Hintergrund und Fragestellung

Die demografischen Entwicklungen führen zu Unterschieden in den Krankheitshäufigkeiten, nicht zuletzt zu vermehrten neurologischen und psychiatrischen Erkrankungen im Alter. Die Kenntnis der Prädiktoren für die Sterblichkeit der Patientinnen und Patienten dieser Krankheitsgruppen kann dazu beitragen, Qualitätsverbesserungen in der Versorgung und spezifische Präventionsmaßnahmen zu entwickeln. Mortalitätsursachen und Risikofaktoren für die Sterblichkeit sind daher wichtige epidemiologische Informationsquellen zur Vermeidung von Todesfällen in Bevölkerungen. Die Spitalssterblichkeit von älteren Patientinnen und Patienten nach Krankheitsgruppen kann entscheidende Hinweise für Qualitätsverbesserungen und Präventionsmaßnahmen in den Krankenhäusern liefern [1,2,3]. In den letzten Jahrzehnten wurden nur wenige Arbeiten spezifisch zur Sterblichkeit von geronto-psychiatrischen Krankenhauspatienten publiziert. Arbeiten aus den 1990er Jahren geben für diese Gruppen Mortalitätsraten zwischen 1–16 % an [4,5,6]. Insgesamt sind wissenschaftliche Studien zur Zahl und zu den Merkmalen der Verstorbenen dieser Alters- und Krankheitsgruppe im deutschsprachigen Raum rar. Eine systematische Übersichtsarbeit nennt für die Mortalität älterer Patientinnen und Patienten folgende Prädiktoren: Funktionalität, Schwere der Erkrankung, kognitive Einbußen, Komorbiditäten, aktuelle Erkrankung, Polypharmazie, Alter und Geschlecht [1]. Für stationäre alterspsychiatrische Patientinnen und Patienten werden in den wenigen internationalen Studien als Sterbeursache häufig Demenz und Depression sowie bereits mehrfache stationäre Aufenthalte angeführt [3, 4]. Als Haupttodesursachen werden Herz-Kreislauferkrankungen genannt [6, 7]. Die Suizidmortalität ist in der Spitalspopulation im Gegensatz zu dieser Altersgruppe in der Allgemeinbevölkerung mit sehr hoher Selbstmordrate eher gering [4, 8, 9].

Ziel dieser retrospektiven Fall-Kontroll-Studie ist es, herauszufinden, welche Merkmale die verstorbenen gegenüber den entlassenen Patientinnen und Patienten der Abteilung für Alterspsychiatrie und Alterspsychotherapie des Landeskrankenhaus Graz II (vormals Süd-West) aufweisen und worin sich diese beiden Gruppen unterscheiden.

Daten und Methoden

Daten

Ausgewertet wurden 284 Patientenakten der Abteilung für Alterspsychiatrie und Alterspsychotherapie des Landeskrankenhaus Graz II (vormals Süd-West). Diese Abteilung mit 109 Betten und etwa 1800 stationären Aufnahmen pro Jahr betreut ein Einzugsgebiet von 1,2 Mio. Einwohnerinnen und Einwohnern. Damit hat die Abteilung eine wichtige Versorgungsfunktion. Denn für das Jahr 2017 weist die Statistik Austria 967 Betten für psychische Erkrankungen in allgemeinen Krankenanstalten aus und 3371 Spitalsentlassungen von über 65-Jährigen mit den ICD Kodes F00–F99 [10]. Zwischen 01.01.2015–31.12.2017 verstarben 51 Patientinnen und 91 Patienten (= Fälle) während ihres stationären Aufenthaltes. Sie wurden mit 142 nach Geschlecht gematchten und im selben Zeitraum entlassenen Patientinnen und Patienten (= Kontrollgruppe) verglichen. Die Daten wurden vor Ort aus den Patientenakten entnommen, geprüft, elektronisch kodiert und vor der Datenanalyse anonymisiert (Tab. 1).

Tab. 1 Unterschiede zwischen verstorbenen und nichtverstorbenen Patientinnen und Patienten

Die zuständige Ethikkommission der Medizinischen Universität Graz hat die vorliegende Studie genehmigt (EK 29369 ex 16/17).

Methoden

Im Rahmen dieser Fall-Kontroll-Studie wurden verstorbene (Fälle) und entlassene Patienten und Patientinnen (Kontrollgruppe) deskriptiv und mittels multipler logistischer Regressionsanalyse verglichen, hinsichtlich ihres Alters, ihres Geschlechts, ihrer stationären Aufenthaltstage, psychiatrischer und somatischer Diagnosen, Biomarker (Erythrozyten/Ery und C‑reaktives Protein/CRP), pflegerischem Assessment mittels Braden-Skala (misst sensorisches Empfindungsvermögen, Feuchtigkeit der die Haut ausgesetzt ist, Aktivität, Mobilität, Ernährung sowie Reibung und Scherkräfte) und Ernährungszustand sowie Aufenthaltsort vor Aufnahme (Privathaushalt, Pflegeheim oder Krankenhaus). Die Erhebung der Patientenmerkmale bezog sich jeweils auf den letzten verfügbaren Wert während des stationären Aufenthaltes mit Ausnahme der Braden-Skala, hier wurde der Wert zu Beginn des Aufenthalts kodiert. Alle metrischen Prädiktoren wie Alter, Aufenthaltstage, Braden-Skala, Ery, CRP wurden mittelwertszentriert und durch zwei Standardabweichungen dividiert, um eine Vergleichbarkeit der Effekte mit den kategorialen Prädiktoren zu gewährleisten. Alle Berechnungen wurden mit der Statistikumgebung R v3.6.1 durchgeführt [11]. Für das Regressionsmodell wurden die in den Patientenakten fehlende Angaben (7,7 % Braden-Skala, 4,5 % Ernährungszustand, 2 % CRP, >1 % Erys und vorheriger Aufenthaltsort), insgesamt 12,3 %, mehrfach imputiert (m = 10).

Ergebnisse

Die Mortalitätsrate (2015–2017) auf der Abteilung für Alterspsychiatrie und Alterspsychotherapie des Landeskrankenhaus Graz II (vormals Süd-West) betrug 4,2 % (142/3395). Die durchschnittliche Aufenthaltsdauer betrug 14,3 Tage (Median = 11, Standardabweichung = 20,5) bei den verstorbenen und 19,1 Tage (Median = 15, Standardabweichung = 16,7) bei den entlassenen Patientinnen und Patienten. Die Patientencharakteristika nach Mortalitätsstatus und die Ergebnisse der logistischen Regression sind in Tab. 1 zu ersehen. Das logistische Regressionsmodell zeigt, dass die Patientinnen und Patienten, die auf der alterspsychiatrischen Station verstorben sind, erwartungsgemäß deutlich älter als auch bei deutlich schlechterer physischer Gesundheit waren als die entlassenen Patientinnen und Patienten. Im Vergleich zu den entlassenen, hatten die verstorbenen Patientinnen und Patienten eine 2,7-fach erhöhte Odds ratio/OR an einer ischämischen Herzkrankheit (I20–I25) zu leiden, hatten eine 2,5- bzw. 3‑fach erhöhte OR aus einem Pflegeheim bzw. aus einem Krankenhaus in die Alterspsychiatrie überwiesen worden zu sein sowie eine 3‑fach erhöhte OR für einen geringen funktionellen Status (d. h. einem niedrigen Wert auf der Braden-Skala). Zudem zeigten die Verstorbenen eine 4‑fach erhöhte OR hoher CRP-Werte und einer Delir-Diagnose.

Schlussfolgerungen und Diskussion

Wie Hewer et al. [7] und Hwang et al. [6] haben auch wir in unserer Fall-Kontroll-Studie, in der wir in der Abteilung verstorbene und entlassene Patientinnen und Patienten in vorher festgelegten Merkmalen miteinander verglichen, nachweisen können, dass ischämische bzw. Herzkreislauferkrankungen bei den geronto-psychiatrischen Patientinnen und Patienten, wie auch in der Allgemeinbevölkerung in Ländern mit hohem Einkommen wie Österreich, die bedeutendste Todesursache darstellen [12]. Mit Ausnahme des Delirs als komplexem physiologischen Geschehen von Aufmerksamkeits- und Kognitionsdefiziten sind bei den geronto-psychiatrischen Patientinnen und Patienten Herzerkrankungen, eine somatische Erkrankung, als Sterbeursache bedeutend [13]. Zentrale Merkmale waren neben Delir und Herzkreislauferkrankungen, das Alter, die Höhe des CRP-Wertes und der Wert auf der Braden-Skala sowie der Ort von dem die Patientinnen und Patienten überwiesen wurden. Auch Untersuchungen in allgemeinmedizinischen Abteilungen weisen auf den Risikofaktor Delir als Todesursache hin [14]. Eine systematische Literaturübersicht gibt folgende Variablen für einen schlechten Outcome an: Länge des Delirs, motorisch hypoaktiver Subtyp, Schwere des Delirs, vorbestehende psychiatrische Erkrankungen wie Demenz und Depression [14]. In der Literatur gibt es Hinweise, dass Spitalspatienten ohne Demenz, die ein Delir entwickeln, schwerer erkrankt sind als diejenigen mit vorbestehenden Hirnpathologien [15]. Allerdings zeigten van Roessel et al. [16], dass Studien keine Differenz in der Mortalität nach Delir bei dementen und nicht dementen Patientinnen und Patienten nachweisen konnten. Auch in unserer Studie zeigte sich kein Interaktionseffekt zwischen Demenz und Delir. Die Höhe des Entzündungsparameters CRP war in unserem Patientenkollektiv ein bedeutender biologischer Marker im Zusammenhang mit der Sterblichkeit. Eher sozial zu wertende Prädiktoren wie schlechter Ernährungszustand und das Krankenhaus oder ein Pflegeheim als vorherigem Aufenthaltsort stellten ein gewisses Sterberisiko dar.

Nachdem ein Delir das Risiko zu sterben für ältere Patientinnen und Patienten erhöht, wäre es sinnvoll, bereits auf inneren und chirurgischen Abteilungen, aber auch in Langzeiteinrichtungen geriatrische Assessments durchzuführen, um das spezifische Risiko für die einzelne Patientin, den einzelnen Patienten abzuklären und entsprechende Maßnahmen zu setzen, um die Sterblichkeit geronto-psychiatrischer Patientinnen und Patienten zu senken [17,18,19,20]. Strukturell müssten gesundheitspolitische Vorkehrungen getroffen werden, dass für die verhaltensauffälligen/deliranten sterbenden Patientinnen und Patienten in den Krankenhäusern und Langzeiteinrichtungen eine Konsiliar- oder Liaison-Alterspsychiatrie zur Verfügung steht oder die Betroffenen im Bedarfsfall palliativ versorgt werden können, damit nicht unnötige Transfers in alterspsychiatrische Abteilungen notwendig werden. In unserer Studie wurde ein bedeutender Anteil von Patientinnen und Patienten aus Krankenhäusern in die Alterspsychiatrie überwiesen (Tab. 1).

Grundsätzlich lässt sich festhalten, dass die Einflussfaktoren für die Behandlungsergebnisse von älteren Spitalspatienten komplex sind. In einer Übersichtsarbeit wurden Outcomes wie Aufenthaltsdauer, Sterblichkeit, Entlassungsdestination, Wiederaufnahmezahl untersucht [1]. In unserer Studie wählten wir als Outcome die Mortalität. Nicht alle in der Übersichtsarbeit von Campbell u. a. [1] genannten Parameter konnten wir aus den Krankenakten extrahieren. Beispielsweise waren die Angaben zur Medikamenteneinnahme in den Arztbriefen durch die ungleiche Verteilung der fehlenden Angaben zwischen den Verstorbenen und Entlassenen für die Analyse nicht valide zu verwerten. Um den Outcome bei älteren Patientinnen und Patienten gut bestimmen zu können, müssten aber neben Routinedaten wie Alter, Geschlecht und Erkrankung auch facettenreiche Aspekte wie der funktionelle Status und die Kognition erfasst werden. Weitere Limitationen unserer Studie umfassen die fehlenden Informationen zur Schwere der Erkrankung, der Kognition (Mini Mental State Examination/MMSE) – herzu gab es bei 103 der 142 verstorbenen und bei 43 der 142 entlassenen Patientinnen und Patienten keine Angabe in den Krankenakten –, und die Anzahl stationärer Voraufenthalte, die wir nicht erhoben haben. Zudem zeigt sich aufgrund der begrenzten Stichprobe (n = 284) eine bedeutsame Schwankungsbreite hinsichtlich der Effektstärke mehrerer wichtiger Einflussfaktoren. In dieser Fall-Kontroll-Studie wurde die Spitalssterblichkeit untersucht. Eine Aussage inwieweit die entlassenen Patientinnen und Patienten (die Kontrollgruppe) dann in der weiteren Folge gestorben sind, war daher nicht möglich.

Wichtig wäre es in Zukunft, die in der Literatur beschriebenen Merkmale auch in alterspsychiatrischen Abteilungen zu erheben, um auch für diese Patientengruppe Aussagen zu den komplexen Ursachen für die Sterblichkeit machen zu können, um Qualitätsverbesserungen in deren Behandlung einzuleiten oder entsprechende Präventionsmaßnahmen entwickeln zu können. Diese Daten stehen derzeit in Österreich nicht in ausreichendem Maße zur Verfügung.