1 Einleitung

Im deutschsprachigen Schulsystem zeichnet sich die Bewertung von Schüler*innen traditionell dadurch aus, dass ihnen auf dem Zeugnis Ziffernnoten durch die Lehrkräfte erteilt werden. Als Basis für diese Noten dienen in einem kompetenzorientierten Unterricht die Fähigkeiten der Schüler*innen, eine durch die Lehrkraft in Form eines Problems formulierte Aufgabe zu lösen (Blum et al. 2010). Aufgrund der Tatsache, dass Probleme mündlich wie schriftlich, theoretisch wie praktisch aber auch individuell wie kooperativ gelöst werden können, sind die Dimensionen, die den Noten zugrunde liegen, äußerst vielfältig. Dieser Sachverhalt wird im vorliegenden Beitrag mit Blick auf die Benotung im Sportunterricht untersucht. Denn die Vielfalt der Dimensionen für die Benotung scheint im Unterrichtsfach Sport besonders groß zu sein, da die Schüler*innen neben sportmotorischen Fähigkeiten und Fertigkeiten weitere vielfältige Kompetenzen erwerben sollen, die ebenfalls benotet werden (Almreiter 2020). Aufgrund dieser Vieldimensionalität und der pädagogischen Funktion eignet sich die Sportnote besonders gut als Beispiel, die Herausforderungen, denen Lehrkräfte im Benotungsprozess gegenüberstehen, zu untersuchen.

Die Aufgabe der Sportlehrkraft, eine Ziffernnote zu vergeben, ist alles andere als trivial, denn neben den sportmotorischen Fertigkeiten, deren Benotung für sich gesehen bereits in einigen Inhaltsbereichen, wie z. B. den Sportspielen, komplex ist, fließen in einem kompetenzorientierten Sportunterricht (Guardiera 2019) weitere Dimensionen wie Leistungsbereitschaft, Leistungsfortschritt, soziales Verhalten und kognitive Fähigkeiten in die Benotung ein. Diese Vieldimensionalität lässt sich mit dem Doppelauftrag des Sportunterrichts (Scheid und Prohl 2017) begründen. Schüler*innen sollen zum Sport erzogen werden, also fachbezogen lernen, welche Handlungsmuster die Bewegungs‑, Spiel- und Sportkultur bietet und diese erschließen. Auf der anderen Seite soll durch Sport erzogen werden. Das heißt, dass durch sportbezogene Aufgaben die Persönlichkeitsentwicklung der Schüler*innen gefördert werden soll, zum Beispiel werden die Fähigkeit zur Selbst- und Mitbestimmung und die Solidarität adressiert. Entsprechend soll der Sportunterricht so gestaltet sein, dass fachbezogenes und persönlichkeitsbezogenes Lernen gleichermaßen stattfindet. Durch das Lösen verschiedener durch die Sportlehrkraft gestellte Aufgaben soll also nicht nur die sportmotorische Leistung weiterentwickelt, sondern ebenso persönlichkeitsbezogene kognitive, motivationale und soziale Kompetenzen adressiert werden (Scheid und Prohl 2017).

Die Benotung im Fach Sport, in welchem aufgrund der Vielfalt der zu berücksichtigenden Kriterien die „Noten offenbar anders vergeben werden als in anderen Unterrichtsfächern“ (DSB 2006, S. 166), scheint daher ein komplexer und nicht immer eindeutiger Prozess zu sein. Gleichwohl ist es für Sportlehrkräfte obligatorisch, sich bei der Benotung an den Vorgaben des jeweiligen SchulministeriumsFootnote 1 zu orientieren. Zur Gewichtung der unterschiedlichen Kriterien für eine Note gibt es allerdings keine exakten Vorgaben. Dies kann und muss eine Sportlehrkraft – im Einklang mit den Vorgaben ihrer Schule – je nach Inhalt und Ziel selbst entscheiden. Insofern liegt der Verteilung von Ziffernnoten ein Spielraum pädagogischen Handelns zugrunde. Dieser Ermessensspielraum kann von der Sportlehrkraft als positiv empfunden werden, weil sie individuelle Schwerpunktsetzungen vornehmen kann und keinen starren Vorgaben folgen muss. Andererseits kann dies auch zu Unsicherheiten bei der Vergabe von Noten führen, weil der Lehrkraft Maßstäbe zur Orientierung fehlen, wann sie welche Kriterien in welchem Umfang berücksichtigen soll (Feth 2017).

Auch bei Schüler*innen kann die Ziffernnote Irritationen auslösen, wenn nicht klar ist, in welchem Maße die unterschiedlichen Kriterien in die Note eingeflossen sind. Dementsprechend kann die Benotung die Schüler*innen bisweilen positiv überraschen oder von ihnen als ungerecht empfunden werden. So erhalten manchmal nicht nur diejenigen Schüler*innen eine sehr gute Note, die die meisten Körbe treffen oder die schnellsten Zeiten laufen. Vielmehr können je nach Gewichtung verschiedener Kriterien auch Schüler*innen, deren sportmotorische Leistungen nur im guten Bereich liegen, die sich aber in Reflexionsphasen in hohem Maße beteiligen und sich sehr gut an die vereinbarten Regeln halten oder bei Aufbauten großes Engagement zeigen, eine sehr gute Sportnote erlangen.

Um Erkenntnisse darüber zu gewinnen, wie Sportlehrkräfte mit diesem Handlungsspielraum bei der Benotungspraxis umgehen, stellt dieser Beitrag die folgende Forschungsfrage:

Welche Kriterien ziehen Sportlehrkräfte an Grundschulen und der Sekundarstufe II zur Benotung heran und wie gewichten sie diese?

Zur Beantwortung dieser Forschungsfrage wurden leitfadengestützte Interviews mit Sportlehrkräften geführt, die an Regelschulen in Nordrhein-Westfalen (NRW) unterrichten. Um zu überprüfen, ob Benotungspraxen schulformübergreifend unterschiedlich ausgeprägt sind, wurden zwei Gruppen von Lehrkräften nach dem Prinzip des maximalen Kontrasts befragt, und zwar solche die an Grundschulen und solche, die in der Sekundarstufe II unterrichten. Es ist anzunehmen, dass bei ihnen die größten Unterschiede hinsichtlich der unterrichtlichen Lernziele und dementsprechend der zugrunde gelegten Kriterien für die Benotung vorliegen. Während es nämlich im Sportunterricht in der Grundschule um „elementare Wahrnehmungs- und Bewegungserfahrungen“ (MSW NRW 2021, S. 225) geht, sollen Schüler*innen in der Sekundarstufe II auch sportlich komplexe Handlungsmuster nachvollziehen können (MSW NRW 2014). Die empirischen Ergebnisse zur Benotungspraxis sollen dazu dienen, den Status quo der Anwendung von Kriterien für die Benotung sowie die sich daraus ergebenden Chancen und Herausforderungen für die Praxis darzustellen. Die daraus gewonnenen Erkenntnisse können schließlich als Grundlage dafür dienen, mögliche Diskrepanzen zwischen dem Ist- und dem Soll-Zustand zu diskutieren. Beim Soll-Zustand ist zudem zu unterscheiden zwischen dem, der sich aus fachdidaktischer Sicht generiert, und dem, der bildungspolitischen Ansprüchen entspringt. Beides wird im folgenden Kapitel anhand fachdidaktischer Sichtweisen sowie Ausführungen in den Kernlehrplänen erörtert.

2 Zur pädagogischen und fachdidaktischen Diskussion der Sportnote

Schulnoten haben vielfältige gesellschaftliche und pädagogische Funktionen zu erfüllen (Tent 2006). Zu den gesellschaftlichen Funktionen zählt neben der Sozialisationsfunktion auch die Selektionsfunktion. Entsprechende Schulnoten berechtigen Schüler*innen dazu, die nächste Jahrgangsstufe zu erreichen oder im späteren Verlauf einen besseren Zugang zu beruflichen Positionen oder Studiengängen zu erhalten. Zu den pädagogischen Funktionen zählt beispielsweise die Rückmeldefunktion. Noten sollen Schüler*innen den aktuellen Leistungsstand mitteilen. Zudem haben Schulnoten eine Anreizfunktion, die die extrinsische Motivation zum Lernen ansprechen soll. Die unterschiedlichen Funktionen der Note spielen in allen Schulformen eine Rolle, allerdings haben sie eine jeweils unterschiedlich große Bedeutung. So scheint in der Grundschule vor allem die Anreizfunktion eine große Bedeutung zu haben, um Kinder extrinsisch zum lebenslangen Lernen (im Fach Sport: zum lebenslangen Sporttreiben) zu motivieren, während in der Sekundarstufe II die Selektionsfunktion eine bedeutsame Rolle spielt, da die gymnasiale Oberstufe auf den Schulabschluss vorbereitet und die Sportnote den Notendurchschnitt des Abiturs und damit den Zugang zu Studien- und Ausbildungsplätzen im positiven oder negativen Sinne beeinflussen kann. Neben diesen fachübergreifenden Funktionen nimmt das Fach Sport eine Sonderrolle hinsichtlich der Notenvergabe ein.

2.1 Die Besonderheit der Sportnote

Der Erziehungswissenschaftler Tillmann widmet sich mit einem fachfremden Blick der Benotung im Sport und bezeichnet das Fach einerseits als „ein Unterrichtsfach wie jedes andere“ (Tillmann 2001, S. 45) und andererseits als „ein Unterrichtsfach wie kein anderes“ (ebd.). Bezüglich der Benotung bedeutet diese paradox anmutende Aussage, dass auch im Sport die Selektionsfunktion gegeben sein soll, die Überprüfung von Lernergebnissen jedoch in der Regel aus der Ausführung bestimmter Bewegungen und deren Reflexion besteht. So wird bei punktuellen Leistungsüberprüfungen beurteilt, inwiefern Schüler*innen bestimmte Werte aus Leistungstabellen erreichen oder sich z. B. ihre technischen, taktischen, koordinativen oder gestalterischen Fähigkeiten darstellen. In diesen Überprüfungen zeigen die Schüler*innen eine sportmotorische Leistung. Auf den ersten Blick erscheint es für Sportlehrkräfte simpel, eine Benotung vorzunehmen, denn der „Sport hat wie kein zweites Fach die Möglichkeit, Schülerleistungen besonders exakt zu messen“ (ebd.). So existieren beispielsweise in manchen Inhaltsbereichen wie Leichtathletik alters- und geschlechtsspezifische Leistungstabellen (vgl. DOSB 2021), anhand derer einer erbrachten sportmotorischen Leistung eine Note zugeordnet werden kann. Und selbst in Inhaltsbereichen, bei denen eine konkrete Messung schwierig ist, wie beim Turnen, Tanzen oder bei Ballsportarten existieren Prüfungsformen, aus denen Noten abgeleitet werden können (ebd.). Allerdings sollen – dem Doppelauftrag des Sportunterrichts folgend – selbst in diesen rein sportmotorisch anmutenden punktuellen Überprüfungen motivationale und soziale Kompetenzen sichtbar werden, die es auch in der Benotung zu berücksichtigen gilt.

Diese Benotungsvorgaben verfolgen zwar das Ziel einer möglichst neutralen Beurteilung, aber selbst wenn dies gelingen würde, ließe sich eine alleinige Betrachtung einer solchen, scheinbar objektiven Bewertung kaum mit den Zielen des kompetenzorientierten Sportunterrichts vereinbaren. Denn in einem solchen ist es das Ziel einer jeden Unterrichtsstunde, „zur Weiterentwicklung inhaltsbezogener und allgemeiner Schülerkompetenzen“ (Blum et al. 2010, S. 17) beizutragen. Die Schüler*innen sollen Kompetenzen entwickeln, die es ihnen ermöglichen, die „Problemlösung in variablen Situationen erfolgreich und verantwortungsvoll“ (Weinert 2001, S. 27) zu bewältigen. Auf den Sportunterricht bezogen sind dies häufig Problemlösungen, die eine Anwendung körperlich-motorischer Fertigkeiten erfordern. Doch für viele dort auftretende Problemstellungen ist die sportmotorische Leistungsfähigkeit allein nicht ausreichend. Auch wenn Probleme in sportlich aktiver Form gelöst werden sollen, sind immer weitere Kompetenzen notwendig, die Schüler*innen in der Ausführung zeigen müssen und die entsprechend bedeutsam für die Note sind. So sind beispielsweise für die Erstellung einer Choreographie motorische, aber auch kognitive, kommunikative und kooperative Kompetenzen notwendig, weil körperliche Bewegungen zum Takt und Rhythmus der Musik ausgeführt werden und die Schüler*innen sich untereinander verständigen (Guardiera 2019).

2.2 Dimensionen, die in der Sportnote Berücksichtigung finden

Auf Grundlage aktueller fachdidaktischer LiteraturFootnote 2 lassen sich einzelne Kriterien in insgesamt fünf Bewertungsdimensionen zusammenfassen: (1) Die sportmotorische Dimension, (2) der Leistungsfortschritt, (3) die Leistungsbereitschaft, (4) die soziale Dimension und (5) die kognitive Dimension (Tab. 1). Diese Dimensionen sind in der Praxis nicht immer trennscharf und je nach Inhalt auch nicht gleich bedeutsam. Werden Mannschaftsspiele thematisiert, so können alle Dimensionen eine Rolle spielen. Legt man bei der Vermittlung von leichtathletischen Inhalten den Schwerpunkt auf die Steigerung der sportmotorischen Leistung, so spielt die soziale Dimension höchstens eine untergeordnete Bedeutung, es sei denn es werden gruppenbezogene Aufgaben gestellt.

Tab. 1 Dimensionen, die laut fachdidaktischer Literatur in die Sportnote einfließen sollen, inklusive Beispiele und Quellen

Die Kernlehrpläne des Fachs Sport machen keine exakten Vorgaben zu den Benotungsdimensionen und ihrer Gewichtung. So trifft bspw. der Lehrplan der Grundschule in NRW, der für die Befragten der vorliegenden Studie maßgebend istFootnote 3, lediglich die Aussage, dass sich die Leistungsbewertung an den im Lehrplan formulierten Kompetenzerwartungen orientieren soll und dass die Leistungsbereitschaft sowie der individuelle Lernfortschritt bei der Bewertung berücksichtigt werden sollen (vgl. MSW NRW 2021, S. 225). Soziale und kognitive Kompetenten, die vor allem für die Erziehung durch Sport relevant sind, sollen laut diesen bildungspolitischen Vorstellungen nicht in die Benotung einfließen. Zudem stehen Lehrkräfte vor der Herausforderung, dass sie laut Kernlehrplan Fehler nicht sanktionieren, sondern als Ausgangspunkt einer Lerngelegenheit sehen und nutzen sollen. Allerdings hätten Schüler*innen bei entsprechenden Fehlern eine geforderte Kompetenz nicht gezeigt, was laut fachdidaktischen Ansprüchen auch negative Konsequenzen für die Sportnote haben müsste.

Im Kernlehrplan der Sekundarstufe II in NRW wird ebenfalls die Transparenz der Leistungsbewertung betont. Insbesondere sollen dabei die formulierten Kompetenzbereiche (Bewegungs- und Wahrnehmungskompetenz, Sachkompetenz, Methodenkompetenz und Urteilskompetenz) „angemessen berücksichtigt“ (MSW NRW 2014, S. 56) werden. In Abgrenzung zum Kernlehrplan der Grundschule wird hier zwischen den Beurteilungsbereichen „Schriftliche Arbeiten/Klausuren“ sowie „Sonstige Leistungen im Unterricht/Sonstige Mitarbeit“ unterschieden. Zu letzterem zählen „punktuell und kontinuierlich zu erbringende sportmotorische Leistungen“ (ebd., S. 58) sowie beispielsweise Unterrichtsbeiträge, Präsentationen oder kooperatives Verhalten; die kognitive und die soziale Dimension sind also bedeutsam. In der Sekundarstufe II finden sich demnach bezüglich der Ansprüche an die Benotungsdimensionen größere Überschneidungen zwischen Fachdidaktik und Bildungspolitik als in der Grundschule.

Blickt man auf die Kernlehrpläne einerseits und die fachdidaktischen Ausarbeitungen (s. Tab. 1) andererseits, so sind zwei Aspekte zu erkennen, die beide gemeinsam haben. Erstens soll die sportmotorische Leistung als bedeutsamste Dimension in die Benotung einfließen. Zweitens sollen darüber hinaus noch weitere Dimensionen berücksichtigt werden.

Zum ersten Aspekt: Unabhängig davon, welches Thema in einem Unterrichtsvorhaben behandelt wird, erledigen Schüler*innen Aufgaben, indem sie sportmotorische Leistungen erbringen. Eine Bewegungsabfolge in einer Choreografie technisch korrekt auszuführen oder ein Sportspiel zu gewinnen, ist auf gute sportmotorische Leistungen zurückzuführen. Das Spektrum sportmotorischer Handlungen ist groß und reicht von einer allgemeinen koordinativen Bewegungsfähigkeit bis hin zur technisch korrekten Ausführung komplexer Bewegungen, z. B. beim Hochsprung oder in Sportspielen. Aufgrund dessen scheinen die genannten Fachvertreter*innen in der sportmotorischen Leistung den entscheidenden Parameter zur Notenbildung zu sehen.

Zum zweiten Aspekt: Einigkeit besteht in der fachdidaktischen Diskussion auch darin, dass die sportmotorische Leistung nicht die für die Sportnote allein zu berücksichtigende Dimension darstellen sollte. Einfluss auf die Note hat auch, wie gut Schüler*innen Sachverhalte im Sportunterricht verstehen, diese reflektieren und letztlich zur Lösung einer zu bearbeitenden Aufgabe beitragen. Diese Lösungen erfordern, wie Guardiera (2019) feststellt, weitere individuelle Fähigkeiten. Daher geben einige Autoren (Achtergarde 2015; Scheid und Prohl 2017) an, dass Sportlehrkräfte die individuellen Voraussetzungen der Schüler*innen bei der Notenvergabe berücksichtigen und somit den Leistungsfortschritt in die Benotung einfließen lassen sollen. Andere Autoren kritisieren jedoch, dass motorisch bereits starke Schüler*innen durch das geringe Potenzial der Verbesserung benachteiligt seien (Balz und Kuhlmann 2015, S. 204). Eine weitere herausgearbeitete Dimension ist die subjektive Leistungsbereitschaft von Schüler*innen, die zeigt, wie sehr diese sich anstrengen, um eine Aufgabe zu lösen. Allen Ausführungen der in Tab. 1 erwähnten Fachdidaktiker*innen ist gemein, dass sie die soziale Dimension für die Sportnote als relevant erachten, womit die „Beteiligung und Mitwirkung bei der Unterrichtsgestaltung“ (Scheid und Prohl 2017, S. 118) sowie kooperatives Verhalten z. B. in Sportspielen gemeint ist. Kritisch wird gesehen, dass die soziale Dimension schwierig zu überprüfen sei (Balz 2007, S. 212), möglicherweise handeln Schüler*innen auch nur deswegen sozial, um eine bessere Note zu bekommen, was der Sozialerziehung im Sportunterricht widerspricht, jedoch für Lehrkräfte schwer nachzuvollziehen ist. Die kognitive Dimension umfasst beispielsweise das Wissen über theoretische Zusammenhänge und das Regelwerk, das Entwickeln von Taktiken, Diskussionsbeiträge, aber auch mündliche und schriftliche Prüfungen.

Doch welche Dimensionen sollen letztlich in die zu verteilenden Ziffernnoten einfließen und wie sind diese zu gewichten? Tillmann (2001) führt an, dass die reine sportmotorisch erbrachte Leistung im Benotungszeitraum einen Teil der Sportnote ausmacht. Er macht jedoch deutlich, dass darüber hinaus auch „pädagogische Aspekte […] zu berücksichtigen sind“ (ebd.), die einen gewissen Spielraum in der Benotung zulassen. Dieser Spielraum soll laut einiger sportdidaktischer Ausführungen zu einer Korrektur der sportmotorischen Leistung um eine Ziffernnote nach oben oder unten führen (Größing 2007, S. 252) oder nur dann angewendet werden, wenn Schüler*innen zwischen zwei Noten schwanken (Kloos et al. 2016, S. 52). Diese Empfehlungen stehen jedoch den obigen Ausführungen entgegen, dass alle Kompetenzen, die zur Lösung eines Problems benötigt werden, angemessen und umfangreich zu benoten sind. Eine weitere Herausforderung besteht für Lehrkräfte darin, Aufgaben, die kooperatives Lernen in Gruppen beinhalten, zu bewerten. Hier stehen sie zum Beispiel vor der Frage, ob sie Gruppen- oder Einzelnoten vergeben (Wibowo 2018).

Da weder in den Lehrplanvorgaben noch in der fachdidaktischen Literatur Vorgaben zu finden sind, wie die einzelnen Dimensionen gewichtet werden sollen, liegt die Vermutung nahe, dass diesbezüglich subjektive Vorstellungen und Erwartungen der Sportlehrkräfte bestehen, so dass die Dimensionen in unterschiedlicher Weise in der Notengebung berücksichtigt werden.

3 Bisherige empirische Erkenntnisse zur Benotung im Sportunterricht

Forschungsergebnisse über die Notengebung in der Schule zeigen, dass diese hinsichtlich Objektivität, Reliabilität und Validität einer großen Schwankung unterliegt (Sacher 2014, S. 42–52). Das bedeutet, dass dieselben erbrachten Leistungen von verschiedenen Lehrkräften unterschiedlich bewertet werden können. Während bei standardisierten Tests und schriftlichen Prüfungen noch gute Übereinstimmungen bestehen, werden weitere Leistungen teils höchst unterschiedlich bewertet (ebd., S. 43). Anders et al. (2010) konnten ermitteln, dass die erbrachte Leistung in der Grundschule in Deutsch und Mathematik den größten Zusammenhang mit den Schulnoten aufweist, gleichzeitig jedoch auch die von Lehrkräften eingeschätzten sozialen Fähigkeiten und die Motivation einen signifikanten Einfluss haben. Der Fokus auf die Leistung bei gleichzeitig weiteren relevanten Dimensionen kann in den wenigen Untersuchungen, die sich mit der Notengebung speziell im Sportunterricht beschäftigen, bestätigt werden.

In einer Interviewstudie mit Sportlehrkräften konnte Feth (2017, 2018) eine hohe Subjektivität als ein von den Befragten wahrgenommenes Problem identifizieren. Die Sportlehrkräfte bemängeln, dass ihnen klare Kriterien, nach denen sie benoten können, fehlen, vor allem in den Bereichen Spiel und Gestaltung. Daraus resultiert, dass sie sich letztlich auf ihre eigenen Beobachtungen, die sie jedoch in komplexen Prüfungssituationen durchführen, stützen müssen. Eine Ursache für die Subjektivität steckt in dem von Feth identifizierten Problembereich der Vieldimensionalität der Beurteilungsbereiche (Feth 2018, S. 6). Die Tatsache, dass weitere Dimensionen in die Note einfließen sollen, führt für viele Lehrkräfte zu einer Unsicherheit und mündet oftmals in einem Zurückgreifen auf die sportmotorische Leistung als alleiniges Kriterium, was den fachdidaktischen Ansprüchen an den Sportunterricht bezüglich der Entwicklungsförderung durch den Sport und an die Note zuwider läuft.

Auch Meier und Ruin (2015) ermittelten in einer Interviewstudie, dass sich Sportlehrkräfte häufig und gern an Leistungstabellen orientieren, die ausschließlich die sportmotorische Leistung adressieren. Gleichzeitig zeigt sich, dass bei der Benotung von Schüler*innen mit ungünstigen körperlichen Voraussetzungen, die die Leistung beeinflussen können wie Adipositas oder dem Vorhandensein eines sonderpädagogischen Förderbedarfs, die Leistungsbereitschaft und das Sozialverhalten berücksichtigt werden (Meier und Ruin 2015; Weigelt 2015), um die Sportnote anzuheben (Kastrup 2009, S. 260). Der Fokus auf die sportmotorische Leistung deckt sich nicht mit Ergebnissen der Sprintstudie vom Deutschen Sportbund (DSB), in welcher Sportlehrkräfte der Mitarbeit im Unterricht, dem Sozialverhalten und dem individuellen Leistungsforstschritt ein größeres Gewicht als entsprechenden sportmotorischen Kriterien zuschreiben (DSB 2006, S. 167). In internationalen Studien wurde ebenfalls eine Vieldimensionalität der Sportnote ermittelt (Svennberg et al. 2014), so dass die Leistungsbereitschaft und die soziale Dimension für die Gesamtnote eine bedeutende Rolle spielen (Chan et al. 2011) und in der Primarstufe etwa 50 % der Gesamtnote ausmachen (James et al. 2005). Eine Anhebung der Note durch soziale und motivationale Kriterien geht mit dem bildungspolitischen Anspruch einher, dass die Schüler*innen nicht demotiviert werden und die Erziehung zum Sport gewährleistet ist (Kastrup 2009).

Schüler*innen selbst wünschen sich bezüglich der Gewichtung der unterschiedlichen Dimensionen einen deutlich stärkeren Fokus auf die sportmotorische Leistung, die sie laut der SPRINT-Studie nicht ausreichend berücksichtigt sehen (DSB 2006, S. 233). Zu einem anderen Ergebnis kommt eine qualitative US-amerikanische Studie, in der die befragten Schüler*innen soziale Kriterien als besonders wichtig für gute Noten im Sportunterricht erachten (Zhu 2015). Theis (2010) hingegen zeigt für Deutschland, dass Gymnasiast*innen die reine sportliche Leistung als bedeutsamstes Kriterium ansehen, während Hauptschüler*innen es zudem als wichtig erachten, dass die Leistungsbereitschaft und das Sozialverhalten in die Sportnote einfließen. Die dargestellten Ergebnisse können darauf zurückzuführen sein, dass der Sportunterricht in verschiedenen Schulformen und Jahrgangsstufen unterschiedliche Kompetenzen fokussiert, so auch zwischen den in der vorliegenden Studie untersuchten Schulformen Grundschule und Sekundarstufe II. So ist es wahrscheinlich, dass sich dies auch in den Benotungsdimensionen und deren Gewichtung widerspiegelt.

Der Überblick des Forschungsstands zeigt, dass empirische Arbeiten zu dem Thema Benotung im Sportunterricht nur in begrenzter Zahl vorliegen und noch viele Forschungslücken bestehen. Große Unklarheit herrscht bezüglich der Frage nach der Berücksichtigung und vor allem nach der Gewichtung der Benotungsdimensionen. Zudem hat sich noch keine Forschungsarbeit mit der Differenzierung der Benotungspraxis nach verschiedenen Schulformen auseinandergesetzt.

4 Methodisches Vorgehen

Aufgrund bislang nur wenig vorliegender Forschungsbefunde zur Benotungspraxis von Sportlehrkräften bietet sich eine explorative Studie in Form von leitfadengestützten Interviews (Helfferich 2019) mit Sportlehrkräften an. Der vorliegenden Analyse liegen 20 solcher Interviews zugrunde, die im Zuge des Projekts Benotungspraxis von Sportlehrkräften mit eben diesen in Nordrhein-Westfalen geführt worden sind. Die Hälfte der befragten Lehrkräfte unterrichtet Sport in der Grundschule und soll über die Vergabe der Ziffernnote in den Jahrgangsstufen 3 und 4 berichten, die andere Hälfte ist an Gymnasien und Gesamtschulen beschäftigt und berichtet über ihre Benotungspraxis in der Sekundarstufe II. Zwölf der Befragten sind männlich und acht weiblich, die Berufserfahrung reicht von weniger als einem bis zu 35 Jahren. Ein Drittel der Befragten arbeitet seit weniger als fünf Jahren als Lehrkraft, ein weiteres Drittel zwischen fünf und zehn sowie ein Drittel seit mehr als zehn Jahren. Nach dieser Dreiteilung entlang der Berufserfahrung wurden die Teilsamples für die Grundschule und die Sekundarstufe II rekrutiert. Alle Lehrkräfte haben ein abgeschlossenes Lehramtsstudium im Fach Sport, Quereinsteiger*innen wurden bei der Samplerekrutierung nicht berücksichtigt. Als Auswertungsmethode wurde die qualitative Inhaltsanalyse nach Mayring (2022) gewählt, für welche das Programm MAXQDA (Rädiker und Kuckartz 2019) verwendet wurde.

Da die Forschungsfrage die Kriterien und die Gewichtung fokussiert, beruhen die Ergebnisse auf einer strukturierenden Inhaltsanalyse mit deduktiver KategorienanwendungFootnote 4. Auf Basis der Theorie wurde die Hauptkategorie Benotungsdimensionen identifiziert, welche sich aus den Subkategorien Sportmotorische Dimension, Leistungsfortschritt, Leistungsbereitschaft, Soziale Dimension und Kognitive Dimension zusammensetzt. Daneben steht die weitere Hauptkategorie Gewichtung.

5 Ergebnisse

Die Ergebnisse werden nach den Haupt- und Subkategorien differenziert dargestellt, wobei die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen den Schulformen fokussiert werden. Bei der Analyse wurde festgestellt, dass sich das Geschlecht sowie die Berufserfahrung der Lehrkräfte nicht substantiell auf die Antworten auswirken, daher werden diese Faktoren nicht weiter betrachtet.

5.1 Benotungsdimensionen

Alle fünf in der Theorie erarbeiteten Benotungsdimensionen wurden von den befragten Sportlehrkräften der Grundschule wie auch der Sekundarstufe II genannt, bei einigen Gemeinsamkeiten fallen allerdings qualitative Unterschiede zwischen den Schulformen auf.

5.1.1 Sportmotorische Dimension

Die sportmotorische Leistung, die Lehrkräfte beider Schulformen als sehr bedeutsam beschreiben, wird als Produkt der Anwendung technischer und koordinativer Fähigkeiten angesehen. Es fällt auf, dass je nach Schulform unterschiedlich definiert wird, welche Leistung für eine positive Bewertung zu erbringen ist. Für Grundschullehrkräfte spielen folgende Kriterien eine Rolle:

„So ganz klassische von der Sache ausgehende, also motorische Aspekte: Techniken, Fertigkeiten, konditionelle und koordinative Fähigkeiten.“ (LK G_9)

Mit dem Begriff „klassisch“ rekurriert die befragte Lehrkraft darauf, dass die Aspekte, die sie nennt, schon immer als wichtige Kriterien für die Notenvergabe im Sportunterricht angesehen wurden, was ihre Bedeutung unterstreichen soll. Während es Grundschullehrkräften also um Bewegungsabläufe und die Bewegungsfähigkeit auf sehr allgemeiner Ebene geht, steht für Lehrkräfte in der Sekundarstufe II die richtige Technik bei der Bewegungsausführung im Vordergrund:

„Im Oberstufenkurs im Volleyball Abnahme oberes Zuspiel, unteres Zuspiel. Nach meinem Dafürhalten wurden die Schüler im Vorfeld informiert, was sie genau für Bewegungsmerkmale zeigen sollten.“ (LK SII_3)

Die Anforderungen an die Problemlösefähigkeit der Schüler*innen in der Sekundarstufe II scheinen konkreter formuliert, d. h. die erforderlichen Kompetenzen sind spezifischer. Während es hier auf bestimmte Merkmale der Bewegungen ankommt, fördert der Sportunterricht in der Grundschule eher die allgemeine Koordination des Bewegens, sodass diese Faktoren entsprechend benotet werden.

5.1.2 Leistungsfortschritt

Von einem Einfluss des Leistungsfortschritts der Schüler*innen auf die Note berichten Lehrkräfte beider Schulformen hauptsächlich dann, wenn sich die eigentliche sportmotorische Leistung auf einem niedrigen Niveau befindet.

„Wenn die Kinder quasi an Voraussetzung nichts mitgebracht haben und sich aber trotzdem innerhalb der Akrobatikeinheit in ihrem Rahmen gut entwickelt haben, ist das für mich auch […] eine ansprechende gute Leistung.“ (LK G_1)

„Und wenn ich merke, dass am Anfang jemand kaum den Schläger in der Hand halten konnte und sich am Schluss sehr verbessert hat, dann zähle ich das mit in die Mitarbeit rein.“ (LK SII_10)

Lehrkräfte beider Schulformen berichten, dass sie es positiv in die Note einfließen lassen, wenn sich Schüler*innen im Laufe einer Unterrichtseinheit verbessern. Auffällig ist jedoch, dass die Wortwahl „nichts mitgebracht“ und „kaum den Schläger in der Hand halten“ von einem überaus niedrigen Ausgangsniveau in Form einer mangelhaften Leistung ausgeht und die Berücksichtigung der Verbesserung beinahe notwendig erscheint, damit eine adäquate Note erreicht wird. Weder Grundschul- noch Sekundarstufe II-Lehrkräfte berichten indes davon, dass sie die Sportnote bei einem Rückschritt oder bei Stagnation der Leistung herabsetzen. Folglich scheint die Dimension Leistungsfortschritt lediglich im Zuge einer Verbesserung der Note Anwendung zu finden.

5.1.3 Leistungsbereitschaft

Ähnlich wie bei dem Leistungsfortschritt wird auch bei der Leistungsbereitschaft diese Dimension in erster Linie dann angewendet, wenn schwächere sportmotorische Leistungen vorliegen.

„Ich denke, man muss auch das Bemühen bei unsportlichen Kindern honorieren.“ (LK G_4)

„Ich hatte zum Beispiel mal eine Einheit zum Tanzen und da war dann eine Gruppe, in der rhythmisch alle nicht gut waren und nichts mit Tanzen am Hut hatten. Die haben sich aber außerhalb der Schule getroffen und geübt und waren dann total glücklich, als sie eine 2 bis 3 bekommen haben, weil sie motorisch nicht so gut waren wie andere, im Vergleich aber gezeigt haben, dass sie sich anstrengen.“ (LK SII_1)

Überwiegend scheint diese Dimension demnach zur Kompensation von schwachen sportmotorischen Leistungen genutzt zu werden. Der Begriff „unsportlich“, der zudem äußerst diffus ist, kann darauf hindeuten, dass Schüler*innen in einzelnen Kriterien in zwei Gruppen (sportlich/unsportlich, motiviert/unmotiviert, hilfsbereit/nicht hilfsbereit) eingeteilt werden und die Notenvergabe durch die Zugehörigkeit zu den Gruppen erfolgt. Befragte aus der Sekundarstufe II geben an, dass sie Schüler*innen mit einer eigentlich hohen Leistungsfähigkeit eine schlechtere Note geben, wenn sie die Leistungsbereitschaft als gering einschätzen, weil sie „Blödsinn machen“ (LK S II_7) oder „einfach keine Lust haben“ (LK S II_10). In dieser Schulform wird im Gegensatz zur Grundschule die Dimension Leistungsbereitschaft nicht nur zur Belohnung, sondern auch als Sanktionsmöglichkeit eingesetzt und die Note dementsprechend herabgesetzt.

5.1.4 Soziale Dimension

Die Interviews lassen insgesamt erkennen, dass das Zeigen sozialer Kompetenzen im Unterricht für Sportlehrkräfte beider Schulformen eine bedeutende Rolle spielt. Auffallend ist die Vielfalt der genannten Kriterien, die z. B. aus folgendem Zitat einer Grundschullehrkraft hervorgeht:

„Das sind soziale Aspekte, das heißt, wie verhalte ich mich als Schüler im Hinblick auf die Gruppe: Bin ich fair? Kann ich mit Sieg und Niederlage entsprechend umgehen? Kann ich beim Aufbau von Geräten auch ohne Aufforderung mit aufbauen? Bin ich bereit, Sicherheits- und Hilfestellung mitzugeben?“ (LK G_9)

Diese Kriterien werden auch von Sportlehrkräften in der Sekundarstufe II genannt:

„Teamfähigkeit ist wichtig. Ein sehr guter Sportler muss nicht nur zeigen, wie gut er ist, sondern er muss die anderen mit anleiten. Das ist wichtig, denn Sozialkompetenz zählt ja mit zur Teamfähigkeit. Außerdem sind Aufräumen, Abbauen, hilfsbereit sein wichtig.“ (LK SII_5)

Die Kriterien, die der sozialen Dimension zugeordnet werden, unterscheiden sich zwischen den untersuchten Schulformen nicht. Lediglich die Anleitung leistungsschwächerer Schüler*innen, wofür voraussetzungsvollere kognitive Kompetenzen nötig sind, ist ein Aspekt, der in der Sekundarstufe II hinzukommt.

5.1.5 Kognitive Dimension

Die Nennungen, die der kognitiven Dimension zugeordnet werden, unterscheiden sich in der Qualität stark zwischen den untersuchten Schulformen. Sportlehrkräfte in der Grundschule nennen das Verständnis über das Regelwerk, aber – wie das folgende Zitat zeigt – auch Kreativität als bedeutsame Kriterien für die Benotung:

„Wie haben die Kinder den Rhythmus umgesetzt, wie kreativ waren sie, wenn sie sich selber in Gruppen einen Tanz überlegen mussten.“ (LK G_2)

In der Sekundarstufe II wird die taktische Kompetenz als Teil kognitiver Fähigkeiten bei der Ausübung sportlicher Aktivität bewertet, indem Schüler*innen beispielsweise in Mannschaftssportarten wie Basketball Spielsituationen erkennen und sich Spielzüge ausdenken können:

„Unterrichtsbeiträge sind auch wichtig, also auch mal einen notwendigen Beitrag, der allen weiterhilft, leisten. Und bei der Regelkunde, also wenn man zum Beispiel vereinfachte Regeln macht für eine Sportart“ (LK SII_5)

Darüber hinaus werden in der Sekundarstufe II im Gegensatz zur Grundschule schriftliche Arbeiten, Referate und mündliche Beiträge in Reflexions- und Diskussionsrunden eingefordert und fließen entsprechend in die Sportnote ein.

Während die Kriterien der Benotungsdimensionen Leistungsbereitschaft, Leistungsfortschritt und der sozialen Dimension sich zwischen den Schulformen nur marginal unterscheiden, sind die Unterschiede in der sportmotorischen Dimension etwas stärker ausgeprägt. Die größten Unterschiede bei den Kriterien liegen jedoch in der kognitiven Dimension, was aufgrund der Erwartungen an die kognitiven Kompetenzen der Schüler*innen nicht verwunderlich ist.

5.2 Gewichtung

Bezüglich der Gewichtung der Benotungsdimensionen sind viele Gemeinsamkeiten, aber auch Differenzen zwischen den Sportlehrkräften der beiden untersuchten Schulformen erkennbar. Eine direkt ersichtliche Gemeinsamkeit ist die sportmotorische Leistung als die mit teils großem Abstand bedeutsamste Dimension der Sportnote, d. h. die für Lehrkräfte wichtigsten zu benotenden Kompetenzen sind sportmotorischer Natur. Eine weitere Gemeinsamkeit ist, dass sich keine Lehrkraft auf die reine sportmotorische Leistung als Benotungsdimension beschränkt, sondern darüber hinaus weitere berücksichtigt, so dass jeweils eine Vieldimensionalität sichtbar ist. Die als wichtig definierten Dimensionen und vor allem deren prozentuale Bedeutung für die Gesamtnote unterscheiden sich hingegen je nach Schulform:

„Sport ist natürlich ein Fach, das motorisch geprägt ist und deswegen muss das motorische natürlich im Vordergrund stehen. Nichtsdestotrotz kann die Note dann vielleicht um eine ganze Note, nicht nur eine Tendenz, sondern eine ganze Note, abweichen. […]. Das motorische steht im Vordergrund, aber es kann sich bis zu einer Note verschieben.“ (LK SII_4)

Die Fokussierung auf die sportmotorische Leistung ist ersichtlich. Die befragte Lehrkraft verwendet zweimal das Wort „natürlich“, sie scheint die Legitimation für die besondere Berücksichtigung der sportmotorischen Leistung in der Sache an sich, also im Sportunterricht und seinen Zielen zu sehen. Die Leistungsbereitschaft, der Leistungsfortschritt und die soziale Dimension werden ebenfalls angesprochen, kumuliert machen sie in der Sekundarstufe II aber nicht mehr als eine Notenstufe aus. Es wird ebenfalls häufig angesprochen, dass die kognitive Dimension einfließt, wenn Schüler*innen beispielsweise eine Stunde vorbereiten oder taktisches Verständnis in Mannschaftssportarten zeigen. Die Aussagen lassen erkennen, dass auch der Einfluss dieser Dimension für die Gesamtnote gering ist.

Sportlehrkräfte an Grundschulen berichten hingegen von anderen Gewichtungen:

„Wir haben ein klares Konzept in der Schule, dass wir fünfzig Prozent die Leistung bewerten, dass wir das Sozialverhalten mit dreißig Prozent bewerten und die restlichen zwanzig Prozent Fairness mit reingebracht haben.“ (LK G_5)

Auch wenn für die Befragten aus der Grundschule ebenfalls die sportmotorische Dimension die bedeutsamste darstellt, gewichten sie die anderen stärker als die Lehrkräfte der Sekundarstufe II, insbesondere die soziale Dimension. Eine weitere Grundschullehrkraft berichtet, dass „Leistungsfähigkeit mit 50 %, der individuelle Lernzuwachs mit 25 % und das Arbeits- und Sozialverhalten mit 25 %“ (LK G_7) gewichtet werden.

Lehrkräfte beider Schulformen geben an, dass die Dimensionen und deren Gewichtung sich je nach Unterrichtsreihe stark unterscheiden. Beispielsweise wird beim Schwimmen oder in Disziplinen der Leichtathletik fast ausschließlich die sportmotorische Leistung unter Hinzunahme des Leistungsfortschritts angewendet, während in Mannschaftsspielen die soziale Dimension sehr stark gewichtet wird. Schulformspezifische Unterschiede bezüglich der Gewichtung der Dimensionen in verschiedenen Unterrichtsreihen konnten nicht beobachtet werden.

Festzuhalten bleibt, dass Sportlehrkräfte an Grundschulen und in der Sekundarstufe II ähnliche Dimensionen mit ähnlich definierten Kriterien bei der Benotung berücksichtigen, sich jedoch bei der Ausdifferenzierung Unterschiede zeigen.

6 Diskussion

Es ist ersichtlich, dass sich die Sportnote aus verschiedenen Dimensionen zusammensetzt, was den bisherigen nationalen (Feth 2017, 2018) und internationalen Forschungsstand (Chan et al. 2011; Svennberg et al. 2014) unabhängig von der Schulform bestätigt. Es berichten – entgegen den Ergebnissen aus der SPRINT-Studie (DSB 2006) – beinahe einstimmig alle Befragten beider Schulformen, dass die sportmotorische Leistung das größte Gewicht bei der Notenbildung hat. Während sowohl die soziale als auch die kognitive Dimension die Note positiv wie negativ beeinflussen können, werden – wie auch Kastrup (2009) sowie Meier und Ruin (2015) bereits zu berichten wussten – die Leistungsbereitschaft und der Leistungsfortschritt hauptsächlich dann in die Note einbezogen, wenn diese Aspekte positiv sind, so dass eine schlechte Note noch positiv beeinflusst werden kann. An den Aussagen einiger befragter Lehrkräfte ist zu erkennen, dass im Falle einer nicht ausreichenden sportmotorischen Leistung und ohne Berücksichtigung von anderen Dimensionen, eine nicht ausreichende Note droht. Dabei wäre dies nach den fachdidaktischen Ansprüchen an die Note aber legitim, wenn die Lehrkraft die Einschätzung hat, die Handlungskompetenz bezüglich Bewegung, Spiel und Sport sei nicht gut genug. Aus bildungspolitischer Sicht hingegen ist das Anheben der Note durch andere Dimensionen legitim, da Fehler und Unsicherheiten sonst zu stark sanktioniert würden. An diesem Beispiel ist gut zu erkennen, dass fachdidaktische und bildungspolitische Ansprüche an die Sportnote nicht deckungsgleich sind.

Die vorhandenen Ergebnisse legen nahe, dass die Definitionen der Sportlehrkräfte bezüglich der Kriterien der Leistungsbereitschaft, des Leistungsfortschritts und der sozialen Dimension universal über die Schulformen hinweg stabil sind. Kompetenzen, die Schüler*innen bereits in der Grundschule zeigen sollen, sind auch in der Sekundarstufe II noch notwendig, um Probleme zu lösen. Die Kriterien der sportmotorischen Leistung sowie der kognitiven Dimension unterscheiden sich hingegen zwischen beiden Schulformen. Dies ist mit der Aufgabenstellung im Unterricht zu erklären, denn in der Sekundarstufe II sind die Anforderungen an die technischen, taktischen und koordinativen Kompetenzen komplexer. Das zeigt sich auch an den benotungsrelevanten Kriterien, die Lehrkräfte in den Interviews nennen. Während Grundschullehrkräfte ausführen, dass Kreativität und grundlegende Bewegungsfähigkeit als Kriterien herangezogen werden, die die Note positiv beeinflussen, erwähnen Lehrkräfte in der Sekundarstufe II diese beiden Kriterien in der Form nicht. Sie berichten aber, dass technisch korrekt ausgeführte Bewegungen und das taktische Verständnis eine hohe Relevanz für die Benotung aufweisen. Zudem sollen sich Schüler*innen insbesondere in der Sekundarstufe II auch kognitiv mit Inhalten auseinandersetzen, was zum Erreichen der Ziele in der Grundschule weniger relevant scheint. Dort ist das Wissen über Grundregeln einer Sportart offenbar meist ausreichend, was erklärt, warum höchstens dieses Kriterium von Grundschullehrkräften als bedeutsam für die kognitive Dimension genannt wird.

Die unterschiedlichen Gewichtungen der Dimensionen, die in den Interviews von Sportlehrkräften an Grundschulen und in der Sekundarstufe II genannt werden, weisen auf eine zunehmende Bedeutung der sportmotorischen Leistung im Verlauf der Schullaufbahn hin, auch wenn sie jederzeit als die Dimension angesehen wird, die die Sportnote am meisten beeinflusst. Ein Ziel des Sportunterrichts in der Grundschule, Kinder zum lebenslangen Sporttreiben zu bewegen, kann durch nicht zufriedenstellende Noten in diesem Fach gefährdet sein. Hier zeigt sich, dass die Lehrkräfte den ihnen gegebenen Spielraum bezüglich der Gewichtung der Kompetenzen zugunsten der Schüler*innen ausnutzen.

Das Ergebnis, dass die Note in der Sekundarstufe II fast vollständig durch die sportmotorische Leistung bestimmt ist, lässt darauf schließen, dass andere Kompetenzen bei der Bewältigung der im Unterricht gestellten Aufgaben eine untergeordnete Rolle spielen, was der Annahme zuwiderläuft, dass die Vielfalt der zu lösenden Aufgaben zu einer höheren Gewichtung dieser Dimensionen (insbesondere im kognitiven Bereich) bei der Sportnote führen sollte. Der fachdidaktische Anspruch an die Sportnote und den Sportunterricht generell kann bei einer so hohen Gewichtung der sportmotorischen Leistung nur schwer erfüllt werden. Die Aufgaben, die im kompetenzorientierten Sportunterricht in der Grundschule (Guardiera 2019) bewältigt werden müssen, sind so aufgebaut, dass sie sich nicht nur durch sportmotorische Fähigkeiten, sondern ebenso durch ein hohes Engagement und durch ein gutes Zusammenarbeiten mit den Mitschüler*innen lösen lassen. Der Doppelauftrag des Sportunterrichts scheint hier eher erfüllbar zu sein. Entsprechend stark fließen weitere Dimensionen außerhalb der reinen sportmotorischen Leistung auch in die Sportnote ein.

Bezogen auf eine allgemeine fächerübergreifende Benotungspraxis zeigen diese exemplarischen Ergebnisse aus dem Sportunterricht, dass Lehrkräfte im kompetenzorientierten Unterricht eine Vielzahl an Dimensionen beachten müssen, um zu einer Note zu gelangen, die die Kompetenzen der Schüler*innen in einem bestimmten Bereich gerecht abbildet (Weinert 2001). Ändern sich die für eine Aufgabe geforderten Kompetenzen, so ist auch die Bildung der Note entsprechend anzupassen, zum Beispiel durch eine Höhergewichtung fachlich-inhaltlicher Kompetenzen, wenn es um deren Überprüfung geht. Wenn eine Aufgabe jedoch kooperativ gelöst werden soll (Wibowo 2018), sind immer auch soziale Kompetenzen notwendig und werden entsprechend gewichtet. Das Beispiel der sportmotorischen Leistung im Sport zeigt, dass es eine Dimension geben kann, die besonders stark in die Note einfließt und auf die die Lehrkräfte aufgrund der Spezifik der Kompetenzen gern zurückgreifen.

Ergebnisse aus empirischen Studien wie der vorliegenden können in jedem Unterrichtsfach dabei helfen, einen Orientierungsrahmen zu entwickeln, bei dem es nicht darum gehen soll, konkrete Prozentangaben zur Berücksichtigung der einzelnen Dimensionen vorzugeben, sondern vielmehr Empfehlungen vorzuschlagen, auf die man sich bei der Notenvergabe beziehen kann. Auf Basis der vorliegenden Ergebnisse könnte, unter Berücksichtigung fachdidaktischer und bildungspolitischer Ansprüche an die Sportnote, eine Empfehlung lauten, die sportmotorische Leistung als bedeutsame Dimension einzusetzen, auch weil Lehrkräfte diese aus ihrer Sicht scheinbar am objektivsten bewerten können, zumindest wenn sie sich an Leistungstabellen orientieren. Dennoch müssen sich Lehrkräfte der Herausforderung stellen, weitere Kompetenzen, die Schüler*innen anwenden, in der Aufgabenstellung zu berücksichtigen und diese entsprechend bewerten. Ansonsten können sie weder den fachdidaktischen noch den bildungspolitischen Ansprüchen an die Sportnote gerecht werden. Im Sinne einer Lernförderung ist es zudem wichtig, diese geforderten Kompetenzen klar zu benennen. Das könnte Unsicherheiten sowohl auf Seiten von Lehrkräften als auch von Schüler*innen entgegenwirken. Die Ergebnisse legen nahe, dass Empfehlungen so formuliert sein sollten, dass professionalisierte Lehrkräfte die alters- und schulformspezifischen Anforderungen an den Sportunterricht bei der Notengebung berücksichtigen können, da Unterschiede in der Anwendung von Benotungsdimensionen zwischen den Schulformen teils unverkennbar sind.

7 Fazit und Ausblick

Die vorliegenden Ergebnisse der qualitativen Interviewstudie mit Sportlehrkräften können einen Eindruck vermitteln, welche Dimensionen in der Sportnote von Schüler*innen Berücksichtigung finden und wie diese jeweils gewichtet werden. Bei den Kompetenzen, die für die Bewertung der sportmotorischen Leistung und der kognitiven Dimension bedeutsam sind sowie in der Gewichtung dieser bestehen Unterschiede zwischen Lehrkräften der Grundschule und der Sekundarstufe II, was mit den unterschiedlichen Anforderungen der Aufgaben begründet wird.

Die Notenvergabe und deren Herausforderungen in einem kompetenzorientierten Unterricht beschränkt sich nicht nur auf das Fach Sport. Zukünftige Studien können die Dimensionen und deren Gewichtungen in anderen Unterrichtsfächern betrachten, wobei insbesondere die Fächer interessant sind, in denen sich die Note überwiegend oder komplett aus der sonstigen Mitarbeit zusammensetzt. Des Weiteren sollten zukünftige Forschungsarbeiten die Schüler*innenperspektive in den Prozess der Notengebung einbeziehen und auch untersuchen, inwiefern die Bewertungen eine lernförderliche Wirkung aufweisen (vgl. Bähr und Heemsoth 2020).

Ebenso ist es bedeutsam, diese Ergebnisse an angehende (Sport‑)Lehrkräfte weiterzutragen und sie somit bereits früh in der Ausbildung für die Komplexität der Leistungsbewertung zu sensibilisieren. Dies kann einen Beitrag zur Professionalisierung von Lehrkräften leisten.