Die Beiträge für Heft 3/2022 liefern ein Abbild laufender Trends und Entwicklungen im Bildungswesen: Neue Anforderungen an Schulleitungen und Ausbildungseinrichtungen durch fachfremd eingesetzte Lehrpersonen oder Noch-Studierende, die wegen Lehrermangels bereits unterrichten; Fragen der Unterstützung von Lehrpersonen beim Einstieg in die Praxis, aber auch bei der Weiterentwicklung des Unterrichts; Herausforderungen des Systems „Schule“ vor dem Hintergrund von Schulschließungen, digitalem Lernen und Flucht aus der öffentlichen Schule ins Homeschooling, oder durch Begleiterscheinungen der „asozialen“ Nutzung „sozialer“ Medien.

Das Phänomen des fachfremd erteilten Unterrichts wurde von der Schulleitungsforschung bislang eher selten behandelt. Dieser Umstand verwundert, zeigen sich doch Schulleitungen im Rahmen Neuer Steuerungskonzepte neben stark mediatisierten Fragen der Unterrichtsversorgung auch für die Gewährleistung qualitätsvollen Unterrichts sowie die Führung des pädagogischen Personals verantwortlich (Brauckmann und Eder 2019; Thillmann, Brauckmann, Herrmann und Thiel 2015). Der Beitrag von Raphaela Porsch und Fabian Gräsel („Fachfremdes Unterrichten und Schulleitungen: Einstellungen und Maßnahmen zur Unterstützung fachfremd tätiger Lehrkräfte“) greift somit auf der Basis einer mit 11 deutschen Schulleitungen an Grundschulen und weiterführenden, nichtgymnasialen Schulen durchgeführten Interviewstudie ein Forschungsdesiderat der empirischen Schulleitungsforschung auf. Ziel dieser Interviewstudie ist es, die Einstellungen von Schulleitungen sowie Maßnahmen der Personalentwicklung anhand von Interviewaussagen zu extrapolieren und überdies zu systematisieren. Die Befragungen der Schulleitungen erfolgten mithilfe eines teilstandardisierten Interviewleitfadens, der auf die Biographie der (stellvertretenden) Schulleitung, die schulischen Ausgangsbedingungen und ferner die Einstellungen und Praxis des fachfremd erteilten Unterrichts und der damit verbundenen Unterstützungsmaßnahmen fokussierte. Es zeigt sich, dass die Schulleitungen dem fachfremd erteilten Unterricht grundsätzlich kritisch gegenüberstehen, ihre anfängliche defizitorientierte Perspektive auf selbiges Phänomen im Verlauf der Interviews jedoch auch zu relativieren vermögen. Der Beitrag schließt mit weiterführenden Überlegungen zu gebotenen Anschlussarbeiten im Bereich der Schulleitungsforschung.

Falk Scheidig und Monika Holmeier vergleichen in ihrem Beitrag „Unterrichten neben dem Studium“ Studierende, die bereits während des Studiums an einer Schule unterrichten, mit Studierenden, die dies nicht tun. Die Zahl der Studierenden, die bereits während des Studiums an einer Schule arbeiten, ist in den vergangenen Jahren aufgrund des Mangels an Lehrpersonal deutlich gestiegen; vor allem im Bereich der Sekundarschulen werden viele Studierende angefragt, um Lücken im System zu füllen. Auf Basis einer schriftlichen Befragung von 929 Lehramtsstudierenden konnten interessante Ergebnisse herausgearbeitet werden: Das Ausmaß dieser Unterrichtstätigkeit variiert deutlich, ebenso wie die Art der dabei gemachten Praxiserfahrungen. Studierende, die einer Unterrichtstätigkeit nachgehen, unterscheiden sich jedoch über weite Strecken kaum von jenen Studierenden, die das nicht tun. Es überrascht, dass die Beurteilung der Berufsrelevanz des Studiums und der Bedeutung der Auseinandersetzung mit wissenschaftlichem Wissen von beiden Gruppen in gleicher Weise eingeschätzt wird. Die bereits unterrichtenden Studierenden erfahren jedoch einen geringeren Kompetenzzuwachs durch das Studium, was darauf hindeutet, dass die erlebte Praxis als großer Zugewinn für die selbst eingeschätzte Kompetenz wahrgenommen wird. Studierende, die neben dem Studium nicht unterrichten, wünschen sich hingegen mehr praxisrelevante Lehrveranstaltungen und solche, die ihnen ein differenzierteres Bild der auf sie zukommenden beruflichen Herausforderungen ermöglichen.

Annika Braun, Sabine Weiß, Susanne Langenohl, Clemens M. Schlegel und Ewald Kiel untersuchen in ihrem Beitrag über „Feedbackprozesse in Mentor/in-Mentee-Beziehungen im Praktikum“ die Art und Weise, wie Feedbackgespräche zwischen Praktikumslehrkräften und Lehramtsstudierenden ablaufen. Aus der Auswertung von 21 Gruppendiskussionen rekonstruieren sie als dominierenden Zugang eine auf Wertschätzung und Offenheit basierende und an einem konstruktivistischen Verständnis von Mentoring orientierte Beratungspraxis, die auf eine gemeinsame Gestaltung von Lernen, Unterrichten und Reflektieren ausgerichtet ist. Daraus erarbeiten die Autor:innen dann Impulse und Ideen für die Gestaltung von Beratungsgesprächen.

Margaretha Florin, Rita Stebler, Christine Pauli und Kurt Reusser untersuchen die Bedeutung der „Selbstwirksamkeit von Lehrpersonen bei der Entwicklung einer personalisierten Lehr-Lernkultur“. Die Autor*innen verstehen darunter einen individualisierenden Zugang, der „den Lernenden durch eine optimale, partizipativ erzielte Passung zwischen Lernangeboten und individuellen Nutzungsbereitschaften einen maßgeschneiderten Kompetenzaufbau ermöglichen und zu einer umfassenderen und fortan sozial gerechteren Realisierung von Bildungspotenzialen beitragen“ will. Die Auswertung von längsschnittlich erhobenen Fragebogendaten von 188 Lehrpersonen aus 42 Schweizer Primar- und Sekundarschulen, die sich für die Teilnahme an einem einschlägigen Projekt zur Förderung personalisierten Lernens entschieden hatten, zeigte die Bedeutung der Selbstwirksamkeit für die Umsetzung des Projekts, zugleich aber auch, dass überwiegend individuelle Faktoren (Enthusiasmus, Engagement für das Projekt) sowie bisherige positive Erfahrungen für die Entstehung einer hohen Selbstwirksamkeit Ausschlag gebend waren.

Covid-19 hat sich in vieler Hinsicht als Katalysator für Prozesse im Bildungswesen erwiesen, einerseits als Motor für – von manchen als längst fällig eingeschätzte – Umsetzungen von Digitalisierung, andererseits aber auch für manche als Anstoß, ihre Kinder einem als übergriffig oder chaotisch empfundenen System zu entziehen, das seine vermeintliche Entbehrlichkeit ohnehin durch Schulschließungen belegt hatte. Diese zuletzt genannte Gruppe thematisiert der Beitrag von Veronika Hofinger, Werner Reisinger und Rebecca Walter über „Homeschooling in Österreich in problematischen Kontexten“. Die Autor*innen richten den Focus auf die Tendenz, Kinder aus der Schule zu nehmen und zu Hause zu unterrichten (was in Österreich möglich und während der Covid-19 verstärkt aufgetreten ist). Während diese Tendenz früher eher mit Skepsis gegenüber einem als problematisch empfundenen Schulsystem bzw. dem Wunsch nach alternativen Lern- und Beschulungsmethoden verbunden war, diagnostizieren die Autor*innen während der Covid-19-Krise verstärkt die Nähe zu einem rechtsesoterischen Spektrum mit massiven staats- und wissenschaftsfeindlichen sowie verschwörungsideologischen Zügen und plädieren – im Interesse der Kinder – für eine stärkere staatliche Kontrolle dieses Bereichs.

Im Kontext einer Zunahme digital gestützter Lernformate lässt sich der Beitrag von Uwe Maier und Christian Klotz („Misserfolge beim digitalen Lernen verhindern: ,Predictive learning analytics‘ am Beispiel einer Web-App für Grammatik und Rechtschreibung“) einordnen. Es geht um die Frage, inwieweit sich aus der Art und Weise, wie Schüler*innen ein elektronisches Tool zum Erlernen von Grammatik bearbeiten, Vorhersagen ableiten lassen, ob sie letzten Endes lernerfolgreich sein werden oder nicht. Dazu erheben sie in einem experimentellen Design von den Schüler*innen, die mit dieser App arbeiten, fortlaufend Kennwerte für die Art der Bearbeitung (z. B. Bearbeitungszeit, Ausmaß, in dem Erläuterungen oder Rückmeldungen gelesen werden, u.Ä.) und analysieren, ob bereits zu einem frühen Zeitpunkt der Nutzung Vorhersagen eines späteren (Miss‑)Erfolgs möglich sind, sodass Lehrpersonen gegebenenfalls unterstützend eingreifen könnten. Im Gegensatz zu Erfahrungen beim Einsatz elektronischer Lern-Apps im akademischen Bereich erweisen sich die Vorhersagemöglichkeiten im schulischen Bereich jedoch als weniger verlässlich.

Zwei Beiträge beschäftigen sich mit dem Thema „Hatespeech“, jeweils aus unterschiedlichen Perspektiven. Cindy Ballaschk, Friederike Schule-Reichheit, Sebastian Wachs, Norman Krause, Alexander Wettstein, Julia Kansok-Dusche, Ludwig Bilz und Wilfried Schubarth erkunden das Verständnis von pädagogischem Schulpersonal über Hatespeech in ihrem Beitrag „Ist das (schon) Hatespeech?“. Dazu befragten sie in einer Interview Studie 18 Lehrpersonen und 16 Sozialpädagogen und Sozialpädagoginnen. Den Befragten fällt es nicht immer leicht, Hatespeech als solche wahrzunehmen, vor allem wenn subtile Formen genutzt werden. Abwertungen lassen sich schwerer erkennen, wenn sie in humoristischer Form auftauchen oder in einem spaßigen Spiel mit Stereotypen. Es konnten zwei Muster beim Erkennen von Hatespeech rekonstruiert werden, die davon abhängen, ob die Rolle der Adressierten eingenommen wird oder die Rolle der Ausübenden von Hatespeech.

In einem zweiten Beitrag der Autor:innengruppe Lissanne Seeman-Herz, Julia Kansok-Dusche, Alexandra Dix, Sebastian Wachs, Norman Krause, Cindy Ballaschk, Friederike Schulze-Reichelt und Ludwig Bilz werden „Schulbezogene Programme zum Umgang mit Hatespeech“ mithilfe von ausgewählten Kriterien untersucht: Art der Definition des Phänomens Hatespeech, wissenschaftliche Fundierung der präsentierten Präventions- und Interventionsansätze, Verknüpfung dieser beiden Ansätze, Ausmaß der Aktivierung von teilnehmenden Schülerinnen und Schülern sowie das Vorhandensein einer Evaluation des Programms. 14 deutschsprachige Programme zur Prävention von und Intervention bei Hatespeech wurden in die Analyse einbezogen. Das Ergebnis ist jedoch ernüchternd: es gibt kaum Programme, die diesen Kriterien gerecht werden.

In einem bildungstheoretisch orientierten Beitrag zu „Digitalisierung in der Schule: Vorschlag eines systematisierenden Rahmenmodells aus schulpädagogischer Perspektive“ versuchen Marcus Syring, Thorsten Bohl und Andreas Lachner die heterogenen Zugänge zum Thema Digitalisierung in einem Rahmenmodell zusammen zu fassen. Ihre Analyse fußt auf einer als „narrativer Review“ bezeichneten Zusammenschau verschiedener Ansätze und will eine Antwort auf die Frage, „welche Aspekte von Digitalisierung(sprozessen) aus einer dezidiert schulpädagogischen Perspektive in der Literatur existieren“. Digitalisierung verstehen die Autoren im Anschluss an die Literatur einerseits technologisch als Prozess, in dem digitale Medien bisherige analoge Prozesse des Unterrichtens ergänzen und erweitern, andererseits gesellschaftlich als eine Herausforderung, deren Bewältigung „Medienbildung“ erfordert. Insgesamt handelt es sich um eine verdienstvolle Synopse der unterschiedlichen Zugänge, die eine Einordnung der laufenden Entwicklungen unter einer pädagogischen Perspektive erleichtert.

Direkt im Kontext von Covid-19 steht ein think piece von Dagmar Schulze Heuling und Christoph Helm: „Schulschließungen als ethische Herausforderung“. Schulschließungen sind unbestritten mit erheblichen Nachteilen und Beeinträchtigungen für die Schüler*innen verbunden, sodass sich die Frage aufdrängt, inwieweit eine solche Maßnahme überhaupt zu rechtfertigen ist. Die Autor*innen diskutieren daher vor dem Hintergrund deontischer und konsequentialistischer Zugänge, wie Schulschließungen ethisch zu bewerten sind – mit ambivalentem Ergebnis!

Friedhelm Käpnik rezensiert das Buch „Begabungsüberzeugungen und ihr Einfluss auf kognitiv herausfordernden Unterricht“ von Silke Rogl. In den Nachrichten aus der ÖFEB werden aktuelle Entwicklungen innerhalb der Forschungsgesellschaft berichtet und abschließend, wie immer, die neuesten Buchpublikationen von ÖFEB-Mitgliedern vorgestellt.