgenommen und somit ein fremdes Video analysiert wurde, erfolgte die Unterrichtsdurchführung in Adaption 2 in einem Microteaching, dessen Reflexion anhand eines eigenen Videos erfolgte. Da es sich bei beiden Adaptionen der Unterrichtsdurchführung um komplexitätsreduzierende Settings (Marohn et al. 2020) handelt, könnten sie sich ebenfalls positiv auswirken und dem Initialkonzept gegenüber überlegen sein. So ermöglicht ein Microteaching (Adaption 2) im Sinne der SWÜ ggf. eher eine erfolgreiche Praxiserfahrung (Altmann et al. 2019), während bezogen auf die PUW das Erkennen und Analysieren lernrelevanter Ereignisse während des Unterrichtens und in den daraus resultierenden Unterrichtsvideos unterstützt werden könnte (Sunder et al. 2016). Denn aufgrund weniger parallel stattfindender Interaktionen in der Kleingruppe könnte das Arbeitsgedächtnis entlastet und das Erkennen relevanter Ereignisse erleichtert werden. Gleichzeitig könnte die Fokussierung auf weniger Interaktionen auch Kapazität für ein intensiveres wissensbasiertes Verarbeiten einzelner Fälle im Sinne des exemplarischen Lernens ermöglichen. Auch stellvertretende Erfahrungen wie in Adaption 1 haben sich als wirksam sowohl für die SWÜ als auch für die PUW erwiesen (Bautista 2011; Koschel 2021). Gleichzeitig könnte eine größere Involviertheit gegeben sein als dies meist bei fremden Videos der Fall ist (Seidel et al. 2011) und sich ebenfalls positiv auswirken, da die stellvertretende Erfahrung auf der eigenen Unterrichtsplanung beruht und somit mehr Kontextinformationen vorliegen (Meschede und Steffensky 2018).

Forschungsfrage 2

Wie wirken sich die Variationen des Lehrkonzepts bzgl. der Gestaltungselemente Planung, Durchführung und videobasierte Analyse des Unterrichts auf die Förderung der PUW und SWÜ aus?

Hypothese 2

Ausgehend von theoretisch-empirischen Überlegungen sowie den Rückmeldungen der Studierenden wird angenommen, dass Studierende, die die Seminare mit variierten Gestaltungselementen (Adaption 1 und 2) besuchen, im Vergleich zu den Studierenden, die das initiale Seminar besuchen, einen signifikant höheren Zuwachs hinsichtlich ihrer PUW und SWÜ bzgl. sprachsensibler Maßnahmen aufweisen.

Da positive Einstellungen zu Veranstaltungen zudem als Grundlage für erfolgreiche Lernprozesse gesehen werden und somit ein wichtiges Evaluationselement darstellen (Kirkpatrick und Kirkpatrick 2006), wurden auch die subjektiven Bewertungen der Teilnehmenden berücksichtigt.

Forschungsfrage 3

Bestehen Unterschiede in der Einschätzung der subjektiven Bedeutsamkeit des Einsatzes von Unterrichtsvideos und der Durchführung eigenen Unterrichts durch die Studierenden in den unterschiedlichen Interventionen?

Da es sich um eine explorative Fragestellung handelt, wurden vorab keine Annahmen getroffen.

Methode

Design & Stichprobe

Ausgehend von empirischen Erkenntnissen zur videobasierten Förderung der PUW und SWÜ in der universitären Lehrkräfteausbildung wurde zuerst ein initiales videobasiertes Lehrkonzept entwickelt und dieses zwei Semester lang einer systematischen Erprobung sowie Evaluation unterzogen (IG1). Darauf aufbauend wurden in zwei aufeinander folgenden Semestern zwei Adaptionen des Lehrkonzepts (IG2 und IG3) umgesetzt (Tab. 1). Diese sind theoretisch-empirisch begründet, wurden in Anlehnung an einen Design-Based-Research-Ansatz (Reinmann 2020) jedoch maßgeblich durch Rückmeldungen der Studierenden initiiert (s. Intervention).

Tab. 1 Erhebungszeitraum und Stichproben der IGs und der KG

Die drei Interventionen fanden im Rahmen eines einsemestrigen Pflichtseminars im Sachunterricht (2 SWS, 3 CP) an der Universität Münster statt. Um ihre Wirksamkeit zu evaluieren, wurden im Prä-Post-Kontrollgruppen-Design die PUW und SWÜ bzgl. sprachsensibler Maßnahmen erfasst.

An den drei Interventionen nahmen insgesamt 165 Sachunterrichtsstudierende teil. Die Erhebung fand im Paper-Pencil-Format statt und enthielt zudem die Evaluation der subjektiven Bedeutsamkeit des Einsatzes von Unterrichtsvideos und der Durchführung eigenen Unterrichts durch die Studierenden (s. Instrumente).

Als Kontrollgruppe (KG) konnten 46 Masterstudierende des Sachunterrichtes an drei Universitäten aus Nordrhein-Westfalen gewonnen werden (Tab. 1), die kein vergleichbares Seminar besuchten und die Prä-Post-Tests im gleichen zeitlichen Abstand wie die Interventionsgruppen (IGs) online bearbeiteten. Die KG erhielt für ihre Teilnahme einen Warengutschein über 80 € für einen Onlineversandhandel. Die KG und IGs unterschieden sich nicht signifikant hinsichtlich Alter, Geschlecht und der Anfangswerte der PUW sowie SWÜ bzgl. sprachsensibler Maßnahmen.

Intervention

Die Interventionen umfassten je 13 jeweils 90-minütige wöchentlich stattfindende Präsenssitzungen (insgesamt 19,5 h) mit wöchentlichen Vorbereitungsaufgaben im Selbststudium von insgesamt ca. 9 h (s. für mehr Details: Grewe und Möller 2020).

Im Folgenden wird zuerst das initiale Lehrkonzept (IG1) und darauffolgend die Adaptionen (IG2 und IG3, Tab. 2) vorgestellt.

Tab. 2 Veränderung der Gestaltungselemente für die videobasierte Erprobung in den IGs (IG1–3)

Initiales Lehrkonzept

Orientiert am theoretischen Konzept von PUW und SWÜ sowie an entsprechenden empirischen Befunden umfassten die Interventionen zwei inhaltliche Blöcke:

  • Block 1 – Aufbau und erste Anwendung professionellen Wissens (5 Sitzungen): Professionelles Wissen und dessen Anwendung bei der Analyse von fremden Videos sind förderlich für die PUW (Koschel 2021) und für die SWÜ (Bautista 2011). Zu Beginn des Seminars standen daher zuerst die fachlichen und fachdidaktischen Grundlagen des Themas Magnetismus im Fokus, welches den Unterrichtsgegenstand der eingesetzten Videos und des späteren eigenen Unterrichts bildete. Das theoretische Wissen zur Sprachsensibilität (inkl. Maßnahmen) erarbeiteten sich die Studierenden in selbstständiger und kooperativer Textarbeit und im diskursiven Austausch. Dieses Wissen wendeten sie dann in fünf Videoanalysen zum Thema Magnetismus und in einem Fall zu Schwimmen und Sinken in sprachheterogenen Lerngruppen an, indem sie gemäß der PUW angeregt wurden, sprachsensible Maßnahmen zu erkennen und wissensbasiert zu verarbeiten.

  • Block 2 – Planung, Durchführung und Reflexion von sprachsensiblem naturwissenschaftlichem Sachunterricht (8 Sitzungen). Eigener Unterricht, insbesondere wenn dieser videografiert und nachträglich analysiert wird, kann förderlich für die PUW und für die SWÜ sein (Gold et al. 2017). Daher wurde in Kleingruppen (ca. 3–5 Studierende) zuerst eigener Unterricht zum Thema Magnetismus geplant (2 Sitzungen). Die Unterrichtsplanung wurde durch erfahrene, mit der Universität langjährig kooperierende Lehrkräfte unterstützt und die Studierenden erhielten eine Rückmeldung zu ihrer Grobplanung des Unterrichts. Es folgte dann die Umsetzung in ganzen zweiten Klassen und die Videografierung der Umsetzung (2 Sitzungen). Die Reflexion des eigenen sprachsensiblen Handelns erfolgte durch die Analyse des videografierten Unterrichts (3 Sitzungen) und wurde zum Abschluss des Seminars in Kleingruppen präsentiert (1 Sitzung).

Die beiden Blöcke wurden in allen Seminaren nach standardisierten Ablaufplänen und anhand identischer Lernmaterialien (Grundlagentexte, Videos etc.) umgesetzt.

Variation der Gestaltungselemente in den didaktischen Adaptionen

Die beiden Adaptionen unterschieden sich im Vergleich zum Initialkonzept nur in Bezug auf Block 2 (Einsatz der eigenen Videos). Die Änderungen basieren maßgeblich auf den Erfahrungen des Initialkonzepts und den Rückmeldungen der Studierenden und wurden somit in Anlehnung an einen Design-based-Research-Ansatz entwickelt. Dieser Ansatz zielt auf eine nutzungsorientierte Grundlagenforschung, indem ausgehend von einem spezifischen Problem aus der Praxis nicht nur die Lehre weiterentwickelt und optimiert, sondern auch ein theoretischer Erkenntnisgewinn angestrebt wird (Reinmann 2020; Wilhelm und Hopf 2014). So wurde neben den o. g. standardisierten Evaluationen des Initialkonzepts auch mündliche Rückmeldungen der Studierenden am Ende des Seminars eingeholt. Hierbei stellte sich als zentrales Problem der zu geringe Umfang an Planungszeit (2 Sitzungen) für die inhaltliche und technische Vorbereitung der zu videografierenden Erprobung heraus. Zudem wurde die eigene Unterrichtsdurchführung im Klassenverband von den Studierenden grundsätzlich als zu umfangreich und herausfordernd empfunden. Aus diesem Grund wurden ausgehend von einer theoretisch-empirischen Betrachtung des Problems zwei Adaptionen entwickelt, in denen die Gestaltungselemente der Planung, Durchführung und Reflexion des Unterrichts wie folgt variiert wurden (Tab. 2):

  1. 1.

    Planung des Unterrichts: Die Planungszeit wurde in beiden Adaptionen, der IG2 und der IG3, um eine Sitzung erweitert. Um den Prozess zusätzlich zu unterstützen, wurde zudem der Anteil an Rückmeldungen durch die Dozierenden erhöht (Ergänzung von Rückmeldungen zur Feinplanung). Die Rückmeldungen können dabei im Sinne der SWÜ als eine Form der sozialen Persuasion (Bandura 1997) angesehen werden. Der durch die erweiterte Planungszeit bedingte erhöhte Zeitaufwand konnte im Seminar durch Kürzung der Ergebnispräsentation und durch den erhöhten Anteil der genannten schriftlichen Rückmeldungen kompensiert werden.

  2. 2.

    Durchführung des Unterrichts: Um die Komplexität der eigenen Unterrichtsdurchführung im Klassenverband zu reduzieren, wurde in Adaption 1, der IG2, der Unterricht von den Studierenden selbst geplant, aber anschließend von einer erfahrenen Lehrkraft stellvertretend im Klassenverband durchgeführt. In Adaption 2, der IG3, setzten die Studierenden die eigene Unterrichtsplanung im Microteaching mit einer Kleingruppe von 3–5 Kindern um und videografierten diese Erprobung.

  3. 3.

    Reflexion des Unterrichts: Aufgrund der veränderten Unterrichtsdurchführung unterschied sich auch die videobasierte Reflexion der Unterrichtserfahrung. Während in IG2 das Video der fremden Lehrkraft im Klassenverband analysiert wurde, reflektierte IG3 den Unterricht anhand eines eigenen Videos aus der Kleingruppe an Kindern.

Instrumente

Professionelle Unterrichtswahrnehmung

Zur Erfassung der PUW sprachsensibler Maßnahmen wurde in Anlehnung an Junker et al. (2020) ein videobasiertes Instrument mit offenen Items eingesetzt. Als Prompt diente ein kurzes Unterrichtsvideo (5 min) zum Thema „Einführung in den Magnetismus“ (1. Klasse), das eine unbekannte Lehrperson bei der Umsetzung von sprachsensiblen Maßnahmen zeigte. Die Erfassung der PUW erfolgte damit in Anlehnung an andere Studien (u. a. Gold et al. 2021; Meschede et al. 2017) annähernd an eine Realsituation, aber nicht in einer konkreten Situation selbst. Im Vorfeld der Präsentation wurden schriftliche Informationen zur Sprachsensibilität (inkl. der Maßnahmen nach Grewe und Möller 2020), zum Unterricht sowie zum Kontext des verwendeten Videos gegeben. Das Video wurde danach zweimalig präsentiert; der ersten Videopräsentation folgte der konkrete Arbeitsauftrag: Das Beschreiben erkannter sprachsensibler Maßnahmen und deren Interpretieren, Bewerten sowie Generieren sinnvoller Handlungsalternativen (s. für konkrete Instruktion Tab. 3). Dabei setzte die Umsetzung der letzten drei Schritte stets auch eine Berücksichtigung der individuellen sprachlichen Voraussetzungen der gezeigten Lernenden voraus, was einer Annäherung an die PUW im eigenen Unterricht entspricht. Nach der zweiten Videopräsentation erhielten die Studierenden eine vierspaltige Tabelle gemäß der Instruktion, um ihre Analysen zum Video zu notieren. Die Bearbeitungszeit betrug 45 min.

Tab. 3 Erfassung der Dimensionen der PUW: Items, Kodierungen und Übereinstimmung der Kodierer*innen

Zur Auswertung wurden mithilfe eines expertenvalidierten Masterratings Antworten definiert, die auf unterschiedliche Ausprägungen von Expertise bzgl. PUW hinweisen (Grewe in Vorbereitung). Die Analysen der Studierenden wurden gemäß des Masterratings von drei geschulten, unabhängigen Personen kodiert. Die Kodierungen und die Ergebnisse der Übereinstimmungsprüfung weisen zu beiden Messzeitpunkten auf sehr gute Reliabilitäten des Instrumentes (Tab. 3) hin (Döring und Bortz 2016). Das Ausmaß der PUW wurde als Prozentwert des maximal erreichbaren Summenscores bestimmt, wobei hohe Werte auf eine hohe PUW hinweisen.

Selbstwirksamkeitsüberzeugungen

Die Items zu SWÜ wurden in Anlehnung an Kauertz et al. (2011) konstruiert und erforderten die Selbsteinschätzung der Studierenden zum Erkennen, Planen sowie Durchführen sprachsensibler Maßnahmen im naturwissenschaftlichen Sachunterricht (Tab. 4). Ähnlich zur PUW wurde dabei das Erkennen in Bezug auf eine fremde Lehrperson und somit lediglich annähernd an eine Realsituation erfasst. Aufgrund der Eigenentwicklung der Skalen wurden diese einer explorativen Faktorenanalyse unterzogen und ausgehend von diesen Ergebnissen das Planen und Durchführen sprachsensibler Maßnahmen als eine Skala (8 Items) gefasst (s. Grewe in Vorbereitung). Das Erkennen bildete eine eigenständige Skala (3 Items). Die interne Konsistenz der beiden Skalen (Tab. 4) liegt im ausreichenden bis hohen Bereich (Döring und Bortz 2016). Die Skalenbildung erfolgte über den Mittelwert der dazugehörenden Items.

Tab. 4 Übersicht der Skalen und Beispielitems zu den SWÜ und zur subjektiven Bedeutsamkeit von Unterrichtsvideos und eigener Unterrichtspraxis

Subjektive Bedeutsamkeit des Einsatzes von Unterrichtsvideos und der Durchführung eigenen Unterrichts

Die Studierenden der IGs bewerteten nach dem Seminar die Relevanz von Videos und eigener Unterrichtpraxis. Es lassen sich die Faktoren „Relevanz von Unterrichtsvideos für den Lernerfolg“ (5 Items), „Relevanz von Unterrichtsvideos für die spätere Praxis“ (5 Items) und „Relevanz der eigenen Unterrichtspraxis im Seminar“ (10 Items)Footnote 2 identifizieren (Grewe et al. 2019). Die interne Konsistenz der drei Skalen (Tab. 4) liegt im ausreichenden bis hohen Bereich (Döring und Bortz 2016).

Statistische Analysen

Es wurden zuerst verschiedene deskriptive Statistiken ermittelt. Um den Effekt der initialen Intervention (IG1) insgesamt auf die Entwicklung von PUW und SWÜ zu untersuchen (Fragestellung 1), wurde die IG1 mit der KG mittels zwei gemischten MANOVAs verglichen. Dabei wurden nur Studierende berücksichtigt, von denen zu allen Dimensionen Werte vorlagen. Neben der Gruppe als zweistufiger Between-Subject Faktor (IG1 vs. KG) wurde die Zeit als zweistufiger Within-Subject Faktor (Prä vs. Post) herangezogen. Als abhängige Variablen (AVs) dienten die vier Dimensionen von PUW („Beschreiben“, „Interpretieren“, „Bewerten“ und „Generieren von Handlungsalternativen“) bzw. die beiden Dimensionen von SWÜ („Erkennen“, „Planen und Durchführen“). Beim Vorliegen signifikanter multivariater Effekte wurden anschließend die Ergebnisse einzelner ANOVAs hinzugezogen, um ermitteln zu können, auf welchen Dimensionen signifikante Unterschiede zwischen der IG1 und der KG in der zeitlichen Entwicklung vorliegen. Beim Vorliegen von signifikanten Interaktionseffekten Zeit * Gruppe in den ANOVAs wurden abschließend mithilfe von t-Tests für unabhängige Stichproben Unterschiede in den Lernzuwächsen der Gruppen ermittelt.

Um Fragestellung 2 zu beantworten, wurde die Wirksamkeit der initialen Intervention IG1 und der beiden Adaptionen (IG2 und IG3) im Hinblick auf PUW und SWÜ mithilfe von MANOVAs, ANOVAs und anschließenden Posthoc-Analysen mit Bonferroni-Korrektur verglichen. Als AVs fungierten die Lernzuwächse in PUW und SWÜ, als unabhängige Variable der dreistufige Faktor Interventionsgruppe. Auch hier wurden nur Studierende berücksichtigt, von denen zu allen Dimensionen Werte vorlagen.

Um Fragestellung 3 zu beantworten, wurden abschließend die Einschätzungen der subjektiven Bedeutsamkeit des Einsatzes von Unterrichtsvideos und der Durchführung eigenen Unterrichts der Studierenden zwischen den drei IGs verglichen. Dazu wurden parametrische Tests (ANOVAs und ggf. Posthoc-Analysen) herangezogen. Als Maße der Effektstärken wurden part. Eta Quadrat und Cohens d berechnet (Döring und Bortz 2016). Alle Berechnungen wurden mit der Statistiksoftware SPSS 27 durchgeführt.

Ergebnisse

Evaluation des initialen Lehrkonzepts (IG1)

Professionelle Unterrichtswahrnehmung

Die deskriptiven Statistiken (Tab. 5) deuten für die IG1 auf einen Zuwachs zwischen 4 und 32 % in allen vier Dimensionen der PUW hin, während für die KG kein Zuwachs erkennbar ist.

Tab. 5 Mittelwerte (M), Standardabweichungen (SD) des Prozentwertes des Prä- und Post-Tests der PUW sowie der SWÜ für die IG1 und die KG

Die Ergebnisse einer MANOVA zeigen einen signifikanten multivariaten Interaktionseffekt von Gruppe und Zeit, F (4, 127) = 26,56, p < 0,001, partielles η2 = 0,45, Wilk’s Λ = 0,55. Zusätzlich liegen ein signifikanter Haupteffekt der Gruppe, F (4, 127) = 5,96, p < 0,001, partielles η2 = 0,16, Wilk’s Λ = 0,84, sowie ein signifikanter Haupteffekt der Zeit vor, F (4, 127) = 24,35, p < 0,001, partielles η2 = 0,43, Wilk’s Λ = 0,57. Die zentralen Ergebnisse der anschließend durchgeführten ANOVAs für „Beschreiben“, „Interpretieren“, „Bewerten“ und „Generieren von Handlungsalternativen“ weisen allesamt auf signifikante Interaktionseffekte hin (Tab. 6), sodass signifikante Unterschiede in der Entwicklung über die Zeit zwischen den beiden Gruppen (IG1 vs. KG) auf allen vier PUW-Dimensionen anzunehmen sind. Dies bestätigen auch die anschließenden t-Tests für unabhängige Stichproben, die auf signifikante Unterschiede in den Lernzuwächsen der IG1 im Vergleich zur KG mit z. T. großen Effekten hinweisen (Beschreiben: t (130) = 2,04, p = 0,04, Cohen’s d = 0,38; Interpretieren: t (130) = 7,09, p < 0,001, Cohen’s d = 1,33; Bewerten: t (130) = 4,09, p < 0,001, Cohen’s d = 0,76; Generieren von Handlungsalternativen: t (130) = 7,76, p < 0,001, Cohen’s d = 1,45).

Tab. 6 ANOVA-Ergebnisse der Interaktionseffekte Zeit * Gruppe für die einzelnen Dimensionen der PUW und SWÜ

Selbstwirksamkeitsüberzeugungen

Die deskriptiven Statistiken (Tab. 5) zeigen für die IG1 auf beiden Skalen eine um fast 1 Punkt höhere Ausprägung im Post-Test im Vergleich zum Prä-Test, während die KG kaum Veränderungen in ihren SWÜ aufweist.

Die Ergebnisse einer MANOVA zeigen sowohl einen signifikanten multivariaten Interaktionseffekt von Gruppe und Zeit, F (2, 125) = 29,62, p < 0,001, part. η2 = 0,32, Wilk’s Λ = 0,68, als auch signifikante Haupteffekte der Gruppe, F (2, 125) = 12,58, p < 0,001, part. η2 = 0,17, Wilk’s Λ = 0,83, sowie der Zeit, F (2, 125) = 44,69, p < 0,001, part. η2 = 0,42, Wilk’s Λ = 0,58. Anschließende ANOVAs weisen zudem auf signifikante Interaktionseffekte von Zeit und Gruppe für beide Dimensionen von SWÜ hin (Tab. 6). In der IG1 sind dabei signifikant stärkere Zuwächse der SWÜ verglichen zur KG zu verzeichnen (SWÜ Erkennen: t (126) = 6,04, p < 0,001, Cohen’s d = 1,11; SWÜ Planen und Durchführen t (126) = 6,66, p < 0,001, Cohen’s d = 1,23).

Subjektive Bedeutsamkeit des Einsatzes von Unterrichtsvideos und der Durchführung eigenen Unterrichts

Die Ergebnisse zeigen insgesamt eine positive Einschätzung seitens der Studierenden der IG1 (Tab. 8). So wird den eingesetzten Unterrichtsvideos z. B. eine hohe Relevanz für die spätere Praxis (M = 4,12, SD = 0,56) sowie den Lernerfolg (M = 4,29, SD = 0,60) zugeschrieben.

Evaluation der didaktischen Adaptionen (IG2 und IG3)

Professionelle Unterrichtswahrnehmung

Die Ergebnisse der MANOVA zeigen bzgl. PUW keine signifikanten Effekte der Gruppe auf den Lernzuwachs, auch wenn vereinzelt deskriptive Unterschiede zwischen den IGs vorliegen (Tab. 7). Die drei IGs unterscheiden sich folglich nicht signifikant im Zuwachs der PUW voneinander.

Tab. 7 Mittelwerte (M), Standardabweichungen (SD) der Zuwächse der PUW sowie der SWÜ für die IGs

Selbstwirksamkeitsüberzeugungen

Beim Vergleich der Zuwächse in SWÜ liegt ein signifikanter multivariater Haupteffekt der Gruppe vor, F (4, 274) = 2,59, p = 0,04, part. η2 = 0,04, Wilk’s Λ = 0,93. Die weiterführenden ANOVAs zeigen für beide Dimensionen der SWÜ signifikante Unterschiede zwischen den IGs (Tab. 7). Für SWÜ Erkennen sind jedoch die Bonferroni-korrigierten paarweisen Vergleiche nicht signifikant. Für SWÜ Planen und Durchführen zeigt sich dagegen ein signifikant höherer Zuwachs (p = 0,04) in IG3 als in IG1 (MDiff = 0,41, 95 %-CI [0,02, 0,80]) mit einem mittleren Effekt, Cohen’s d = 0,61 (Döring und Bortz 2016). Weitere signifikante Unterschiede bestehen zwischen den IGs nicht.

Subjektive Bedeutsamkeit des Einsatzes von Unterrichtsvideos und der Durchführung eigenen Unterrichts

Über alle IGs hinweg schätzen die Studierenden den Einsatz von Unterrichtsvideos und die Durchführung des Unterrichts als relevant ein (Tab. 8). Einfaktorielle Varianzanalysen zeigen, dass sich die drei IGs hinsichtlich der eingeschätzten Relevanz der Videos für den Lernerfolg (F (2, 135) = 4,28, p = 0,02, part. η2 = 0,06) und für die spätere Praxis (F (2, 135) = 4,79, p = 0,01, part. η2 = 0,07) statistisch signifikant voneinander unterscheiden. Bonferroni-korrigierte Posthoc-Tests zeigen zudem, dass IG2 den Videos eine signifikant höhere Relevanz als IG1 zuschreibt (Relevanz für den Lernerfolg: MDiff = 0,31, 95 %-CI [0,03, 0,59], p = 0,03, Cohen’s d = 0,39; Relevanz für die spätere Praxis: MDiff = 0,30, 95 %-CI [0,03, 0,57], p = 0,03, Cohen’s d = 0,48). Darüber hinaus schätzt IG3 die eigene Unterrichtspraxis relevanter ein als IG1, t (78,789) = 3,19, p = 0,01, Cohen’s d = 0,55.

Tab. 8 Mittelwerte (M) Standardabweichungen (SD) der subjektiven Bedeutsamkeit von Unterrichtsvideos und eigener Unterrichtspraxis für die IGs

Diskussion

Zur Förderung der PUW und SWÜ bzgl. sprachsensibler Maßnahmen im naturwissenschaftlichen Sachunterricht wurde in der vorliegenden Studie ausgehend von empirischen Evidenzen zur Wirksamkeit fremder und eigener Videos ein entsprechendes Lehrkonzept entwickelt und evaluiert. Auf Grundlage dieses initialen Lehrkonzepts wurden unter Berücksichtigung von Rückmeldungen der Studierenden einzelne Gestaltungselemente beim Einsatz eigener Videos näher untersucht. Im Fokus standen die drei Elemente der Planung, der Unterrichtsdurchführung und der damit verbundenen videobasierten Analyse, welche in zwei Adaptionen variiert und mit dem initialen Konzept verglichen wurden. Ziel war somit nicht nur die Entwicklung eines lernförderlichen Seminarkonzepts, sondern auch ein theoretischer Erkenntnisgewinn zu wirksamen videobasierten Gestaltungselementen für eine parallele Förderung der PUW und SWÜ in der universitären Lehrkräftebildung.

Förderung von PUW und SWÜ im initialen Lehrkonzept

Im Rahmen der ersten Fragestellung wurde zunächst die Wirksamkeit des initialen Konzepts geprüft. Erwartungskonform zeigten sich im Vergleich zur KG bei der IG1 signifikant höhere Zuwächse in Bezug auf alle vier Dimensionen der PUW und beide Dimensionen der SWÜ mit überwiegend mittleren bis starken Effekten. Ähnlich den Ergebnissen anderer Studien (Gold et al. 2017) erweist sich eine Intervention mit fremden und eigenen Videos folglich auch als förderlich für beide Kompetenzaspekte im Kontext sprachsensibler Maßnahmen im naturwissenschaftlichen Sachunterricht.

Bzgl. PUW zeigen sich bei IG1 insbesondere hohe Zuwächse für die PUW-Dimensionen Interpretieren, Bewerten und Generieren von Handlungsalternativen. Die videobasierte Intervention scheint ausgehend davon insbesondere für die Förderung dieser anspruchsvollen Dimensionen wirksam zu sein.

Bzgl. SWÜ liegen für die IG1 starke Zuwächse in Bezug auf das Erkennen (ca. 15 %) sowie Planen und Durchführen (19,6 %) vor. Dies kann im Vergleich zu anderen (videobasierten) Studien als großer Zuwachs gewertet werden (Gold et al. 2017; Palmer et al. 2015) und liegt ggf. an der Berücksichtigung verschiedenster Förderquellen, die auch über den Einsatz eigener und fremder Videos hinaus gingen (z. B. Ausbau des Professionswissens: Menon und Sadler 2018; Palmer et al. 2015). Möglicherweise konnten durch die Vielzahl von potenziellen Förderquellen auch einzelne individuelle Bedürfnisse der Studierenden in besonderem Maße angesprochen werden. Bautista (2011) z. B. zeigte, dass Studierende viele verschiedene und teils auch unterschiedliche Förderquellen der SWÜ wahrnehmen.

Wirkung der Variationen des Lehrkonzepts bzgl. der Gestaltungselemente Planung, Durchführung und videobasierte Analyse

Um über die Wirkung des spezifischen Seminars hinaus Erkenntnisse über die Bedeutsamkeit einzelner Gestaltungselemente videobasierter Lehrkonzepte zu gewinnen, wurde im Kontext der zweiten Fragestellung die Wirkung von Variationen des Lehrkonzepts bzgl. der Gestaltungselemente Planung, Durchführung und videobasierte Analyse untersucht. Hierzu wurde das initiale Lehrkonzept mit zwei Adaptionen verglichen, in denen die Planungszeit erweitert und die Durchführung stellvertretend durch eine fremde Lehrkraft (IG2) bzw. im Microteaching (IG3) erfolgte und somit zu einer videobasierten Reflexion fremden (IG2) bzw. eigenen Unterrichts (IG3) führte.

Professionelle Unterrichtswahrnehmung

Der Vergleich der IG1 mit den zwei Adaptionen IG2 und IG3 zeigt keinen signifikanten Unterschied hinsichtlich des Lernzuwachses in den Dimensionen der PUW. Anders als vermutet erwies sich die komplexitätsreduzierte Unterrichtsdurchführung in den Adaptionen im Vergleich zur Durchführung im Klassenverband nicht als förderlicher für die PUW. In Bezug auf die videobasierte Reflexion des Unterrichts bedeutet dies, dass selbst eine reduzierte Komplexität des Unterrichtsgeschehens im Video wie beim Microteaching (IG3) das Erkennen und Analysieren relevanter Ereignisse nicht zu erleichtern scheint. Obwohl aus theoretischer Perspektive zudem angenommen wird, dass der Prozess der Unterrichtsplanung bereits ähnliche kognitive Prozesse wie die PUW ermöglicht (Zaragoza et al. 2023), erschien auch die erhöhte Planungszeit in den beiden Adaptionen im Vergleich zu IG1 nicht förderlicher zu sein. Dieses könnte darauf zurückzuführen sein, dass konkrete sprachliche Äußerungen von Lernenden in der Situation und entsprechende sprachsensible Unterstützungsmaßnahmen vorab nur begrenzt geplant werden können. Limitierend ist hier jedoch anzumerken, dass die Planungszeit nicht systematisch variiert, sondern aus didaktischen Gründen in beiden Adaptionen gleichermaßen erweitert wurde. Weiterhin unterstützen die Ergebnisse bisherige Befunde, nach denen eine Förderung der PUW auch ohne eigene Unterrichtsvideografie möglich ist (Koschel 2021). Gleichzeitig konnte in dieser Studie im Vergleich zu früheren Studien (Gold et al. 2021; Hellermann et al. 2015) nicht das besondere Potenzial eines kombinierten Einsatzes fremder und eigener Videos wie in IG1 und IG3 bestätigt werden. Dies könnte damit zusammenhängen, dass die drei IGs sich zwar hinsichtlich des Einsatzes an fremden und eigenen Unterrichtsvideos unterschieden, alle Videos aber auf dem eigenen geplanten Unterricht der Studierenden basierten. Die Studierenden sahen in IG2 zwar eine unbekannte Lehrkraft, aber dennoch die Umsetzung der eigenen Planung, sodass sie über mehr Kontextinformationen (z. B. Lernziele, Auswahl spezifischer Experimente) verfügten als dies in der Regel bei fremden Videos der Fall ist (Meschede und Steffensky 2018). Für die Studierenden der IG2 war es dadurch vielleicht auch möglich, in gewissem Maße die Innenperspektive der handelnden Lehrkraft einzunehmen. Evtl. wurden durch diese besondere Art der Unterrichtsdurchführung in dieser Studie auch die in anderen Studien berichteten motivationalen Unterschiede bei der Analyse fremder und eigener Videos (Seidel et al. 2011) aufgefangen.

Selbstwirksamkeitsüberzeugungen

Hinsichtlich SWÜ zeigt sich ein heterogenes Bild. Bei SWÜ Erkennen ergab die ANOVA zwar einen signifikanten Unterschied, anschließende Posthoc-Analysen mit Bonferroni-Korrektur erwiesen sich aber als nicht signifikant, sodass unklar bleibt, ob und ggf. zwischen welchen IGs Unterschiede bestehen. Eine mögliche Erklärung für dieses inkohärente Ergebnis könnte darin liegen, dass die verwendete Bonferroni-Korrektur eine sehr konservative Methode ist (Bender und Lange 1999). Die fehlenden Unterschiede zwischen einzelnen Gruppen könnten jedoch auch daran liegen, dass die videobasierten Lerngelegenheiten in Bezug auf das Erkennen von sprachsensiblen Maßnahmen in den drei Interventionen vergleichbar waren. Möglicherweise ist die Förderung dieser SWÜ Dimension ähnlich wie bei der PUW unabhängig von der Art der Unterrichtsdurchführung und auch davon, ob beim Erkennen von sprachsensiblen Maßnahmen ein eigenes Video oder ein fremdes Video eingesetzt wird (Gold et al. 2017).

In Bezug auf SWÜ Planen und Durchführen zeigt sich hingegen erwartungskonform ein signifikanter Unterschied zwischen IG1 und IG3. Dieses Ergebnis spricht für die umgesetzte Komplexitätsreduzierung in Form von Microteaching, die sich u. a. durch vereinfachte Unterrichtsbedingungen in dieser Gruppe zeigt (Altmann et al. 2019). So reduzierte sich z. B. die Anzahl an Lernenden, für die passende sprachsensible Maßnahmen eingesetzt werden müssen. Insbesondere für einen sprachsensiblen Unterricht, in dem viele unterstützende Maßnahmen nicht vorbereitet werden können, sondern situativ in Abhängigkeit der konkreten Äußerungen der Lernenden eingesetzt werden müssen (z. B. implizite Fehlerkorrektur), ist die Lerngruppengröße möglicherweise ein wesentlicher Einflussfaktor. Gleichzeitig ermöglichte die kleine Gruppengröße einen besseren Überblick und eine intensivere Begleitung bei der Durchführung der Experimente und führte ggf. eher zu einer erfolgreichen Erfahrung (Bandura 1997), die durch die Analyse des eigenen Videos (Gold et al. 2017) bestätigt werden konnte. Die durch das Unterrichten in einer kleinen Gruppe reduzierte Komplexität scheint also ein stärkeres Erleben von Selbstwirksamkeit zu ermöglichen, obwohl die Bedingungen nicht dem gewöhnlichen Schulalltag entsprechen. Möglicherweise wirkte sich aber auch der erhöhte Anteil der Planungssitzungen als Vorbereitung der videobasierten Erprobung auf den Unterschied zwischen IG1 und IG3 aus, da Studierende der IG3 mehr Zeit hatten, Handlungen vertieft zu durchdenken (Velthuis et al. 2014), und auch der Anteil an positiven Rückmeldungen (soziale Persuasion: Bandura 1997) durch erfahrene Lehrkräfte stieg. Zusätzlich konnten dadurch auch evtl. mehr schwierige Situationen vor der Durchführung entdeckt und umgeplant werden, sodass die Chance erfolgreicher Erfahrungen im Microteaching möglicherweise stieg und sich entsprechend in den eigenen Videos zeigte. Die Bedeutung positiver Erfahrung für SWÜ zeigen z. B. Gale et al. (2021). In ihrer Studie beschreiben 67 % der befragten Lehrkräfte positive Erfahrungen als Quelle für erhöhte SWÜ und 50 % negative Erfahrungen als Quelle für verringerte SWÜ.

Dass IG2 sich nicht signifikant von IG1 unterscheidet, könnte damit zusammenhängen, dass in IG2 keine eigene Durchführung stattfand und die eigene Unterrichtserfahrung dementsprechend als Förderquelle fehlt. Die stellvertretende Erfahrung durch die Beobachtung der erfahrenen Lehrkraft konnte dies offenbar nicht kompensieren. Möglicherweise setzten die erfahrenen Lehrkräfte in IG2 auch sprachsensible Maßnahmen ein, die nicht explizit in der studentischen Planung berücksichtigt waren. Insbesondere gestische und mimische Handlungen finden häufig spontan Anwendung. Bei den Studierenden könnte dadurch jedoch der Eindruck entstanden sein, dass ihre Fähigkeiten bzgl. sprachsensibler Maßnahmen deutlich unter denen der Lehrkräfte liegen, wodurch negative Auswirkungen erklärt werden könnten (Bandura 1997). Auch die zusätzliche Planungssitzung und detaillierte Rückmeldungen zu den Planungen in IG2 scheinen hier keinen Unterschied zu IG1 auszumachen, was erneut auf die mögliche Bedeutsamkeit der eigenen (positiven) Praxiserfahrung als Quelle für SWÜ hinweist (Gale et al. 2021).

Subjektive Bedeutsamkeit des Einsatzes von Unterrichtsvideos und der Durchführung eigenen Unterrichts

In allen drei IGs schätzen die Studierenden den Einsatz von Unterrichtsvideos und die Durchführung eigenen Unterrichts als subjektiv bedeutsam ein. Ein Vergleich zwischen den IGs deutet insgesamt auf eine Überlegenheit der adaptierten Lehrkonzepte in IG2 und IG3 im Vergleich zum initialen Konzept in IG1 hin. IG2 übertrifft IG1 u. a. in Bezug auf die eingeschätzte Relevanz der Videos für den eigenen Lernerfolg sowie für die spätere Praxis. Hier scheint der Einsatz fremder Videos dem Einsatz eigener Videos überlegen und hat ggf. im Gegensatz zu Ergebnissen von Seidel et al. (2011) auch zu einer erhöhten Motivation und Involviertheit geführt. Dies könnte u. a. mit der Beobachtung einer erfahrenen Lehrkraft und einer damit verbundenen Vielfalt an gelungenen sprachsensiblen Handlungen zusammenhängen, die als hilfreich für die spätere Praxis angesehen werden. Der Einsatz fremder und eigener Videos könnte davon ausgehend situativ unterschiedlich relevant für Studierende sein. Möglicherweise hängt dieses Ergebnis aber auch damit zusammen, dass IG2 auf das Unterrichtsvideo angewiesen war, um überhaupt einen Einblick in die Umsetzung des selbst geplanten Unterrichts zu erlangen und somit u. a. die Passung der eigenen Unterrichtsplanung einschätzen zu können. Evtl. diente das Video dabei auch als Korrektiv, indem die Lehrkraft die Planung der Studierenden adaptierte und den Studierenden im Sinne einer stellvertretenden Erfahrung (Bandura 1997) erfolgreiches Handeln deutlich wurde. Ggf. liegt es aber auch daran, dass für die Studierenden der IG1 durch das eigene Video auch weniger gelingende Aspekte in der komplexen Klassensituation sichtbar wurden, die die eigene Erfolgserfahrung im Sinne Banduras (1997) dämpften und eine weniger positive Einstellung zur Einschätzung der Bedeutsamkeit von Videos bewirkten. Dies könnte einen Hinweis darauf geben, dass insbesondere der Planung als Vorbereitung auf eine zu videografierende Erprobung eine hohe Bedeutung zukommt und somit ausreichend Zeit in einer Lehrveranstaltung dafür eingeräumt werden sollte (Cantrell et al. 2003). IG3 übertrifft darüber hinaus IG1 in Bezug auf die Einschätzung der Relevanz der eigenen Unterrichtspraxis für den Lernerfolg und für die spätere Praxis. Dies deutet darauf hin, dass nach Einschätzung der Studierenden die Komplexitätsreduzierung der Unterrichtssituation eine sinnvolle Adaption darstellt und den Lernerfolg in Bezug auf sprachsensible Maßnahmen im naturwissenschaftlichen Sachunterricht trotz vereinfachter Bedingungen im Microteaching (Altmann et al. 2019) nicht einzuschränken scheint.

Limitationen

Die Studie weist u. a. folgende Limitationen auf: Der Fokus dieser Studie lag auf der Erfassung und Förderung der PUW und SWÜ. Professionelles Wissen, dem in diesem Kontext zwar eine bedeutsame Rolle zugewiesen werden kann, wurde nicht erfasst und konnte somit bei der Auswertung der Ergebnisse nicht kontrolliert werden.

Zudem wurden unterschiedliche Erhebungsmethoden bei der KG (online) und den IGs (paper-pencil-Format) eingesetzt. Auch wenn kein Einfluss der unterschiedlichen Erhebungsmethode anzunehmen ist (Kim und Huynh 2008), erscheint für die Erhöhung der Vergleichbarkeit zukünftig eine Online-Erhebung bei allen IGs indiziert.

Da es sich darüber hinaus um eine Studie im regulären Lehrbetrieb handelt, sind Effekte der sozialen Erwünschtheit bei der mündlichen und schriftlichen Bewertung nicht auszuschließen. Die Ergebnisse zur Bewertung sind vor diesem Hintergrund möglicherweise nicht repräsentativ für alle Teilnehmenden und daher ist ihre Aussagekraft eingeschränkt. Wie oben bereits erwähnt, besteht eine weitere Limitation darin, dass die Planungszeit nicht systematisch variiert, sondern in beiden Adaptionen gleichermaßen erweitert wurde. Hierbei handelte es sich um eine didaktische Entscheidung, da sowohl für die Studierenden als auch Dozierenden mehr Planungszeit unabdingbar erschien, um die Praxisphase durchführen zu können.

Eine weitere Limitation betrifft die Stichprobenauswahl. In der Studie wurden Studierende in ihrem Master an der Universität Münster befragt. Inwiefern die vorliegenden Ergebnisse auch für andere Hochschulstandorte repräsentativ sind, müsste zukünftig geprüft werden.

Implikationen

Die Ergebnisse der vorliegenden Studie zeigen ein differenziertes Bild bzgl. der Wirkung der untersuchten Gestaltungselemente der Planung, Durchführung und videobasierten Analyse auf die PUW, die SWÜ sowie die subjektive Einschätzung der Studierenden.

Trotz der geäußerten Herausforderungen der Studierenden bzgl. der Planung und Durchführung des eigenen Unterrichts in ganzen Klassen ergeben sich keine Unterschiede in den Interventionen hinsichtlich der Förderung der PUW sowie der SWÜ Erkennen. Bezogen auf die Praxis der Lehre kann diese Erkenntnis Dozierende insofern entlasten, als auch weniger aufwendige Lehrkonzepte gleichermaßen zur Förderung der PUW und entsprechender SWÜ geeignet scheinen. Aus theoretischer Sicht ergibt sich auf Grundlage dieser Studie jedoch weiterer Forschungsbedarf, um konkrete Gestaltungselemente zur Förderung der PUW zu identifizieren. Da sich in dieser Studie anders als theoretisch angenommen weder die Art der Unterrichtsdurchführung noch die Art der Videoanalyse als relevant erwiesen haben, könnte in Anlehnung an das Modell der Kompetenz als Kontinuum (Blömeke et al. 2015) das individuell im Seminar erworbene Wissen der Studierenden von besonderer Bedeutung sein. Hierzu sollte in zukünftigen Studien auch das Professionswissen der Studierenden erfasst werden. Möglicherweise könnten Studierende auch individuell von unterschiedlichen Elementen profitiert haben (Stürmer et al. 2016), sodass auch individuelle Unterschiede stärker in den Fokus genommen werden sollten.

Anders als bei der PUW hat sich bzgl. der SWÜ Planen und Durchführen eindeutig eine komplexitätsreduzierte Durchführung und Analyse eigenen Unterrichts im Microteaching als überlegen erwiesen. Vor diesem Hintergrund erscheint eine sukzessive Komplexitätssteigerung in der universitären Lehre angebracht, wobei bspw. der Einsatz sprachsensibler Maßnahmen im naturwissenschaftlichen Grundschulunterricht erst im Microteaching erprobt wird, bevor eine Umsetzung mit einer gesamten Klasse erfolgt. Auch die Ergebnisse zu den Einschätzungen der Studierenden zur subjektiven Bedeutsamkeit einzelner Seminarelemente deuten in diese Richtung und Microteachings werden somit offenbar als authentisches und lernförderliches Lehr-Lern-Setting angesehen. Zusätzlich sprechen die Ergebnisse dafür, Studierenden ausreichend Zeit für die eigene Planung von Unterricht zur Vorbereitung auf eine (zu videografierende) Erprobung zur Verfügung zu stellen, um in Anlehnung an Bandura (1997) erfolgreiche Praxiserfahrungen zu ermöglichen. Dies könnte ausgehend von Velthuis et al. (2014) insbesondere für die SWÜ Planen und Durchführen den Vorteil bieten, im Vorfeld herausfordernde Situationen zu antizipieren und entsprechende Handlungsoptionen abzuleiten, um die Wahrscheinlichkeit positiver Erfahrungen im Unterricht zu erhöhen. (Positive) Rückmeldungen von erfahrenen Lehrkräften im Sinne einer sozialen Persuasion (Bandura 1997) können dies zusätzlich unterstützen.

Insgesamt zeigt sich somit, dass sich eine komplexitätsreduzierte Gestaltung der Planung, Durchführung und videobasierten Analyse sprachsensiblen Unterrichtens primär auf affektiv-motivationale Aspekte professioneller Kompetenz auswirkt, aber keine differentiellen Effekte bzgl. der situationsspezifischen kognitiven Fähigkeit der PUW aufweist. Da höhere SWÜ mit höherer Ausdauer, Anstrengung und einem Unterricht von höherer Qualität assoziiert sind (Schwarzer und Jerusalem 2002), sollte ihre Bedeutung bei der Gestaltung von Lehrkonzepten zur Förderung der PUW mit eigenen Videos zukünftig stärker berücksichtigt werden.