Die europäische Agentur der Grundrechte (FRA) führte 2019 die bislang größte Erhebung (N = 139.799; nicht repräsentativ) zu Diskriminierungserfahrungen von LGBTI-PersonenFootnote 1 in Europa durch [1]. Deskriptive Ergebnisse dieser Studie zeigen, dass LGBTI-Jugendliche in Österreich (15–17 Jahre; n = 119) durch ihre stigmatisierte Identität erheblichen minderheitenspezifischen Belastungssituationen ausgesetzt sind (Abb. 1), die vom Geheimhalten der eigenen Identität sowie Diskriminierung im familiären und schulischen Umfeld bis hin zu Gewalterfahrungen reichen [1]. Basierend auf internationalen Befunden [2, 3] und theoretischen Annahmen [4, 5] ist davon auszugehen, dass diese Stressoren zu einer erhöhten psychischen Belastung führen. LGBT*-Jugendliche in Österreich sind also potenziell vulnerabel in Bezug auf ihre psychische Gesundheit. Eine systematische Synthese einschlägiger empirischer Befunde liegt bis dato jedoch nicht vor.

Abb. 1
figure 1

Ausgewählte Ergebnisse des LGBTI-Survey 2019 für LGBTI-Jugendliche (15–17 Jahre) in Österreich (AT; rot), im EU-Schnitt (EU-28; blau) sowie in den restlichen Erhebungsländern (grau). aDurchschnitt 11 % für AT und EU-28. Daten und R Code zur Reproduktion der Abbildungen 1–2 sind unter https://osf.io/vdgy2/ zu finden

Deutschsprachige und internationale Evidenz

Die wenigen bisherigen Studien zur psychischen Gesundheit von LGBT*-Jugendlichen aus Deutschland [6, 7] und der Schweiz [8] deuten übereinstimmend mit den Ergebnissen der FRA auf eine erhöhte psychische Belastung gegenüber heterosexuellen, cisgenderFootnote 2 Gleichaltrigen sowie dem Erleben minderheitenspezifischer Stressoren hin. Eine rezente Studie mit LGBT*-Jugendlichen aus dem deutschsprachigen Raum fand eine höhere psychische Belastung für transgender Jugendliche im Vergleich mit cisgender LGB*-Jugendlichen; die Rate an Suizidversuchen im vergangenen Jahr (zwischen 10 % für cisgender männliche Jugendliche und 28 % für transgender Jugendliche) ist als alarmierend hoch einzustufen [9]. Ältere österreichische Studien mit LGB-Erwachsenen identifizierten retrospektiv berichtete Viktimisierung in der Jugend als Prädiktor für Suizidalität [10].

Auch international weisen LGBT*-Jugendliche, verglichen mit heterosexuellen, cisgender Gleichaltrigen, eine erhöhte Vulnerabilität für verschiedene psychische Belastungen (z. B. Depressivität, Ängstlichkeit oder Suizidalität) auf (siehe Abb. 2 sowie [11]). Prospektive Studien zeigen ein ontogenetisch frühes Auftreten (ab 10 Jahren) dieser erhöhten Belastung und über die weitere Adoleszenz bis ins junge Erwachsenenalter bestehende, wenn auch variierende Verläufe [12].

Abb. 2
figure 2

Meta-analytische Effektstärken und 95 %-Konfidenzintervalle rezenter Meta-Analysen (2010–2020) sowie deren meta-meta-analytisch synthetisierte Effektstärken zu Gruppenunterschieden in verschiedenen Markern der psychischen Gesundheit zwischen LGBT*-Jugendlichen und heterosexuellen, cisgender Gleichaltrigen. Marginale Histogramme zeigen univariate Prävalenzraten von LGBT*-Jugendlichen (ohne Konfidenzintervall bei Marshal et al. 2011 [13]). Details zur Methodik in Onlinematerial 1

Das Minderheitenstressmodell im Entwicklungskontext

Das prominenteste Modell zur Erklärung der erhöhten psychischen Vulnerabilität von LGBT*-Populationen [14, 15] ist das Minderheitenstressmodell [4, 5]. Das Modell postuliert neben allgemeinen psychischen Risiko- und Schutzfaktoren zusätzliche, minderheitenspezifische Faktoren auf zwei Ebenen [4]: Distal wirken (i) strukturelle Faktoren (z. B. die rechtliche Situation für LGBT*-Personen [16]) und (ii) interpersonelle Diskriminierungs- oder Gewalterfahrungen [4]. Für die Betroffenen können diese distalen Stressoren proximal eine Internalisierung negativer gesellschaftlicher Einstellungen [4], eine erhöhte Empfindlichkeit gegenüber Zurückweisung [17] oder die Verheimlichung der LGBT*-Identität [4] auslösen. Viele minderheitenspezifischen Stressoren (z. B. soziolegales Klima, elterliche Zurückweisung) treten bereits in der Adoleszenz bzw. ab der späten Kindheit auf [18, 19]. Der Zusammenhang zwischen dem Erleben dieser Stressoren und psychischer Belastung ist bei LGBT*-Jugendlichen vielfach repliziert [2, 3].

Die pathogenetische Wirkung von Minderheitenstress erfolgt durch eine erhöhte Vulnerabilität gegenüber allgemeinen psychischen Risikofaktoren [20, 21]: Er führt u. a. zu maladaptiven kognitiven Prozessen (z. B. Rumination und Hypervigilanz aufgrund der Verheimlichung der LGBT*-Identität), emotionaler Dysregulation und fehlendem sozialen Rückhalt (z. B. durch ein stigmatisierendes familiäres Umfeld), die wiederum transdiagnostisch die psychische Gesundheit beeinträchtigen [20]. Entsprechend diesen Annahmen weisen LGBT*-Jugendliche konsistent höhere Raten an allgemeinen Risikofaktoren auf als heterosexuelle, cisgender Gleichaltrige [22].

Entwicklungsbedingte Spezifika und der soziolegale Wandel in den letzten Jahren bedingen eine separate Betrachtung gegenwärtiger Jugendlichenpopulationen in Abgrenzung zu sowohl LGBT*-Erwachsenen als auch früheren adoleszenten Kohorten [19, 23, 24]. Coming Out-Prozesse finden bei heutigen LGB-Jugendlichen in westlichen Ländern – u. a. bedingt durch höhere soziolegale Akzeptanz und Sichtbarkeit – früher statt als in älteren Kohorten [24]. Minderheitsspezifische Entwicklungsaufgaben fallen so in eine Phase markanter physiologischer und sozialkognitiver Veränderungen in der Adoleszenz. Diese ist generell eine vulnerable Phase für die Ausbildung von psychischen Störungen für Jugendliche [24]. Außerdem sind heutige LGBT*-Jugendliche geprägt von zentralen Sozialisations- und Entwicklungskontexten – allen voran Familie, Schule und sozialen Medien –, die eine wesentliche Quelle von minderheitenspezifischen Stressoren und Ressourcen darstellen [19, 23] und ihrerseits gesellschaftlichen Wandel durchlaufen.

Das vorliegende Scoping Review

LGBT*-Jugendliche in Österreich sind eine potenziell vulnerable Population in Bezug auf ihre psychische Gesundheit. Bislang fehlt allerdings eine systematische Erhebung des diesbezüglichen Forschungsstands – und damit ein Gradmesser der Wahrnehmung dieser Population und ihrer Bedürfnisse. Eine national differenzierte Synthese ist zentral, da selbst Befunde aus Deutschland oder der Schweiz aufgrund zeitlich diskordanter soziolegaler Entwicklungen und Angebotsstrukturen für LGBT*-Populationen nur eingeschränkt übertragbar sind [25].

Dieses Scoping Review hat entsprechend zwei Ziele: Erstens erfolgt eine systematische Synthese der Forschung zur psychischen Gesundheit von LGBT*-Jugendlichen in Österreich. Zweitens sollen darauf basierende Forschungsempfehlungen abgeleitet werden, ergänzt durch internationale Evidenz.

Methoden

Die Methodik des Scoping Reviews wurde aufgrund der Neuheit des Forschungsgebiets und der erwarteten Studienheterogenität gewählt [26]. Die Konzeption und Durchführung erfolgte gemäß PRISMA-ScR-Richtlinien [26] und kann im Detail dem präregistrierten Studienprotokoll entnommen werden, ebenso wie die Onlinematerialien 1–5 (https://osf.io/vdgy2/).

Einschlusskriterien und Suchstrategie

Tab. 1 zeigt die Einschlusskriterien des vorliegenden Reviews. Die systematische Literatursuche (04.–06.06.2020; Updates: 09.04.2021; 08.03.2022) erfolgte in fünf wissenschaftlichen Datenbanken (PsycInfo, PSYNDEX, PubMed, Scopus, Web of Science). Die Suchstrategie kombinierte Sets mit deutschen und englischen Suchbegriffen zu (1) LGBT*, (2) Kindern und Jugendlichen und (3) Österreich und wurde durch datenbankspezifische Filter optimiert (siehe Onlinematerial 2). Auf Suchbegriffe zur psychischen Gesundheit wurde aufgrund der intendierten Breite des Reviews verzichtet. Stattdessen wurden Abstracts bzw. Volltexte individuell auf diesbezügliche Einschließbarkeit geprüft. Zusätzlich wurden Interessensgruppen im deutschsprachigen Raum sowie Expert_innen in Österreich kontaktiert, um nach weiteren unbekannten Studien bzw. Daten zu fragen, die die Einschlusskriterien erfüllen (Liste auf Anfrage).

Tab. 1 Einschlusskriterien

Studienauswahl

Titel und Abstracts der Suchresultate wurden einer Vorauswahl (Erstautorin) anhand der definierten Einschlusskriterien (Tab. 1) unterzogen. Die dabei ausgeschlossenen Studien wurden durch ein_e Ko-Autor_in [FD] unabhängig auf Einschließbarkeit überprüft. Die anschließende Volltextprüfung erfolgte unabhängig durch dieselben zwei Autor_innen (Interrater-Reliabilität: 100 %; κ = 1,0).

Datenextraktion

Folgende Informationen wurden aus der Primärliteratur extrahiert (Doppelkodierung Erstautorin) und in tabellarischer Form zusammengefasst: Methodik; Datenerhebungsort und -zeitraum; Stichprobentyp, -größe (N), -zusammensetzung bzgl. Alter, sexueller Orientierung, Geschlechtsidentität, Ethnie/Migrationshintergrund; Forschungsfragen/-ziele; Ergebnisse (lt. Autor_innen); Limitationen (lt. Autor_innen). Wie bei der Durchführung von Scoping Reviews üblich [26], führten wir keine systematische Bewertung der methodischen Qualität der Primärstudien durch, weil die sondierende Zusammenfassung existierender Studien mit besonderer Berücksichtigung von Forschungslücken im Zentrum stand.

Ergebnisse

Abb. 3 zeigt die Studienauswahl (Referenzen ausgeschlossener Studien bei Volltextprüfung siehe Onlinematerial 3). Zwei Studien [9, 27] erfüllten die Einschlusskriterien (Tab. 2; Onlinematerial 4). Beide Studien waren quantitativ mit rezenten Datenerhebungsperioden (2015–2020 [27] bzw. 2020 [9]) [27]. verglichen eine Inanspruchnahmepopulation der Spezialambulanz für Geschlechtsdysphorie in Innsbruck bzw. Hall in Tirol (N = 69) bezüglich verschiedener Maße der Identitätsentwicklung mit einer deutschsprachigen Normstichprobe. Die Ergebnisse zeigten eine insgesamt der Norm entsprechenden, allerdings in Substichproben bzw. Subskalen auffällige Identitätsentwicklung. [9] untersuchten mittels randomisiert kontrolliertem Experiment (on site und online) die Wirkung von LGBT*-spezifischen Suizidpräventionsvideos auf LGBT*-Jugendliche und junge Erwachsene (N = 483) in Österreich (55 % der Stichprobe) und Deutschland. Es zeigte sich eine kurzfristige, kleine Verbesserung hinsichtlich Suizidgedanken bei transidenten Jugendlichen sowie hinsichtlich Hilfesuchabsichten in der Gesamtstichprobe. Weitere Merkmale, Ergebnisse und Limitationen der zwei inkludierten Studien sind in Tab. 2 aufgeführt.

Abb. 3
figure 3

PRISMA-Flussdiagramm der Studienauswahl

Tab. 2 Eingeschlossene Studien (n = 2)

Diskussion

Die Forschung zur Epidemiologie von psychischen Störungen im Kindes- und Jugendalter in Österreich sowie zur hiesigen Versorgungssituation in diesem Bereich ist allgemein spärlich (mit nennenswerten Ausnahmen, z. B. [28, 29]). Besonders markant erscheint dieser Forschungsmangel jedoch bei LGBT*-Populationen: Das nahezu (d. h. mit zwei Ausnahmen) völlige Fehlen von österreichischen Studien zur psychischen Gesundheit von LGBT*-Jugendlichen unterstreicht gerade angesichts der potenziellen Vulnerabilität dieser Population den dringenden Forschungsbedarf. Die rezenten Datenerhebungsperioden sowie weitere, nicht unseren Einschlusskriterien entsprechende Arbeiten der beiden Forschungsgruppen (z. B. [30, 31]) zeigen allerdings, dass die Lebensrealitäten von LGBT*-Jugendlichen in der österreichischen Forschungslandschaft zunehmend Aufmerksamkeit erhalten.

Beide inkludierten Studien berücksichtigten LGBT*-spezifische Herausforderungen und Ressourcen in österreichischen Versorgungsstrukturen: [27] durch die Betrachtung einer Inanspruchnahmepopulation einer österreichischen Spezialambulanz für transidente Kinder und Jugendliche, [9] durch die Evaluation niederschwelliger, community-basierter und spezifischer Interventionsangebote für LGBT*-Jugendliche [9]. Als sekundäres Ergebnis weisen wir zudem auf die hohe psychische Belastung von transidenten Jugendlichen hin [9], die es zu replizieren gilt. Insgesamt fehlt inklusive, populationsrepräsentative und bestenfalls längsschnittliche Grundlagen- und Interventionsforschung zur psychischen Gesundheit von LGBT*-Jugendlichen in Österreich sowie eine systemische Betrachtung ihrer Entwicklungskontexte.

Forschungsempfehlungen

Abb. 4 gibt Forschungsempfehlungen zu LGBT*-Jugendlichen in Österreich basierend auf internationaler Evidenz sowie einem sozio-ökologischen Ansatz [19, 32]. In Onlinematerial 5 finden sich weiterführende Erläuterungen und Erklärungen dieser Forschungsempfehlungen und -perspektiven (u. a. zur Methodik künftiger Studien der Grundlagen- und Interventionsforschung, zur routinemäßigen Erfassung diverser Geschlechtsidentitäten in künftigen populationsbasierten Erhebungen, Berücksichtigung relevanter Subgruppen).

Abb. 4
figure 4

Forschungsempfehlungen zur psychischen Gesundheit von LGBT*-Jugendlichen in Österreich. Empfehlungen sind einem sozio-ökologischen Ansatz folgend in verschiedenen, die Jugendlichen betreffenden Systemen angeordnet. Übergreifende (d. h. alle Systeme betreffende) Forschungsperspektiven sowie psychometrische Entwicklungen befinden sich an den Rändern. (SO Sexuelle Orientierung, GI Geschlechtsidentität)

LGBT*-Jugendliche

Vorrangig und in Einklang mit nationalen [33] und internationalen Forderungen [34] sind die Erhebung populationsbasierter, längsschnittlicher Daten bezüglich Erstauftreten, Prävalenz und Verlauf psychischer Belastungen bei LGBT*-Jugendlichen sowie die Ermittlung einer potenziellen, durch Minderheitenstress erklärbaren, Vulnerabilität verglichen mit heterosexuellen, cisgender Gleichaltrigen. Wir empfehlen die Erhebung von sexueller/romantischer Orientierung und transgeschlechtlichen Erfahrungen in allgemeinen, populationsbasierten Studien mit Jugendlichen (z. B. [35]). Zudem benötigt es Subgruppenvergleiche innerhalb der LGBT*-Populationen, um besonders vulnerable Gruppen (z. B. transidente Jugendliche [9]) zu identifizieren. Individuelle Forschungsgruppen können die Forderung nach Repräsentativerhebungen nur schwer umsetzen, da finanzielle und personelle Ressourcen fehlen. Insbesondere minderheitenspezifische Entwicklungsaufgaben sowie Schutz- und Risikofaktoren [19] können allerdings auch in Anfallsstichproben kostengünstig (z. B. durch Online-Erhebungen) untersucht werden (siehe Onlinematerial 5).

Wichtig ist zudem die Entwicklung und Evaluation psychologisch-psychotherapeutischer Interventionen für LGBT*-Jugendliche (auch international rar bzw. unzureichend evaluiert [36]). Transdiagnostische Präventions- und Interventionsprogramme, die die Reduktion von Minderheitenstress als zentrale Determinante einer erhöhten psychischen Vulnerabilität Betroffener zum Ziel haben, erscheinen erfolgsversprechend [21]. Die Einbindung Jugendlicher und Community-Vertreter_innen in die Studienkonzeption durch partizipative Ansätze [37] ist zentral.

Soziales Umfeld

Familie, Schule und Peers sind für (LGBT*-)Jugendliche zentrale Entwicklungskontexte, die wesentlich zur Reduktion bzw. Verstärkung minderheitenspezifischer Vulnerabilitäten beitragen und kompensatorische Wirkung entfalten können [19, 23]. Die Familie ist eine zentrale Ressource [38], die es in Behandlung, Beratung und familientherapeutischer Interventionsforschung einzubeziehen gilt. Diesbezügliche Forschung mit LGBT*-Jugendlichen fehlt nahezu völlig [38]. Zudem ist die Konzeption und Evaluation von inklusiven Lehrplänen sowie die Erhebung von Prädiktoren LGBT*-feindlichen Mobbings [19] indiziert.

Soziolegales Klima

Zahlreiche gesetzliche Änderungen der letzten Jahre (z. B. Einführung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare, neue Geschlechtseinträge) haben in Österreich zu einer höheren rechtlichen Sicherheit von LGBT*-Personen geführt. Gesellschaftliche Stereotypien bestehen allerdings weiterhin [39] und Versorgungs- und Angebotsstrukturen variieren regional beträchtlich. US-amerikanische Studien zeigen den Einfluss eines sich wandelnden soziolegalen Klimas [40] sowie regionaler Angebote [41] auf die psychische Gesundheit LGB(T)*-Jugendlicher. Dies sollte – insbesondere durch das österreichische Stadt-Land-Gefälle bei Angeboten für LGBT*-Personen – gemeinsam mit den Auswirkungen sozialer Medien und Rollenvorbilder [31] auch in der österreichischen Forschung Berücksichtigung finden.

Forschungsperspektiven

Forschung zu und mit LGBT*-Jugendlichen soll entwicklungsangepasst allgemeine und minderheitenspezifische Entwicklungsaufgaben berücksichtigen. Daran knüpft eine systemische Sichtweise, die Jugendliche als in verschiedenen zentralen Systemen (Familie, Schule, Peers) eingebunden [19] sieht. Zusätzliche Diversitätskategorien (z. B. Ethnie/Migrationshintergrund) bzw. deren verschränkte Wirkung sind unter einer intersektionalen Perspektive zu beachten. Letztens bedarf es eines ressourcenorientierten Blicks auf die Förderung von minderheitenspezifischen Schutzfaktoren.

Psychometrische Entwicklungen

Die Umsetzung o. g. Forschungsempfehlungen basiert u. a. auf einer psychometrisch fundierten, altersgerechten und sprachlich sensiblen Entwicklung von (i) Items zu sexueller Orientierung und Geschlechtsidentität, (ii) Skalen zu minderheitenspezifischen Konstrukten und (iii) Indizes zur Quantifizierung regionaler Unterschiede in Angebotsstrukturen für LGBT*-Jugendliche. Unter Einbezug von Jugendlichen entwickelte und für populationsbasierte sowie Anfallsstichproben einsetzbare, valide Skalen sind für den deutschsprachigen Raum derzeit nicht verfügbar. Sexuelle Orientierung und (nicht-binäre) Geschlechtsidentität sollten standardmäßig erhoben werden, auch um für mögliche Konfundierungen (z. B. zur psychischen Belastung) zu kontrollieren.

Limitationen

Erstens wurden nur Studien eingeschlossen, die in Fachzeitschriften mit Peer-Review publiziert wurden. Zukünftige, auf graue Literatur ausgerichtete Synthesen sollten durch mehrstufige Suchstrategien (z. B. Universitätsdatenbanken, Community-Kontakt, EU-Institutionen) diese Limitation aufgreifen und mögliche Gründe für die Übertragungslücke in Fachpublikationen thematisieren. Zweitens konnten wir durch unsere Suchstrategie keine Studien identifizieren, in denen LGBT*-bezogene Variablen und/oder Ergebnisse zu einer österreichischen Substichprobe zwar analysiert, aber nicht explizit ausgewiesen wurden.

Konklusion

LGBT*-Jugendliche in Österreich sind potenziell psychisch belastet und müssen sich minderheitenspezifischen Stressoren und Entwicklungsaufgaben stellen. Das vorliegende Scoping Review offenbart die vorhandenen Forschungslücken. Es bedarf dringend zielgerichteter, ressourcenorientierter, populationsbasierter, nach Subgruppen stratifizierter und entwicklungssensitiver Grundlagen- und Interventionsforschung, um gesundheitliche Unterschiede und gesellschaftliche Stigmatisierung zu reduzieren und LGBT*-Jugendliche in ihrer Entwicklung zu unterstützen.