1 Einleitung

Im Bereich qualitativ-rekonstruktiver Forschung hat sich ein breites Feld unterschiedlichster Zugänge zur Erforschung (familialer) Bildungsorientierungen etabliert. Rekurriert wird hier auf Analysen zur kulturellen Passung sowie auf Befunde zur Sozialisations- und Bildungsforschung (vgl. Hermes und Lotze 2020; Thiersch 2020). Insbesondere zur Rekonstruktion des Verhältnisses zwischen familialen und schulischen Erfahrungsräumen liegen rekonstruktive Studien vor (vgl. Busse 2010; Hermes 2017). Der vorliegende Beitrag nimmt hingegen First Generation Studierende und ihre Eltern in den forschenden Blick. Die jungen Erwachsenen erschließen als erste in ihrer Familie den akademischen Erfahrungsraum und nehmen ein Studium auf. Aufbauend auf dem heuristischen Rahmen der „Bewährung“ (Thiersch 2020) wird nach der innerfamilialen Bearbeitung von Relationen, Überlagerungen und Diskrepanzen zwischen dem familialen und hochschulischen Erfahrungsraum gefragt.

Im Beitrag wird zunächst in Kapitel 2 der Forschungsstand zu Bildungsorientierungen von First Generation Studierenden überblicksartig vorgestellt. Anschließend erfolgt in Kapitel 3 eine kurze Skizzierung des Forschungsprojektes sowie der methodischen und methodologischen Rahmung. Ausgehend von der exemplarischen Rekonstruktion zweier familialer Erfahrungsräume und der sich hier dokumentierenden Bildungsorientierungen (Kap. 4), werden im Weiteren die Ergebnisse der sinngenetischen Abstraktion bzw. der komparativen Analyse aller Interviews dargestellt (Kap. 5). Der Beitrag schließt mit einem Fazit.

2 Bildungsorientierungen First Generation Studierender

Abseits der Fokussierung von Bildungsentscheidungen und der damit einhergehenden Analyse von Passungsverhältnissen im Hinblick auf die Frage der Reproduktion (sozialer) Bildungsungleichheit an Übergängen im Bildungssystem (vgl. Becker 2003; Kramer und Helsper 2011), betrachtet der vorliegende Beitrag grundlegende Orientierungen an Bildung. Jene Orientierungen werden auf Basis existenzieller Beziehungen in Familie, Peer-Group sowie weiterer Erfahrungsräume geprägt und konstruiert (vgl. Hermes und Lotze 2020). Sie entstehen durch innerfamiliale Vermittlungsprozesse mit Blick auf Bildungseinstellungen, die eine milieuspezifische Rahmung aufweisen (vgl. Büchner und Brake 2006, S. 263). Leitend ist zunächst die Annahme, dass Jugendliche damit konfrontiert sind,

„Erwartungen von Familie und Schule in Hinblick auf die eigenen Bildungs- und Berufsentwürfe zu bewerten und unabhängig davon, ob sie diese übernehmen oder ablehnen, für sich die (neuen) Handlungsorientierungen zu begründen und zu erproben“ (Silkenbeumer und Thiersch 2021, S. 391).

Silkenbeumer und Thiersch (ebd.) verweisen darauf, dass Prozesse der „Bewährung“ berufsbiographischer Entscheidungen angestoßen werden, womit sie auf den „Prozess der Formierung des Bildungsselbst im Sinne einer kontinuierlichen Entwicklung bildungsbiographischer Identität“ (ebd., S. 396) rekurrieren. Dementsprechend können Bildungsentscheidungen an Übergängen im Bildungssystem identitätsstiftende Prozesse darstellen, in denen vorangegangene Bildungsentscheidungen und Erfahrungen in aktualisierte Bildungsorientierungen integriert werden (müssen). Nicht zuletzt verweisen soziologische Forschungen zu Bildungsaspirationen (vgl. Paulus und Blossfeld 2007) auf jene Prozesse, denen im Rahmen des vorliegenden Beitrags besonders mit Blick auf den eigenen familialen Erfahrungsraum eine entsprechende Relevanz zugeschrieben wird (vgl. Hermes 2017). In den forschenden Blick geraten damit implizite Wissensbestände abseits (rationaler & bewusster) Bildungsentscheidungen (vgl. Erikson und Jonsson 1996) sowie Bewährungsprozesse vor dem Hintergrund familialer Bildungsentscheidungen, die sich nicht an Aspekten formaler Bildung (vgl. etwa Helsper et al. 2010; Fend 2014) erschöpfen.

First Generation Studierende sind demnach mit besonderen Anforderungen der Bewährung konfrontiert, da sie sich durch existenzielle Erfahrungen mit zunächst unbekannten Erfahrungsräumen verbinden und zugleich die eigene Bildungsentscheidung und damit die Realisierung eigener Bildungsorientierungen legitimieren müssen, womit zugleich danach zu fragen ist, worin sich eine entsprechende „Bewährung“ im Feld akademischer Bildung dokumentiert bzw. materialisiert. Mit Blick auf die Rekonstruktion des im Forschungsprojekt vorliegenden Interviewmaterials wird zunächst angenommen, dass sich First Generation Studierende in einem Prozess befinden, der sich durch individuelle biographische Verlaufsmuster (Schütze 2021) sowie durch Interdependenzen verschiedener Erfahrungsräume (Soremski 2019) kennzeichnen lässt. Zugleich sind damit unterschiedliche Modi des Doing Transition angesprochen, da sich First Generation Studierende gemeinsam mit ihren Eltern zu institutionalisierten Routinen ins Verhältnis setzen und diese diskursiv sowie handlungspraktisch bearbeiten (vgl. Andresen et al. 2022, S. 22). Die in diesem Zusammenhang festgestellte soziale Aufstiegsmobilität der First Generation Studierenden geht mit erhöhten Anstrengungen (Grunau 2017), Fremdheitserfahrungen und daraus resultierenden möglichen „Habitus-Struktur-Konflikten“ (Grunau und Petzold-Rudolph 2021, S. 15; Schmitt 2010) einher, womit unterstützende Potenziale der Familie und des erweiterten sozialen Umfelds in den Blick geraten (vgl. McCulloh 2022; Troy 2023). Vor dem Hintergrund der akademischen und sozialen Studienintegration (Tinto 1975) ist mit Grunau und Petzold-Rudolph (2021) für das Lehramtsstudium davon auszugehen, dass das Commitment zum Studiengang und zur Hochschule eher geringer, das Ziel-Commitment zum Lehrberuf dagegen bei den untersuchten Studierenden hoch ist. Für Studierende des Studiengangs Soziale Arbeit liegen ähnliche Ergebnisse vor. Pulver und Matti (2021) zeigen, dass die schulische Vorbildung und der Bildungshintergrund der Eltern auf eine „starke Berufsorientierung“ (ebd., S. 417) der Studierenden hindeutet; empirisch stellt dies einen Gegenhorizont zu einer „akademischen Orientierung“ (ebd.) dar. Hierin liegt bereits ein erster Hinweis darauf, inwieweit First Generation Studierende im Abgleich mit den im Erfahrungsraum Familie verwobenen Orientierungen zu einer Bewährung im neuen akademischen Feld gelangen, die sich möglicherweise darin zeigt, dass die Bildungsentscheidung durch eine starke Berufsorientierung legitimiert wird. Offen bleibt jedoch eine differenzierte Betrachtung, wie die Studierenden und auch ihre Eltern den Bildungsaufstieg erleben, wie sich ihre Beziehung zueinander gestaltet, ob sie Fremdheits- und Differenzerfahrungen wahrnehmen und wie sie ggf. damit umgehen. Fokussiert werden im Folgenden Bewährungsprozesse dynamischer (Bildungs‑) Orientierungen in Bildungsverläufen vor dem Hintergrund familialer Erfahrungsräume, um Mikroprozesse sozialer Differenz hinsichtlich des Eigensinns jeweiliger familialer Wissensbestände zu rekonstruieren.

3 Forschungsdesign

Das Forschungsprojekt „Familiäre Bildungsorientierungen“ (famBO) wurde von 2021–2023 gemeinsam von den Autor:innen durchgeführt. Befragt werden Studierende des Lehramtes für berufsbildende Schulen sowie im Studiengang Soziale Arbeit, die mit nicht-traditionellen Bildungsbiographien und -hintergründen in die akademische Bildung einmünden und somit als erste in ihrer Familie einen Hochschulabschluss anstreben. Zusätzlich wird mindestens ein Elternteil interviewt, um eine (familienspezifische) Perspektive auf Generativität und das jeweilige generationale Verhältnis sowie die Genese und Vererbung von Bildungsorientierungen in den forschenden Blick zu nehmen.

Das Sample bilden 21 themenzentrierte Einzelinterviews mit narrativen, -erzählgenerierenden Passagen. Befragt wurden zehn Studierende und jeweils mindestens ein Elternteil. Im Ergebnis liegen 10 Familienporträts vor, deren Datenkorpus dokumentarisch (Bohnsack 2014; Nohl 2017) analysiert wurde. Die Rekrutierung erfolgte auf Grundlage einer Ansprache auf unterschiedlichen hochschulinternen Kanälen in den oben genannten Studiengängen. Die Befragten meldeten sich entsprechend freiwillig zur Interviewteilnahme und waren bereits im Vorfeld über das Thema der Befragung informiert. Das Audiomaterial wurde anschließend mit Blick auf das rekonstruktive Auswertungsverfahren in pseudonymisierter Form transkribiert und bearbeitet. Zu den Interviewten gehören neun weibliche und ein männlicher Studierender, was letztlich auch die Gesamtverteilung an Studierenden nach Geschlecht in pädagogischen Studiengängen widerspiegelt. So studieren aktuell in Deutschland 255.627 Personen im Bereich Pädagogik, wovon 197.177 Studierende sich dem weiblichen Geschlecht zuordnen (Eurostat 2023). Die Altersspanne der Befragten reicht von 23 bis 29 Jahren. Die Altersunterschiede resultieren aus den verschiedenen Bildungsverläufen der Interviewten. Alle Befragten haben ihr Studium erst nach einer Berufsausbildung und zum Teil einer ersten Arbeitsphase aufgenommen, was als erster Hinweis auf eine – bereits erwähnte – berufliche Orientierung (Pulver und Matti 2021) gedeutet werden kann. Vier Personen haben zusätzlich die Hochschulzugangsberechtigung über den zweiten bzw. dritten Bildungsweg erworben. Somit kann keiner der Bildungsverläufe als (institutionell) „traditioneller“ Bildungsweg bezeichnet werden, mit direktem Übergang von der Grundschule auf ein Gymnasium und der anschließenden Aufnahme eines Studiums (Wolter et al. 2017). Alle Berufsbiografien der Eltern sind nach dem Erikson-Goldthorpe-Klassenschema (Erikson und Goldthorpe 1992) als mittlere:r Angestellte:r bzw. als Facharbeiter:in einzuordnen.

Mit Blick auf die methodisch-methodologische Rahmung des Forschungsprojekts fokussieren wir Familie als einen konjunktiven Erfahrungsraum. Die Konstitution eines konjunktiven Erfahrungsraums ist nach Bohnsack (2021) nicht ausschließlich an eine habituelle Übereinstimmung gebunden, womit Inkongruenzen – empirisch gewendet – einen zentralen Stellenwert erhalten. Jene, so entstehenden neuen Erfahrungsräume, werden von Bohnsack als reflexiv bezeichnet (ebd.). Familie zeigt sich als reflexiver interaktiver Erfahrungsraum, der aus Inkongruenzen besteht, da die Familienmitglieder an unterschiedlichen gesellschaftlichen Erfahrungsräumen teilnehmen (vgl. Bohnsack 2023). Die im Rahmen dieses Beitrags fokussierte Heuristik der Bewährung des Habitus stellt auf ebendiese Inkongruenz bzw. die Differenzen ab, die vor dem Hintergrund alltäglicher familialer Praxis bearbeitet werden.

Das Forschungsprojekt ist folglich im Feld qualitativ-rekonstruktiver Sozialforschung und praxeologischer Wissenssoziologie (vgl. Bohnsack 2014) zu verorten. Um implizite Wissensbestände, wie sie Handlungsorientierungen nach Bohnsack darstellen, durch Analyse zur Rekonstruktion zu bringen, rekurrieren wir auf die Dokumentarische Methode der Interpretation (Bohnsack 2014; Nohl 2017). Vor diesem Hintergrund verstehen wir Bildungsorientierungen als inkorporierte, konjunktive Wissensbestände, die das Bildungshandeln von Subjekten strukturieren. Im Rahmen des vorliegenden Beitrags erfolgt eine sinngenetische Abstraktion der in den konjunktiven Erfahrungsräumen der untersuchten Familien inhärenten (Bildungs‑)Orientierungen, um erste Erkenntnisse zu Dimensionen der Bewährung jener Orientierungen im für die Studierenden neuen Setting akademischer Bildung aufzuzeigen. Rekurriert wird damit zunächst auf die Ebene der Rekonstruktion handlungsleitender Orientierungen, um Homologien der Facetten der Bewährung des Habitus von First Generation Studierenden herauszuarbeiten. Jene Facetten werden – zunächst – je konjunktiven Erfahrungsraum Familie rekonstruiert, um die Komplexität des reflexiven interaktiven Erfahrungsraums detailliert rekonstruieren zu können.

4 Familienporträts

Exemplarisch werden nachfolgend zwei Familienporträts dargestellt, um einen vertiefenden Einblick in familienspezifische Erfahrungsräume zu erlangen. Es handelt sich bei den für diesen Beitrag ausgewählten Porträts um maximale Gegenhorizonte und kontrastierende Bildungsorientierungen des Samples. Die Porträts werden in Kapitel 5 mit weiteren Fällen des Samples konturiert und erfahren vor dem Hintergrund der Fokussierung auf die Bewährung des Habitus im für die Studierenden neuen akademischen Erfahrungsraum eine Einordnung in die gesamte Forschungsarbeit.

4.1 „Marleen“

Marleen befindet sich zum Zeitpunkt des Interviews im 2. Semester ihres lehramtsbezogenen Bachelorstudiums in der beruflichen Fachrichtung Wirtschaft und Verwaltung. Sie ist 24 Jahre alt und wuchs in einer ländlich geprägten Region in Sachsen-Anhalt auf. Dort hat sie zunächst das Gymnasium besucht, wechselt dann aber nach der 9. Klasse auf eine Realschule. Nach dem mittleren Schulabschluss absolviert sie eine Ausbildung zur Verwaltungsfachangestellten. Marleen wuchs ohne Geschwister bei ihren Eltern auf und bezeichnet sich selbst etwas scherzhaft als „Alleinerbin“ (ebd., S. 10). Sie hat ein sehr enges Verhältnis zu ihren Eltern.

Marleens Mutter hat nach dem Besuch der Realschule eine Ausbildung zur Schneiderin absolviert und bis zur Wende 1990 in diesem Beruf gearbeitet. Nach einer Phase der Umorientierung arbeitet sie nunmehr seit über 20 Jahren bei einem Telekommunikationsunternehmen in der Fertigung. Ihr Vater hat nach dem Realschulabschluss eine Ausbildung zum Landmaschinen- und Traktorenschlosser absolviert. Er arbeitete zunächst im Baugewerbe, ist mittlerweile jedoch ebenfalls seit vielen Jahren bei dem gleichen Unternehmen beschäftigt wie seine Frau. Seit dem Studienbeginn wohnt Marleen in einer Wohngemeinschaft an ihrem Hochschulstandort; die Wochenenden verbringt sie zumeist bei ihren Eltern.

4.1.1 Schulische Laufbahn und Berufsausbildung

Marleen war in der Grundschule eine sehr gute Schülerin. Ihrer Mutter zufolge „brauchte sie nie lernen und (.) fliegt ihr, flog ihr einfach alles immer so zu“ (M-m 189). Anders am Gymnasium: Hier bereiten ihr vor allem die Anforderungen in Mathematik und Französisch große Probleme, sodass sie in der 9. Klasse die Versetzung nicht schafft. Insbesondere Marleens Eltern „haben keine Zukunft gesehen, da auf dem Gymnasium. (.) Das war da alles nicht so, wie es sollte. (.) Jedenfalls nicht so, wie unsere Schulzeit, so war es jedenfalls nicht. (.) Ganz böse anders“ (ebd., s. 201ff.). Marleen entschließt sich daraufhin eher unfreiwillig zu einem Schulwechsel. An der Realschule ist sie „wieder eine sehr gute Schülerin“ (M 50) und beendet die 10. Klasse mit einem erweiterten Realschulabschluss. Bei der Entscheidung für einen Ausbildungsberuf kann Marleen aus mehreren Zusagen wählen. Ein wichtiger Faktor bei ihrer Entscheidung ist aber u. a., die Ausbildung in ihrem Heimatort absolvieren zu können. Aus Sicht der Eltern soll sie einen gut bezahlten Beruf erlernen und demnach „[a]uf jeden Fall beim Staat arbeiten oder in den Banken. (.) Also keinen normalen Beruf, auf keinen Fall, den haben wir ja“ (M-m 258ff.).

Bereits während ihrer Ausbildung zur Verwaltungsfachangestellten antizipiert Marleen, dass sie in diesem Beruf „nicht unbedingt vierzig Jahre [ihres] Lebens“ arbeiten möchte (M 58). Sie unterhält sich mit einigen Lehrkräften an ihrer Berufsschule und sieht für sich im Lehramt eine berufliche Option. Nach dem Berufsabschluss entscheidet sie sich gegen die Übernahme in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis in der Verwaltung und beginnt, ihr Abitur an einem Abendgymnasium nachzuholen. Ihre Eltern sind zunächst „ein bisschen geschockt“ (M-m 348). Insbesondere Marleens Mutter äußert sich mehrfach eher distanziert zu akademischer Bildung und kann die Entscheidung ihrer Tochter nur bedingt nachvollziehen:

„Also meine Mutti war halt gar, gar, gar kein Fan von, dass ich nochmal studieren wollte. […] sie konnte das nicht nachvollziehen, warum ich da so aus dem sicheren Arbeitsverhältnis raus möchte und (.) noch mal rein möchte ins Studienleben. Und […] sie hatte natürlich auch Angst, wie wir das dann finanziell regeln können“ (M 659ff.).

Dennoch lassen sich die Eltern von den gut durchdachten Plänen ihrer Tochter überzeugen und sichern Marleen u. a. finanzielle Unterstützung zu: „Ist ja nun bei uns begrenzt, […] aber das, was wir (.) können, machen wir schon“ (M-v 375f.).

4.1.2 Studium

Vor dem Hintergrund positiver Lernerfahrungen in der Berufsschule und im Abitur entscheidet sich Marleen für ein Lehramtsstudium. Hier sagen ihr v. a. die berufsbezogenen Unterrichtsinhalte und die Arbeit mit jungen Erwachsenen zu. Sie verweist darauf, dass es ihr „schon immer Spaß gemacht [hat], anderen Leuten Dinge zu erklären oder beizubringen. (.) Mir wurde auch schon oft gesagt, dass ich so was kann“ (M 175ff.). Erstrebenswert ist für Marleen zudem, „eventuell später sogar (.) in die Schulleitung zu gehen“ (ebd., S. 197), sowie eine gewisse finanzielle Absicherung z. B. für „die Übernahme des Hauses meiner Eltern oder (.) halt mir eine eigene Wohnung zu kaufen“ (ebd., S. 204f.). Dennoch sieht sie das Studium, auch aufgrund der Erfahrungen am Gymnasium, erst einmal als „eine relativ große Hürde“ an (M 196). Durch Erfahrungsberichte ihrer besten Freundin ist Marleen mit den Strukturen und formalen Anforderungen des Studiums bereits vertraut; ihren Studienstart nimmt sie jedoch zunächst, auch angesichts zahlreicher Pandemie-bedingter Einschränkungen, als sehr schwierig wahr. Vor allem die fehlenden sozialen Kontakte sind ein großes Problem für sie:

„die ersten Tage und Wochen in der Uni habe ich mich oft auch allein gelassen gefühlt, weil man halt gar nicht wusste, an wen kann ich mich wenden, (.) wie genau funktioniert das alles […] wir waren ja da (.) fast immer 150, 200 Leute (.) in einer Vorlesung, da war es dann so schwierig, ähm mal mit dem Professor zu reden oder der Professorin“ (M 272ff.).

Ihren Eltern gegenüber äußert sie zudem Studienzweifel auch im Hinblick auf die erforderlichen Kompetenzen; wie bereits am Gymnasium bereiten ihr insbesondere die Module im Fachbereich Mathematik große Schwierigkeiten. Eine Zeit lang bleibt unklar, „ob sie dann weitermachen kann, (.) ob sie es schafft“ (M-m 390). Marleen erkennt, dass sie im akademischen Erfahrungsraum auf sich allein gestellt ist und auch ihre Mutter betont: „[…] von uns kann sie die Hilfe nicht kriegen, (.) wir haben da keine Ahnung von“ (M-m 436f.). Im weiteren Studienverlauf gelingt es Marleen zunehmend besser, sich sowohl im sozialen Umfeld der Hochschule zu integrieren als auch die Leistungsanforderungen zu bewältigen. Sie organisiert sich Nachhilfe, partizipiert an Lerngruppen sowie außercurricularen Angeboten und ist rückblickend beeindruckt von ihrer (Weiter‑)Entwicklung im Studium:

„Es ist äh schon unfassbar krass, was man so in einem Jahr (.) lernen kann und äh (.) wie man sich in einem Jahr auch weiterentwickeln kann. Also ich würde sagen, meine Fähigkeiten sind deutlich besser geworden“ (M 620ff.).

Innerhalb der Familie wird eine wahrgenommene Differenz zwischen den Generationen deutlich. Marleens Eltern freuen sich über den Werdegang ihrer Tochter und betonen einerseits, dass sie sich immer noch „sehr nah“ (M-v 281) sind. Andererseits wird ihnen eine Distanzierung u. a. durch einen anderen Sprachgebrauch ihrer Tochter und somit auf der sprachlichen Ebene bewusst: „[…] sie spricht jetzt immer sehr gebildet bei uns […] ich weiß aber nicht, was das bedeutet“ (M-m 453ff.), was teils „ein bisschen befremdlich“ (M 575) auf sie wirkt. Marleen hingegen möchte ihre Eltern an ihrem Studium und ihrer Entwicklung teilhaben lassen. Sie führt hierzu aus:

„Meine Eltern sind sehr wichtige Personen in meinem Leben. Ich erzähle sehr viel über mein Studium. […] ich rede mit meinen Eltern auch viel über Politik und versuche, sie da in (.) die richtige Richtung zu lenken oder auch ähm (.) mein Wissen weiter zu vermitteln“ (ebd., S. 576ff.).

Im Themengebiet der Politik möchte Marleen ihre Eltern auf den – aus ihrer Sicht – richtigen Weg bringen. Die sich hier abzeichnende wahrgenommene Differenz muss qualitativ vielschichtig gedeutet werden: Mit der normativen Setzung durch Marleen und der damit einhergehenden Negierung der Perspektive ihrer Eltern, wird letztlich auch eine Umkehr im Generationenverhältnis deutlich.

4.2 „Heike“

Heike befindet sich zum Zeitpunkt des Interviews im 5. Semester des lehramtsbezogenen Bachelorstudiums in der beruflichen Fachrichtung Wirtschaft und Verwaltung. Sie ist 25 Jahre alt und wuchs in einer ländlich geprägten Gegend in Niedersachsen auf. Dort hat sie die Realschule besucht und eine Ausbildung absolviert. Ihre Eltern leben getrennt und sie hat eine Halbschwester väterlicherseits, zu der wenig Kontakt besteht.

Aufgewachsen ist Heike bei ihrer Mutter, die nach dem Besuch der Realschule eine Ausbildung im Bereich Verwaltung absolviert hat und dort seither arbeitet. Ihr Vater hat nach dem Besuch der Hauptschule eine Ausbildung im Handwerk absolviert und arbeitet seit vielen Jahren in der Fertigung eines großen deutschen Automobilherstellers. Seit Beginn ihres Studiums lebt Heike in einer Wohngemeinschaft an ihrem Hochschulstandort und hält weiterhin engen Kontakt zu ihrer Mutter. Auch mit ihrem Vater ist Heike regelmäßig in Kontakt.

4.2.1 Schulische Laufbahn

Heikes Vater zufolge war seine Tochter stets „sehr selbstständig“ (H-v 169) und hat „von vornherein schon gewusst, (.) wo die Reise hingehen soll“ (ebd., S. 169f.). Nachdem Heike „erstmal zur Realschule“ (H 34) gegangen ist – damit verweist sie bereits auf eine Entwicklung im Bereich formaler Bildung – und den erweiterten Realschulabschluss erworben hat, reifte der Wunsch, eine Ausbildung zu absolvieren. Allerdings hat sie keinen Ausbildungsplatz erhalten, der ihren Wünschen entsprach, sodass sie das Wirtschaftsgymnasium mit Erwerb des Abiturs besucht und anschließend eine Ausbildung zur Bankkauffrau erfolgreich abgeschlossen hat. Sie resümiert: „die Ausbildung war super für mich und äh für meine persönliche Entwicklung“ (H 45f.). Ihre Mutter berichtet mit Blick auf diese Zeit insbesondere von den Problemen im Bereich Mathematik, welche bereits während der Realschulzeit von Heike ein „großes Thema“ (H-m 98) waren, „bis hin zu Dyskalkulie“ (ebd., S. 99). In der Familie wurde ihr zufolge „nur noch über Mathe geredet“ (ebd., S. 101), sodass ein Nachhilfelehrer engagiert wurde. Heikes Mutter bemerkt dazu:

„der hat sie da tatsächlich gerettet (.) und (.) uns alle zusammen, weil das war tatsächlich ein sehr massives, äh, ähm, ähm Thema für eine gewisse Zeit“ (ebd., S. 104ff.).

Umso überraschter war sie dann, als Heike ihr eröffnet hat, dass sie das Wirtschaftsabitur absolvieren möchte. In diesem Alter konnte Heike ihrer Mutter zufolge bereits gut für sich selbst entscheiden. Dies war jedoch am Übergang nach der Grundschule nicht der Fall. Sie führt dazu aus:

„also ich habe damals […] äh ganz klar mich gegen das Abitur entschieden, weil ich viele Kinder gesehen habe, die dann halt mit zehn Jahren […] wirklich keine Zeit mehr hatten, draußen zu spielen und das wollte ich für Heike absolut nicht […] und wenn sie dann mit sechzehn die Leistungen hat, dann kann sie immer noch tun, was sie möchte“ (ebd., S. 121ff.).

4.2.2 Studium

Heike antizipiert – aus ihrer Sicht – negative Veränderungen im Bankensektor. Ihr zufolge hat der Bereich der Beratung in der Bank „keine große Zukunft“ (H 67). Zudem möchte sie sich nicht mehr einem „Verkaufsdruck“ (ebd., S. 72) aussetzen und bemerkt, dass der Wunsch danach, Lehrerin zu werden, für sie immer relevant war. Auch ihre Mutter bemerkt dazu: „sie wollte immer Lehrerin werden“ (H-m 206). Rückblickend betrachtet war es Heike zufolge sozusagen familialer Common Sense, dass sie zunächst „natürlich auch aufgrund meiner Eltern“ (H 125f.) eine Ausbildung absolviert hat. Vor diesem Hintergrund war sie auch zunächst „unsicher“ (ebd., S. 132) mit Blick auf die Frage, ob sie ein Studium bewältigen kann. Ihr Vater hat ihr stets „natürlich“ dazu geraten, in dem Konzern, in dem er tätig ist, eine Ausbildung zu absolvieren und etwas „Handfestes“ (H-v 144) zu lernen. Dementsprechend war er, so Heike, „gar nicht begeistert“ (H 163) und musste von ihren Plänen, ein Studium aufzunehmen, überzeugt werden. Ihre Mutter hingegen war ihr zufolge „direkt begeistert“ (ebd., S. 168). Sie vermutet, dass ihr Vater aufgrund der zu erwartenden finanziellen Belastung sowie der lebensweltlichen Distanz ihren Plänen gegenüber skeptisch war. Sie bemerkt, dass aus Sicht ihres Vaters ein Studium „nichts Richtiges“ (ebd., S. 183) ist.

Der Beginn des Studiums war für Heike mit Unsicherheiten behaftet, die sich zunächst auf zwei Ebenen äußerten. Sie betont, dass sie sich alle sozialen Kontakte neu aufbauen musste. Auch die Dimension formaler Anforderungen ist für Heike relevant, sodass es ihr zunächst darum ging „erstmal diese erste Prüfungsphase zu überstehen“ (ebd., S. 335). Mit Blick auf die Anforderungen im Bereich Mathematik organisiert sie sich eine Nachhilfe und nimmt rückblickend das bisherige Studium als Zeit der persönlichen Entwicklung wahr.

Die Perspektive der Eltern ist laut Heike differenziert; es wird neben dem Stolz der Eltern auch eine Differenz zwischen den Generationen deutlich, die Heike wie folgt benennt: „jetzt lebst du das, was ich nicht leben durfte oder leben konnte“ (ebd., S. 756f.). In diesem Zusammenhang spricht ihr Vater von „Neid“ (H-v 442), verweist aber darauf, dass er den Begriff zugleich als nicht ganz treffend wahrnimmt, um seine diesbezügliche Perspektive zu beschreiben. Wie als Vergleich zu seiner Tochter – die versucht, die Anforderungen des für sie neuen akademischen Erfahrungsraums zu bewältigen – stellt er fest, dass in seiner Ausbildungs- und Berufsbiographie stets alles ohne „Schwierigkeiten“ (ebd., S. 453) oder „Hindernisse“ (ebd., S. 461) abgelaufen ist. Auffällig ist zudem, dass er die Gespräche über den Studienverlauf seiner Tochter als „Gemache“ (ebd., S. 327) bezeichnet. Beide angesprochenen Perspektiven finden sich zudem in der nachfolgenden Passage aus dem Interview mit Heikes Mutter:

„Sie sagt immer so ein bisschen ketzerisch, ich bin neidisch, weil das habe ich nicht gehabt. Ich habe dummerweise mit sechzehn angefangen zu arbeiten, also wenn ich in Rente gehe, dann habe ich fünfzig Dienstjahre voll. Wer macht denn so einen Mist? (.) Ne, das braucht doch tatsächlich kein Mensch […] das gönne ich ihr von Herzen. Das ist, glaube ich, eine ihrer schönsten Zeiten in ihrem Leben und da wird sie immer drauf zurückgucken und das ist ähm, ich finde es total toll“ (H-m 333ff.).

Letztlich kann so auch der Abschluss des Interviews mit Heikes Vater gerahmt werden, in dem er seiner Tochter für ihr Leben „Glück und Zufriedenheit“ (H-v 487f.) wünscht und ergänzt: „Glück und Zufriedenheit kannst du mit Geld nicht kaufen (.) aber auch nicht mit einem Master“ (ebd., S. 490f.).

5 Komparative Analyse

Die dargestellten Porträts geben einen Einblick in den jeweiligen familialen Erfahrungsraum und damit das diesem Erfahrungsraum inhärente, relevante kommunikative und konjunktive Wissen. Beide vorgestellten Familien stehen exemplarisch für die aus dem Material herausgearbeiteten Themen. Die rekonstruierten familienspezifischen (Bildungs‑)Orientierungen strukturieren die Bildungsentscheidung (und ihre familiale Bearbeitung), den Übergangsverlauf sowie die Bearbeitung familialer Themen. Deutlich wird – verlässt man die Ebene der Rekonstruktion jeweiliger familialer Erfahrungsräume – dass die lebensweltliche Bearbeitung entsprechender Themen vor dem Hintergrund einer Orientierung am jeweiligen Erfahrungsraum Familie erfolgt und sich zugleich durch die Erfahrungen als First Generation Studierende im hochschulischen Erfahrungsraum kennzeichnen lässt. Eine „Bewährung“ (Silkenbeumer und Thiersch 2021) im neuen akademischen Erfahrungsraum dokumentiert sich in den nachfolgenden Aspekten, die das Ergebnis der komparativen Analyse bilden (Abb. 1).

Abb. 1
figure 1

Orientierungen First Generation Studierender. (Eigene Darstellung)

Grundlegende Orientierungen sind eng mit dem Erfahrungsraum Familie (vgl. Hermes 2017) verwoben. Die vorangestellten kurzen Familienporträts sollen die entsprechenden Rekonstruktionen in den jeweiligen Erfahrungsraum einbetten. Zugleich werden – fallübergreifend – die folgenden Aspekte relevant: Bildungsorientierungen dokumentieren sich in Bildungsentscheidungen an Übergängen im Bildungssystem (vgl. Hermes und Lotze 2020). First Generation Studierende sind hier von besonderen Anforderungen der Bewährung betroffen. Dies gilt auch für Aspekte lebensweltlicher Anforderungen und spezifischer Differenzerfahrungen, die insbesondere das (familiale) Verhältnis der Generationen zueinander betreffen.

5.1 Übergänge im Bildungssystem

In allen Interviews werden die Entscheidungen an Übergängen im Bildungssystem von den befragten Personen thematisiert und in den Kontext jeweiliger biographischer Verläufe eingerückt. Deutlich zeigt sich, dass sich die Entscheidungen anhand vorhandener Orientierungen begründen lassen und – im Vergleich dazu – ansonsten intergenerational als begründungspflichtig dargestellt werden. So hat Heike – wie ihre Mutter – „erstmal die Realschule“ (H 34) besucht und verweist auf spezifisches Wissen innerhalb des konjunktiven Erfahrungsraums ihrer Familie, wenn sie berichtet, dass sie „natürlich“ (H 125) – wie ihre Eltern – eine Ausbildung absolvieren sollte. Zugleich verweisen alle Studierenden im Sample auf entsprechende Aushandlungsprozesse mit ihren Eltern, in denen es neben finanziellen auch um lebenspraktische Erwägungen (etwa einen Umzug) geht. Zudem lässt sich bei den Familien im Sample in Bezug auf die Studienwahl eine berufliche Orientierung mit Blick auf die Verwertbarkeit des Abschlusses auf dem Arbeitsmarkt herausarbeiten. So führt etwa eine Studierende aus:

„dann habe ich mich natürlich auch informiert über den Beruf (.) habe dann halt auch gesehen, wie viel = wie vielfältig der Beruf ist und was man da alles machen kann im Endeffekt“ (D 224ff.).

Die Studierende des Studiengangs Soziale Arbeit rekurriert nicht auf etwaige Bildungsprozesse, sondern auf ein vielfältiges Berufsbild und dessen Verwertbarkeit in der beruflichen Praxis. Eine entsprechende berufliche Orientierung dokumentiert sich – auch im Rekurs auf das Studium – im Sample in weiteren Facetten bei denjenigen Studierenden, die bereits eine berufliche Ausbildung absolviert haben. Hierbei sind auch verschiedene Dimensionen von Bedeutung, die letztlich die Bewährung am Übergang kennzeichnen und deren Bewältigung auf eine Bewährung des Habitus schließen lassen. Dies sind Anforderungen in einer sozialen, räumlichen sowie einer Dimension formaler Anforderungen (vgl. Hermes 2017). Im Sample finden sich zugleich einige dichte Beschreibungen jener handlungspraktischen Ebene des Doing Transitions:

„Also dadurch, dass ich ja (.) von der quasi kleinen Realschülerin dann erstmal mein Abi geschafft hatte, war schon mal so ein großer Punkt, (.) äh wo ich mir dann dachte okay, das hast du jetzt geschafft […] Aber nach der Ausbildung habe ich (.) auch gemerkt, dass mir gerade diese Themen wie Rechnungswesen (.) und generell Buchhaltung oder sowas halt (.) echt liegen und ich da echt auch gut drin bin […] deswegen habe ich dann (.) mit dem Abi (.) und der Ausbildung gedacht okay, du hast jetzt eigentlich auch schon so viel Vorwissen, mehr oder weniger, (.) du hast es, hattest auch Volkswirtschaft als Prüfungsfach im Abi, (.) jetzt im Studium musst du auch Volkswirtschaftslehre belegen, (.) deswegen äh habe ich mir das dann doch zugetraut“ (ebd. S. 287ff.).

In der Interviewpassage blickt Heike mit einem gewissen Stolz auf ihre Entwicklung in den vergangenen Jahren zurück. Gleichzeitig wird aber ein Perspektivwechsel der Betrachtung von Anforderungen durch Übergänge im Bildungssystem deutlich. Nachdem Heike entsprechende Anforderungen problematisiert hat (siehe Fallporträt), berichtet sie hier von gelingenden Übergängen (Abitur, Ausbildung) und dem daraus erwachsenen Mut, ein Studium zu beginnen. Einen entsprechenden kausalen Zusammenhang stellen alle Studierenden im Sample her. So wird beispielsweise auf die praktische Erfahrung verwiesen, die „im Studium hilft“ (F 174). Verwiesen ist damit auf handlungspraktische Erfahrungen, die als lebensweltliche Brücke in den akademischen Erfahrungsraum interpretiert werden können (vgl. hierzu auch die Befunde anderer Forschungsparadigmen z. B. Robbins et al. 2004; Maaz 2006; Talsma et al. 2018).

5.2 Lebensweltliche Anforderungen

Vor dem Hintergrund der vorangegangenen Ausführungen zeigt sich, dass eine Bewährung im neuen akademischen Feld auf eine handlungspraktische Ebene des Doing Transition verweist, jedoch auch ein Momentum des Scheiterns beinhalten kann, welches von den Studierenden antizipiert wird. Sowohl Marleen als auch Heike organisieren mit Blick auf die inhaltlichen Anforderungen des Studiums eine Nachhilfe. Zugleich tragen die Studierenden Sorge für ihre finanzielle Situation. Im Sample wird dabei deutlich, dass dies familial ein gewichtiges Argument darstellt. Wie die Familienporträts zeigen, wird die Frage eines Studienbeginns durch Prozesse finanziellen Abwägens begleitet, die letztlich – vor dem Hintergrund beruflicher Orientierungen – auch in einer Antizipation zu erwartender beruflicher Stabilität mündet. So verweist Marleen etwa darauf, dass sie es sich als Lehrerin mutmaßlich leisten kann, das elterliche Eigenheim im Familienbesitz zu erhalten.

Weitere Aspekte lebensweltlicher Bearbeitung betreffen die Organisation des Alltags mit Blick auf soziale Kontakte sowie die Organisation des Studiums. Eine Studierende berichtet etwa:

„[…] weil ich einfach auch seit der Geburt meines Sohnes (.) einfach auch großteils immer alleine mit ihm einfach war und ähm dementsprechend einfach arbeiten musste ähm genau und ähm (2) habe aber jetzt seit (.) ja zwei = 2020 ungefähr eben einen neuen Partner und ähm, der mich auf jeden Fall durchaus auch motiviert hat ä:hm zu studieren. […]“ (E 105ff.).

Familiale Sorgearbeit, eine gleichzeitige Berufstätigkeit und das Studium sind für die Studierende im Rahmen der dargestellten Interviewpassage von Bedeutung. Zugleich kann auch an dieser Stelle die Perspektive auf notwendiges soziales Kapital für die Bewältigung der Herausforderungen eingenommen werden: Die Studierende verweist auf ihren neuen Partner, der in einem ähnlichen Studiengang immatrikuliert ist und sie in ihrem Studienwunsch unterstützt. Dem Partner kommt eine Brückenfunktion in den akademischen Raum zu, die einen empirischen Gegenhorizont im Vergleich zu jenen Differenzerfahrungen darstellt, die im folgenden Abschnitt diskutiert werden.

5.3 Differenzerfahrungen

Bei jenen Studierenden im Sample, die bereits eine berufliche Ausbildung abgeschlossen haben, wird zunächst eine Differenzierung zu jenen Studierenden vorgenommen, die unmittelbar nach einem schulischen Abschluss in ein Studium eingemündet sind. Vor dem Hintergrund seiner ausgeprägten beruflichen Orientierung verweist etwa Anton darauf, dass er zwar zu Beginn des Studiums relativ schnell neue Kontakte knüpfen konnte, sich von dieser ersten Gruppe an Kommiliton:innen jedoch nach kurzer Zeit distanziert hat. Ihm gingen die „Abiturient:innen […] auf den Keks“ (A 292f.). Er kommentiert: „wir waren zu weit auseinander so vom, von allem“ (ebd. S. 300f.). Ein entsprechender lebensweltlicher Unterschied (Alter, beruflicher Abschluss und zumeist in diesem Bereich weitergeführte Berufstätigkeit) spiegelt eine Facette beruflicher Orientierung(en) wieder, die in gewisser Weise für First Generation Studierende charakteristisch ist.

Deutlicher treten jene Differenzierungen jedoch familial – intergenerational – zu Tage, die eine Bewährung als sozial-interaktiven Prozess im Erfahrungsraum Familie rekonstruierbar machen. Am Fallporträt zu Heike lässt sich dies exemplarisch verdeutlichen. Ihre Eltern sind stolz auf ihre Tochter und beschreiben zugleich die Grenzen ihrer eigenen (Aus‑)Bildungsbiographie, indem etwa ihre Mutter bemerkt: „Jetzt lebst du das, was ich nicht leben durfte oder leben konnte“ (H-m 756f.). Angesprochen ist hiermit aus intergenerationaler Perspektive ein Prozess der Bewährung, der in eine Differenzierung und möglicherweise auch zu einer Distanzierung führt. So bemerkt etwa Heikes Vater mit Blick auf die Beziehung zu seiner Tochter seit Studienbeginn:

„[…] die Gespräche sind anders (.) man redet über das, was kommt, was erreicht worden ist, was man noch tun muss, Master usw., dieses ganze (.) Gemache“ (H-v 325f.).

Dass die Studierenden die finanziellen Möglichkeiten in Bezug auf die Aufnahme eines Studiums thematisieren, spiegelt sich in den Berichten über Gespräche mit ihren Eltern wider. Eine Thematisierung abgeschlossener Prüfungen sowie von Noten bedeutet letztlich die Legitimation gegenüber den Eltern, dass eine Bewährung im akademischen Feld stattfindet; Noten sind als entsprechende Materialisierung zu betrachten. Zugleich fällt die Formulierung „Gemache“ ins Auge, die letztlich – abschätzig – als Ausdruck der Distanzierung gegenüber der gewählten Bildungsbiographie des Kindes gedeutet wird. Letztlich berichten auch die Studierenden – mit Blick auf ihre Eltern – von entsprechenden Erfahrungen. So bemerkt Evelyn mit Blick auf ihren Vater:

„[…] wo ich dann vielleicht glaube, dass er sich das vielleicht nicht wirklich vorstellen kann ähm, was das für ein Arbeitsaufwand ist und er auch selber sagt, er ist immer wieder erstaunt […] von den Dingen, die ich tatsächlich (.) lerne und überhaupt thematisiert werden in meinem Studiengang“ (E 610ff.).

Evelyns Vater zollt seiner Tochter Respekt dafür, dass sie ein Studium aufgenommen hat und betont ihr gegenüber, dass er überrascht wahrnimmt, welche Quantität an Inhalten im Rahmen des Studiums gelehrt werden. Er „unterschätzt“ (E 606) ihr zufolge, die Anforderungen, die das Studium an sie stellt. Auf Seiten ihrer Mutter nimmt sie hingegen „Respekt“ (E 616) und „Bewunderung“ (E 621) wahr. Sie bemerkt, dass ihre Mutter „größere Träume“ (E 618) hatte, ihr aber die Chancen verwehrt blieben, diese Aspirationen zu realisieren. Gleichzeitig zeigt sich eine gewisse Sprachlosigkeit bei Evelyn und ein Ringen um Worte, wenn es darum geht, über Inhalte ins Gespräch zu kommen, da „es recht schwierig (.) [ist], sich tatsächlich dann am Ende darüber zu unterhalten, weil es an vielen Punkten […] ich weiß nicht genau, wie ich das sagen soll. An vielen Punkten (.) […] man kann es gar nicht richtig greifen auch irgendwo“ (E 622ff.). Die Passage dokumentiert letztlich die Distanz zwischen Mutter und Tochter sowie eine gewisse Orientierungslosigkeit, die Evelyn fragend zurücklässt. Der Altersabstand zwischen Eltern und ihren Kindern verändert sich im Lebensverlauf nicht, jedoch sind die Beziehungsstrukturen sowie die soziale Kohäsion des familialen Erfahrungsraumes stetig wandel- und auch verletzbar.

6 Fazit

Mit der Bewährung des Habitus im (neuen) Feld akademischer Bildung rückte die „Bearbeitung und Integration von Bildungsverläufen des Subjekts und deren Transformationsdynamiken im Rahmen […] milieuspezifischer Orientierungen und Anforderungen“ (Thiersch 2020, S. 33) in den forschenden Blick. Ein besonderer Fokus lag dabei auf dem jeweiligen Erfahrungsraum Familie, der einen Raum alltäglichen Beziehungs- und Interaktionsgeschehens darstellt, in dem Muster des Zusammenlebens sowie gesellschaftliche Normen und Werte einer permanenten Aushandlung unterliegen. Dies zeigt sich im empirischen Material in vielschichtiger – und für First Generation Studierende spezifischer Art und Weise: Wenn Kinder ihren Eltern – nach Zirfas (2020) – die eigenen, aber auch andere Möglichkeiten vor Augen führen, geht das Erschließen des akademischen Erfahrungsraums mit spezifischen Anforderungen einher, die inter- und intragenerational bearbeitet werden. Im Interview mit Marleen etwa deutet sich an, dass die Anerkennung der Subjektivität der eigenen Eltern zunehmend erschwert wird (sie spricht von einer „richtigen Richtung“, in die sie ihre Eltern lenken möchte). Im Interview mit Heikes Eltern zeigt sich eindrücklich, inwieweit das Erschließen neuer Erfahrungsräume den primären familialen Erfahrungsraum berührt. Entsprechende Differenz- und Fremdheitserfahrungen sind auch in einer Untersuchung von Promovierenden aus nicht-akademischen Familien analysiert und als „emotionale Kostenfaktoren“ (Nikolai und Gerloff 2019, S. 261) benannt worden.

Die Analyseergebnisse des vorliegenden Beitrags sind in einigen Punkten limitiert. Hinsichtlich des methodischen Vorgehens ist kritisch anzumerken, dass familiale Bildungsorientierungen längsschnittlicher Untersuchungen bedürfen, um den Anspruch, die „Bewährung“ familialer Bildungsorientierungen in der Bildungs- und Berufsbiographie nachzeichnen zu können, einzulösen. Wie in einem Brennglas zeigen die Analysen der familialen Erfahrungsräume implizit und explizit das „[…] Er-Leben milieu- und geschlechtsspezifischer Einbindungen sowie – in generationsspezifischer Hinsicht – auch zeitgeschichtlicher Entwicklungen“ (Bohnsack 2023, S. 21) zwischen den Generationen. Damit weitet sich der Blick auf eine mögliche Typenbildung, die allerdings im Rahmen weitergehender Forschung auf Basis eines erweiterten methodischen Settings und Samples erfolgen müsste. Zuletzt sei darauf verwiesen, dass eine Fokussierung auf lediglich zwei Generationen bedeutsame langfristige soziale Mobilitätsprozesse ausblendet (vgl. Büchler und Lohmann 2021, S. 284). Gleichwohl geben die Ergebnisse der Analyse des qualitativen Materials einen vertieften Einblick in familienspezifische Interaktionsdynamiken, die auch im Lichte aktueller Diskurse um eine „intensivierte Elternschaft“ (Walper und Kreyenfeld 2022) zu betrachten sind. Ein Ausbalancieren von Differenzerfahrungen im Rahmen familialer Interaktion – so deutet sich im hier vorgestellten Material an – betrifft biographische Erfahrungen beider Generationen und damit auch intergenerationale Beziehungen, die den Erfahrungsraum Familie kennzeichnen. Damit stehen zugleich bewährte Muster des familialen Zusammenlebens, Erziehens und der Bewertung gesellschaftlicher Ansprüche in Frage. Die nach wie vor bestehenden sozialen Herkunftsunterschiede und weiteren Ungleichheiten in der Teilhabe an hochschulischer Bildung (vgl. Lotze und Wehking 2021, S. 8), können und sollten eine bildungs- und erziehungswissenschaftlich informierte Familienforschung dazu anregen, auch aus dieser Perspektive heraus nach dem Eigensinn und der Dignität familialer Orientierungen zu fragen.