1 Einleitung

Kinder und Jugendliche haben während der Corona-Pandemie und die dadurch ausgelösten Maßnahmen einen starken Einschnitt in ihrem (Schul‑)Alltag erleben müssen. (Teil‑)Schulschließungen, Selbsttests, Quarantäne und Isolation sowie die Unsicherheit, ob der Unterricht kurz- oder mittelfristig in der Schule oder zuhause stattfindet, prägten die letzten Jahre. Der nicht nur im Frühjahr 2020 und Winter 2021 langanhaltende, sondern auch immer wiederkehrende beziehungsweise drohende fehlende Zugang zur Schule und die durch nicht-pharmazeutische Interventionen ausgelösten Einschränkungen des Soziallebens haben zu tiefgreifenden Veränderungen im schulischen Kontext (Reintjes et al. 2021b) sowie der Freizeitgestaltung von Kindern und Jugendlichen geführt (Wößmann et al. 2021).

Seit Beginn der Pandemie beschäftigen sich immer mehr Untersuchungen mit den Folgen der Schulschließungen auf Lernen und Befinden von Kindern und Jugendlichen.

Besondere Relevanz werden dabei Lernrückständen zugeschrieben, die im Kontext der Pandemie entstanden sind (Helm et al. 2021; König und Frey 2022). Auf diese fokussieren nicht nur diverse Studien, sondern auch das bundesweite Programm „Aufholen nach Corona“, wobei die meisten Länder vornehmlich Angebote zur Unterstützung von Kernkompetenzen fördern (Helbig et al. 2022). Nur wenige Bundesländer entschieden sich dazu, Maßnahmen mit psychosozialem Schwerpunkt zu priorisieren. Dabei zeigen Studien im deutschsprachigen Raum wie die COPSY-Studie (Corona und Psyche, Ravens-Sieberer et al. 2022) oder die Studien KiCo (Kinder und Corona) sowie JuCo (Jugend und Corona, Andresen et al. 2022), dass die mentale Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in Folge der Kontaktbeschränkungen und Schulschließungen stark belastet ist. Auch internationale Untersuchungen belegen, dass die Pandemie zu weitreichenden psychosozialen Folgen geführt hat (Viner et al. 2022; Zhou et al. 2020).

Globale Studien zur Situation während der Pandemie geben einen allgemeinen Überblick, können jedoch keine regionalen und institutionellen Bezüge reflektieren. Daher ist das Ziel des vorliegenden Beitrags beispielhaft für zwei deutsche Großstädte das Wohlbefinden von Kindern und Jugendlichen im schulischen Kontext genauer zu betrachten, relevante Einflussfaktoren herauszuarbeiten und Implikationen zu diskutieren.

2 Wohlbefinden im Kontext Schule

Das Konzept des schulischen Wohlbefindens wie es u. a. von Hascher (2004) verstanden wird, ist eng an die Theorie des subjektiven Wohlbefindens angelehnt und bezieht sich auf den Erfahrungsraum Schule (Hagenauer und Hascher 2018). Die Definitionen des subjektiven sowie des schulischen Wohlbefindens sind nicht eindimensional zu verstehen (Hascher et al. 2018; Lucas und Diener 2015), sondern werden geläufig als mehrdimensionale Konstrukte angesehen (Hascher und Hagenauer 2011), die sich auf die Bewertung der eigenen Lebensqualität beziehen (Ryff 1995). Im Rahmen des schulischen Wohlbefindens finden Bewertungen von schulischen Erfahrungen auf der kognitiven und der affektiven Ebene statt (Eder 1995; Lucas und Diener 2015). Positive und negative Bewertungen sind voneinander abzugrenzen, wobei die Bilanz dessen das Wohlbefinden ausmacht (Diener 1994) und Freude oder Glück als vorrangige Elemente gelten (Hascher et al. 2018). Hierbei werden individuell-selbstbezogene Voraussetzungen sowie kontextuell-umweltbezogene Faktoren in der Schule miteinbezogen (Obermeier et al. 2021). Als individuell-selbstbezogene Voraussetzung kann u. a. das Selbstwertgefühl in der Schule gesehen werden, wohingegen umweltbezogene Faktoren vor allem auf der sozialen Ebene in Form eines Integrationsgefühls von Bedeutung sind.

Theoretisch können Einflussfaktoren auf das schulische Wohlbefinden auf mehreren Ebenen identifiziert werden (Hascher et al. 2018). Auf der individuellen Ebene spielen Persönlichkeitsmerkmale, die Lerngeschichte und Vorerfahrungen sowie aktuelle Kognitionen und Emotionen eine entscheidende Rolle. Die schulische Ebene umfasst soziale Beziehungen in der Schule, aber auch organisatorische Aspekte wie Schul- und Unterrichtsqualität und schulische Rahmenbedingungen. Schließlich wirkt auch der außerschulische Kontext, beispielsweise die soziale Herkunft, auf das Wohlbefinden in der Schule. So kann das Aufwachsen in einem bildungsnahen Haushalt dazu beitragen, dass Kinder und Jugendliche schulisch mehr Unterstützung erfahren, z. B. in Form der Hausaufgabenbetreuung (Obermeier 2021).

Empirische Untersuchungen bestätigen die Bedeutung dieser Einflussfaktoren. Auf der individuell-soziodemographischen Ebene finden sich beispielsweise Effekte des Alters (Lüftenegger et al. 2021). So zeigt sich bei Hascher und Hagenauer (2011) in einer längsschnittlichen Untersuchung: Je älter die Kinder und Jugendlichen sind, desto stärker sinkt die Freude an der Schule.

Soziale Beziehungen sind auf schulischer Ebene besonders entscheidend für das Befinden von Kindern und Jugendlichen. Vor allem der Kontakt zur Lehrkraft (Markus et al. 2022) und die soziale Eingebundenheit im Klassenverbund (Kröske 2020; Ott 2020) sind wichtige Prädiktoren. Auch Schulsozialarbeit gilt als unterstützende Ressource im Umgang mit Ängsten (Franklin et al. 2009) und wirkt selbstwertsteigernd (Galliker Schrott et al. 2009).

Auf der Ebene der häuslichen Indikatoren wird deutlich, dass insbesondere die Unterstützung durch die Eltern, z. B. durch Hausaufgabenbetreuung, einen positiven Einfluss auf das schulische Wohlbefinden hat (Obermeier 2021).

3 Schulisches Wohlbefinden während der Pandemie

Bisherige Ergebnisse zum schulischen Wohlbefinden während der Pandemie zeigen, dass Kinder und Jugendliche nach dem ersten Lockdown allgemein über ein positiv ausgeprägtes schulisches Wohlbefinden verfügten (Goldan et al. 2021).

Auf individueller Ebene wird deutlich, dass Jungen eine höhere Lebenszufriedenheit während der Pandemie äußerten, während Mädchen häufiger über Ängste klagten (Baier und Kamenowski 2022), wobei sie verstärkt Anzeichen von psychischen Krankheiten (Zhou et al. 2020) und generell ein niedrigeres Wohlbefinden zeigten (Meireles et al. 2022). Bezogen auf das Alter liegen keine einheitlichen Befunde vor: Zum einen scheinen jüngere Kinder eher belastet als ältere (Ravens-Sieberer et al. 2022), zum anderen wird eher von einer höheren Belastung im Jugendalter gesprochen (Mansfield et al. 2021).

Auf der Ebene häuslicher Ressourcen deuten Befunde aus der JuCo-Studie (Andresen et al. 2022) darauf hin, dass es Jugendliche in Zeiten der Pandemie besser ging, wenn sie ein eigenes Zimmer zur Verfügung hatten (Lips et al. 2022). Zudem zeigen sich Zusammenhänge bei der Ausstattung mit digitalen Endgeräten zuhause mit der Aufrechterhaltung sozialer Kontakte (Andresen et al. 2020) und positiven Emotionen bezüglich der Schule (Huber und Helm 2020). Vor allem jedoch scheint die soziale Unterstützung durch das häusliche Umfeld ein wichtiger Indikator für das Wohlbefinden während der Pandemie zu sein (Cohen et al. 2022; Gayatri und Irawaty 2022), wobei insbesondere der Austausch mit den Eltern von Bedeutung ist (Tang et al. 2021).

In Hinblick auf bereits bestehende Ungleichheiten wird die Pandemie als „Brennglas“ (Zehetner et al. 2021) bezeichnet. Ein niedriger sozioökonomischer Status ist mit einer Verschlechterung der psychosozialen Gesundheit (Ravens-Sieberer et al. 2022) sowie einer niedrigeren Zufriedenheit im schulischen Kontext assoziiert (Lips et al. 2022). Aufgrund der bisher vorliegenden Befunde erscheint eine differenzierte Überprüfung der Verfügbarkeit materieller und sozialer Ressourcen daher von Bedeutung.

4 Fragestellungen

Die eingeschränkte Studienlage zum schulischen Wohlbefinden während der Pandemie führt zu der Frage, welche Faktoren im Kontext der Pandemie einen Einfluss auf das schulische Wohlbefinden haben können. Daher werden gezielt die Einflüsse individueller, häuslicher aber auch schulischer Faktoren auf das schulische Wohlbefinden im Rahmen der Covid-19 Pandemie untersucht. Da festgestellt werden konnte, dass der Umgang mit den pandemischen Herausforderungen sich regional stark unterscheidet, werden die Daten für Osnabrück (OS) und Mülheim (MH) getrennt analysiert. Es stellen sich die beiden folgenden Forschungsfragen:

  1. 1.

    Wie lässt sich das schulische Wohlbefinden von Kindern und Jugendlichen in OS und MH im Frühjahr 2022 beschreiben?

  2. 2.

    Wie beeinflussen individuelle Merkmale, häusliche Faktoren, Indikatoren des Pandemiemanagements und schulische Ressourcen das schulische Wohlbefinden von Kindern und Jugendlichen in OS und MH?

5 Methodisches Vorgehen

5.1 Projekt- und Stichprobenbeschreibung

Die Datengrundlage bilden die zwei Studien Muntermacher (Osnabrück) und Schule und Corona (SchuCo, Mülheim). Bei Muntermacher handelt es sich um eine zweite Befragungswelle, bei der Kinder und Jugendliche vom 07.03.2022 bis zum 30.04.2022 befragt wurden (Informationen zur Vorstudie: Reintjes et al. 2021a). Der Online-Fragebogen wurde mithilfe von SoSci Survey generiert und über die Schulen an die Schüler:innen administriert. Insgesamt beteiligten sich an Muntermacher N = 534 Kinder und Jugendliche und beantworteten u. a. Fragen zu ihrem Wohlbefinden. Initiiert wurden die Studien in Kooperation mit Osnabrück sowie der Friedel und Gisela Bohnenkamp Stiftung im Rahmen eines Corona Bildungs- und Unterstützungsfonds (Bildungsmarathon Osnabrück).

Etwa zeitgleich zu Muntermacher konnte eine weitere Online-Befragung von Kindern und Jugendlichen (SchuCo) in Mülheim in Kooperation mit Prof. Dr. Harald Karutz, der Leitung des psychosozialen Krisenmanagements Mülheims initiiert und umgesetzt werden (Karutz und Tinla 2021). Insgesamt beteiligten sich N = 995 Kinder und Jugendliche an der Befragung.

Die deskriptiven Statistiken zu den zwei Stichproben finden sich in Tab. 1. Hierbei wird deutlich, dass sich die Städte in der Zusammensetzung der Stichprobe hinsichtlich des sozioökonomischen Hintergrunds ähneln. Nur die Fehltage sind in OS deutlich geringer als in MH. Es ist zudem darauf hinzuweisen, dass in der OS Stichprobe ein hoher Anteil an Berufsschüler:innen vorliegt (n = 124, 23 %), der den Altersdurchschnitt stark anhebt (MW = 20,0, SD = 3,5). Da in diesem Alter von abweichenden Entwicklungsaufgaben (Quenzel 2015) und differenten schulischen Strukturen ausgegangen werden kann, werden die Berufsschüler:innen aus den vorliegenden Analysen ausgeschlossen. Auch nach diesem Ausschluss ist das Alter in Osnabrück zwar noch signifikant höher (t (875,45) = −8,05, p < 0,001, d = 0,47), diesem Umstand wird begegnet, indem in den Regressionsmodellen das Alter als Kovariate aufgenommen wird.

Tab. 1 Deskriptive Statistiken zu individuellen Faktoren, häuslichem Hintergrund und schulischen Ressourcen getrennt nach Erhebungsort (ohne Berufsschüler:innen)

5.2 Erhebungsinstrumente

Schulisches Wohlbefinden

Das schulische Wohlbefinden wurde aus dem Inventar der StEG-Studie (Studie zur Entwicklung von Ganztagsschulen, Furthmüller 2015) adaptiert und im Rahmen der vorliegenden Untersuchung leicht modifiziert. Hierzu wurde ein weiteres Item aus der Studie zu Schulentwicklung und Lehrerarbeit (Gerecht et al. 2012) hinzugenommen sowie ein Item selbstentwickelt. Die Skala umfasst fünf Items zu schulischen Erfahrungen, die das Sicherheitsgefühl und soziale Aspekte in der Schule abfragen. Dazu wird erfragt, wie es den Kindern und Jugendlichen persönlich in der Schule geht, beispielsweise „In der Schule fühle ich mich wohl“ bzw. „In der Schule fühle ich mich sicher“ (1 „stimmt gar nicht“ bis 4 „stimmt genau“).

Pandemiebezogene Faktoren

Im Rahmen der Studien wurden unterschiedliche pandemiebezogene Faktoren erhoben. So sollte u. a. eine ungefähre Anzahl an Fehltagen eingeschätzt werden. Der Umgang mit Schulschließungen wurde retrospektiv mit einem Item erhoben: „Wie ging es dir persönlich damit, dass du wegen Corona nicht in die Schule durftest?“ (1 „sehr schlecht“ bis 5 „sehr gut“).

Sozioökonomische Faktoren

Der sozioökonomische Hintergrund wurde durch verschiedene Wohlstandsindikatoren erfasst (vgl. Tab. 1). Hierzu gehört u. a. der zur Verfügung stehende Wohnraum (0 „eigenes Zimmer“, 1 „geteiltes Zimmer“). Zudem wurde der Bücherbesitz (1 „1–10“ bis 5 „mehr als 200“), der zuhause übliche Sprachgebrauch (Wie oft wird bei dir zuhause deutsch gesprochen? 1 „nie“ bis 4 „immer“) und die Verfügbarkeit digitaler Endgeräte zur Nutzung in Summe während der Quarantäne/Isolation abgefragt. Der heimische Sprachgebrauch (deutsch) wurde für die Analysen binär codiert (0 „nie bis meistens“; 1 „immer“).

Soziale Unterstützung

Die wahrgenommene soziale Unterstützung wurde durch die Frage erhoben, wie häufig sich die Kinder und Jugendlichen im letzten Schuljahr von den häuslichen Bezugspersonen unterstützt gefühlt haben (1 „nie“ bis 5 „immer“). Ergänzend wurde die Betreuungssituation über die allgemeine Betreuungssituation zuhause „Hast du das Gefühl, dass zu Hause immer jemand für dich da ist, der sich um dich kümmert?“ sowie die Unterstützung bei Hausaufgaben „Kannst du jemanden fragen, wenn du Unterstützung bei deinen (Haus)aufgaben brauchst?“ (0 „nein/manchmal“, 1 „ja“) erfragt.

Schulische Ressourcen

Außerdem wurde erhoben, ob sich die Kinder und Jugendlichen bei Problemen an die Klassenlehrkraft oder eine Schulsozialarbeiter:in wenden würden (1 „unmöglich“ bis 5 „sicher“).

5.3 Auswertungsverfahren

Die deskriptiven Häufigkeiten wurden mit SPSS 28 (IBM Corp.) ermittelt. Anschließend wurden mit Mplus 8.8 (Muthén und Muthén 1998–2017) multiple hierarchisch-lineare Regressionsanalysen getrennt nach Erhebungsort durchgeführt. Über die Variablen, die zur Erfassung des sozioökonomischen Status genutzt wurden, ist bewusst kein Index gebildet geworden, um den spezifischen Einfluss der unterschiedlichen Facetten sichtbar zu machen (Scheithauer et al. 2004). Das schulische Wohlbefinden als abhängige Variable wird latent modelliert. Die Prädiktoren werden als manifeste Variablen blockweise in die Regressionsanalysen aufgenommen. Die statistischen Kennwerte der Prädiktoren finden sich in den Tab. 1 und 2. Fehlende Werte wurden zudem durch das Verfahren der Multiplen Imputation geschätzt (m = 10). Nicht alle Kinder und Jugendlichen verfügen über Schulsozialarbeiter:innen an ihren Schulen bzw. wissen nichts von ihnen oder haben keine Angaben dazu gemacht (Osnabrück: 22 %, Mülheim: 13 %), wodurch sich die Stichprobengröße in Modell 3 in beiden Städten verringert. Es kann außerdem nicht bei allen Variablen von einer Normalverteilung ausgegangen werden, daher wurde ein Weighted Least Square (WLSMV) Schätzparameter, der robust gegen nicht-normalverteilte Standardfehler ist, eingesetzt (Yuan und Bentler 2000). Durch fehlende Angaben zu Einzelschulen in den Daten der Studie 2-Studie konnte die Schulzugehörigkeit nicht kontrolliert werden.

Tab. 2 Konfirmatorische Faktorenanalysen des schulischen Wohlbefindens gesamt und getrennt nach Erhebungsort

5.4 Konfirmatorische Faktorenanalyse

Das schulische Wohlbefinden wird in den vorliegenden Analysen latent modelliert und fungiert als abhängige Variable in den Regressionsanalysen. Um die interne Konsistenz der Skala zu testen, wurde eine Konfirmatorische Faktorenanalyse durchgeführt (Backhaus et al. 2018). Zur Einordnung der Gesamtpassung zwischen den Daten und dem Modell werden Gütekriterien in Form von Anpassungskennwerten berechnet. Folgende Cut-Off-Werte wurden für die Fit-Indizes festgelegt (Hu und Bentler 1999): RMSEA < 0,06, SRMR < 0,08, CFI > 0,95. In Tab. 3 lassen sich die Werte der Gesamtstichprobe und nach Erhebungsort ablesen. Nur der RMSEA (0,1) fällt über den zulässigen Cut-Off-Wert. Bei der Bewertung der Fit-Indizes ist jedoch immer eine Betrachtung mehrerer Gütekriterien notwendig (Brown 2006), daher wird der Modellfit als annehmbar interpretiert.

Tab. 3 Multiple lineare Regression zum Zusammenhang zwischen Ressourcen und dem Umgang mit schulischem Wohlbefinden in Osnabrück (standardisierte Betas; Modell 1 und 2 n = 433, Modell 3 n = 339)

6 Ergebnisse

Bezüglich der ersten Fragestellung zeigt sich, dass das schulische Wohlbefinden in OS und MH im Frühjahr 2022 in beiden Städten über dem theoretischen Mittelwert liegt (siehe Abb. 1). Die Kinder und Jugendlichen in OS (n = 403, M = 3,18, SD = 0,66) fühlen sich in der Schule etwas wohler als in MH (n = 902, M = 3,02, SD = 0,64). Dieser Unterschied wird signifikant, jedoch handelt es sich um einen kleinen Effekt (t (1310) = 4,09, p< 0,001, d = 0,25). In einem nächsten Schritt wurden die Einflussfaktoren auf das schulische Wohlbefinden getrennt nach den Erhebungsorten untersucht.

Abb. 1
figure 1

Boxplots zum schulischen Wohlbefinden getrennt nach Erhebungsort

6.1 Osnabrück

Als Einflussfaktoren auf das schulische Wohlbefinden in OS zeigt sich unter Kontrolle aller Variablen, dass der Umgang mit den Schulschließungen der relevanteste Prädiktor für das schulische Wohlbefinden ist (β = −0,35; SE = 0,05; p < 0,001). Somit zeigen Kinder und Jugendliche, die angeben, dass es ihnen mit den Schulschließungen schlecht ging, ein höheres Wohlbefinden in der Schule. Hieran anschließend zeigt sich ein geringer aber negativer Zusammenhang zur Betreuung zuhause (β = −0,15; SE = 0,07; p < 0,05), sodass Kinder und Jugendliche, die zuhause immer eine Ansprechperson haben, sich weniger wohl in der Schule fühlen. Jedoch weisen Kinder und Jugendliche, die sich sozial von ihrer Familie unterstützt fühlen, auch in der Schule ein signifikant höheres Wohlbefinden auf (β = −0,20; SE = 0,01; p < 0,01), wobei der Zusammenhang lediglich gering ist. Außerdem ist die Anzahl an Büchern im Haushalt ein signifikanter positiver Prädiktor für das schulische Wohlbefinden in OS (β = 0,18; SE = 0,06; p < 0,001). Die schulischen Ressourcen scheinen keinen darüberhinausgehenden Einfluss zu haben, wobei die Unterstützung durch die Klassenlehrkraft die statistische Signifikanz nur knapp verfehlt (β = 0,11; SE = 0,06; p = 0,06).

Insgesamt lässt sich feststellen, dass das dritte Modell die beste Passung und eine gute Modellgüte aufweist (χ2= 130,49, df = 25, RMSEA = 0,05, CFI = 0,95, TLI = 0,93, SRMR = 0,08). Durch die Hinzunahme sozioökonomischer Faktoren steigt die Aufklärung der Varianz von 19 auf 31 %. Der Einschluss der schulischen Ressourcen kann nur einen weiteren Prozentpunkt erklären, wodurch insgesamt 32 % der Varianz aufgeklärt werden können.

6.2 Mülheim

Auch in MH (Tab. 4) zeigt das dritte Modell unter Einführung aller Prädiktoren die beste Modellpassung (χ2= 164,72, df = 61, RMSEA = 0,05, CFI = 0,95, TLI = 0,93, SRMR = 0,05). Anders als in OS bleibt hier das Alter ein signifikanter Einflussfaktor (β = −0,17; SE = 0,05; p < 0,01): Je jünger das Kind, desto höher sein schulisches Wohlbefinden. Der Zusammenhang ist jedoch gering. Außerdem zeigt die Hausaufgabenbetreuung zuhause hier einen negativen Einfluss (β = −0,17; SE = 0,04; p < 0,05). Dieser ist zwar sehr gering, wird jedoch statistisch signifikant. Kinder und Jugendliche, die sich zuhause besser bei den Hausaufgaben betreut fühlen, zeigen ein niedrigeres schulisches Wohlbefinden. Ein positiver Zusammenhang zeigt sich in MH mit der Unterstützung durch die Klassenlehrkraft (β = 0,17; SE = 0,04; p < 0,001). Als relevante und stärkste Prädiktoren in beiden Städten können der Umgang mit Schulschließungen (β = −0,34; SE = 0,03; p < 0,001) und die wahrgenommene soziale Unterstützung (β = 0,17; SE = 0,04; p < 0,001) identifiziert werden. Es können schließlich 41 % der Varianz durch die Einführung aller Prädiktoren erklärt werden.

Tab. 4 Multiple lineare Regression zum Zusammenhang zwischen Ressourcen und dem Umgang mit schulischem Wohlbefinden in Mülheim (standardisierte Betas; Modell 1 und 2 n = 907, Modell 3 n = 709)

7 Diskussion und Grenzen

Das schulische Wohlbefinden ist im Mittel in beiden Städten hoch ausgeprägt. Somit bestätigen sich die Ergebnisse in Bezug auf den Erfahrungsort Schule (Goldan et al. 2021; Jensen und Reimer 2021): Die meisten Kinder und Jugendlichen scheinen einerseits froh zu sein, wieder in die Schule gehen zu können und fühlen sich dort wohl. Andererseits gibt es einen Teil von Kindern und Jugendlichen, die gerne von zuhause unterrichtet wurden und gut mit den Schulschließungen zurechtkamen (Grommé et al. 2023; Reintjes et al. 2021a). Der moderate negative Zusammenhang könnte ein Hinweis darauf sein, dass diese Kinder und Jugendliche sich in der Schule entsprechend unwohl oder auch unsicher fühlen. Es bleibt dabei unklar, ob es sich um eine vorübergehende Unzufriedenheit mit der Schule handelt oder ob dies bereits Anzeichen einer Neigung zu Schulabsentismus ist.

Wichtig für ein positiv ausgeprägtes schulisches Wohlbefinden scheinen soziale Beziehungen zu sein, was bereits vorliegende Studienergebnisse während der Pandemie bekräftigen (u. a. Gayatri und Irawaty 2022; Wenter et al. 2022). Die subjektiv wahrgenommene Unterstützung aus dem familiären Kontext, aber auch durch die Klassenlehrkraft erscheinen hierbei bedeutend. In OS ist zwar kein statistisch signifikanter Einfluss zu verzeichnen, dies lässt sich jedoch mit dem Alter der Kinder und Jugendlichen erklären, das in MH signifikant niedriger ist als in OS. Auch der Anteil an Grundschüler:innen ist hier höher. Da in der Grundschule die Klassenlehrkraft die primäre schulische Ansprechperson ist, könnte die höhere Relevanz somit durch Altersunterschiede erklärbar sein. Hieran anschließend könnte jedoch die Schulsozialarbeit als förderliche schulische Ressource dienen. Die fehlende Evidenz eines Effektes im vorliegenden Datensatz könnte daraus erfolgen, dass Kinder und Jugendliche im Schulalltag eher selten aktiv Kontakt zu den Schulsozialarbeiter:innen suchen, da derartige Angebote und Strukturen kaum ausgebaut sind (Zankl 2017).

Leider kann keine statistische Evidenz der Unterschiede zwischen den Städten abgeleitet werden, zudem konnten in den Analysen keine Schuleffekte aufgrund des Standorts innerhalb der Städte kontrolliert werden. Wie jedoch im Rahmen der UWE-Studie (Knüttel et al. 2021) festgestellt werden konnte, scheint das subjektive Wohlbefinden weder davon abhängig, in welchem Quartier man wohnt, noch in welche Schule man geht. Diese Zusammenhänge im Kontext der Pandemie differenzierter zu untersuchen, wäre jedoch sehr vielversprechend und bedeutsam, da Schulen in herausfordernden Lagen vermehrt Schulschließungen und einen höheren Anteil an individuellen Fehltagen zu verzeichnen haben (Buchholz et al. 2021; Schräpler et al. 2021). Dies hätte in den Analysen womöglich zu einer höheren Aufklärung des schulischen Wohlbefindens führen können.

Die insgesamt geringe Varianzaufklärung lässt sich zudem durch fehlende Prädiktoren erklären, die theoretisch relevant für das schulische Wohlbefinden hätten sein können: Die soziale Integration in der Klasse (Kröske 2020) oder das Interesse an schulischen Inhalten (Ott 2020). Dahingehend wäre auch der Umgang mit dem selbstorganisierten Lernen während der Pandemie von Interesse gewesen.

8 Fazit und Implikationen

Die vorliegenden Befunde verdeutlichen einmal mehr, dass die Folgen der Pandemie nicht einseitig betrachtet werden dürfen, um einer „Hidden Pandemic“ (Müller 2022, S. 43) von psychosozialen Folgen in Form von Aufholprogrammen entgegenzutreten. Daher verkennt eine reine Fokussierung auf Lernrückstände, wie sie in den meisten Programmen priorisiert wird (Helbig et al. 2022), die emotionalen Herausforderungen, denen sich ein nicht unbedeutender Teil von Kindern und Jugendlichen stellen müssen. Materielle Ressourcen scheinen hinsichtlich des Wohlbefindens dabei eine sekundäre Rolle zu spielen, wichtiger wirkt die soziale Unterstützung. Die Pflege dieser sollte auch in der Schule eine größere Rolle spielen. So wird ersichtlich, dass sich nur wenige Kinder und Jugendliche an die Schulsozialarbeit wenden würden. Ein Ausbau und ein erhöhtes Selbstverständnis des Zugangs im Schulalltag könnte eine Priorisierung sozialer Beziehungen hervorrufen und damit dazu beitragen, Schule zu einem Wohlfühlort zu machen. Es ist weitergehend relevant, betroffene Gruppen differenzierter zu betrachten, auch nach den jeweiligen Altersgruppen (Grommé et al. 2023) und hinsichtlich der strukturell-regionalen Gegebenheiten.

Regionales und regelmäßiges Bildungsmonitoring kann dabei eine lösungsorientierte und evidenzbasierte Strategie darstellen. Hierfür ist eine konstruktive Zusammenarbeit zwischen Kommunen und Bildungsinstitutionen essentiell, um gegenwärtigen und zukünftigen Krisen resilient und proaktiv entgegenzutreten. Die Nutzung bestehender Strukturen auf allen Ebenen des Bildungssystems (Brahm und Reintjes 2022) und die nachhaltige Implementation gelungener Interventionen wie sie im Rahmen des Bildungsmarathons der Osnabrück oder anhand eines psychosozialen Krisenmanagements in Mülheim bestehen, sollten dabei Ziel für eine Bildungspolitik sein, die einen nachhaltigen Umgang mit dem Befinden von Kindern und Jugendlichen anvisiert.