Nachdem in Kap. 3 die soziodemografischen Ergebnisse der Studierendenbefragung deskriptiv aufgearbeitet wurden, folgt in Kap. 4 die Darstellung ausgewählter Ergebnisse zu Persönlichkeitsmerkmalen und Studienwahlmotiven der Studierenden.
Persönlichkeitsmerkmale
Die Persönlichkeitsmerkmale werden mittels Big-Five-Item-Skala BFI10 erhoben. Das Fünf-Faktoren-Modell der Persönlichkeit „ist zurzeit das am weitesten verbreitete Modell zur Beschreibung der Gesamtpersönlichkeit“ (Rammstedt et al. 2014, S. 3). Das Modell enthält folgende fünf Faktoren, die die grundsätzliche Struktur einer Persönlichkeit ausmachen: Extraversion, Verträglichkeit, Gewissenhaftigkeit, Neurotizismus und Offenheit.
Die Erhebung der zur Skala gehörenden Items erfolgt mit einer Skala von 0 ‚überhaupt nicht einverstanden‘ bis 10 ‚vollkommen einverstanden‘ (Abb. 3).
Bei Studierenden der Sozialen Arbeit an der BFH sind die Merkmale Extraversion und Gewissenhaftigkeit am deutlichsten ausgeprägt, was nicht gänzlich erstaunt, da für Fachkräfte der Sozialen Arbeit der Austausch und das Handeln in sozialen Gruppen sowie ein selbstkontrolliertes Arbeiten wichtig sind. Die Persönlichkeitsmerkmale der befragten Studierenden korrelieren nicht bezüglich Alter, Bildungsabschluss, Bildung- und Herkunft der Eltern. Der Schluss, dass Studierende der Sozialen Arbeit trotz unterschiedlicher soziodemografischer Voraussetzungen eine gewisse Ähnlichkeit in ihrer Persönlichkeitsstruktur aufweisen, scheint naheliegend. Generelle Aussagen über Persönlichkeitsmerkmale in Zusammenhang mit bestimmen Studienfächern sind allerdings schwierig; auch weil das Studium in Sozialer Arbeit je nach Kontext unter anderen Studiengängen subsumiert wird und damit als Vergleichsgröße fehlt (vgl. auch Vedel 2016).
Erkennbare Unterschiede zeigen sich hingegen zwischen Frauen und Männern. Die emotionale Labilität ist bei Frauen leicht stärker ausgeprägt, weshalb das Merkmal Neurotizismus mit 3,56 gegenüber 3,05 den Männern eine höhere Zustimmung aufweist. Auch hinsichtlich des Merkmals Gewissenhaftigkeit gibt es Geschlechterunterschiede. Dieses ist bei Frauen ebenfalls stärker ausgeprägt mit 7,58 zu 6,88. Gewisse geschlechtstypische Unterschiede in Bezug auf die Ausprägungen der Big-Five-Merkmale sind auch aus anderen Studien bekannt (Rammstedt et al. 2014).
Das ebenfalls relativ stark ausgeprägte Merkmal Verträglichkeit, solche Menschen zeichnen sich durch Altruismus und Hilfsbereitschaft aus, korreliert mit einer positiven mittleren Effektstärke mit der Gewissenhaftigkeit (r = 0,317, p = 0,000, n = 574). Die beiden Merkmale weisen deshalb auch ähnlich hohe Zustimmungswerte auf.
Neurotizismus weist die geringste Ausprägung aus. Studierende der Sozialen Arbeit scheinen folglich eine gewisse emotionale Stabilität und Sicherheit aufzuweisen. Dieses Merkmal korreliert zudem negativ mit der Extraversion (r = −0,172, p = 0,000, n = 574), Verträglichkeit (r = −0,202, p = 0,000, n = 574) und Gewissenhaftigkeit (r = −0,196, p = 0,000, n = 574). Auch in der deutschen, bevölkerungsrepräsentativen Umfrage von Rammstedt et al. (2014, S. 17) ist das Merkmal Neurotizismus bei jungen Erwachsenen mit höherem Bildungsabschluss am wenigsten ausgeprägt.
Motive für die Studienwahl
Die Frage nach der Motivation für ein Studium in Sozialer Arbeit liefert mögliche Rückschlüsse über biografische Erfahrungen, die die Studierenden prägten. Die Kenntnis der Motive für eine Studienwahl kann u. a. Aufschluss darüber geben, welche Erwartungen die Studierenden hinsichtlich des späteren Berufsalltags haben und als diese wichtige Reflexionsinhalte anlässlich der berufsbezogenen Auseinandersetzung mit der eigenen Persönlichkeit darstellen. In Abb. 4 werden die Zustimmungswerte zu den verschiedenen Motiven rangiert dargestellt (von 5 ‚trifft völlig zu‘ bis 1 ‚trifft überhaupt nicht zu‘).
Die Item-Skala der Studienmotive wurde in leicht abgeänderter Form aus einer BFS-Befragung zur Studienfachwahl entlehnt.
Am höchsten sind die Zustimmungswerte (4,62) bei der Frage nach der beruflichen Vielfalt. Hier scheint ein direkter Zusammenhang mit den vielfältigen Berufsmöglichkeiten, die ein generalistisches Studium der Sozialen Arbeit (wie der Bachelor-Studiengang an der BFH) bietet, naheliegend. In einer schweizweiten Befragung von 2005 wies diese Frage für die Studiengänge Soziale Arbeit noch einen deutlich tieferen Wert auf (4,0). Es erhielten aber auch keine anderen Studiengänge in dieser Befragung so hohe Zustimmungswerte (Frölicher-Güggi 2009, S. 20). Die zwei Motive, die spezifisch für die Soziale Arbeit formuliert und in der Item-Skala ergänzt wurden, werden ebenfalls als wichtig empfunden (Unterstützung Anderer in schwierigen Situationen, Platz 2, Zustimmungswert 4,37; Persönliche Entwicklung und Selbstverwirklichung, Platz 4, Zustimmungsmittelwert 4,32). Bemerkenswert ist, dass das Motiv auf Platz 4 sowie das Motiv auf Platz 3 (Studienfach entspricht meinen Begabungen und Fähigkeiten) beide einen interessanten Bezug zur Persönlichkeitsentwicklung aufweisen, weil hohe Zustimmungswerte dieser beiden Items nahelegen, dass die Bereitschaft, sich mit der eigenen Person auseinanderzusetzen, bei Studierenden der Sozialen Arbeit tendenziell hoch ist.
Etwas weniger gewichtig wird in der Verlaufsstudie das Studienwahlmotiv Verbesserung der Gesellschaft (Platz 7) eingeschätzt. Im schweizweiten Vergleich rangiert dieses Motiv auf den vorderen Plätzen und es hätte vermutet werden können, dass das bei den BFH-Studierenden der Sozialen Arbeit ebenfalls zutrifft.
Grundsätzlich sind für ein Studium der Sozialen Arbeit aber altruistische sowie intrinsische Motive relevanter als extrinsische. Das wird auch in der Verlaufsstudie deutlich. Weniger Einfluss auf die Studienmotive haben soziometrische Merkmale. Die Vorbildung der Eltern hat kaum Einfluss auf die Motive, die einzige Korrelation besteht zwischen einem höheren Bildungsabschluss der Eltern und der Motivation weil es in meiner Familie üblich ist, zu studieren (Mutter: r = 0,142, p = 0,001, n = 575; Vater: r = 0,158, p = 0,000, n = 557). Dieser Zusammenhang liegt in der Natur der Sache, dass Studierende, die aus einer eher bildungsfernen Familie kommen, diese Erfahrung gar nicht machen können.
Das Alter der Studierenden korreliert hingegen mit einigen Motiven. So studieren Ältere öfters um die Einkommens-, (r = 0,168, p = 0,000, n = 585) und Arbeitsmarktchancen (r = 0,166, p = 0,006, n = 585) zu verbessern und ihnen ist es wichtig, die Studienkosten niedrig zu halten (r = 0,114, p = 0,000, n = 585) und nebenbei noch einer Beschäftigung nachgehen zu können (r = 0,098, p = 0,017, n = 585). Eine negative Korrelation ergibt sich mit zunehmendem Alter bezüglich der Motive um zur Verbesserung der Gesellschaft beitragen zu können (r = −0,087, p = 0,036, n = 585), weil ich Menschen in schwierigen Situationen helfen möchte (r = −0,190, p = 0,000, n = 425) und weil ich mich selbst verwirklichen möchte (r = −0,115, p = 0,018, n = 425). Sehr beständig sind die Motive bezogen auf Geschlecht und Befragungskohorten, das heißt Motive haben sich im Lauf des Untersuchungszeitraums kaum geändert.
Es bestehen zudem erwartbare Verbindungen zwischen den Persönlichkeitsmerkmalen und den Studienwahlmotiven: So stimmen Studierende, die eine hohe Ausprägung des Merkmals Offenheit aufweisen, dem Motiv um meinen Horizont zu erweitern in höherem Masse zu als andere (r = 0,136, p = 0,000, n = 574) und Studierende, die eher extravertiert sind, schätzen ihre Fähigkeiten und Begabungen in einem Studium der Sozialen Arbeit höher ein (r = 0,138, p = 0,001, n = 574).
Der Bachelorstudiengang in Sozialer Arbeit an der BFH weist als Spezifikum Coaching basierte Module zur Entwicklung von Selbst- und Sozialkompetenzen auf (vgl. auch Studer 2019), deswegen enthält die Befragung zwei spezifische Items zum Thema der Selbst- und Sozialkompetenzen, welche zusätzlich zu den Studienwahlmotiven erhoben wurden. Erfragt wurde einerseits die Relevanz der Förderung und Entwicklung von Selbst- und Sozialkompetenz im Rahmen des Studiums und anderseits die Motivation sich damit auseinanderzusetzen.
Die Relevanz der Entwicklung von Selbst- und Sozialkompetenzen wird unabhängig von Alter, Persönlichkeitsmerkmalen und Motiven für den Studienentscheid von den Befragten als sehr hoch eingeschätzt (m = 8,42). Gleichzeitig ist auch die Motivation sich mit den eigenen Kompetenzen auseinanderzusetzen hoch (m = 8,21). Mit einer mittleren Effektstärke kann zudem davon ausgegangen werden, dass je relevanter die Entwicklung von Selbst- und Sozialkompetenzen eingeschätzt wird, desto motivierter ist jemand daran zu arbeiten und umgekehrt (r = 0,488, p = 0,000, n = 575). Diese Einschätzung unterscheidet sich nicht nennenswert zwischen den verschiedenen Befragungskohorten.
Auch wenn Relevanz und Motivation nicht von den Motiven für den Studienentscheid abhängen, überrascht es nicht, dass das Studienmotiv weil ich mich entwickeln und selbst verwirklichen möchte mit der Einschätzung von Relevanz und Motivation in Zusammenhang steht (r = 0,173, p = 0,000, n = 419; resp. r = 0,160, p = 0,001, n = 285).
Es kann also davon ausgegangen werden, dass Studierende der Sozialen Arbeit eine sehr hohe Bereitschaft mitbringen, im Rahmen des Studiums an der Entwicklung ihrer Selbst- und Sozialkompetenzen, verstanden als didaktisch förderbare Operationalisierungen der Persönlichkeit, zu arbeiten.