Die Schaffung des Sonderfaches führte zu einer Verankerung im österreichischen Strukturplan Gesundheit mit dem Ziel eines flächendeckenden Aufbaus von öffentlichen Versorgungsstrukturen für seelisch kranke Kinder und Jugendliche. Dies war die zweite wesentliche Konsequenz, welche es uns möglich machte, in der Planung Zielgrößen zu erarbeiten, die KJP-Versorgung zu beobachten und Umsetzungen zu begleiten.
Die ärztliche KJP-Versorgung stand bis zur Gründung des Sonderfaches außerhalb jeglicher ordnender Planungen der öffentlichen Gesundheitsstrukturen. Persönlicher Schwerpunkt von Kollegen und föderale Rahmenbedingungen waren zentrale Gestaltungsgrößen.
Kollegen mit der Zusatzqualifikation Kinder- und Jugendneuropsychiatrie boten mehrheitlich ihre Expertise im Rahmen ihres Mutterfaches Pädiatrie, Neurologie oder Psychiatrie an. Die nichtärztlichen Behandler (allied health professions) waren groß an der Zahl und trugen (und tragen) den größten Teil der extramuralen Versorgungsarbeit. Auch diesbezüglich gibt es keinerlei Planungsgrößen. Wir haben auf Basis der historischen Entwicklung unterschiedlich gewachsene Versorgungsangebote in einzelnen Regionen. Das Netzwerk der Behandlung unserer Patienten wird im Artikel von Fliedl et al. [4] (dieses Heft) dargelegt.
Dieser Artikel hat seinen Schwerpunkt in der Beschreibung der KJP-Versorgungsentwicklung des ärztlichen Kernbereiches. Beschrieben werden öffentliche KJP-Abteilungen, KJP-Ambulatorien und Ambulanzen sowie KJP-Kassenordinationen, somit jene Angebote, welche strukturell eine fachärztliche Anwesenheit verankert haben.
Der intramurale Bereich
Seit 2008 ist das Fach und die Versorgungsentwicklung in allen Regierungspapieren als Ziel erwähnt, ein Handlungsbedarf steht außer Streit und Bemühungen werden allerorts bekundet. Viele Jahre wurden Gespräche zur nachhaltigen Verbesserung der Gesundheit von Kindern und Jugendlichen geführt, wobei das ehemalige Bundesministerium für Gesundheit, nunmehr Bundesministerium für Gesundheit und Frauen (BMGF), mit insgesamt 180 Expertinnen und Experten aus den verschiedensten Bereichen der Kinder- und Jugendgesundheit den Kindergesundheits-Dialog geführt und eine Kindergesundheitsstrategie erarbeitet hat [5].
Die Planung der öffentlichen Krankenbehandlung im intramuralen Bereich obliegt im Auftrag des Gesundheitsministeriums der Gesundheit Österreich GSMBH (GÖG). Ein „Österreichischer Strukturplan Gesundheit – ÖSG“ wird regelmäßig erarbeitet, welcher dann in den Bundesländern als „Regionaler Strukturplan Gesundheit – RSG“ zur Anwendung gebracht werden soll.
Ab 2008 wurden Vertreter des Sonderfaches KJP zu einer Vielzahl von fachzentrierten Verhandlungen geladen. Prävalenz und internationale Versorgungszahlen fanden Eingang in diese Gespräche. In den ÖSG-Verhandlungen hat man sich auf eine Zielgröße der Bettenmessziffer (BMZ = 1 intramuraler Behandlungsplatz pro 1000 EW inkl. tagesklinischer Plätze) von 0,08–0,13 geeinigt (Abb. 1).
Die 9 Landesfonds melden jährlich ihre Bettenzahlen (inklusive tagesklinischer Behandlungsplätze) an das BMGF. In Abb. 2 überblicken wir die Entwicklung der Betten im Zeitraum 2004–2015.
Zusammenfassend kann für den intramuralen Bereich festgehalten werden, dass wir erst die Hälfte der dringlich erforderlichen KJP-Betten in der Grundversorgung zur Verfügung haben. Es wurde in den letzten 10 Jahren ein Zuwachs von 56 Behandlungsplätzen erreicht, der derzeitige Bettenausbau entspricht einer bundesweiten BMZ von 0,05. Zwischen den einzelnen Bundesländern bestehen große Unterschiede, nur Vorarlberg hat seit 2015 intramural die geplante Vollversorgung erreicht.
Die extramurale Versorgung
Die extramurale Versorgung steht traditionsgemäß auf zwei Säulen, den niedergelassenen FachärztInnen und den Ambulatorien. Es war den Fachvertretern der KJP wichtig, dass dies auch für Kinder und Jugendliche mit seelischen Erkrankungen gelten sollte. Viele Widerstände waren zu überwinden.
Laut österreichischer Sozialversicherungsträger, Strategie psychischer Gesundheit 2012 (3), ist es das erklärte Ziel der Versicherungsträger, eine niederschwellige und flächendeckende Grundversorgung für Kinder zu gewährleisten. „In der ambulanten Behandlung bekennt sich Österreich in der Kinder- und Jugendlichenpsychiatrie zum bestehenden „dualen System“ mit niedergelassenen FachärztInnen und mit „Integrierten Fachambulatorien“ mit multiprofessionellen Teams“ (Strategie psychische Gesundheit der Sozialversicherungsträger 2012 S. 20) [5].
Unser erklärtes Ziel ist es, das rezente Zitat des Altrektors der Medizinischen Universität Wien Prof. W. Schütz mittelfristig als überholt betrachten zu dürfen, der 2017 (Schütz W, 2017, 68) schreibt: „Über die ambulante Versorgung im Fach der Kinder- und Jugendpsychiatrie wäre überhaupt der Mantel des Schweigens zu breiten: 10 % der Kinder und Jugendlichen würden psychotherapeutische Hilfe benötigen, unter 1 % erhalten sie [6].“
Versorgung durch KJP-Ambulatorien, Tageskliniken und Ambulanzen
Laut ÖSG sollte zur Versorgung von Kindern und Jugendlichen mit komplexen Störungsbildern ein KJP-Ambulatorium bzw. 1 Ambulanz auf 250.000 EW errichtet werden.
In den letzten 10 Jahren ist es nicht gelungen, bundesweite, bindende Strukturkriterien eines KJP-Ambulatoriums im ÖSG so zu verankern, sodass diese von allen Entscheidungsträgern im Konsens umgesetzt werden könnten.
Viele Abteilungen haben auch eine Ambulanz, gleichzeitig gibt es eigenständige Ambulatorien, die hauptsächlich von privaten Trägern betrieben werden. Da die Einrichtungen von ihren Ressourcen und Aufgabenstellung und damit in ihrer Versorgungsrelevanz sehr unterschiedlich sind, ist es derzeit nicht möglich, entsprechende Versorgungszahlen von Ambulatorien aufzulisten.
In manchen Bundesländern wurden im letzten Jahr dislozierte Tageskliniken von KJPP-Abteilungen mit einer angeschlossenen KJPP-Ambulanz errichtet. Diese geben den Familien als wohnortnahe, höherschwellige Angebote die Möglichkeit einer verbesserten, lokal vernetzten Behandlung und poststationären Reintegration. Bei Bedarf ist die vollstationäre Aufnahme ohne Schwelle möglich. Die tagesklinischen Plätze an den KJPP-Abteilungen sind als stationäre Behandlungsplätze in Abschn. 2.1 mitberücksichtigt, die dislozierten Behandlungsplätze waren 2015 noch nicht errichtet.
Ergänzend sind Stand-alone Tageskliniken anzuführen. Da diese von privaten Trägern geführt werden, sind wir derzeit nicht im Besitz von zusammengeführten Daten.
Die kassenärztliche Versorgung
Die Möglichkeit zur fachärztlichen Versorgung durch niedergelassene Kassenfachärzte war eine weitere wesentliche Auswirkung der Sonderfachetablierung. Die damit verknüpfte Gründung einer eigenen Fachgruppe als politische Vertretung machte diese Behandlungsoption in direkten Verhandlungen mit den Gebietskrankenkassen in bisher 7 Bundesländern möglich.
Eine wesentliche Säule der Versorgung von Patienten in unserem Land ist die Behandlung durch niedergelassene FachärztInnen (Kassenärzte). Im Sinne der Gleichbehandlung aller PatientInnen war es in der politischen Arbeit ein besonders Anliegen, auch Kindern und Jugendlichen mit seelischen Erkrankungen im öffentlichen Gesundheitssystem die Möglichkeit der Behandlung bei ihrem „Facharzt des Vertrauens“ zu ermöglichen.
Die Verhandlungen zur Etablierung von Kassenstellen werden in unserem Land von den Gebietskrankenkassen und den Länderärztekammern geführt. Mit der Schaffung des eigenen Sonderfaches wurden in den Länderärztekammern politische Vertreter der Fachgruppe KJP gewählt. Diese konnten fachzentrierte Anliegen zur Niederlassung in den Gremien einbringen. Erst durch die Konstituierung der eigenen Fachgruppe war das Sonderfach KJP in diesen Strukturen vertreten und leistete in diese Form ihren Beitrag zur Entwicklung von neuen Versorgungsstrukturen.
Die angeführten, föderalen Gremien entscheiden gemeinsam in regelmäßigen Stellenplangesprächen über die Versorgungsentwicklung durch niedergelassene KassenärztInnen. Für die Schaffung eines KJP-Kassenvertrages war die Erarbeitung eines Leistungskataloges, der die Notwendigkeiten der KJP-Arbeitsweise abbildet, erforderlich. Da sich die Tätigkeit von FachärztInnen für KJP als Teil eines multimodalen Netzwerkes wesentlich von der herkömmlichen Arbeit von KollegInnen anderer Fachgruppen unterscheidet, begaben wir uns auf einen langen Weg des gemeinsamen Abwägens und Verhandelns.
Nach einer Projektierungs- und Evaluierungsphase von 2005–2012 hat die NÖ-Fachgruppe mit der NÖGKK einen ersten, fachzentrierten Leistungskatalog fertiggestellt und 2012 mit 4 KJP-Kassenstellen begonnen. In einigen Bundesländern erarbeiteten die KollegInnen zeitnah mit den Gebietskrankenkassen (GKK’s) ähnliche Verträge. Die Honorierung des Patientengesprächs und die strukturell verankerte Kooperation mit anderen Versorgern war neben der primären ärztlichen Tätigkeit ein wichtiger Bestandteil der Verhandlungsziele. Diese Arbeitsbereiche bilden sich in den verschiedenen KJP-Leistungskatalogen ab.
Die Verhandlungen mit den bundesweiten Kassen obliegen den Vertretern der ÖÄK. Unter Zuhilfenahme der Basisarbeit aus NÖ wurde auch hier ein Leistungskatalog erstellt und die Kassenverträge umgesetzt. Primär konnte mit der VAEB ein Vertrag abgeschlossen werden, die anderen Träger der „kleinen Kassen“ folgten innerhalb eines Jahres.
In der Abb. 3 wird die Entwicklung der kassenärztlichen Ordinationen länderspezifisch dargestellt (Abb. 3).
In Wien haben 2017 vier Einzelordinationen und eine Gruppenpraxis ihre Arbeit aufgenommen, in Salzburg ist 1 Kassenordination in Betrieb, die 2. Kassenstelle konnte noch nicht besetzt werden. Bei einer Zielgröße von 1 KJP-Kassenstelle auf 80.000 EW (einem untersten Wert der Versorgung in den deutschsprachigen Nachbarländern) – haben wir dzt. ein Viertel der notwendigen Kassenstellen besetzt. Bedauerlicherweise haben sich die GKK’s von Steiermark und Burgenland weiterhin von der kassenärztlichen Versorgung distanziert, wenngleich ein Bekenntnis der Versicherungsträger existiert.
Hoch spezialisierte Versorgungsbereiche
Die Vertreter des Sonderfaches sind sich bewusst, dass viele Versorgungsbereiche wie Angebote für die Behandlung von Essstörungen, Suchterkrankungen, der forensische Bereich und der Transition ins junge Erwachsenenalter mehrheitlich in der Realität und den politischen Planungen, die derzeit vorliegen, noch gar nicht berücksichtigt sind.
Diese konnten noch nicht entwickelt werden, da der Kernbereich derzeit noch deutlich von einer Vollversorgung entfernt ist. Große Anstrengungen aller Entscheidungsträger werden erforderlich sein, um uns an internationale Versorgungsgrößen anzunähern. Das neue Sonderfach KJP hat mit der Umsetzung der Kassenplanstellen in den letzten 10 Jahren in fast allen öffentlichen Versorgungsstrukturen seinen Platz gefunden.
Die Rehabilitation steht in der Versorgungsplanung vor einer Umsetzung. Es wurden in den 4 Versorgungszonen 109 Rehabilitationsplätze genehmigt und auch ausgeschrieben, 3 Regionen sind zum gegenwärtigen Zeitpunkt besetzt, wobei nur 42 Plätze für den Kernbereich KJP für ganz Österreich vorgesehen sind (Tab. 1).
Tab. 1 Bettenbedarf für Kinder und Jugendliche (0–18 Jahre) im Jahr 2020 (Soll) für KJP und Pädiatrische Psychosomatik (ESP) nach Versorgungszonen
Der derzeitige Rehabilitationsplan [7] kann aus unserer Sicht als Beginn eines Entwicklungsprozesses gesehen werden. Die Zukunft wird zeigen, inwieweit ergänzend wohnortnahe, familienzentrierte, kleinere Rehabilitationsangebote erforderlich sein werden.
Zusammenfassend können wir uns der Diktion der österreichischen Sozialversicherungsträger anschließen: „In der Versorgung von psychisch erkrankten Kindern und Jugendlichen besteht derzeit ein noch nicht ausreichend gedeckter Bedarf im ambulanten Bereich und regional unterschiedlich auch im stationären Bereich. Ambulanter und stationärer Bereich müssen in der Kinder- und Jugendlichenpsychiatrie in einem besonderen Ausmaß gut vernetzt entwickelt werden“ [5].
Die nächsten Jahre werden zeigen, wie die Versorgungsentwicklung vorangetrieben wird. Da die FachärztInnenausbildung hauptsächlich in den Krankenanstalten stattfindet, fehlen durch mangelnden Ausbau der bettenführenden Abteilungen die dringend notwendigen Ausbildungsplätze.