1 Einleitung

Nicht-konfessionelle Privatschulen in Österreich ziehen regelmäßig vor den Verfassungsgerichtshof, um eine finanzielle Gleichstellung mit den konfessionellen Privatschulen zu erreichen. Bislang wurden Klagen jedoch zurückgewiesen (Die Presse 2016). Eine erneute Klage auf Gleichehandlung wurde von einer Waldorfschule in Wien 2023 eingereicht, eine Entscheidung steht hierzu bislang aus (Der Standard 2023).

Im internationalen Vergleich nimmt Österreich bei den ZuschüssenFootnote 1 an Privatschulen eine Sonderstellung ein (Nikolai et al. 2018), denn konfessionelle Privatschulen erhalten 100 % ihres Lehrpersonalaufwands als sog. „lebende Subventionen“ (Schwendenwein 2009, S. 250), während nicht-konfessionelle Privatschulen diese Unterstützung nicht erhalten. Zuschüsse für diese Privatschulen lagen in den 2000er Jahren bei ca. 10 % der Schüler:innenkosten (Nikolai et al. 2018). In anderen OECD-Ländern gibt es eine solche Ungleichbehandlung von konfessionellen und nicht-konfessionellen Privatschulen nicht. Eine Zunahme von Privatschulen ist dann zu beobachten, wenn diese hohe staatliche Zuschüsse erhalten (z. B. in Großbritannien oder Schweden) (Zancajo et al. 2022). Diese ermöglichen es Privatschulen, dass sie ihre Schulgebühren geringhalten können, wodurch sie neben anderen möglichen Wahlgründen attraktiv für Eltern auch aus mittleren bzw. unteren Einkommensgruppen werden, da damit der Schulbesuch finanzierbar wird (Helbig et al. 2017).

Den historischen Ausgangspunkt der finanziellen Ungleichbehandlung in Österreich bildet ein Vertrag des österreichischen Staats 1962 mit dem Heiligen Stuhl (BGBl 1962), welcher die Bezuschussung für katholische Privatschulen in Österreich fundierte. 1972 erfolgte eine Erhöhung der zehn Jahre zuvor beschlossenen Zuschüsse, jedoch nur für die konfessionellen Privatschulen (Hanke und Rinnerthaler 2012). Die bis heute andauernde Ungleichbehandlung der verschiedenen privaten Schulträger:innen wurde von Vertreter:innen nicht-konfessioneller Privatschulen als ungerecht bzw. nicht legitimierbar empfunden und sorgte für mehrere Klagen vor dem Verfassungsgerichtshof (1991, 2016, 2018), welche jedoch bislang abgewiesen wurden. Eine erneute Klage von 2023 ist noch anhängig (Der Standard 2023; Die Presse 2019). Vor dem Hintergrund einer abnehmenden Religiosität in Westeuropa und dem Entmonopolisieren der Kirchen im Bildungswesen (Busemeyer und Nikolai 2021), ist der Status konfessioneller Privatschulen in Österreich erklärungsbedürftig. Aus Perspektive des Pfadabhängigkeitstheorems (Mahoney 2000) werden im Sinne der vier möglichen Reproduktionsmechanismen im Beitrag mit der Analyse von Parlamentsdebatten differente parteipolitische Argumentationsmuster (utilitaristische, funktionalistische, machtbasierte und legitimationsbasierte Argumentationsmuster) rekonstruiert. Damit soll untersucht werden, wie spezifische Akteurskonstellationen, legitimatorische Leitideen, Kosten-Nutzen-Kalküle der Parteien und funktionale Begründungen im österreichischen Parlament die Reformresistenz in Zuschusspolitiken von Privatschulen erklären können. Die Analyse der Parlamentsdebatten erfolgt entlang dreier zentraler Weichenstellungen: Die Verabschiedung des Gesetzes 1962, die Erhöhung der Zuschüsse für konfessionelle Privatschulen 1972 und die aktuelle Situation ab 2012. Parlamentsdebatten sehen wir für Zuschusspolitiken als zentrale Quelle an, denn die Höhe von Zuschüssen und mögliche Veränderungen von Zuschusspolitiken werden mittels der Schulgesetzgebung in Parlamenten getroffen. Die Forschungsfrage lautet: Wie begründeten die Abgeordneten in Parlamentsdebatten die Aufrechterhaltung der Sonderrolle konfessioneller Privatschulen in Österreich in Zuschusspolitiken? Die Analyse wird anhand von Primärquellen in Form von Parlamentsdokumenten und Gesetzestexten vollzogen, die in Anlehnung an Mayring (2022) in Form einer strukturierenden qualitativen Inhaltsanalyse ausgewertet werden.

Der Artikel ist wie folgt gegliedert: Zunächst wird die theoretische Perspektive erläutert (Abschn. 2). Nach einer Darstellung der Situation der Regulierung der Privatschulfinanzierung (Abschn. 3), erfolgt eine Analyse der Entstehung und Aufrechterhaltung der beschriebenen Ungleichbehandlung anhand von parlamentarischen Debatten, wobei die argumentativen Begründungen für die jeweiligen Weichenstellungen seitens der Parlamentarier:innen herausgearbeitet werden (Abschn. 4). Der Beitrag schließt mit einem Fazit (Abschn. 5).

2 Theoretische Perspektive: Pfadabhängigkeit, Parteien und die Rolle von Begründungsdimensionen

Die Perspektive des historischen Institutionalismus (Mahoney 2000) konstituiert sich u. a. auch in Abgrenzung von rational-choice-Ansätzen aufgrund der Prämisse, dass politische Entscheidungen von Akteur:innen von ihren spezifischen Deutungen der Entscheidungssituation abhängen (Nullmeier und Rüb 1993). Da besonders im Feld schulpolitischer Entscheidungen divergierende parteipolitische Ziel- und Wertvorstellungen vorliegen (Nikolai und Rothe 2013), erweist sich deren Rekonstruktion in Bezug auf die Entwicklung und Stabilisierung spezifischer schulpolitischer Entscheidungen als relevant. Dabei wird die Stabilität von Institutionen über maßgebende Entscheidungen an kritischen Entscheidungspunkten plausibilisiert, die durch Pfadabhängigkeiten evoziert werden. Hierbei wird die Stabilität der jeweiligen Institutionen durch eine Koalition von politisch mächtigen Akteur:innen geprägt und aufrechterhalten, welche durch spezifische Interessenlagen politische Entscheidungen beeinflussen (Thelen 2004). Diese Interessenlagen lassen sich anhand der spezifischen Argumentationsmuster rekonstruieren.

Ob sich Parteien im Parlament für den Erhalt von Regelungen (hier: hohe staatliche Zuschüsse an konfessionelle Privatschulen) einsetzen, hängt davon ab, über welche Machtpositionen diese im Parlament verfügen und inwieweit sie von der Angemessenheit von Regelungen überzeugt sind. In Anlehnung an Mahoney (2000) berücksichtigen wir im Beitrag daher macht- und legitimationsbasierte sowie utilitaristische und funktionale Argumentationsmuster. Da mit fortschreitender Formalisierung von Gesetzgebungen in demokratischen Prozessen auch Argumentationen entlang parlamentarischer Verfahrensregeln zunehmend an Bedeutung gewinnen, analysieren wir in Anlehnung an Bleses et al. (1997) auch diese Form der Argumentationsmuster.

Machtbasierte Argumentationsmuster

Mit dieser Dimension kann die Machtposition von schulpolitischen Akteur:innen berücksichtigt werden. In der Aufrechterhaltung institutioneller Strukturen sind Parteien zentral (Busemeyer 2015). Im vorliegenden Beitrag wird die Höhe von Zuschüssen an Privatschulen je nach politischer Ausrichtung des Parlaments beeinflusst. Denn Zuschüsse an Privatschulen werden in Schulgesetzen festgehalten, über die Abgeordnete in Parlamenten debattieren und abstimmen (Nikolai 2019). Die Ausgestaltung der im Beitrag fokussierten Zuschusspolitiken an Privatschulen ist dabei von der vorherrschenden politischen Ausrichtung (links oder rechts des Parteienspektrums) in Parlamenten abhängig.

Parteien links der Mitte (sozialdemokratische, sozialistische oder kommunistische Parteien) lehnen aufgrund des Vertretens der Interessenslagen einkommensschwächerer Schichten eine umfassende Privatisierung des Bildungswesens und folglich hohe Zuschüsse an Privatschulen tendenziell ab (Zehavi 2012). Parteien rechts der Mitte (säkulare konservative, christdemokratische, liberale Parteien sowie rechtspopulistische Parteien) richten ihre Interessenlage an Schichten mittlerer und hoher Einkommen aus, wodurch eine Privatisierung der Sozialpolitik sowie eine marktorientierte SchulpolitikFootnote 2 präferiert wird (Busemeyer 2015; Gingrich 2011). Beide politische Lager waren alternierend oder in Koalition stets an der Regierungsbildung in Österreich beteiligt (Bundeskanzleramt 2023). Zudem muss berücksichtigt werden, dass Parteien mit christdemokratischer Ausrichtung, wie in Österreich die ÖVP (= Österreichische Volkspartei)Footnote 3, ein erhöhtes Interesse an der Bezuschussung von Privatschulen in kirchlicher Trägerschaft zeigen (Ansell und Lindvall 2021). Subsumierend lässt sich festhalten, dass eine anhaltende Dominanz von linken Parteien mit einer eher geringen Bezuschussung von Privatschulen einhergeht, während christdemokratisch geprägte Legislaturperioden eine privatschulfreundliche Finanzierungspolitik hervorbringen. Um die machtbasierten Argumentationsmuster zu berücksichtigen, wird für die Debatten jeweils geprüft, über welche Machtkonstellationen die Parteien an den jeweiligen Weichenstellungen verfügten.

Legitimationsbasierte Argumentationsmuster

Dieser Typus bezieht sich auf Normen- und Wertesysteme sowie Ideologien und Gerechtigkeitskeitsvorstellungen. Die im Parlament geäußerten Positionen, die legitimationsbasierten Argumentationsmustern zugeordnet werden können, beziehen sich auf eine dezidierte Vorstellung eines guten und erstrebenswerten Lebens oder zielen auf bestimmte politische Rahmenbedingungen, welche eine individuelle Lebenskonzeption ermöglichen. Ziel der Argumentation ist das Generieren eines Konsenses über diese ethische Leitvorstellung. Als legitimationsbasiert werden all diejenigen Argumente kodiert, die eine konkrete inhaltliche Ausgestaltung des Bildungswesens mit klarer normativer Positionierung vorgeben bzw. für einen normativen Rahmen der Ausgestaltung des Bildungswesens plädieren, die Spielräume in diesem allerdings offenhalten.

Utilitaristische Argumentationsmuster

Dieser Typus, bezieht sich auf die Kosten-Nutzen-Kalküle von Akteur:innen, also konstituiert sich über das Primat der Effektivität und Effizienz. Im Beitrag ergänzen wir in Anlehnung an Nikolai und Rothe (2017) diesen Argumententypus um eine formal-prozedurale Dimension. Damit können wir Bezüge zum Einhalten demokratischer Verfahrensregeln herstellen. Diese Argumentatiosweise ist somit nicht normativ, auch wenn sie zur Stützung dieses Argumententypus beitragen können. Argumente dieses Typs können sich auf parlamentarische oder externe Strukturen (z. B. Gerichte) beziehen. Als formal-prozedural werden all diejenigen Argumente kodiert, die sich nicht auf den Inhalt, sondern die Form eines Phänomens konzentrieren.

Funktionale Argumentationsmuster

Diese Form der Argumentation bezieht sich auf die systemimmanente Funktion einer Bildungsinstitution im Zusammenspiel mit anderen Bildungsinstitutionen. Argumente dieses Typus arbeiten häufig über teleologische Logiken, die eine Implementierung einer Institution prospektiv mit positiven Folgen für die Funktionalität des Systems verknüpfen. Der Logik der Pfadabhängigkeit folgend, führt die Erfüllung einer Funktion für ein System zur potenziellen Ausweitung und Stabilisierung der Institution entlang positiver Rückkopplungsschleifen. Als funktional werden Argumente kodiert, die die Wichtigkeit und Funktionalität von verschiedenen Privatschulen für das Gesamtsystem in den Mittelpunkt stellen.

3 Zur Situation der Regulierung der Privatschulfinanzierung in Österreich

Grundsätzlich werden in Österreich alle Schulen, die nicht vom Bund, Ländern oder Gemeinden getragen werden, als Privatschulen definiert (Nikolai et al. 2018). 2020 besuchten rund 6 % der Schüler:innen eine Privatschule im Grundschulbereich, 11 % im Sekundarschulbereich (UNESCO 2023). Besonders im urbanen Raum zeigt sich eine erhöhte Quote an Privatschüler:innen mit z. B. 16 % in der österreichischen Landeshauptstadt Wien im Schuljahr 2019/20 (jeweils für Grundschulen und Schulen im unteren Sekundarschulbereich) (BMBWF 2021, S. 224).

Bei den Zuschüssen an Privatschulen wird zwischen nicht-konfessionellen und konfessionellen Privatschulen differenziert. Die Mehrheit der österreichischen Privatschulen ist konfessionell, wobei sich ein Großteil dieser in katholischer Trägerschaft befindet (87 % im Schuljahr 2019/20, BMBWF 2021; siehe auch Schinkele 2007). Regelungen in Bezug auf das Privatschulwesen sowie dessen Bezuschussung werden auf Bundesebene über das Privatschulgesetz (Privatschulgesetz – PrivSchG) dekretiert. Zudem wird die Errichtung von Schulen anerkannter Kirchen sowohl im sogenannten „Protestantengesetz“ von 1961 (BGBl 2009) als auch in einem völkerrechtlichen Vertrag zwischen dem Heiligen Stuhl und der Republik Österreich aus dem Jahr 1962 gewährleistet (BGBI 1962 und BGBl 1972). Durch diese Gesetzesgrundlagen lassen sich in Österreich starke Dependenzen zwischen der Trägerschaft (konfessionell oder nicht-konfessionell) und der Gewährung und Höhe staatlicher Zuschüsse für Privatschulen proklamieren. Anerkannte Kirchen und Religionsgesellschaften haben nach § 17 Abs. 1 PrivSchG (Stand 08/2023) einen Rechtsanspruch auf Bezuschussung zu ihrem Personalaufwand. Ihnen werden auf Antrag Lehrkräfte als „lebende Subventionen“ (§ 19 Abs. 1 lit. a PrivSchG, 08/Stand 2023) direkt zugewiesen. Sofern die Zuweisung einer Lehrkraft nicht möglich ist, muss der Bund für die Vergütung der Lehrkraft in der Höhe aufkommen, die Bundes- oder Landesvertragslehrkräften zustehen würde (§ 19 Abs. 3 PrivSchG, Stand 08/2023). Aufgrund dieser Regelungen trägt der Staat bei anerkannten konfessionellen Privatschulen 100 % des Lehrpersonalaufwands (Schwendenwein 2009). Im Vertrag von 1962 wurde zunächst eine Bezuschussung von 60 % des Personalaufwandes für katholische Privatschulen festgehalten, in einer Novelle des Vertrages 1972 wurde die Bezuschussung auf 100 % des Personalaufwandes erhöht und auch anderen Kirchen und anerkannten Religionsgemeinschaften zugesprochen (Hanke und Rinnerthaler 2012). Die Privatschulgesetzgebung ist auch mit der Rolle der katholischen Kirche in Österreich in Verbindung zu bringen. Das traditionell sehr konfessionell geprägte Österreich zählt zu den Ländern der Gegenreformation und konnte eine „enge Verbindung zwischen Thron und Altar“ (Gordt 2019, S. 268) aufrechterhalten.

Auch sonstigen Privatschulen mit Öffentlichkeitsrecht (nicht-konfessionelle Privatschulen) kann der Bund in Österreich auf Grundlage des jeweiligen Bundesfinanzgesetzes Zuschüsse für das Personal zur Verfügung stellen. Die Leistung steht unter den in § 21 Abs. 1 PrivSchG (Stand 08/2023) genannten Kriterien im Ermessen der Behörde; nicht-konfessionelle Privatschulen haben hierauf keinen Rechtsanspruch. Zudem müssen neu gegründete Privatschulen über viele Jahre ein externes Prüfungsverfahren durchlaufen, bei welchem die Schüler:innenleistungen von Landesschulinspektor:innen geprüft werden. Erst nach Feststellung der entsprechenden Leistung (häufig nach 8–10 Jahren) gemäß dem öffentlichen Lehrplan können Schulen entsprechend anerkannt und diesen das Öffentlichkeitsrecht verliehen werden. Die Höhe der Bezuschussung hängt von den zur Verfügung stehenden Bundesmitteln und dem Bedarf ab. Zu den Voraussetzungen für Zuschüsse an nicht-konfessionelle Privatschulen mit Öffentlichkeitsrecht gehört nach § 21 Abs. 1 PrivSchG (Stand 08/2023), dass die Schulen (a.) „einem Bedarf der Bevölkerung“ (ebd.) entsprechen, (b.) nicht gewinnorientiert sind, (c.) ähnliche Aufnahmebedingungen haben, die an öffentlichen Schulen gelten und (d.) Klassengrößen haben, die nicht unter den an öffentlichen Schulen gleicher Art und gleicher Lage liegen. Ein Bedarf ist zu verneinen, wenn die Privatschulen in ihrem Sprengel eine öffentliche Volks‑, Haupt- oder Neue Mittelschule in ihrem Bestand gefährden (§ 21 Abs. 2, PrivSchG, Stand 08/2023).

Die Ungleichbehandlung zwischen konfessionellen und nicht-konfessionellen Privatschulen mit Öffentlichkeitsrecht wurde in der Vergangenheit als verfassungswidrig eingestuft (Kalb 2007; Potz und Schinkele 2007), allerdings nicht als Verletzung eines Gleichheitsgrundsatzes betrachtet, da die öffentlichen Schulen interkonfessionell angelegt sind und die konfessionellen Privatschulen als Ergänzung des öffentlichen Schulwesens angesehen werden, wodurch Eltern eine freie Schulwahl ermöglicht würde (Fürst 2007). Gegen die Ungleichbehandlung klagten 2016 vor dem Österreichischen Verfassungsgerichtshof 38 nicht-konfessionelle Privatschulen im Zusammenschluss mit dem Waldorfbund Österreich, dem Förderverband Freier Schulen und der Interessensvertretung privater, nicht-konfessioneller Bildungseinrichtungen. Diese Klage wurde jedoch aus formalen Gründen abgewiesen (Die Presse 2017, 2019). Die Entscheidung zu einer erneuten Klage einer Waldorschule von 2023 steht noch aus (Der Standard 2023). Mit dem Scheitern vor dem Verfassungsgerichtshof wird in der österreichischen Bildungspolitik weiterhin am Pfad der Ungleichbehandlung von konfessionellen und nicht-konfessionellen Privatschulen hinsichtlich der Bezuschussung festgehalten. Eine weitere Klage vor dem Verfassungsgerichtshof gegen diese Ungleichbehandlung erfolgte im Sommer 2023. Es bleibt offen, wie der Verfassungsgerichthof hierzu entscheiden wird.

4 Entwicklung der Ungleichbehandlung von konfessionellen und nicht-konfessionellen Privatschulen in Österreich

Im Folgenden sollen die Pfadabhängigkeiten sowie die Argumentationen der Parteien in Bezug auf die Aufrechterhaltung der finanziellen Ungleichbehandlung anhand von Protokollen aus dem österreichischen Nationalrat rekonstruiert werden. Dies geschieht anhand von drei entscheidenden Zeitabschnitten: Der Weg zum Konkordat 1955–1962, die Erhöhung der Zuschüsse 1972 und die aktuelle Situation ab 2012. Die Dokumente wurden anhand der vorgestellten Argumentationsmuster inhaltsanalytisch in Anlehnung an Mayring (2022) mit einer Kombination aus strukturierender und induktiver Inhaltsanalyse ausgewertet.

Für die jeweiligen Weichenstellungen werden die spezifischen Argumente der Regierungsparteien entlang der vorgestellten Heuristik strukturiert:

4.1 Das Konkordat: 1955 bis 1962

Bei der Analyse der Argumentationen verschiedenster Plenardebatten in den Jahren 1955 bis 1962 wird ersichtlich, dass diese v. a. zwischen legitimationsbasierten und funktionalen Argumenten oszillieren. Zu konstatieren ist, dass sich die ÖVP maßgeblich für die Unterzeichnung des Konkordats ausspricht, während SPÖ-Abgeordnete als Regierungsmitglieder diesem kritisch gegenüberstehen.

Machtbasierte Argumentationsmuster

Der Startpunkt der parlamentarischen Debatten lässt sich auf das Jahr 1955 datieren, da das Konkordat erstmal im Rahmen des „Bundesfinanzgesetz für das Jahr 1956“ diskutiert wurde (vgl. NR 1955, 81. Sitzung VII, S. 3758). Bis zum Beschluss des Gesetzes 1962 wurde Österreich stets von einer Koalition aus ÖVP und SPÖ (= Sozialdemokratische Partei Österreichs)Footnote 4 regiert (Bundeskanzleramt 2023). Aus machtbasierter Perspektive konnte die ÖVP ihr Interesse an Zuschüssen für konfessionelle Privatschulen durchsetzen. Die SPÖ verfügte im Parlament über keine absolute Mehrheit und musste als kleinerer Koalitionspartner der Zuschusspolitik zustimmen.

Legitimationsbasierte Argumentationsmuster

Die normativen Argumentationen der ÖVP lassen sich anhand von zwei zentralen Argumentationsfiguren beschreiben. Zum einen plausibilisiert sich am empirischen Material die von Gordt proklamierte „enge Verbindung zwischen Thron und Altar“ (Gordt 2019, S. 268), indem der „weitgehende […] EinflußFootnote 5 der Lehre Christi auf das Zusammenleben der Menschen dieses Landes“ (NR 1958, 71. Sitzung VIII, S. 3384) als wünschenswert geäußert oder „die Rückführung unserer Jugend zu den ewig gültigen Werten des christlichen Gedankengutes“ (NR 1955, 81. Sitzung VII, S. 3758) seitens der ÖVP gefordert wird. Im weiteren Verlauf der Debatten zeigt sich diese Form der Argumentation gehäuft, wodurch ersichtlich wird, dass der Beschluss des Konkordats u. a. auch auf eine dezidierte ideologische Vorstellung der Ausgestaltung von Erziehung und Bildung zurückzuführen ist.

Die SPÖ hingegen stellt ihre Idee der Demokratie in den Mittelpunkt der normativen Begründungsdimensionen und problematisiert das Konkordat anhand zwei zentraler Sorgen. Zum einen begründet sie ihre Position über die Erfahrungen in einer Diktatur und deren Entstehung:

„Wir haben die Diktatur erlebt, wir haben den totalitären Staat erlebt, wir haben den Staat erlebt, der ‚opferfreudige Einsatzbereitschaft‘ als höchste Aufgabe in der Erziehung hingestellt hat. […] Und womit beginnt ein solcher Weg? Mit der Überschätzung der eigenen Ansicht!“ (NR 1955, 87. Sitzung VII, S. 4089).

Hierbei wird u. a. auf eine Einschränkung der „Freiheit der Lehre“ (ebd., S. 4090) sowie die Möglichkeit des Machtmissbrauchs seitens schulischer Einrichtungen (ebd., S. 4120) verwiesen. Vor dem Hintergrund der Historie Österreichs rekurrieren diese Positionen auf den durch historische Erfahrungen konstituierten Diskurs im Land. Gleichzeitig zeigt sich nicht nur die aus der Vergangenheit geschöpfte Sorge, sondern ebenso der kritische Blick auf die zukünftige Gestaltung der Demokratie:

„Vergessen wir doch nicht […] daß wir vor mehr als zwei Jahrzehnten einen Bürgerkrieg hatten, daß die österreichische Demokratie noch sehr jung ist und daß Demokratie der Pflege bedarf. Eine solche Pflege kann nur in einer GemeinschaftsschuleFootnote 6 vor sich gehen“ (NR 1956, 16. Sitzung VIII, S. 620).

Gemeinschaftliche Bildung und Erziehung in der öffentlichen Schule wird als Voraussetzung einer pluralen und toleranten Gesellschaft gesehen und kritisiert wird die durch ein zu stark geistlich geprägtes Schulsystem hervorgebrachte Separierung (NR 1955, 87. Sitzung VII, S. 4088).

Auch wenn die SPÖ das Konkordat und die Zuschüsse an konfessionellen Privatschulen problematisiert, kann sie ihre Interessen aufgrund machtbasierter Faktoren nicht durchsetzen. Denn als Mitglied in der Großen Koalition unter Führerschaft der ÖVP muss sie den Zuschusspolitiken letztendlich zustimmen, um keinen Koalitionsbruch zu riskieren.

Funktionale Argumentationsmuster

Die wichtige Rolle und damit konstitutive Funktion von konfessionellen Privatschulen spielen in der Argumentation der ÖVP eine entscheidende Rolle. In den Debatten verweist sie immer wieder auf die Leistung und Erfahrung der konfessionellen Privatschulen, welche eine erhöhte Bezuschussung legitimiere:

„In der Frage der Subventionierung der katholischen Privatschulen werden die Verhältnisse langsam unhaltbar. Die Privatschulen mit Öffentlichkeitsrecht leisten dem Staate unschätzbare Dienste“ (NR 1960, 37. Sitzung IX, S. 1499).

Dabei betont sie zudem den immensen ökonomischen Aufwand des Staates, welcher bei einer möglichen Schließung von Privatschulen evoziert werden würde (NR 1958, 71. Sitzung VIII., S. 3360).

Utilitaristische Argumentationsmuster

Hinsichtlich formal-prozeduraler Argumente beruft sich die ÖVP wiederholend auf das Recht der Eltern, ihre Kinder auf eine Schule ihrer Wahl zu schicken, ohne hierbei einen erhöhten finanziellen Aufwand tragen zu müssen. Dieser Umstand wird dabei als „Elternrecht“ (NR 1955, 87. Sitzung VII, S. 4099) oder „Naturrecht der Eltern“ (NR 1956, 17. Sitzung VIII, S. 659) bezeichnet und aus der „[u]niverselle[n] Deklaration der Menschenrechte von 1948“ (NR 1958, 71. Sitzung VIII, S. 3343) abgeleitet. Die SPÖ sorgt sich auf organisationaler Ebene vor der Entstehung einer „Reihe niedrigorganisierter Schulen“ (NR 87. 1955, Sitzung VII, S. 4090), also z. B. Schulen in eigener Trägerschaft, welche aus Sicht der SPÖ-Abgeordneten konstitutiv für einen qualitativen Abfall im Schulwesen stehen. Zudem bezeichnen sie das Konkordat als „ein Bekenntnis zur Ungesetzlichkeit“ (ebd., S. 4120) und fürchten auf formaler Ebene eine Zerschlagung der Gemeinschaftsschulen (NR 1956, 16. Sitzung VIII, S. 618).

Wird die Debatte chronologisch betrachtet so fällt auf, dass die SPÖ besonders gegen Ende der Debatte immer wieder von einer Kompromisslösung spricht. Diese plausibilisiert sich zu Teilen anhand des Folgenden:

„Es gab nur zwei Möglichkeiten: einen Weg des Kompromisses zu finden oder alles so zu belassen, wie es ist. Würden wir den zweiten Weg gehen, dann müßte man es bei dem heutigen, nahezu gesetzlosen Zustand belassen, oder man müßte die Schulgesetze, die vor fast hundert Jahren beschlossen worden sind, wieder einführen“ (NR 1961, 80. Sitzung IX, S. 3367).

Zusammenfassung der Debatten zum Konkordat von 1962

Werden die Debatten abschließend anhand der zentralen Argumente kanalisiert so lässt sich subsumieren, dass die ÖVP besonders das Elternrecht, die Funktion konfessioneller Privatschulen sowie ihre Idee einer christlichen Erziehung und Bildung in den Mittelpunkt ihrer Argumentation für eine Bezuschussung konfessioneller Privatschulen stellt. Somit wird die institutionelle Implementierung der Ungleichbehandlung vorrangig über die Legitimation ihrer moralischen Ideen sowie die Funktionalität der Institution gewährleistet, während die formal-prozedurale Argumentation (als utilitaristische Argumentationsmuster) auch als „gelegene“ Stützung dieser Begründungsmuster gedeutet werden kann. Die SPÖ sieht indes in der Bezuschussung ein eklatantes Risiko für die Neuformation der österreichischen Demokratie und sorgt sich um das öffentliche Schulwesen. Aus machtbasierter Perspektive muss die SPÖ aus Gründen des Koalitionsfriedens mit der ÖVP den Zuschüssen an konfessionelle Privatschulen zustimmen.

4.2 Die Erhöhung der Zuschüsse: 1971 bis 1972

Das Jahr 1972 offenbart sich als weitere entscheidende Weichenstellung in der Manifestierung der Ungleichbehandlung von konfessionellen und nicht-konfessionellen Privatschulen. Der Prozess lässt sich zentral anhand zweier Debatten rekonstruieren. Im Jahr 1971 erfolgte nach Verhandlungen mit dem Heiligen Stuhl 1970 (NR 1971, 507 der Beilage XII, S. 3) ein erster Vorstoß, um die beschlossene Bezuschussung auf 100 % zu erhöhen, welcher allerdings erst 1972 final beschlossen wurde (NR 1972, 31. Sitzung XIII, S. 2565). In der Gesamtdurchschau des Materials zeigt sich, dass sich die Diskussionen zu einem großen Teil auf formal-parlamentarische Abläufe und Parteistrategien konzentrieren und inhaltliche Argumente nur wenig Platz einnehmen. Da sich die im Beitrag angelegte qualitative Inhaltsanalyse allerdings auf die inhaltliche Auseinandersetzung bezieht, wird auf diese Form der Argumentation fokussiert. Im Hinblick auf beide Debatten lässt sich festhalten, dass diese deutlich konsensualer verlaufen, als dies zuvor der Fall war.

Machtbasierte Argumentationsmuster

Die SPÖ ist in der Zeit der Erhöhung von Zuschüssen in alleiniger Regierungsverantwortung (Bundeskanzleramt 2023). Wie die Berücksichtigung legitimationsbasierter, funktionaler und utilitaristischer Argumente zeigen, sprach sich die SPÖ anders als bei den Debatten zum Konkordat von 1962 nicht mehr gegen Zuschüsse an konfessionelle Privatschulen aus. Zudem ist zu berücksichtigen, dass die Konsensorientierung der SPÖ im Parlament auch damit zusammenhängt, dass schulgesetzliche Änderungen jahrzehntelang eine Zwei-Drittel-Mehrheit im Parlament erforderte und die SPÖ somit in Koalitionen aber auch in Alleinregierungen auf Kompromisse mit der ÖVP angewiesen war. Die erforderliche Zwei-Drittel-Mehrheit für Schulgesetze wurde erst 2005 abgeschafft (Pultar 2021).

Legitimationsbasierte Argumentationsmuster

Auch wenn nicht in Regierungsverantwortung, interessiert auch die Positionierung der ÖVP, da bei Schulgesetzänderungen die SPÖ auf eine Zwei-Drittel-Mehrheit im Parlament angewiesen war. Die normative Positionierung der ÖVP knüpft an die Argumentation der Debatte von 1956 an.

Dabei schließen ÖVP-Abgeordnete an das Narrativ der Chancengleichheit aus dem Jahr 1956 an, in welchem sie die Novelle des Gesetzes als „einen weiteren Schritt zur Herstellung der Chancengleichheit für die katholischen Eltern“ (NR 1971, 52. Sitzung XII, S. 4357) bezeichnen und die Wahlfreiheit dieser betonen (ebd., S. 4349–4350). Aufgrund der steigenden Personal- und Sachkosten befürchten sie zudem, dass durch die geringe Bezuschussung „zwei Kategorie[n] von Schüler[n]“ (ebd., S. 4353) geschaffen werden würden und konstatieren, dass die Kritik am Konkordat „Bildungspolitik wieder zu einer weltanschaulichen ideologischen Auseinandersetzung“ (ebd., S. 4359) machen würde.

An diesem Punkt wird die Argumentation der SPÖ anschlussfähig, da diese die Sorge um einen erneut aufkommenden Kulturkampf artikuliert (NR 1972, 31. Sitzung XIII, S. 2556) und die Einigung in der Frage des Konkordats als „eine demokratische Tat und wirklich eine Tat für die Demokratie in Österreich“ (ebd., S. 2554) bezeichnet. Hier zeigt sich eine klare Transformation der SPÖ-Positionierung in Abgleich mit der ersten Debatte um das Konkordat, was an folgendem Zitat noch einmal verdeutlich wird:

„Jedem von uns muss die Begrenzung des gegenseitigen Auftrages bewusst sein und dann wird das Verhältnis zwischen diesen beiden Gemeinschaften in der Zukunft sauber, ohne Missverständnisse und in wirklicher Toleranz aufrechterhalten werden können“ (ebd.).

Trotz des positiven Grundtenors äußerst die SPÖ auch Sorgen in Bezug auf die zukünftige Gestaltung des Bildungssystems. So sollen öffentliche Schulen zum einen die Norm im Bildungswesen bleiben, zum anderen sollen Privatschulen eine erhöhte Offenheit in Bezug auf die Aufnahme nicht konfessioneller Kinder zeigen (ebd.). Zudem zeigt sich, wie im Jahr 1956, die grundlegende Sorge der Sozialist:innen vor einer Verstaatlichung der Privatschulen bei zu hohen Zuschüssen:

„Ich glaube, man sollte auch im Interesse der Selbständigkeit der Schulerhalter nicht zu weit gehen, denn Wir wollen ja nicht verstaatlichen, sondern die Schulerhalter sollen ihre Selbständigkeit behalten. Sie wollen schließlich und endlich in gewisser Form ihr Eigenleben auch wahren“ (NR 1972, 31. Sitzung XIII, S. 2556).

Funktionale Argumentationsmuster

In Anschluss an die Debatten aus den Jahren 1955 bis 1962 proklamiert die ÖVP erneut die Notwendigkeit konfessioneller Privatschulen aufgrund struktureller Defizite, die sich besonders in ländlichen Regionen zeige (NR 1972, 31. Sitzung XIII, S. 2558) und diese hierbei eine „Lücke schießen, wo eigentlich der Bund Aufgaben wahrnehmen müßte“ (ebd., S. 2557). Damit verweisen sie wiederum auf die konstitutive Funktionalität der Institution. Zudem betont die ÖVP erneut den Stellenwert der Privatschulen im österreichischen Schulsystem:

„Im Hinblick darauf, daß die katholischen Schulen dem Staat entsprechende Lasten abnehmen, erscheint es gerechtfertigt, nunmehr einen weiteren Schritt in der Frage der Subventionierung der katholischen Schulen zu setzen“ (NR 52. Sitzung 1971, XII, S. 4346).

Auch die SPÖ zeigt in Bezug auf die Funktion konfessioneller Privatschulen eine veränderte Einstellung:

„Wir anerkennen heute, daß die konfessionellen Schulen der Erziehung zur Toleranz und gegenseitiger Verständigung, auch zu kritischem Bewußtsein ebenso nachzukommen versuchen wie die öffentliche Schule“ (ebd., S. 2562).

Utilitaristische Argumentationsmuster

Auch in Bezug auf formal-prozedurale Argumente zeigen sich bei ÖVP-Abgeordneten Kongruenzen zwischen den Argumentationen in Debatten Ende der 1950er und in den 1970er-Jahren. Hierbei lässt sich besonders die erneut angeführte Belastung der Eltern durch ein hohes Schulgeld (NR 1971, 52. Sitzung XII, S. 4349), welches in Kombination mit der Alternativlosigkeit auf dem Land (NR 1972, 31. Sitzung XIII, S. 2558; NR 1971, 52. Sitzung XII, S. 4352) zu einer Benachteiligung von Eltern führe, konstatieren. Zudem plädieren sie für eine Entlastung der Gemeinden, da viele Privatschulen „mit großen Opfern von Gemeinden getragen werden“ (NR 1971, 52. Sitzung XII, S. 4351). Privatschulen sollen zudem von Mehrkosten, die durch technischen Fortschritt entstanden sind, finanziell entlastet werden, um deren Qualität aufrechtzuerhalten (ebd., S. 4359). Die Sorgen der SPÖ um eine erhöhte Konkurrenzsituation sowie einen vermehrten Neubau von Privatschulen teilt die ÖVP hingegen nicht und versucht diese mit folgender Äußerung zu entkräften:

„Ich kann Ihnen sagen: Auf dem Pflichtschulsektor besteht überhaupt keine Möglichkeit und wahrscheinlich auch gar keine Absicht, die katholischen oder konfessionellen Schulen noch weiter auszudehnen, neue zu gründen, und schon gar nicht, irgendeiner öffentlichen Pflichtschule eine Konkurrenz zu bereiten“ (ebd., S. 4357).

Auch auf formal-prozeduraler Ebene zeigt sich ein Konsens zwischen SPÖ und ÖVP. So stimmt die SPÖ den Forderungen nach einer Unterstützung des Bundes für die Personalkosten grundsätzlich zu, wobei die SPÖ-Abgeordneten weiterhin kritisch sind, die Finanzierung auf weitere Sachkosten zu erweitern (NR 1972, 31. Sitzung XIII, S. 2560), u. a. aus der Sorge um eine formelle Verstaatlichung der konfessionellen Schulen (NR 1971, 52. Sitzung XII, S. 4360).

Zusammenfassung der Debatten zur Erhöhung der Zuschüsse

Subsummierend lässt sich festhalten, dass sich die Positionierung der SPÖ stark transformierte, was von dieser mit ihrem Demokratieverständnis und der Toleranz gegenüber den Kirchen argumentiert wird. Gleichzeitig schließt die ÖVP an die Argumente der ersten Debatte Ende der 1950er-Jahre an (Chancengleichheit, Importanz der Privatschulen, Belastung der Eltern) und zeigt auf, dass eine Erhöhung der Zuschüsse aufgrund der aktuellen Entwicklungen unabdingbar sei. In Bezug auf die Typologie der Pfad-Abhängigkeit zeigt sich eine klare argumentative Tendenz hin zu einer funktionalen Plausibilisierung entlang der vorgestellten Argumentationsmuster, die über formal-prozedurale Argumente (z. B. die finanzielle Entlastung der Eltern) gestützt wird. Während die ÖVP ihrer Positionierung hin zu einer Unabdingbarkeit konfessioneller Privatschulen weiter verstärkt, wird auch von der SPÖ die Funktionalität des Gesetzes (wenn auch weniger aus der eigentlichen Sache heraus, sondern vielmehr entlang demokratischer Grundprinzipien) anerkannt. Trotz der Sorgen der SPÖ um eine mögliche Verstaatlichung der Schulen setzt sich die ÖVP mit ihren Anliegen durch.

4.3 Aktuelle Debatten: Mitte der 2010er Jahre bis 2023

Die Analyse der Debatten ab Mitte der 2010er Jahre offenbart, dass die Diskussion um die Ungleichbehandlung zwischen konfessionellen und nicht-konfessionellen Privatschulen aktuelle Relevanz besitzt. Dies zeigt sich besonders an dem abgelehnten Entschließungsantrag der liberalen NEOS-Partei (= Das Neue Österreich und Liberale Forum) „betreffend die finanzielle Gleichstellung von nicht-konfessionellen Privatschulen“ (NR 2016, 154. Sitzung XXV, 410, S. 610).

Signifikant fallen zudem die geringen Redeanteile von ÖVP und SPÖ auf, während die Oppositionsparteien NEOS und das „Team Stronach für Österreich“ die Debatte maßgeblich mitgestalten und eine Abschaffung der Ungleichfinanzierung befürworten. Anders als bei den vorhergegangenen Weichenstellungen in den 1950/60er und 1970er-Jahren, berücksichtigen wir bei den Debatten in den 2010er Jahren und Anfang der 2020er Jahre auch die Äußerungen von Oppositionsparteien. Es zeigt sich ein starker Bruch im Diskussionsverlauf, der anders als in den vergangenen Debatten nicht mehr zwischen ÖVP und SPÖ ausgetragen wird, sondern nun primär von anderen Parteien dominiert wird. Dabei zeigt sich, dass utilitaristische und legitimationsbasierte Argumente eine wichtige Rolle spielen.

Machtbasierte Argumentationsmuster

In den 2010er Jahren wurde Österreich bis 2017 von einer Großen Koalitionen unter Führung der SPÖ regiert. 2017 ging der Wahlsieger ÖVP eine Koalition mit der FPÖ (= Freiheitlich Demokratische Partei Österreichs) ein. Zu Beginn der 2020er Jahre regierte die ÖVP mit den Grünen, die erstmals in der Geschichte Österreichs an einer Regierung beteiligt waren. Mit der ÖVP war also in den 2010er Jahren (und auch anfangs der 2020er Jahre) stets ein Befürworter von Zuschüssen an konfessionelle Privatschulen in Regierungen vertreten. Beteiligt waren aber auch mit den Grünen Anfang der 2020er Jahre Befürworter von Zuschüssen an nicht-konfessionelle Privatschulen, die sich jedoch gegen die ÖVP (bislang) nicht durchsetzen konnten.

Legitimationsbasierte Argumentationsmuster

Die SPÖ äußert sich (bis auf einen kurzen Beitrag zum frühkindlichen Bereich (NR 2016, 134. Sitzung XXV, S. 147–148)) kaum zur Ungleichbehandlung von Privatschulen, während die ÖVP abseits der allgemeinen Proklamation meritokratischer Narrative (NR 2016, 31. Sitzung XXVI, S. 91), keine inhaltliche Stellung zu bezieht.

Auf der Ebene der normativen Argumente verweisen die NEOS auf eine angenommene Innovationskraft privater Schulen. Dabei kritisieren sie die fehlende finanzielle Wertschätzung für das Engagement der dortig tätigen Pädagog:innen und fordern eine Gleichstellung mit konfessionellen Privatschulen (NR 2015, 68. Sitzung XXV, S. 151–152). Das Team Stronach argumentiert, dass eine finanzielle Gleichbehandlung aller Privatschulen einen Qualitätsanstieg des gesamten Schulwesens bewirke (ebd., S. 188–189).

Die FPÖ, als Koalitionspartner der ÖVP, spricht sich indes für eine Stärkung des staatlichen Schulsystems aus, um die von ihr thematisierte steigende Migrationsbewegungen zu bewältigen (NR 2017, 197. Sitzung XXV, S. 118; NR 2017, 186. Sitzung XXV, S. 72–73), während die Grünen, als späterer Koalitionspartner der ÖVP, lediglich für eine Förderung von alternativen Schulmodellen plädieren (NR 2015, 98. Sitzung XXV, S. 142–143). Auch wenn die Argumente jeweils auf spezifische Vorstellungen von Moral und Werten verweisen, sind diese ebenso eng an eine antizipierte Funktionalität der Institution gebunden.

Utilitaristische Argumentationsmuster

Auf formal-prozeduraler Ebene verweisen sowohl die NEOS als auch das Team Stronach auf die notwendige Summe von ca. 30 Mio. €, die eine signifikante Verbesserung der Situation der Privatschulen bewirken würde (NR 2016, 154. Sitzung XXV, S. 409–410; NR 2017, 186. Sitzung XXV, S. 75). Die ÖVP bestätigt die Summe zwar grob (NR 2018, 55. Sitzung XXVI, S. 140), allerdings argumentiert sie, dass die Charta der Grundrechte der Europäischen Union sie zu keiner Bezuschussung verpflichte:

„Klar ist aber, dass gemäß den Erläuterungen zu Artikel 14 der Charta lediglich das Recht auf Bildung umfasst ist und die Möglichkeit gegeben sein muss, unentgeltlich am Pflichtschulunterricht teilzunehmen. Nicht abgeleitet werden kann eine Verpflichtung der Mitgliedstaaten, private Schulen entsprechend zu subventionieren“ (NR 2016, 119. Sitzung XXV, S. 186).

Die SPÖ untermauert in der Debatte lediglich ihren Fokus auf das öffentliche Schulwesen und verweist auf fehlende Zahlen für eine fundierte finanzielle Argumentation mit Blick auf die Bezuschussung von Privatschulen (NR 2015, 68. Sitzung XXV, S. 172).

Zusammenfassung der Debatten in den 2010er und Anfang der 2020er Jahre

Während die ÖVP ihre grundlegende Position wenig transformiert und sich in der Debatte zumeist zurückhält, sind es insbesondere kleine Oppositionsparteien, die sich für eine Abschaffung der Ungleichbehandlung von konfessionellen und nicht-konfessionellen Privatschulen aussprechen. Begründet wird dies v. a. mit einer angenommenen Innovationskraft von Privatschulen. Argumentiert wird zudem damit, dass durch Privatschulen für öffentliche Schulen eine Konkurrenzsituation entstehe, welche für einen qualitativen Anstieg im Bildungswesen sorgen würde. Spannend erscheint dabei, dass sowohl die Aufrechterhaltung des Gesetzes wie auch dessen Aufhebung entlang funktionaler Aspekte argumentiert wird. Die SPÖ zeigt kaum Präsenz in den geführten Debatten. Aus machtbasierter Perspektive war in den 2010er und 2020er Jahre keine befürwortende Partei von Zuschüssen an nicht-konfessionelle Privatschulen in einer machtvollen Position im Parlament. SPÖ und ÖVP hielten – wenn sie sich zu Zuschüssen äußerten – zudem an ihren legitimationsbasierten, funktionalen und formal-prozeduralen Argumenten fest.

5 Fazit: Die Fortschreibung der Ungleichbehandlung

Mit Blick auf die Fragestellung, wie Abgeordnete in Parlamentsdebatten die Aufrechterhaltung der Sonderrolle konfessioneller Privatschulen in Österreich in Zuschusspolitiken begründeten, lassen sich drei entscheidende Argumentationslinien (siehe Abb. 1) nachzeichnen, die die Stabilität der Ungleichbehandlung sowie deren Reproduktion in den letzten 70 Jahren anhand der theoretischen Perspektive plausibilisieren.

Abb. 1
figure 1

Argumentationslinien der Parteien. (Quelle: Eigene Darstellung)

Die ÖVP initiiert und unterstützt die bevorzugte Behandlung kirchlicher Privatschulen, wie durch die theoretischen Vorarbeiten antizipiert (Gingrich 2011, S. 25; Busemeyer 2015), und hält auch über die Zeit an ihrer Position fest. Durch die Erhöhung 1972 kann sie ihre Intention weiter stabilisieren und verstärkt die enge Anbindung an die katholische Kirche in Österreich. In den aktuellen Debatten agiert die Partei sehr zurückhaltend und verweist auf die fehlende rechtliche Grundlage einer gleichen Bezuschussung. Da die ÖVP in allen Phasen der Weichenstellungen an Regierungen beteiligt war (häufig auch als Mehrheitsführer), konnte diese im Sinne machtbasierter Logiken ihre Vorstellungen in Zuschusspolitiken durchsetzen. Die SPÖ war auch aufgrund der Zwei-Drittel-Mehrheit für Schulgesetzänderungen bis 2005 auf die Zustimmung der ÖVP angewiesen bzw. setzt sich jüngerer Zeit nicht für Änderungen der Zuschusspolitiken ein.

Die SPÖ nimmt eine besondere Stellung ein, da sie als Regierungs- bzw. Koalitionspartei eine gewichtige Rolle in der Aufrechterhaltung innehat. Hier zeigt sich ein Bruch mit den Vorannahmen der theoretischen Perspektiven, der einer Erklärung bedarf. Es wurde angenommen, dass Parteien des linken Spektrums eine umfassende Privatisierung sowie hohe Zuschüsse ablehnen (Zehavi 2012). Diese Haltung ließ sich um das Jahr 1954 noch seitens der SPÖ ausmachen. Im Jahr 1971 änderte die SPÖ, als alleinige Regierungspartei (Bundeskanzleramt 2023) allerdings diese Haltung im Sinne einer „Tat für die Demokratie in Österreich“ (NR 1971, 31. Sitzung XIII, S. 2554). Die SPÖ akzeptiert über die Zeit das konfessionelle Privatschulwesen und dessen Bezuschussung. Jedoch verhält sich die Partei zurückhaltend, wenn es um die gleiche Höhe von Zuschüssen für nicht-konfessionelle Privatschulen geht, da sie befürchtet, damit eine weitere Expansion des Privatschulsektors zu fördern (Engelbrecht 2000; Fürst 2007). Besonders bemerkenswert scheint zudem die Zurückhaltung der SPÖ in der aktuellen Debatte, die die Stabilität der Ungleichbehandlung zwischen konfessionellen und nicht-konfessionellen Privatschulen weiter festschreibt. Darüber hinaus hat die SPÖ in Österreich ihre Schulpolitik auf die Errichtung von Gesamtschulen ausgerichtet (Pultar 2021). So fanden auch konfessionell nicht gebundene, reformpädagogisch orientierte Privatschulen bei der SPÖ wenig Unterstützung in Form von höheren Zuschüssen, da sie diese nicht als Alternative zum gegliederten Schulsystem sieht.

Ziehen wir abschließend die von Mahoney (2000) entwickelte Typologie pfadabhängiger Erklärungen der institutionellen Reproduktion heran, so wird sichtbar, dass im Falle der Sonderbehandlung konfessioneller Privatschulen in Österreich der Ausgangspunkt der Argumentation normativ ist und die Aufrechterhaltung und Erweiterung über den Glauben an die moralische Legitimität der Position induziert wird. Im weiteren Verlauf der Debatte rückt dieses Argument allerdings in den Hintergrund und eine funktionale Argumentation, häufig gestützt durch formale Bedingungen, bedingt die Stabilität der Institution. So kann ausgehend von einer moralisch-funktionalen Implementierung der institutionellen Sonderbehandlung, von einer funktional argumentierten Stabilisierung gesprochen werden. Nach Mahoney (2000, S. 519) kommt es zu einer institutionellen Erweiterung und Konsolidierung einer Institution, wenn diese eine Funktion für das System erfüllt – und dies ist angewendet auf den österreichischen Fall auch für das konfessionelle Privatschulwesen geschehen.

Zuletzt wurden, durch die bis 2005 notwendige Zwei-Drittel-Mehrheit im Parlament (Pultar 2021), Veto- oder Interventionsmöglichkeiten oppositioneller Positionen erschwert (Mahoney 2000). Obwohl es eine starke Verfassungsgerichtsbarkeit wie in Deutschland gibt (Nikolai et al. 2018), konnten sich Interessengruppen konfessionsfreier Privatschulen mit ihren Klagen für höhere Zuschüsse bisher nicht durchsetzen (Der Standard 2023; Die Presse 2019).

Für die Zukunft wird es spannend zu beobachten sein, wie sich die politische Debatte um die Gleichstellung nicht-konfessioneller Privatschulen entwickeln wird, da seit 2020 die Grünen (Bundeskanzleramt 2023), die als Unterstützer:innen einer Gleichstellung nicht-konfessioneller Privatschulen gelten (NR 2016, 14. Sitzung XXV, S. 114–115), in Regierungsverantwortung stehen. In den letzten Jahren wurden keine relevanten Diskussionen um die Thematik geführt, was sich allerdings auch auf die politischen Turbulenzen anfang der 2020er Jahre infolge der Corona-Pandemie sowie des Ukraine-Kriegs und der dadurch ausgelösten Energiekrise zurückführen lassen könnten. Offen bleibt, ob sich die Stabilität der Ungleichbehandlung durch den Wechsel an wirkmächtigen Akteur:innen weiter verstärken könnte oder eine Reform des aktuellen Systems angestrebt wird.

Der Beitrag hat gezeigt, wie die Analyse von Argumenten in Parlamentsdebatten entlang der pfadabhängigen Begründungsmuster institutioneller Reproduktion (Mahoney 2000), Argumentationslinien in Zuschusspolitiken an Privatschulen mit Blick auf Parteien partiell verstehbar machen können. Während sich dieser Beitrag auf Österreich konzentrierte und seine Sonderstellung im internationalen Vergleich bei der ungleichen Finanzierung von konfessionellen und nicht-konfessionellen Privatschulen darlegen konnte, könnten Analysen zu Finanzierungspolitiken auf weitere Länder vergleichend ausgeweitet werden. Hierzu würden Fälle gehören (z. B. Deutschland, Nikolai et al. 2018), in denen nicht-konfessionelle Privatschulen eine vergleichbare Bezuschussung wie konfessionelle Privatschulen über die Zeit erreichen konnten.