1 Einleitung

Es häuften sich in den letzten Jahren – wohl bedingt durch den zunehmenden Mangel an Lehrer*innen – in den deutschsprachigen Ländern Berichte über studienunabhängig unterrichtende Studierende, die z. B. als Kranken- und Schwangerschaftsvertretung, aber auch als reguläre Lehrkraft angestellt werden (z. B. Standard 2017; Tagesspiegel 2011; Welt 2016). Mitunter findet eine gezielte Anwerbung statt, z. B. in Berlin seit 2018 über das Programm „Unterrichten statt Kellnern“, das Lehramtsstudierenden ermöglicht, ein Jahr im Umfang von 50 % und in der vorlesungsfreien Zeit gar in Vollzeit zu unterrichten (Berliner Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie o.J.). In der Corona-Pandemie fand eine deutliche Ausweitung statt: So wurden in Deutschland, Österreich und der Schweiz verschiedene regionale Programme eingerichtet, die eine Beschäftigung von Studierenden vorsehen (z. B. Ibrahim und Baumann 2021), und zwar zur Gewährleistung des Präsenzunterrichts, als digitale Lehrassistenz im Onlineunterricht sowie in Ferienprogrammen zur Kompensation pandemiebedingter Lernrückstände.

Wie sich eine studienunabhängige Unterrichtstätigkeit auf die Entwicklung professioneller Lehrkompetenz und das Studium auswirkt, ist bislang kaum erforscht. Erste Studien, die das Phänomen beleuchten, liegen bislang lediglich für das einphasige Lehrer*innenbildungssystem der Schweiz vor (Hascher 2007; Bäuerlein et al. 2018), in dem die studienunabhängige Unterrichtstätigkeit eine gewisse Tradition besitzt (Criblez 2017, S. 25). Die Lehrpersonalverordnung des Kantons Zürich regelt z. B. die Anstellung von Studierenden als Stellvertretung („Vikariat“) und sieht für Studierende ab dem dritten Semester einen Lohn von 90 % einer regulär ausgebildeten Lehrkraft vor (§ 31 LPVO); andere Kantone verfügen über vergleichbare Regelungen. Bei der Unterrichtstätigkeit neben dem Studium „kann von einem selbstinitiierten Prozess der beruflichen Entwicklung gesprochen werden“ (Hascher 2007, S. 163), der sich sowohl von Praktika unterscheidet als auch von Studienprogrammen mit integriertem Berufseintritt, in denen eine Anstellung als Lehrkraft curricular angelegt und gerahmt ist (in der Schweiz vor allem Quereinstiegsprogramme). Einzelne Hochschulen erkennen die studienunabhängige Unterrichtstätigkeit unter bestimmten Bedingungen als „Praktikum in eigener Klasse“ an und sehen hochschulseitige Unterrichtsbesuche mit Feedback als Minimalform der Begleitung vor.

Im vorliegenden Beitrag wird das Phänomen der studienunabhängigen Unterrichtstätigkeit aufgegriffen und auf Basis von Befragungsdaten aus der Nordwestschweiz erstens nach dem Ausmaß der studienunabhängigen Unterrichtstätigkeiten gefragt. Zweitens wird untersucht, wie Studierende mit einer studienunabhängigen Anstellung im Vergleich zu Mitstudierenden das Studium wahrnehmen und welche Bedarfe sie hinsichtlich verschiedener Facetten des Praxisbezugs im Studium artikulieren, ob sie z. B. eine instrumentellere Haltung zum Studium besitzen.

2 Theoretischer Rahmen und Forschungsstand

Im Modell der Entwicklung professioneller Lehrkompetenz (Kunter et al. 2011) offeriert das Lehramtsstudium Lerngelegenheiten, deren Nutzung Professionswissen und professionelle Kompetenzen als Voraussetzung für kompetentes berufliches Handeln nach dem Studium grundlegen soll. Mit der studienunabhängigen Unterrichtstätigkeit wird die sequentielle Trennung der akademischen Berufsvorbereitung und der praktischen Berufsausübung nicht aufgehoben, sondern beide Phasen werden zeitlich partiell parallelisiert. Da die selbstorganisierte Unterrichtstätigkeit nicht curricular-konzeptionell im Studium verankert ist und die Schulen keine formelle Ausbildungsverantwortung übernehmen, findet keine institutionell angelegte Verschränkung statt. Eine Relationierung liegt in der individuellen Verantwortung der Studierenden, die im Bild der „doppelten Professionalisierung“ gefordert sind, im Studium einen praxisdistanzierten Habitus wissenschaftlicher Reflexivität und zeitgleich in der Unterrichtstätigkeit an einer Schule unter Bewährungsdruck einen Habitus des praktischen Könnens auszubilden (Helsper 2001). Dabei unterscheidet sich Unterricht von Studierenden in Anstellung substantiell von studienintegrierten Praktika: Im Fokus stehen nicht die professionelle Entwicklung, die Berufswahlsicherheit und die Bedürfnisse der Studierenden, sondern die Sicherstellung der Unterrichtsversorgung. Die Studierenden tragen die Verantwortung für den Unterricht, es besteht kein Schutzraum und Co-Teaching dürfte aufgrund der personellen Bedarfslage, die die Anstellung veranlasst, die Ausnahme darstellen. In der Studie von Hascher (2007) berichten einige Studierende mit Schulanstellung von Problemen im Classroom Management, die auch darauf zurückgeführt werden, dass den Studierenden als befristete Stellvertretung seitens der Schüler*innen ein geringerer Status zugeschrieben wird. Zugleich erleben die Studierenden die Stellvertretung als authentische Praxiserfahrung, die im Vergleich zu Praktika durch höhere Intensität und geringeren Anpassungsdruck geprägt sei (Hascher 2007, S. 168).

In Erweiterung zu Angebots-Nutzungs-Modellen der Entwicklung professioneller Lehrkompetenz, die institutionelle Lerngelegenheiten fokussieren, lässt sich die Unterrichtstätigkeit neben dem Studium als informelle Lerngelegenheit einordnen (Depping et al. 2021; Kunter et al. 2011). Als Lerngelegenheit kann sie kognitive, motivationale und emotionale Kompetenzdimensionen in förderlicher Weise stimulieren (Hascher und Kittinger 2014), ihre Nutzung hängt jedoch sowohl von individuellen Voraussetzungen der angehenden Lehrkräfte sowie von Kontextfaktoren ab. Studien zu außerschulischen pädagogischen (Vor‑)Erfahrungen von Studierenden, z. B. im Bereich Nachhilfeunterricht, weisen positive Effekte auf die Kompetenzentwicklung aus (Rothland 2015), u. a. in Bezug auf Motivation und Selbstwirksamkeitserwartung (Depping et al. 2021). Bedeutsam ist jedoch nicht die Lerngelegenheit selbst, sondern ihre Nutzung als solche und deren Reflexion („deliberate practice“), denn Unterrichtserfahrung mündet nicht per se in unterrichtsbezogene Expertise (Hascher 2005). Zahlreiche Studien belegen, dass für die (selbsteingeschätzte) Kompetenzentwicklung von angehenden Lehrkräften nicht die Quantität, sondern die Qualität der Praxisphasen entscheidend ist (zusammenfassend: Ulrich et al. 2020), womit vor allem die Begleitung in der Praxis sowie die theoretische Rahmung und die Analyse eigener Praxiserfahrungen angesprochen sind.

Die Unterstützung der Studierenden gewinnt auch im Hinblick darauf an Relevanz, dass je nach Konfiguration der studienunabhängigen Unterrichtstätigkeit mit ihr die berufsbiografisch bedeutsame Etappe des Berufseinstiegs aufgrund des Selbstorganisierungsgrads de facto en passant realisiert wird. Es handelt sich dabei um eine vulnerable Phase, in der sich den (angehenden) Lehrkräften herausfordernde und individuell zu bearbeitende Entwicklungsaufgaben stellen, und die systematische Begleitung in dieser Phase wird als bedeutsam für den gelingenden Berufseinstieg erachtet (Keller-Schneider 2020). Es darf angenommen werden, dass Studierende mit Anstellung an einer Schule weder in der Schule als gleichberechtigte Lehrkraft in das Kollegium integriert und nur selten von erfahrenen Lehrkräften betreut werden (Bäuerlein et al. 2018; Ibrahim und Baumann 2021), noch von einem strukturell angelegten und potenziell professionalitätsförderlichen Austausch mit Personen in ähnlichen Situationen profitieren (Lu 2010). Ohne Begleitformate – etwa Mentoring, Coaching, Unterrichtsbesprechungen, Portfolios – besteht die Gefahr, dass Studierende ihre eigenen Unterrichtserfahrungen nicht strukturiert reflektieren und auf vermeintlich bewährte Handlungsmuster zurückgreifen. In den Studien von Hascher (2007) und Bäuerlein et al. (2018) wird berichtet, dass die unterrichtenden Studierenden im Rahmen der Anstellung wenig Reflexionsimpulse erhalten und keine theoretische Durchdringung der Praxiserfahrungen anzunehmen ist. Prekär im Sinne der Professionalitätsentwicklung der Studierenden sowie der Unterrichtsqualität ist zudem der Umstand, dass die studienunabhängige Unterrichtstätigkeit häufig auch fachfremd erfolgt (Bäuerlein et al. 2018; PH Zürich 2019).

Ungeachtet der Rahmenbedingungen erleben die Studierenden die studienunabhängige Unterrichtstätigkeit offenbar überwiegend positiv, sie sehen sich in ihrer Berufswahl bestärkt und sind mit ihrem Unterricht und der selbstwahrgenommenen Lehrbefähigung zufrieden (Bäuerlein et al. 2018; Hascher 2007). Dies entspricht auch den Befunden zu außerunterrichtlichen pädagogischen (Vor‑)Erfahrungen von Lehramtsstudierenden (Depping et al. 2021), wirft aber die Frage auf, inwiefern tatsächlich Professionswissen und professionelle Handlungskompetenzen erworben resp. vertieft werden oder es sich um eine „trügerische ‚Kompetenzentwicklung‘“ (Rothland 2018) handelt. Den Forschungsstand resümierend halten Ulrich et al. (2020, S. 6) hierzu fest: „Eine frühe Praxiserfahrung kann sowohl im Hinblick auf die Eignungsabklärung als auch in Hinblick auf die Kompetenzentwicklung u. a. zur Überschätzung eigener Erfahrungen, Geringschätzung von Forschungserkenntnissen, Überforderung oder der Entwicklung suboptimaler Lösungsstrategien führen“.

Wird im Studium der Schlüssel zur Grundlegung des anzubahnenden professionellen Handelns gesehen, ist mit einer parallelen studienunabhängigen Unterrichtstätigkeit die Frage nach dem Verhältnis von Studium und Anstellung im Schulfeld aufgeworfen. Jenseits der Doppelbeanspruchung und Überschneidungen in der Vorlesungszeit rückt vor allem die Nutzung hochschulischer Lerngelegenheiten in den Fokus: Mit einer studienunabhängigen Unterrichtstätigkeit verändern sich – analog zu außerschulischen pädagogischen (Vor‑)Erfahrungen (Rothland 2015) – potenziell die individuellen Voraussetzungen der Studierenden, die die Entwicklung professioneller Lehrkompetenz direkt mitbeeinflussen sowie indirekt über die Nutzung der hochschulischen Lerngelegenheiten (Hascher und Kittinger 2014; Kunter et al. 2011). Aus Studierendensicht erweitert sich mit einer Anstellung ferner der Raum praktischer Lerngelegenheiten über studienintegrierte Praxisphasen hinaus. Daneben sind auch die Konsequenzen für die Hochschullehre zu antizipieren, wenn ein Teil der Studierenden bereits studienbegleitend umfassende Erfahrung im angestrebten Berufsfeld sammelt und hieraus differente studentische Bedarfe resultieren. Unter Rekurs auf die Idee der „doppelten Professionalisierung“ (Helsper 2001) ist eine mangelnde Distanz zur Praxis zu problematisieren, wenn der Handlungsdruck aus einer studienunabhängigen Unterrichtstätigkeit Dominanz erlangt, die Suche nach „anwendbarem Wissen“ die Rezeption des Studiums präformiert (Schüssler und Keuffer 2012), eine Herabstufung von sich einer unmittelbaren Verwertbarkeitslogik entziehenden Studieninhalten eintritt oder auch wenn Studierende individuelle Praxiserfahrungen fallübergreifenden Theorieangeboten gegenüberstellen (Patry 2014). Da die Nutzung von hochschulischen Lerngelegenheiten – als den institutionellen Angeboten zur Entwicklung professioneller Lehrkompetenz – auch von der Erwartungshaltung und Nutzenbeurteilung der Studierenden abhängt (Hascher und Kittinger 2014), ist zu klären, ob mit einer studienunabhängigen Unterrichtstätigkeit Verschiebungen in der Beurteilung hochschulischer Lerngelegenheiten einhergehen. Verschiedenfach wurde darauf aufmerksam gemacht, dass das von Studierenden vorgebrachte Verlangen nach mehr Praxisbezügen diffus und wenig über die konkreten praxisbezogenen Erwartungen der Studierenden bekannt ist (Jennek et al. 2019; Oelkers 2000; Wenzl et al. 2018). Praxisbezug im Studium lässt sich als mehrdimensionales Konstrukt auffassen (Scheidig 2017), das sowohl mit Lerngelegenheiten an der Hochschule als auch in studienintegrierten Praxisphasen sowie mit verschiedenen Funktionszuschreibungen (u. a. Erwerb von Professionswissen, Überprüfen der Berufswahl, Erproben unterrichtlichen Handelns) assoziiert ist.

Ausgehend von vorliegenden Forschungsbefunden zu Veränderungen in studentischen Theorie-Praxis-Orientierungen im Zuge studienintegrierter Praxisphasen (z. B. Fischer et al. 2018; Schüssler und Keuffer 2012) gilt das nachfolgende Erkenntnisinteresse der Forschungsfrage, ob die Übernahme einer Unterrichtstätigkeit neben dem Studium – nicht zuletzt aufgrund des damit verbundenen hohen Eigenverantwortungsgrads für den zu gestaltenden Unterricht – eine eher handlungsorientierte Perspektive auf Schule befördert, die in einer instrumentellen Erwartungshaltung gegenüber dem Studium Ausdruck findet. Besitzen Studierende, die bereits regelmäßig unterrichten, eine andere Erwartungshaltung hinsichtlich der Praxisbezüge im Studium als ihre Mitstudierenden ohne studienunabhängige Unterrichtstätigkeit und werden wissenschaftliche Zugänge zu Schule und Lehrer*innenberuf demgegenüber als weniger berufsrelevant eingestuft?

3 Methode

Die Beantwortung der Forschungsfrage erfolgt auf Basis einer Sekundäranalyse der Daten einer Studierendenbefragung in den Nordwestschweizer Kantonen Basel-Stadt, Basel-Landschaft, Aargau und Solothurn.

3.1 Stichprobe

Die Studierendenbefragung richtete sich an alle Studierenden der Pädagogischen Hochschule FHNW, die mindestens ein Semester absolviert hatten. Aus den Studiengängen Kindergarten‑/UnterstufeFootnote 1, Primarstufe und Sekundarstufe I wurden unter Ausklammerung der Erstsemesterstudierenden insgesamt 2735 Lehramtsstudierende zur Befragungsteilnahme aufgefordert, der Rücklauf betrug 34 % (N = 929). Die Befragung fand im Februar 2020 statt, noch bevor die Corona-Pandemie die deutschsprachige Schweiz erreichte. Dies ist hier insofern von Relevanz, als im späteren Verlauf der Corona-Pandemie Lehramtsstudierende vermehrt aufgefordert wurden, zur Sicherstellung der Unterrichtsversorgung eine Anstellung im Schulfeld zu übernehmen (für die Schweiz vgl. Tages-Anzeiger 2021; für Deutschland siehe z. B. Bayerisches Staatsministerium für Unterricht und Kultus 2020; Ministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur Schleswig-Holstein 2020; Niedersächsisches Kultusministerium 2020; Universität Potsdam 2021).

Von den 929 Befragten entfallen 282 auf den Studiengang Kindergarten‑/Unterstufe, 453 auf den Studiengang Primarstufe und 194 auf den Studiengang Sekundarstufe I. Tab. 1 enthält Angaben zur alters- und geschlechterbezogenen Zusammensetzung der Befragten.

Tab. 1 Stichprobenbeschreibung – Geschlecht und Alter der Studierenden je Studiengang/Zielstufe

3.2 Erhebungsinstrumente

Um dem hier zugrundeliegenden Erkenntnisinteresse nachzugehen, wurden für die Sekundäranalyse des vorliegenden Datensatzes erstens Items aus der Studierendenbefragung einbezogen, mit denen auf Individualebene auf das Vorliegen und mithin auf Gruppenebene auf das Ausmaß einer Unterrichtstätigkeit neben dem Studium geschlossen wurde:

  • Durchschnittliche wöchentliche Erwerbstätigkeit während des Semesters (Antwortformat: 1 h, 2 h, 3 h, … 42 h)

  • Direkter Bezug der Erwerbstätigkeit zum Studiengang (fünfstufig: 1 = trifft überhaupt nicht zu, 5 = trifft voll und ganz zu)

Zweitens wurden Items zur Einschätzung des Studiums aufgenommen:

  • Wie bewerten Sie den von Ihnen gewählten Studiengang hinsichtlich des Erwerbs berufsrelevanter Qualifikationen? (fünfstufig: 1 = sehr schlecht, 5 = sehr gut)

  • Ich erfahre durch das Studium einen Kompetenzzuwachs. (fünfstufig: 1 = trifft überhaupt nicht zu, 5 = trifft voll und ganz zu)

  • Wie wichtig ist Ihnen, sich im Studium mit wissenschaftlichem Wissen auseinanderzusetzen? (fünfstufig: 1 = sehr unwichtig, 5 = sehr wichtig)

Drittens wurden Items einbezogen, mit denen das Verlangen nach verschiedenen Formen des Praxisbezugs erhoben wurde (Welche der folgenden Aspekte gibt es in Ihrem Studiengang zu selten bzw. zu häufig?, Antwortformat jeweils fünfstufig: 1 = zu selten, 5 = zu häufig):

  • Lehrveranstaltungen, in denen praxisrelevante Inhalte behandelt werden

  • Lehrveranstaltungen, in denen auf praktische Erfahrungen der Studierenden eingegangen wird

  • Lehrveranstaltungen, in denen Handlungssicherheit erworben werden kann

  • Lehrveranstaltungen, in denen die vermittelten Theorien auf konkrete Probleme angewendet werden

  • Lehrveranstaltungen, in denen eine differenzierte Vorstellung von den Herausforderungen des angestrebten Berufsfeldes vermittelt wird

  • Praxisphasen im Studium

Die in der ursprünglichen Befragung eingesetzten Einzelitems stellen Eigenentwicklungen dar.

3.3 Analyse

Zur Beantwortung der leitenden Forschungsfrage wurden die Studierenden in zwei Gruppen eingeteilt: einerseits Studierende mit einer Erwerbtätigkeit mit direktem Bezug zum Studium (Item Direkter Bezug der Erwerbstätigkeit zum Studiengang – Skalenwert = 5), die als Unterrichtstätigkeit identifiziert wird (303 Studierende),Footnote 2 sowie andererseits alle anderen Studierenden, die entweder keiner Erwerbstätigkeit nachgehen oder deren Erwerbstätigkeit keinen oder nur eingeschränkten Bezug zum Studium besitzt (598 Studierende). Um zu analysieren, ob das Zeitvolumen einer Unterrichtstätigkeit neben dem Studium Einfluss auf die Wahrnehmung des Studiums hat, wurde die Gruppe der Studierenden mit einer studienunabhängigen Unterrichtstätigkeit entlang des durchschnittlichen wöchentlichen Zeitvolumens der Erwerbstätigkeit in drei Gruppen eingeteilt: Stellenumfang bis ca. 20 % (1 bis 9 h), über 20 bis ca. 40 % (10 bis 17 h) oder über 40 % (18 h und mehr).

Mittelwertsunterschiede zwischen den Gruppen wurden bei den fünf- und sechsstufigen Items mittels t‑Tests für unabhängige Stichproben bzw. mit einfaktoriellen Varianzanalysen auf Signifikanz geprüft, Häufigkeitsunterschiede bei kategorialen Items mittels Chi-Quadrat-Test nach Pearson. Effektstärken wurden nach Cohen (1988) berechnet, die ab d = 0,20 auf einen kleinen, ab d = 0,50 auf einen mittleren und ab d = 0,80 auf einen großen Effekt hinweisen. Um Zusammenhänge zwischen einzelnen Skalen und Items zu untersuchen, wurden Korrelationsanalysen durchgeführt.

4 Ergebnisse

Ungefähr ein Drittel aller Studierenden der drei betrachteten Studiengänge geht einer Unterrichtstätigkeit neben dem Studium nach, der Anteil unter den Studierenden der Sekundarstufe I ist mit ca. 48 % deutlich höher als in den Studiengängen Kindergarten‑/Unterstufe mit ca. 27 % und Primarstufe mit ca. 31 % (Tab. 2). Mit Blick auf sonstige Erwerbstätigkeiten zeigt sich, dass eine Unterrichtstätigkeit neben dem Studium zwar verbreitet ist, aber nur im Studiengang Sekundarstufe I die dominierende Erwerbsform darstellt (Tab. 2).

Tab. 2 Anteil der Studierenden mit studienunabhängiger Unterrichtstätigkeit, sonstiger Erwerbstätigkeit und ohne Erwerbstätigkeit je Studiengang/Zielstufe

Das durchschnittliche wöchentliche Zeitvolumen der Unterrichtstätigkeit neben dem Studium variiert je nach Studiengang zwischen ca. 13 h (Kindergarten‑/Unterstufe) und ca. 18 h (Sekundarstufe I), nimmt also mit ungefähr zwei Arbeitstagen einen beträchtlichen Anteil im wöchentlichen studentischen Zeithaushalt ein, wenngleich die hohe Streuung des Zeiteinsatzes Beachtung verdient (Tab. 3). Im Vergleich mit den Studierenden, die einer Erwerbstätigkeit ohne direkten Studienbezug nachgehen, beansprucht die studienunabhängige Unterrichtstätigkeit deutlich mehr Zeit; der Arbeitszeitunterschied zwischen unterrichtenden Studierenden und Studierenden mit einer sonstigen Erwerbstätigkeit ohne Studienbezug ist in allen Studiengängen signifikant und besitzt je nach Studiengang eine kleine bis mittlere Effektstärke (Tab. 3).

Tab. 3 Durchschnittliches Zeitvolumen der studienunabhängigen Unterrichtstätigkeit und sonstiger Erwerbstätigkeit ohne Studienbezug in Stunden pro Woche

Unter den Studierenden mit einer studienunabhängigen Unterrichtstätigkeit gehen 33,33 % der Studierenden dieser Tätigkeit im Umfang von maximal neun Stunden pro Woche nach (Stellenvolumen bis ca. 20 %), 31,68 % der Studierenden zehn bis 17 h (Stellenvolumen von über 20 bis ca. 40 %) und 34,98 % der Studierenden 18 und mehr Stunden (Stellenvolumen über 40 %). Der Anteil an Studierenden mit einer studienunabhängigen Unterrichtstätigkeit ist im letzten Studienjahr deutlich höher: Er beträgt 46,22 % und ist mithin fast doppelt so hoch wie in den Studienjahren zuvor (24,48 %). Der Unterschied ist signifikant (Chi-Quadrat: 43,48, p < 0,001). Das durchschnittliche Stundenvolumen der Unterrichtstätigkeit neben dem Studium ist bei Studierenden im letzten Studienjahr (M = 16,16 h) um ca. zwei Stunden pro Woche höher als bei Studierenden in anderen Studienphasen (M = 14,09 h), der Unterschied ist aber statistisch nicht signifikant.

Studierende mit einer studienunabhängigen Unterrichtstätigkeit schätzen das Studium nicht als weniger berufsrelevant ein (Tab. 4). Demgegenüber konstatieren sie im Vergleich zu anderen Studierenden einen geringeren Kompetenzzuwachs durch das Studium (M = 3,59 vs. M = 3,82, p < 0,001, d = 0,22), der Effekt ist jedoch klein. Dem Wissenschaftsbezug im Studium wird durch Studierende mit selbstorganisierter Unterrichtstätigkeit keine geringere Bedeutung zugeschrieben. Bei Studierenden mit einer Unterrichtstätigkeit mit einem Zeitvolumen von zehn bis 17 h (M = 3,06, p < 0,05, d = 0,36) sowie jenen mit 18 h und mehr pro Woche (M = 3,11, p < 0,05, d = 0,41) ist die wissenschaftsbezogene Relevanzbeimessung sogar signifikant höher als bei Studierenden mit einem Zeitvolumen bis neun Stunden (M = 2,79). Die Korrelation von Zeitvolumen der Unterrichtstätigkeit und Wertschätzung wissenschaftlichen Wissens ist jedoch klein (r = 0,17, p < 0,01), die wissenschaftsbezogene Relevanzbeimessung ist unter allen Befragten eher schwach und liegt nahe am Skalenmittelpunkt (Tab. 4).

Tab. 4 Einschätzung des Studiums und Verlangen nach Praxisbezügen von Studierenden mit und ohne Unterrichtstätigkeit

Unter Studierenden mit einer studienunabhängigen Unterrichtstätigkeit ist der Wunsch nach Lehrveranstaltungen, in denen auf praktische Erfahrungen der Studierenden eingegangen wird, in denen Handlungssicherheit erworben werden kann oder in denen die vermittelten Theorien auf konkrete Probleme angewendet werden, nicht stärker ausgeprägt als unter ihren Mitstudierenden (Tab. 4). Sie wünschen sich jedoch im Vergleich zu anderen Studierenden in geringfügig stärkerem Maße Lehrveranstaltungen, in denen praxisrelevante Inhalte vermittelt werden, der Unterschied ist jedoch gering und der Effekt unbedeutend (M = 1,73 vs. M = 1,84, p < 0,05, d = 0,15). Dies steht jeweils in keinem signifikanten Zusammenhang mit dem Zeitvolumen der Unterrichtstätigkeit.

Der Wunsch nach Lehrveranstaltungen, in denen eine differenzierte Vorstellung von den Herausforderungen des angestrebten Berufsfeldes vermittelt wird, ist unter Studierenden mit einer studienunabhängigen Unterrichtstätigkeit im Vergleich zu ihren Mitstudierenden stärker ausgeprägt (M = 1,99 vs. M = 2,18, p < 0,01, d = 0,23), der Effekt ist jedoch klein. Dabei besteht ein Zusammenhang mit dem Zeitvolumen der Unterrichtstätigkeit: Studierende mit einer Unterrichtstätigkeit mit einem Zeitvolumen von 18 h und mehr pro Woche (M = 1,82) besitzen einen stärker ausgeprägten Wunsch nach Lehrveranstaltungen, in denen eine differenzierte Vorstellung von den Herausforderungen des angestrebten Berufsfeldes vermittelt wird, als Studierende mit einem Zeitvolumen von maximal neun Stunden pro Woche (M = 2,10, p < 0,05, d = 0,33), der Effekt ist jedoch ebenfalls klein. Der Wunsch nach mehr studienintegrierten Praxisphasen ist unter Studierenden mit einer studienunabhängigen Unterrichtstätigkeit nicht signifikant geringer ausgeprägt, auch nicht unter Differenzierung des Zeitvolumens der Unterrichtstätigkeit.

5 Diskussion

5.1 Zusammenfassung und Interpretation

Der Anteil der Studierenden mit einer Erwerbstätigkeit mit direktem Studienbezug – die hier mit einer Unterrichtstätigkeit neben dem Studium gleichgesetzt wird – ist hoch, vor allem unter Studierenden für das Lehramt der Sekundarstufe I sowie generell im letzten Studienjahr, wobei sich der im Studiengang Sekundarstufe I deutlich höhere Anteil womöglich mit der längeren Regelstudienzeit gegenüber den anderen beiden Studiengängen erklärt (sechs vs. neun Semester). Das Zeitvolumen der Unterrichtstätigkeit variiert deutlich, es beträgt durchschnittlich fast zwei Tage pro Woche. Es handelt sich folglich in vielen Fällen nicht um eine gelegentliche Vertretung. Dass die studienunabhängige Unterrichtstätigkeit deutlich mehr Zeit als Erwerbstätigkeiten ohne direkten Studienbezug beansprucht, könnte mehrere Ursachen haben, z. B., dass das Unterrichten neben dem Studium als sinnstiftend(er) oder studienrelevant(er) im Vergleich zu anderen Nebenjobs betrachtet wird oder dass das Unterrichten aus schulstrukturellen Gründen nur in gewissem Mindestumfang erfolgen kann. Bezieht man die Befunde von Bäuerlein et al. (2018) ein, die berichten, dass sich 26 % der unterrichtenden Studierenden ein höheres Unterrichtspensum wünschen und zudem 42 % der Studierenden ohne Anstellung im Schulfeld eine Unterrichtstätigkeit neben dem Studium anstreben, handelt es sich um ein relevantes Phänomen sowohl für die Schulen, Bildungspolitik und Bildungsadministration als auch für die hochschulische Lehrer*innenbildung.

Die Ergebnisse legen nahe, dass die Wahrnehmung des Studiums nicht damit im Zusammenhang steht, ob und in welchem Umfang die Studierenden neben dem Studium unterrichten, da sie sich in der Beurteilung der Berufsrelevanz des Studiums und der dem Wissenschaftsbezug beigemessenen Relevanz nicht signifikant von anderen Studierenden unterscheiden. Die Werte lassen die Interpretation zu, dass der Bewährungsdruck in der Praxis zumindest während des Studiums nicht zu einer größeren Wissenschaftsdistanz führt (siehe auch Ulrich et al. 2020). Dass unterrichtende Studierende hingegen in geringerem Maße einen Kompetenzzuwachs durch das Studium konstatieren (allerdings mit sehr kleinem Effekt), könnte entweder als Hinweis darauf gedeutet werden, dass diese Studierenden in der eigenverantwortlichen Unterrichtsgestaltung einen „Praxisschock“ erleiden, der eine negative Wirkung auf die subjektive Kompetenzbilanzierung bedingt. Der Befund könnte auch in eine konträre Richtung weisen: Studierende nutzen – oder überschätzen (Hascher 2005; Ulrich et al. 2020) – die informellen Lerngelegenheiten der studienunabhängigen Unterrichtstätigkeit und führen ihren Kompetenzzuwachs weniger auf die Lerngelegenheiten im Studium denn auf eine subjektiv empfundene „Selbstprofessionalisierung“ (Bäuerlein et al. 2018) zurück, die sich – wie Studien zu Praxissemestern nahelegen – objektiv betrachtet als „Selbstillusionierung der Lehramtsstudierenden in Bezug auf die eigenen Fähigkeiten“ (Rothland 2018, S. 491) erweisen könnte. Problematisch ist dies u. a. deshalb, weil damit die Sensibilität für persönliche Entwicklungsaufgaben beim Berufseinstieg und deren Bearbeitung (Keller-Schneider 2020) ebenso sinken könnte wie die Bereitschaft, hochschulische oder schulische Unterstützungsangebote zu suchen bzw. anzunehmen.

Dass sich Studierende mit einer selbstorganisierten Unterrichtstätigkeit in der Beurteilung des Praxisbezugs im Studium von ihren Mitstudierenden unterscheiden und andere Bedarfe artikulieren, bestätigt sich nicht oder nur bedingt. Sie erleben die Lehrveranstaltungen nicht als praxisferner und es finden sich – auch unter Beachtung des deutlich variierenden Zeitvolumens der Unterrichtstätigkeit neben dem Studium – keine substantiellen Hinweise darauf, dass Studierende mit einer Anstellung im Schulfeld eine instrumentellere Erwartungshaltung gegenüber dem Lehrangebot besitzen (Handlungssicherheit erwerben, Theorie auf konkrete Praxisprobleme anwenden, praktische Erfahrungen aufgreifen), lediglich der Wunsch nach praxisrelevanten Inhalten ist in geringem Maße stärker ausgeprägt im Vergleich zu anderen Studierenden. Diese Befunde können aber auch so interpretiert werden, dass die Studierenden das hochschulische Lehrangebot nicht als eine Ressource für die Reflexion und Verarbeitung der eigenen Erfahrungen in der Anstellung im Schulfeld verstehen. Inwiefern sie entsprechenden Bedarfen in spezifischen Mentoring- und Reflexionsformaten im Studienbereich der berufspraktischen Studien Geltung verschaffen, lässt sich auf Basis der vorliegenden Daten nicht beantworten.

Dass der Praxiswunsch unter Studierenden mit einer studienunabhängigen Unterrichtstätigkeit nicht gemindert und das Bedürfnis nach Lehrveranstaltungen, in denen eine differenzierte Vorstellung von den Herausforderungen des angestrebten Berufsfeldes vermittelt wird, sogar ausgeprägter als bei ihren Mitstudierenden ist, mutet kontraintuitiv an, da angenommen wurde, dass eine Unterrichtstätigkeit neben dem Studium durch umfangreiche Praxiserfahrung eine differenzierte Vorstellung vom Lehrer*innenberuf vermittelt und das Studium entsprechend hiervon suspendiert wird. Möglicherweise artikulieren unterrichtende Studierende hier stellvertretend ein generelles Anliegen, als sie weniger einem aktuellen persönlichen Bedürfnis Ausdruck verleihen, sondern vor dem Hintergrund eigener Erfahrungen ein Defizit konstatieren, z. B. dass das Studium vor der Übernahme nicht in ausreichendem Maße eine differenzierte Vorstellung vermittelt habe oder eine Diskrepanz besteht zwischen dem im Studium vermittelten Bild vom Lehrer*innenberuf einerseits und dem eigenen Erleben als angestellte Lehrkraft an einer Schule andererseits.

Das Anliegen einer Expansion von hochschulischen Praxisphasen unter den Studierenden mit einer Anstellung leitet sich womöglich auch aus dem persönlichen Eindruck ab, dass Praktika – aufgrund ihres unmittelbaren berufsvorbereitenden Charakters oder der systematischen fachlichen Begleitung durch Reflexionsangebote und Mentoring – als qualitativ hochwertigere Lerngelegenheit empfunden werden im Vergleich zu Lehrveranstaltungen. Mit Blick auf das Verhältnis der studienunabhängigen Unterrichtstätigkeit zu studienintegrierten Praxisphasen könnte eine weitere Erklärung darin liegen, dass mit einer Ausdehnung von Praxisphasen die Hoffnung auf eine Anrechnung von mehr Workload für die selbstorganisierte Unterrichtstätigkeit als „Praktikum in eigener Klasse“ verbunden wird.

Dass die Wahrnehmungen und Bedarfsartikulationen bezüglich des Praxisbezugs im Studium zwischen Studierenden mit und ohne eine Anstellung an einer Schule nur gering differieren, könnte sich auch damit erklären lassen, dass angehende Lehrkräfte im einphasigen Lehrer*innenbildungssystem der Schweiz bereits im Rahmen des Studiums umfassende Unterrichtserfahrung sammeln: Das EDK-Reglement zur Diplomanerkennung sieht für Studiengänge der Primarstufe einen Anteil der berufspraktischen Studien von 20 bis 30 % vor (36 bis 54 von insgesamt 180 ECTS-Punkten) und für Studiengänge der Sekundarstufe I von mindestens 16 % (mindestens 48 von 270 bis 300 ECTS-Punkten). Da das Studium bereits zahlreiche praxiseingebettete Lerngelegenheiten und auch eine selbstverantwortliche Unterrichtsübernahme curricular vorsieht, evoziert dies die Frage, ob damit nicht bereits für alle Studierenden die Schwelle für Verschiebungen in den Praxisorientierungen überschritten wird und hierdurch ein möglicher Kontrast zwischen Studierenden mit und ohne Anstellung an Kontur verliert, weil auch in Langzeitpraktika ein Bewährungsdruck im Unterrichtshandeln besteht, der beispielsweise Forderungen nach praxisrelevanten Inhalten und Handlungssicherheit vermittelnden Lehrveranstaltungen hervorbringen könnte. Zu untersuchen wäre, ob der Unterschied in Lehramtsstudiengängen mit geringerem Praxisanteil markanter ausfällt. Unabhängig davon, ob erhöhte Praxisanteile im Studium ursächlich für die geringen Unterschiede in den Praxisorientierungen sind oder sich die Unterrichtstätigkeit neben dem Studium nur eingeschränkt auswirkt, ist es für die Nutzung der Lerngelegenheiten im Rahmen des Studiums zuträglich, dass Studierende mit studienunabhängiger Unterrichtstätigkeit das Studium nicht als praxisferner erleben, da andernfalls das Studium als formelles Angebot zur Entwicklung professioneller Lehrkompetenz delegitimiert werden könnte.

5.2 Implikationen für die Lehrer*innenbildung

Die studienunabhängige Unterrichtstätigkeit von Studierenden wirft die Frage auf, wie Hochschulen diesem Phänomen begegnen sollten, vor allem bei erhöhter Verbreitung. In der Verantwortung für die akademische Berufsvorbereitung angehender Lehrkräfte sollten lehrer*innenbildende Hochschulen (allenfalls auch im Verbund) mit Vertreter*innen des Schulfelds und der Bildungsadministration auf Rahmenbedingungen für die Anstellung von Studierenden hinwirken, die sowohl im Interesse der individuellen Professionalitätsentwicklung als auch der schulischen Unterrichtsqualität ausgestaltet sind. Dies könnte z. B. umfassen, dass eine Unterrichtstätigkeit erst im letzten Studiendrittel übernommen werden darf, Schulleitungen eine Einführung und Begleitung gewährleisten, das Pensum auf ein studienkompatibles Maß gedeckelt wird, kein fach- und stufenfremder Unterricht durch Studierende stattfindet und sie zudem von außerunterrichtlichen Aufgaben an der Schule entlastet werden.

Rekurrierend auf die Diskussion zu Risiken einer unreflektierten Praxis (Hascher 2005) und zur Gefahr studentischer Selbstüberschätzung (Rothland 2018) scheint es geboten, studienunabhängigen Unterricht durch angehende Lehrkräfte weder zu ignorieren noch als konkurrierende informelle Lerngelegenheit zu disqualifizieren, da er für die betreffenden Studierenden einflussreicher Referenzpunkt sein dürfte (Bäuerlein et al. 2018). Zu fragen ist daher, wie eine Adressierung der studienunabhängigen Unterrichtstätigkeit im Rahmen des Studiums aussehen könnte, die zwar über die bloße Anrechnung als Praktikumsersatz hinausreicht, aber nicht den hochschulischen Anspruch der wissenschaftsgestützten Professionalitätsentwicklung unterminiert und zudem berücksichtigt, dass nur ein Teil der Studierenden neben dem Studium unterrichtet, dies aber wiederum wohl in sehr heterogenen Kontexten. Dies lässt sich einerseits als hochschuldidaktische Anforderung an Dozierende zur Binnendifferenzierung in Lehrveranstaltungen fassen, andererseits aber auch als Anregung, existierende individuelle Studienformate wie praktikumsbegleitende Mentorate und Beratungsangebote im Rahmen der curricularen (und finanziellen) Möglichkeiten für die Gruppe der Studierenden mit einer Anstellung zu adaptieren bzw. zu modifizieren.

Die Unterrichtserfahrungen der Studierenden sollten anerkannt werden als legitime Praxisreferenz im Sinne eines personengebundenen und nicht generalisierbaren Fensters in eine reale Schulwirklichkeit. Eine Erweiterung der formellen Lerngelegenheiten im Studium um die potenziell lernwirksamen praxisimmanenten Lerngelegenheiten könnte dadurch angebahnt werden, dass die Unterrichtstätigkeit z. B. mit Aufgaben, Portfolios oder Lerntagebüchern hochschulseitig als Lernraum strukturiert, mit Reflexionsimpulsen stimuliert oder aktiv z. B. im Wege der Unterrichtsvideografie (Scheidig 2020) referenziert wird. Im Interesse der Nutzung hochschulischer Lerngelegenheiten sollte das Lehrangebot als Ressource für Professionswissen und professionelle Reflexion, mithin als Deutungsrahmen für praktische Erfahrungen, positioniert werden. Dabei sind die differenten Logiken von Wissenschaft und Praxis, die disparaten Modi der „doppelten Professionalisierung“ (Helsper 2001) sowie die Möglichkeit eines Diskrepanzerlebens zwischen wissenschaftlich fundierten Studieninhalten und persönlicher Praxiserfahrung gegenüber Studierenden zu erklären (Patry 2014).

Dem Aufbau von Unterstützungsstrukturen für die anforderungsreiche Phase des mutmaßlich unbegleiteten Berufseintritts im Rahmen einer studienunabhängigen Unterrichtstätigkeit wohnt allerdings auch die deutliche Tolerierungstendenz gegenüber einer strukturell problemhaltigen Situation inne: Zur Kompensation von Lehrer*innenausfall und -mangel werden angehende Lehrkräfte im regulären Schuldienst eingesetzt, die das für den Berufseintritt erforderliche Studium noch nicht abgeschlossen haben. Das Hinwirken auf förderliche Rahmenbedingungen bedeutet mindestens implizit ein Formalisieren einer im Lehrer*innenbildungssystem gegenwärtig nicht regulär vorgesehenen Ausbildungsform. Dies könnte zu einer Normalisierung – oder Expansion – dieses „Graubereichs“ führen und damit der Diskussion um duale Studienmodelle (z. B. Brodkorb et al. 2019) neuen Nährboden geben.

5.3 Limitationen

Die vorliegende Auswertung basiert auf Selbstauskünften von 929 angehenden Lehrkräften einer vierkantonalen Pädagogische Hochschule. Inwiefern die Befunde Repräsentativität beanspruchen können, kann mangels Daten zur Gesamtpopulation nicht beurteilt werden. Um den Einfluss lokaler Gegebenheiten und der hochschulspezifischen Studienkonzeption und -qualität auf die Rückmeldungen der Studierenden zu eliminieren, bedürfte es ferner vergleichbarer Daten anderer Hochschulen. Die Sekundäranalyse geht zudem mit der Einschränkung einher, dass in der zugrundeliegenden Studierendenbefragung anstatt etablierter Skalen selbstentwickelte Einzelitems eingesetzt wurden, deren Güte nicht bewertet werden kann (zur Diskussion um Einzelitemanalysen vgl. Allen et al. 2022). Ferner sind die zweipoligen Items zu Facetten des Praxisbezugs problembehaftet, da das Optimum in der Skalenmitte liegt und die Items eine wenig trennende Abstufung aufweisen, sodass nicht ausgeschlossen ist, dass Gruppenunterschiede nicht differenziert genug erfasst wurden.

Für belastbare Aussagen sind weitere Forschungszugänge zu beschreiten, etwa Längsschnittanalysen sowie qualitative Erhebungen. Ferner wäre es lohnend zu erforschen, wie sich die Unterrichtstätigkeit neben dem Studium auf die Entwicklung professioneller Lehrkompetenz auswirkt und in welchem Zusammenhang sie mit der Nutzung von Lerngelegenheiten im Studium steht (Hascher und Kittinger 2014; Kunter et al. 2011). Erkenntnisinteressen zur Kompetenzentwicklung im studienunabhängigen Unterricht wären kompetenzbereichsspezifisch zu konkretisieren, z. B. ob während der Corona-Pandemie der studentische Hybrid- und Fernunterricht die Entwicklung digitaler Lehrkompetenzen positiv beeinflusst hat. Relevant wäre zudem, die Perspektive der Hochschuldozierenden und die Interaktion in Lehrveranstaltungen einzubeziehen, um zu analysieren, wann und wie die studienunabhängige Unterrichtstätigkeit in Lehrveranstaltungen Geltung erlangt. Schließlich wären die Unterrichtsqualität der Studierenden zu erforschen sowie die Formen (oder das Ausbleiben) der Unterstützung der Studierenden an den Schulen, die Perspektiven von Schulleitung, Kollegium, Schüler*innen und Eltern – um den verschiedenen Implikationen einer studienunabhängigen Unterrichtstätigkeit multiperspektivisch Rechnung zu tragen.