Eine Bildungsforschung, die beansprucht, Schüler/innen als Subjekte aufzufassen, setzt notwendigerweise einen Begriff von deren Subjektstatus voraus. In diesem Beitrag soll diese Voraussetzung thematisiert sowie aus pädagogischer Warte ein Vorschlag entwickelt werden, der zeigt, was es bedeuten könnte, einer Schülerin und einem Schüler einen Subjektstatus zuzusprechen sowie schulische Erziehung von ihm her zu beschreiben und zu begründen. Hierzu werden wir den Subjektstatus des Schülers/der Schülerin historisch-systematisch rekonstruieren, wobei die Rekonstruktion schließlich in programmatische Überlegungen münden wird.

In einem ersten Schritt wird gezeigt, dass es heute keinesfalls als selbstverständlich angesehen werden kann, Schüler/innen einen Subjektstatus zuzusprechen. Es wird argumentiert, dass der Begriff der Bildsamkeit eine aussichtsreiche Möglichkeit offeriert, schulische Erziehung von einem Subjektstatus des Schülers/der Schüler her zu begreifen (1.). In einem zweiten Schritt wird erläutert, wie eine entsprechende Erziehung theoretisch konzipiert werden kann. Die Theorie fasst drei Grundformen von Erziehung zusammen und erklärt, wie der Anspruch, Schüler/innen als Subjekte zu adressieren, im Kontext von Regierung, Unterricht und Beratung auf jeweils unterschiedliche Art und Weise Gestalt gewinnt (2). In einem dritten Schritt wird mithilfe dieser Theorie die im Fach zu wenig beachtete rechtliche Dimension von Erziehung in den Fokus gerückt und gezeigt, dass deren Klärung gerade unter Berücksichtigung aktueller Kinderrechtsdebatten unverzichtbar ist. Aus pädagogischer Warte muss nämlich darauf aufmerksam gemacht werden, dass ein Mensch sich zu einem Rechtssubjekt entwickelt und eine solche Entwicklung im Kontext von Erziehung verlangt, dass sein Status als Rechtssubjekt in nicht beliebiger Form vorweggenommen wird (3.).

1 Bildsame Subjektivität

Der Anspruch, schulische Erziehung im Lichte eines Subjektstatus des Schülers/der Schülerin zu thematisieren, ist in der Geschichte modernen (schul-)pädagogischen Denkens tief verankert. Bis heute wird dieser Anspruch vielfach als maßgeblich für eine Beschreibung schulischer Erziehung angesehen. Er ist Ausdruck eines demokratischen Verständnisses, wie es sich in den abendländischen Gesellschaften in den zurückliegenden Jahrhunderten herausgebildet hat. Wir sprechen uns wechselseitig als Subjekte des eigenen Lebens an und die jeweiligen nationalstaatlichen und supranationalen Rechtssysteme ordnen die nötigen Spielräume, in denen die entsprechenden Rechte und Pflichten in Anspruch genommen werden können. In diesen Ordnungen ist das Subjektsein nicht vorherbestimmt – es wird allerdings im rechtlich-moralischen Sinne an den Personstatus geknüpft –, sondern es wird dort als eine Sache der Aushandlung in öffentlich geführten Diskussionen behandelt. Hier setzt das Problem an.

Eine wichtige Konsequenz, die aus dieser Konstellation gezogen werden kann, ist in den vergangenen Jahrzehnten zunehmend deutlicher betont worden: Subjektsein ist, wenn es als Produkt der Aushandlung unter den Bedingungen von Öffentlichkeit bestimmt wird, keine Eigenschaft, die jemandem ohne weiteres anhaftet. Über Subjektsein zu reden, zwingt zum Verzicht auf das „Dingschema“ (Luhmann 1994, S. 40). Es handelt sich nicht um einen empirischen Gegenstand, der in der Erfahrung angetroffen werden kann. Man wird weder als Subjekt seines Lebens geboren noch auf ein spezifisches Subjektsein programmiert. Auch können wir nicht mehr vom Wesen des Subjekts sprechen.

Man hat, salopp gesagt, sein Subjektsein nicht allein in der Hand. Man begegnet ihm vielmehr als Idee, als „focus imaginarius“ (Kant [1787] 1911, S. 428), die Orientierung im Miteinanderumgehen der Menschen spendet. Subjekt seines Lebens zu sein ist eine Idee, die in der Freiheit der Wahl eines Lebens unter den Bedingungen der Öffentlichkeit realisiert wird.Footnote 1 Der Begriff der Subjektivität bezeichnet die Möglichkeit, sich inmitten von seinesgleichen für sein Leben einzubringen, und zugleich die Realisierung dieser Möglichkeit in den konkreten Formen des Miteinanderumgehens.

Im Sinne der demokratischen Grundprinzipien (z. B. Gewaltenteilung, Bürgerrechte) restringierende Bedingungen beschneiden diese Möglichkeit und ihre Realisierung. Aufgehoben wird dadurch aber nicht die Grundprämisse, die den Diskussionen über Subjektivität zugrunde liegt: Bedingung für eine Realisierung von Subjektsein ist die Möglichkeit eigenen Lebens. In der jüdisch-christlichen Tradition des Abendlandes hat man den Begriff Mensch verwendet, um diese Möglichkeit zu bezeichnen. In dieser Tradition gilt der Mensch daher als zentrale Bezugsgröße für Beschreibungen der Realisierung eigenen Lebens. An ihm orientiert man sich, um auf Veränderungen in den Bedingungen zu reagieren und um sie als Öffnung oder Beschneidung der Möglichkeit eigenen Lebens zu thematisieren.

An diesem Punkt setzte die Rede vom „Tod des Subjekts“ (Foucault [1969] 2001, S. 1022) ein, die auch in der Erziehungswissenschaft ihre Spuren hinterlassen hat. Um Missverständnissen vorzubeugen, sei hier daran erinnert, dass die Debatte um den Tod des Subjekts nicht auf eine Verabschiedung des Menschen gerichtet war. Vielmehr ging es um die Fragen, wie die Möglichkeit eigenen Lebens in den sich wandelnden Gesellschaften gestaltet wird und wie die Realisierung dieser Möglichkeit zu unterschiedlichen Selbstbeschreibungen des Menschen führt, die wiederum eine die Lebensführung von Menschen normierende Funktion erfüllen (können). Ziel einer Kritik am Subjekt war es, die Genese der Denkfigur aufzuklären, in der die Möglichkeit eigenen Lebens in Europa gedacht wurde, neue Perspektiven der Beurteilung dieser Denkfigur aufzudecken und sie zu überwinden oder, wo dies nicht geht, sie zu konterkarieren.Footnote 2

Erst in den vergangenen Jahrzehnten ist mit der Durchsetzung neuer Technologien von deren Befürwortern die Vision einer Verabschiedung des Menschen als Subjekt eigenen Lebens ins Spiel gebracht worden. Die Verwandlung des Menschen zu einer transhumanistischen Lebensform ist ausdrücklich mit einer Preisgabe der Idee von einem eigenen Leben verknüpft. Man denkt in Hybridsystemen, deren Leistung in der Integration von humanen Körpern in technische Systeme besteht und die Freiheit der Wahl dadurch sinnlos machen, dass die Grenzen nicht mehr identifizierbar sind. Der Begriff Mensch bezeichnet dann nicht mehr das, was er in der Tradition bezeichnet hat, und kann aufgelöst werden (vgl. Kurzweil 2014).

Welche Auswirkungen eine solche Entwicklung, so sie denn stattfinden wird, auf Erziehung hat, kann derzeit nicht seriös vorausgesagt werden.Footnote 3 Deutlich zeichnet sich aber schon jetzt eine Verschärfung der Frage nach der Subjektvorstellung ab, die in der Erziehung zum Einsatz kommt. Denn erzogen werden Menschen, nicht Dinge, nicht Gehirne, nicht Gesellschaftssysteme, nicht Tiere und auch nicht Maschinen. Die Frage nach der Subjektvorstellung markiert somit die zentrale Referenz, in der eine Gesellschaft die Möglichkeit eigenen Lebens klärt. Wo der Mensch nicht mehr als Subjekt eigenen Lebens in Erwägung gezogen wird, braucht man über Erziehung folglich nicht weiter nachzudenken, und wo eine Pädagogik in diesem Zuschnitt als antiquiert oder vernachlässigenswert eingestuft wird, da sollte man nicht überrascht sein über den Output, den man ansteuert.

Die Aufklärung über die Möglichkeit eigenen Lebens ist im pädagogischen Denken unvermeidlich verknüpft mit Vorstellungen über Formen des gelingenden Lebens und Zusammenlebens. Der Grund hierfür ist schlicht: Erziehung ist eine Form des Miteinanderumgehens und bedarf deshalb der Reflexion auf die Möglichkeiten und Grenzen des Gelingens, um sich selbst unter Kontrolle halten zu können. Dies ist wichtig, da es sich um eine Form des Miteinanderumgehens handelt, die mittelbar und unmittelbar die Möglichkeit eigenen Lebens tangiert, indem sie diese handgreiflich gestaltet. Sie tut dies bspw. in der Institution „Schule“ durch organisatorischen Zwang, der das individuelle Lernen „an bestimmte Inhalte, Orte, Zeiten und Personen bindet, und durch festgeschriebene Vorstellungen über den ‚Zweck‘ von Schule, der sich in Lehrplänen, Lernzielen und Prüfungsmodalitäten niederschlägt“ (Wittenbruch 1992, S. 33).

Wie eine Gesellschaft die Grenzen des Miteinanderumgehens zieht, wie sie die Mitgestaltung an den Formen organisiert und in welchen Denkfiguren sie diese Formen diskutiert, ist entscheidend für die Gestaltung der Möglichkeit eigenen Lebens. Man kann folglich gar nicht der Normativität ausweichen, die in vielen Gesellschaften mehr denn je zu einem Stein des Anstoßes avanciert ist, seitdem die gesellschaftlichen Institutionen weniger als Bewahrerinnen von traditionellen Werten und Regeln interpretiert werden, sondern sich als Agenten eines globalen Wettbewerbs behaupten müssen. Die Bezugnahme auf einen Subjektstatus des Schülers/der Schülerin scheint in dieser Lage kaum noch die Gelegenheit zu eröffnen, um schulische Erziehung als etwas zu thematisieren, das ‚mehr‘ ist, zumindest aber ‚mehr‘ sein könnte als „the production of a particular kind of subjectivity“ – und sei es „the rational autonomous human being“ (Biesta 2010, S. 80). Selbst wer sich für diesen formalen Anspruch ausspricht, setzt einen Anspruch – und dieser Anspruch legt immer schon fest, was aus Heranwachsenden werden soll, noch bevor diesen die Möglichkeit eingeräumt bzw. allererst eröffnet wird, ihre Perspektive auf die Welt ins Spiel zu bringen. Unterschiedliche Vorstellungen von gelingendem Leben und Zusammenleben werden in sprachliche Beschreibungen gegossen, egal was jeweils als Subjektsein identifiziert wird. Die Logik, der die unterschiedlichen Beschreibungen von Erziehung folgen, bleibt dem Anspruch nach aber dieselbe. Es ist die Logik eines Schemas, in dem eine spezifische Subjektvorstellung bereits artikuliert vorliegt.

Eine Alternative zu dieser Logik käme erst ins Spiel, wenn die Setzung des Anspruchs relativiert würde, d. h. wenn man die Option hätte, auf das bereits artikulierte Schema einer Subjektvorstellung als Maßstab der Erziehung zu verzichten. Dann wäre eine Wahl zwischen Formen des Subjektseins frei. Diese, als Befreiung der Erziehung von der ‚Logik der Enkulturation‘ beschreibbare Option, läuft auf die paradoxe Herausforderung hinaus, eine „conception of human subjectivity“ zu entwickeln, „which leaves open the question of what it means to be a human subject“. Diese Enthaltung würde die Gelegenheit bieten, von „pre-conceived assumptions about what constitutes a human subject“ abzusehen und eine Erziehung zu thematisieren, die nicht auf „predetermined ends“ hin finalisiert ist, d. h. eine Erziehung, die mehr bedeutet als „trying to socialize people into a particular way of being“ (Osberg und Biesta 2008, S. 320, Hervorh. i. O.). Eine solche Option würde die Alternative eröffnen, um über die Möglichkeit eigenen Lebens anders als im Schema einer präskriptiv gegebenen Subjektvorstellung nachzudenken, ohne dafür jedoch die Referenz auf Subjektivität preisgeben zu müssen. Erziehung käme als eine Form des Miteinanderumgehens in den Blick, die zwar an der Referenz auf Subjektivität zur pädagogischen Orientierung von Entscheidungen, Begründungen usw. festhält, die aber den Anspruch auf Setzung einer Subjektvorstellung offen gestaltet.

Wie kann diese Option für die Pädagogik gedacht werden? Unsere Antwort auf diese Frage knüpft an den Bildsamkeitsbegriff an, wie er von Herbart in die Pädagogik eingeführt und seitdem im Fach diskutiert worden ist. Der Begriff der Bildsamkeit ist in einer Lesart dieser Rezeption verknüpft mit der Vorstellung vom Menschen als dem „Wesen der prinzipiellen Offenheit“ (Buck 1984, S. 135). Den Menschen als bildsam zu begreifen, bedeutet so gesehen immer schon, diesen als Subjekt aufzufassen – nämlich als ein Lebewesen, das die eigene Lebensform allererst hervorbringt und diese auch immer wieder neu transzendieren kann. In diesem Sinne hatte Fichte gemeint, Bildsamkeit sei der „Charakter der Menschheit“ (Fichte [1797] 1971, S. 80).

Herbart hatte diesen Gedanken für die Pädagogik fruchtbar zu machen versucht, indem er Bildsamkeit als „Natur-Anlagen“ und „die auf jeder Altersstufe erworbenen Fähigkeiten des Weiterkommens“ bezeichnete und den Erzieher von der Aufgabe suspendierte, den Erwerb dieser Fähigkeiten von einem Ziel her zu beschreiben, das ihm bereits bekannt ist, während der Zögling noch keine Ahnung von ihm hat und deshalb von diesem Ziel her bestimmt werden müsse (Herbart [1831] 1964c, S. 342–343). Herbart lehnt diese Vorstellung ab, denn Erziehung soll in seinen Augen dem jungen Menschen helfen, „das zu werden, was er einmal wünschen wird, geworden zu seyn“ (Herbart [1810] 1964b, S. 77). Unter dieser ‚Zielperspektive‘ ist es für den Erzieher unmöglich, ein Schema aufzustellen, in dem das Subjekt des Erwerbs von Fähigkeiten des Weiterkommens bereits ‚vorbeschrieben‘ wird. Selbst der junge Mensch weiß ja nicht einmal, wohin ihn sein Weg führen wird (vgl. Anhalt 1999).

Bildsamkeit wird hier nicht als eine Eigenschaft gedeutet. Sinnvoller ist es, sie als ein Ereignis zu betrachten, das sich einstellt, wenn jemand die Möglichkeit ergreift, Fähigkeiten des Weiterkommens zu erwerben, wie es seinem eigenen Leben gemäß sinnvoll zu sein scheint (ohne eine ausbuchstabierte Zielperspektive zur Hand zu haben). Subjektivität käme somit dadurch ins Spiel, dass jemand sich angesichts der Widerständigkeit der Welt (zu der auch der Erzieher gehört) zu einer offenen Zukunft hin verhält. Pädagogisch wäre zu beachten, dass diese Offenheit auch nicht vom Erwachsenen durch die Beschreibung eines Verhaltens vernichtet werden darf, das den Heranwachsenden in seiner Möglichkeit eigenen Lebens ‚trifft‘. Auch für die Erwachsenen ist die Zukunft offen und muss daher auch die Zukunft der Erziehung offen sein.

Was dann noch bleibt, ist eine Beschreibung von Erziehung, die Erwachsene und Heranwachsende zur „Mitwirkung“ einlädt (Benner 2015, S. 75) und über eine „Form der erzieherischen Einwirkung“ aufklärt, „die die Subjektivität des Heranwachsenden anerkennt und ermöglicht“ (Benner und Brüggen 2014, S. 80). Dies scheint nach der Lesart von Bildsamkeit, die in dieser Tradition steht, nur gelingen zu können, wenn Erziehung die „Urteilskraft herausfordert“, und zwar nicht nur die des Heranwachsenden, sondern auch die des Erziehers (Brüggen 1998, S. 118). Erziehung in diesem Sinne kann als Ermöglichung von Bildung bestimmt werden (vgl. Rucker 2014, S. 210ff.; Anhalt et al. 2018).

2 Grundformen schulischer Erziehung

Es gibt kulturelle Sachverhalte, die prinzipiell nicht im alltäglichen Miteinanderumgehen von Menschen vermittelt und angeeignet werden können. Wie man mit einem Smartphone telefoniert, Fotos schießt oder Apps herunterlädt, können Heranwachsende im alltäglichen Miteinanderumgehen lernen. Für die Technologie, die diese Aktivitäten allererst ermöglicht, gilt dies hingegen nicht. Die erwartbar erfolgreiche Tradierung des Wissens um die technologischen Voraussetzungen von Smartphones (wie auch vieler anderer kultureller Sachverhalte) setzt notwendigerweise voraus, dass das alltägliche Miteinanderumgehen unterbrochen und in die künstliche Form einer unterrichtlichen Vermittlung und Aneignung von Kultur überführt wird.

Unterricht hat zwar nicht nur im Kontext von Schule einen Ort, findet sich aber insbesondere in der Form von Schulunterricht institutionalisiert. Schulische Erziehung in Form von Unterricht erweitert und transformiert alltägliche Vermittlungs- und Aneignungsprozesse, und geht schließlich wieder in entsprechende Prozesse über, was bedeutet, dass Unterricht immer schon unter dem Anspruch steht, Übergänge zwischen Vermittlungs- und Aneignungsprozessen im Unterricht und entsprechenden Prozessen jenseits von Unterricht vorzubereiten. Unterricht weist in diesem Sinne immer schon über sich hinaus. Hieraus folgt, dass schulische Erziehung nicht hinreichend beschrieben werden würde, wenn man diese auf eine Erziehung durch Unterricht reduziert.

Während wir im ersten Teil dieses Beitrags auf die grundlegende Ausrichtung einer Erziehung fokussiert haben, die von einem Subjektstatus von Heranwachsenden her bestimmt wird, liegt der Schwerpunkt im Folgenden auf der Frage, ob und, falls ja, welche Grundformen einer entsprechend ausgerichteten schulischen Erziehung ausgemacht werden können – Formen, die nicht auseinander abgeleitet, durcheinander ersetzt oder aufeinander reduziert werden können. Unsere These lautet, dass es im Rückgriff auf die Tradition möglich ist, drei solcher Grundformen zu unterscheiden, nämlich eine regierende Erziehung, eine Erziehung durch Unterricht und eine beratende Erziehung (für eine problemgeschichtlich-systematische Einbettung dieser Grundformen vgl. Benner 2015, S. 216–327). Um diese These zu begründen, werden wir im Folgenden insbesondere herausarbeiten, wie der Subjektstatus des Schülers/der Schülerin im Kontext jeder dieser drei Grundformen schulischer Erziehung auf jeweils spezifische Art und Weise Gestalt gewinnt.

Der Begriff der Regierung bezeichnet eine Form von Erziehung, die darauf gerichtet ist, Schaden zu verhindern, den Schüler/innen erleiden bzw. den diese sich selbst oder Anderen zufügen könnten, würden sie nicht von einem bestimmten Handeln abgehalten werden. Man denke hier z. B. an die Situation, dass eine Lehrerin zwei Schüler ermahnt, die sich während einer Gruppenarbeit über ihre Wochenendaktivitäten unterhalten. Zu denken wäre aber auch an eine Situation, in der ein Lehrer es unterbindet, dass eine Schülerin von Mitschülern bedrängt wird. Regierung bedeutet in diesem Sinne immer auch, dass bestimmte Regeln durchgesetzt werden. Der Geltungsanspruch, der mit den jeweiligen Regeln verbunden ist, steht in einer regierenden Erziehung nicht zur Debatte.

Regierung ist notwendig, sofern Schüler/innen (noch) nicht dazu in der Lage sind, im Lichte eigener Urteile zu handeln. Umgekehrt steht eine regierende Erziehung unter bestimmten Ansprüchen, wenn Heranwachsende als Subjekte adressiert werden sollen (vgl. Herbart [1806] 1964a, S. 18–19). Regierung, die von einem Subjektstatus des Schülers/der Schülerin her begriffen wird, operiert negativ, d. h. sie hält Heranwachsende von einem bestimmten Handeln ab. In diesem Sinne unterscheidet sich eine regierende Erziehung z. B. von einer konditionierenden Haltungserziehung, die auf der Seite der Schüler/innen bestimmte Handlungsbereitschaften zu erzeugen, d. h. ihren Motivationshorizont in bestimmter Art und Weise zu normieren sucht. Darüber hinaus lautet der Anspruch, dass Regierung enden muss, sobald Schüler/innen urteils- und handlungsfähig geworden sind, d. h. die Fähigkeit entwickelt haben, ihren Willen dem eigenen Urteil zu unterstellen und in diesem Sinne zu handeln.

Regierung an diesen doppelten Anspruch zu knüpfen, ist nur konsequent, wenn von einem Subjektstatus des Schülers/der Schülerin ausgegangen wird. Diese als Subjekte zu adressieren, bedeutet u. a., ihnen dabei zu helfen, sich in Freiheit auf überindividuelle Verbindlichkeiten zu verpflichten. Vor diesem Hintergrund bedarf es einer Form von Erziehung, die dem Umstand Rechnung trägt, dass es Schüler/innen oftmals (noch) nicht gelingt, sich im Handeln aus Einsicht an Regeln eines gelingenden Lebens und Zusammenleben zu binden, und die gleichzeitig keine Festlegung der Heranwachsenden auf eine vorgegebene Ordnung bedeutet.

Vor diesem Hintergrund sollte eine regierende Erziehung auch nicht mit dem Versuch gleichgesetzt werden, Schüler/innen an eine vorgegebene Ordnung zu gewöhnen – und diesen damit nicht die Freiheit des Selber-Urteilens und Selber-Handelns abzuverlangen bzw. zuzubilligen. Mit einer regierenden Erziehung ist vielmehr der Anspruch verknüpft, die Möglichkeit offenzuhalten, dass Schüler/innen vermittelt über eigene Mitwirkung Gewohnheiten entwickeln, genauer: sich etwas zur Gewohnheit machen – und sich in diesem Sinne selbst auf eine bestimmte Ordnung hin festlegen. Schulische Erziehung, die von einem Subjektstatus her begriffen wird, schließt so gesehen Gewöhnung nicht per se aus, denn es gibt offensichtlich pädagogisch legitime Gewöhnungen, wozu insbesondere diejenigen zu zählen wären, in denen Schüler/innen dazu veranlasst werden, sich das Selber-Urteilen und Selber-Handeln habituell zu machen.

Dies ist zunächst im Unterricht als derjenigen Grundform schulischer Erziehung der Fall, in der Heranwachsende mit einem Wissen konfrontiert werden, das in einer Kultur bereits erlangt worden ist und darin als tradierungswürdig eingestuft wird. Schüler/innen sollen im Unterricht mit einem Wissen vertraut gemacht werden, dem die Erwachsenen vertrauen. Diese Einführung in tradiertes Wissen, wie sie für schulischen Unterricht im Allgemeinen charakteristisch ist, gewinnt im Kontext eines Unterrichts, der unter dem Anspruch steht, Schüler/innen als bildsame Subjekte zu adressieren, eine spezifische Gestalt. Ein solcher Unterricht ist darauf gerichtet, das Verstehen zu lehren (vgl. Gruschka 2016), und kann in methodischer Hinsicht als Aufforderung zur Prüfung von Geltungsansprüchen bestimmt werden (vgl. Rucker 2018). Dies schließt Phasen der Unterweisung nicht aus. Umgekehrt ist es durchaus möglich, Unterricht als Instruktion anzulegen, d. h. so, dass eine Prüfung tradierter Geltungsansprüche ausgespart bleibt, weshalb ein Unterricht, in dem Heranwachsende als bildsame Subjekte adressiert werden, nicht vorbehaltlos als der Normalfall oder gar als eine Trivialität angesehen werden sollte.

Phasen der Unterweisung müssen im Kontext eines entsprechend ausgerichteten Unterrichts im Verhältnis zu dessen übergeordneter Aufgabe, Schüler/innen sachliche Einsicht zu ermöglichen, gerechtfertigt werden können, d. h. sie müssen sich als notwendige Voraussetzung dafür erweisen lassen, dass Heranwachsende überhaupt eine „Suche nach Verständnis“ (Koch 2015, S. 83) vollziehen können. So müssen Schüler/innen z. B. erst in den Bezeichnungen der Seiten eines rechtwinkligen Dreiecks unterwiesen worden sein, ehe der Satz des Pythagoras erarbeitet sowie verschiedene Beweismöglichkeiten dieses Satzes durchgespielt werden können. Umgekehrt wäre ein Mathematikunterricht, in dem entsprechende Beweise außen vor blieben, als defizitär zu beurteilen – dies jedenfalls dann, wenn von einem Subjektstatus des Schülers/der Schülerin ausgegangen wird. In diesem Fall wird Heranwachsenden nämlich die Möglichkeit vorenthalten, Einsicht in den Satz des Pythagoras zu gewinnen, d. h. den damit verbunden Geltungsanspruch in Freiheit zu akzeptieren. Zugespitzt formuliert: „Der Lernende soll aufnehmen und behalten, d. h. er soll lernen in der elementaren Bedeutung dieses Wortes, aber annehmen, d. h. für wahr halten, soll er das Gelernte nur unter dem Begleitschutz seines prüfenden und begründenden Denkens“ (ebd., S. 71; Hervorh. i. O.).

Dies verlangt auf der Seite der Lehrer/innen nach spezifischen Aktivitäten. Sie müssen das bereits angeeignete Wissen der Heranwachsenden eruieren, diese zu einer Klärung des eigenen Vorwissens veranlassen sowie schließlich an das geklärte Vorwissen anknüpfen, soll dieses eine Erweiterung erfahren. Um eine solche Erweiterung zu initiieren und zu unterstützen, müssen Lehrer/innen fragen und zeigen, Begründungen geben und einfordern sowie schließlich den Geltungsanspruch des in diesem Sinne ‚vermittelten‘ Wissens prüfen lassen. Heranwachsende werden in diesem Sinne nicht belehrt, sondern in eine sachliche Auseinandersetzung verstrickt. Die Vertiefung in und die Besinnung auf Sachverhalte ist dabei über eine Konfrontation der Heranwachsenden mit ihrem eigenen Nicht-Wissen vermittelt. Differenzerfahrungen in diesem Sinne sind konstitutiv für die Urteilsbildung von Schüler/innen, denn sie sind der Anlass dazu, dass Heranwachsende Suchbewegungen vollziehen, in denen sie – im Erfolgsfall – ein Wissen finden, das die erlittene Not zu wenden erlaubt, und das sie damit in einem bestimmten Sinne selbst hervorbringen.

Das Wissen, das im Unterricht thematisiert wird, ist freilich längst gefunden. Dieser Umstand hat nun aber keineswegs zur Konsequenz, dass Unterricht Heranwachsende nicht als bildsame Subjekte adressieren und die Kommunikation über eine Sache für die Mitwirkung des Schülers/der Schülerin öffnen könnte. Diese Mitwirkung nimmt im Falle von Unterricht aber eine spezifische Gestalt an, die darin besteht, dass ein Schüler/eine Schülerin durch entsprechende Frage- und Zeigeaktivitäten dazu veranlasst wird, tradiertes Wissen durch Selber-Denken und Selber-Urteilen nachzuvollziehen bzw. nachzuentdecken. Das bedeutet zugleich, dass Unterricht, der Schüler/innen als bildsame Subjekte adressiert, nicht auf die Durchsetzung von Geltungsansprüchen gerichtet ist. Ein solcher Unterricht ist vielmehr als eine Einladung an die Heranwachsenden zu verstehen, tradiertes Wissen nicht fraglos akzeptieren zu müssen, sondern dieses in seinem Geltungsanspruch zu prüfen und in diesem Sinne an der Ausdifferenzierung ihres Gedankenkreises mitzuwirken.

Von einer regierenden Erziehung und einer Erziehung durch Unterricht ist schließlich eine beratende Erziehung zu unterscheiden. Beratung ist weder darauf bezogen, Heranwachsende am Handeln zu hindern, noch darauf gerichtet, diese in tradiertes Wissen einzuführen und zu dessen kritischer Prüfung aufzufordern. Die Aufgabe einer beratenden Erziehung besteht vielmehr darin, Schüler/innen dabei zu helfen, im Lichte eigener Einsichten und Urteile zu handeln, d. h. sie in konkreten Fragen der eigenen Lebensführung im Umgang mit Anderen zu unterstützen. Von Beratung in diesem Sinne kann etwa dann gesprochen werden, wenn einer Schülerin Handlungsoptionen vorgeschlagen werden, an die diese bislang nicht gedacht hatte, wenn ein Schüler dazu aufgefordert wird, den eigenen Handlungsentwurf noch einmal zu überdenken, oder wenn Heranwachsende darin bestärkt werden, einen entsprechenden Entwurf in die Tat umzusetzen.

Weil das im schulischen Unterricht Gelernte als solches hinsichtlich der Lebensführung eines Schülers/einer Schülerin indifferent ist, weist eine Erziehung durch Unterricht immer schon über sich hinaus. Unterricht konstituiert gleichsam einen Beratungsbedarf, der durch Unterricht selbst nicht befriedigt werden kann, und der sich auf die Frage nach dem Sinn des Gelernten bezieht. Unterricht und Beratung stehen von daher notwendigerweise in einem Zusammenhang. Soll das im Unterricht vermittelte und angeeignete Wissen in der Lebensführung der Heranwachsenden Berücksichtigung finden, so bedarf es einer erzieherischen Grundform, in der Schüler/innen u. a. dazu veranlasst werden, die Bedeutung des Gelernten für ihr Leben und ihr Zusammenleben mit Anderen zu ermessen. Umgekehrt ist eine beratende Erziehung auf Unterricht angewiesen – dies jedenfalls dann, wenn Beratung darauf bezogen sein soll, Schüler/innen ein Handeln im Lichte eigener Urteile zu ermöglichen, denn diese setzen oftmals sachliche Einsichten voraus, die nur unter den Bedingungen von Unterricht angeeignet werden können.

Dass Beratung Schüler/innen überhaupt darin unterstützen soll, sich in ihrer Lebensführung an eigenen Urteilen zu orientieren, ergibt sich aus der Zuschreibung eines Subjektstatus. Diese Statuszuschreibung stellt Erziehung unter den Anspruch, die Lebensform der Heranwachsenden nicht zu normieren, sondern diesen dabei zu helfen, eine eigene Lebensform zu suchen, zu finden und weiterzuentwickeln. Schüler/innen in diesem Sinne als bildsame Subjekte zu adressieren, darf nicht subjektivistisch (miss-)verstanden werden, denn der Subjektstatus wird nicht nur bestimmten Einzelnen, sondern allen Menschen zugesprochen. Beratung bedeutet von daher immer auch ein Hineinziehen von Heranwachsenden in eine Lebensform, in der sich die Einzelne gerade darin als Subjekt zeigt, dass sie sich selbst begrenzt und anderen Menschen die Freiheit lässt bzw. allererst eröffnet, ihrerseits als Subjekte in Erscheinung zu treten. Es wäre jedoch mit dem Subjektstatus des Schülers/der Schülerin inkompatibel, wenn aus dieser Überlegung (erneut) die Notwendigkeit einer konditionierenden Haltungserziehung abgeleitet werden würde. Beratende Erziehung wäre stattdessen als der Versuch zu begreifen, auf der Seite der Schüler/innen Schüler Prozesse der Dezentrierung zu initiieren und zu unterstützen, die über die Mitwirkung der Heranwachsenden vermittelt sind.

Im Kern besteht eine solche Erziehung darin, Schüler/innen– auch immer wieder neu – mit der Frage zu konfrontieren, „weather what we desire is desirable for our own lives and the lives we live with others“ (Biesta 2017, S. 16). Eine solche Adressierung ist darauf gerichtet, die Selbstbezogenheit eines Schülers gleichsam zu durchkreuzen und diesem damit die Möglichkeit zu eröffnen, sich von den (vermeintlich) eigenen Wünschen zu distanzieren sowie diese einer Prüfung zuzuführen. Geht man davon aus, dass ein Zusammenleben in Pluralität Menschen voraussetzt, die dazu bereit und fähig sind, sich selbst zu begrenzen, so kann die Unterbrechung der Selbstbezogenheit von Heranwachsenden in der Tat als „the fundamental educational gesture“ (ebd., S. 17) bezeichnet werden – jedenfalls einer am Subjektstatus des Schülers/der Schülerin orientierten beratenden Erziehung. Unterbrechungen in diesem Sinne bedeuten aus der Warte des Schülers/der Schülerin die Begegnung mit einer widerständigen Welt. Sie bedeuten aber zugleich eine Begegnung mit den ‚eigenen‘ Wünschen, denn Unterbrechungen beziehen sich im Falle einer beratenden Erziehung darauf, dass verhindert wird, dass bestimmte Wünsche unmittelbar in Handlung übergehen. Unterbrechungen in diesem Sinne zielen jedoch nicht darauf ab, den Motivationshorizont der Heranwachsenden zu normieren, sondern sind vielmehr darauf gerichtet, Schüler/innen die Möglichkeit zu eröffnen, sich zu ihren Wünschen in ein Verhältnis zu setzen und diese daraufhin zu beurteilen, ob und, falls ja, inwieweit sie einem gelingenden Leben und Zusammenleben zuträglich sind.

Die Frage ob die eigenen Wünsche im Lichte der Idee eines gelingenden Lebens und Zusammenlebens tatsächlich als wünschenswert angesehen werden können, wird im Kontext einer beratenden Erziehung als Frage tradiert, d. h. ohne dass eine bestimmte Antwort auf diese Frage bereits vorab als die allein maßgebliche in Anschlag gebracht wird. Doch erschöpft sich eine beratende Erziehung nicht darin, Heranwachsende dazu zu veranlassen, sich zu den ‚eigenen‘ Wünschen in ein Verhältnis zu setzen. Damit beratende Erziehung überflüssig werden kann, kommt es nämlich darauf an, dass Schüler/innen – vermittelt über eigene Urteilsbildung und einem urteilsgeleiteten Handeln – sich selbst als Subjekte begreifen, d. h. sich selbst als jemanden verstehen lernen, der sich zu den eigenen Bedingtheiten in ein Verhältnis setzen kann. Nur unter dieser Voraussetzung besteht nämlich Aussicht darauf, dass Heranwachsende nicht mehr mit der Frage nach dem individuell und kollektiv Wünschenswerten konfrontiert werden müssen, sondern damit beginnen, sich selbst diese Frage zu stellen. In diesem Sinne ist beratende Erziehung letztlich immer auch von der Hoffnung getragen, dass Schüler/innen die besagte Frage zu ihrer eigenen Frage machen werden.

3 Bildsamkeit, Subjektivität und Kinderrechte

Damit Schüler/innen sich selbst als Subjekte begreifen können – so lassen sich die bisherigen Überlegungen bündeln –, müssen sie von Erwachsenen als solche anerkannt werden. Mehr noch: Wenn ich als Lehrerin oder Lehrer möchte, dass ein KindFootnote 4 lernt, sich als ein Subjekt zu verstehen, muss ich es in diesen Zustand ‚bringen‘. Hierzu reicht eine Statuszuschreibung alleine nicht aus, sondern es bedarf konkreter Mitwirkungsmöglichkeiten, von denen Schüler/innen auch tatsächlich Gebrauch machen können.

Dies ist auch dann der Fall, wenn Kinder als Rechtssubjekte in den Blick genommen werden. Pädagogisch betrachtet ist es unzureichend, an dieser Stelle lediglich auf einen formalen Status zu rekurrieren. Vielmehr wäre darauf aufmerksam zu machen, dass für eine Realisierung der Möglichkeit von Heranwachsenden, auch in rechtlicher Hinsicht als Subjekte ihres Lebens in Erscheinung zu treten, spezifische minimale Voraussetzungen gegeben sein müssen. Dazu gehört einerseits der nötige Spielraum, damit Kinder überhaupt ihre Perspektive ins Spiel bringen können. Hierzu zählt andererseits, dass sie Erwachsene finden, die bereit sind, ihre Rechtsansprüche aufzugreifen und zu unterstützen (vgl. Liebel 2019, S. 51f.).

Schulische Erziehung kann vor diesem Hintergrund als eine Form des Miteinanderumgehens beschrieben werden, in dem Schüler/innen Möglichkeiten der eigenen Positionierung in diesem Zusammenhang und relativ zur Welt eingeräumt werden sollten. Dieser Anspruch findet sich insbesondere in der UN-KinderrechtskonventionFootnote 5 formuliert. Darüber hinaus kommt Erwachsenen aber auch die Aufgabe zu, Heranwachsende zu befähigen, sich verhalten zu können, wenn sie es wollen, und ihnen gleichzeitig die Freiheit im Sinne der Möglichkeit zu bieten, sich zu etwas nicht verhalten zu können oder zu müssenFootnote 6. Hier zeigt sich die rechtliche Dimension auch von schulischer Erziehung besonders deutlich: Erhalten Schüler/innen nicht das Recht, sich mit ihrer originären Perspektive auf die Welt in ihre Entwicklung einzubringen, dann droht ebendiese Perspektive zu verkümmern – und damit zugleich die Möglichkeit, dass Heranwachsende sich als Rechtssubjekte verstehen lernen (vgl. Ammann 2020, S. 39).

Begriffsgeschichtlich tauchten die Rechte des Kindes zuerst in der Philosophie und der Pädagogik und damit außerhalb der juristischen Diskussion auf. Dabei wurde der Begriff – ähnlich wie bei den allgemeinen Menschenrechten – im Sinne eines ethischen Anspruchs ohne damit verbundene Forderung nach einer juridischen Kodifizierung verwendet (vgl. Wapler 2015, S. 75). Allerdings existieren über den Rechtsstatus von Kindern in der Erziehung bis heute weder erziehungswissenschaftliche Auseinandersetzungen, noch scheint es eine pädagogische Theorie zu geben, in der geklärt ist, dass Kinder Rechtssubjekte sind. Damit ist es grundsätzlich eine offene Frage, inwiefern Heranwachsende in der Erziehung Menschen mit eigenem Rechtsstatus sein können bzw. sollten. Da in der Rechtslogik Rechten Pflichten korrespondieren, ist auch ungelöst, welche Pflichten Erwachsenen in diesem Zusammenhang auferlegt werden können bzw. sollten. Hinzu kommt, dass die beiden Themenfelder Erziehung und Recht in einem nichtauflösbaren, aber zu gestaltenden Spannungsverhältnis zueinander stehen (vgl. Hartwig et al. 2016, S. 306). Das besondere theoretische Problem liegt hierbei darin, dass Heranwachsenden zwar von Anfang an ein Subjektstatus zugesprochen wird – und aus pädagogischen Gründen auch zugesprochen werden muss –, es aber mehrheitlich Erwachsene sind, die im Miteinanderumgehen die bestimmende Position einnehmen, womit die Subjektivität von Kindern und Jugendlichen Beschränkungen unterworfen ist (vgl. Ammann 2020, S. 243).

Eine rechtliche Absicherung, damit Heranwachsende ihre Perspektive einbringen können, stellen die UN-Kinderrechtskonvention und der damit einhergehende Mentalitätswandel vom Kind als Objekt hin zu einer grundsätzlichen, weltweiten Anerkennung des Kindes als Rechtssubjekt dar. In dem vor über 30 Jahren in Kraft getretenen internationalen Übereinkommen wurden erstmals individuelle, politische, wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte für Minderjährige festgehalten. Dieser völkerrechtliche Vertrag ist das meistratifizierte Abkommen der Welt (vgl. Rossa 2014, S. 5). Die insgesamt 65 Jahre dauernde Entstehungsgeschichte, der Inhalt der 54 Artikel sowie die Herausforderungen und Umsetzungsschwierigkeiten der KRK können an dieser Stelle nicht vertieft werden (vgl. van Bueren 1998). Festzuhalten bleibt, dass das Übereinkommen über die Rechte des Kindes die einzige Grundlage darstellt, auf die sich Heranwachsende weltweit – zumindest der Idee nach – berufen können. Da es sich bei den für die KRK spezifischen Aspekten wie den sich entwickelnden Fähigkeiten, dem Kindeswohl, dem Alter und der Reife des Kindes, um genuin pädagogische und zwingend zu berücksichtigende Besonderheiten handelt, ist das Abkommen trotz seiner juristischen Form auch für eine Beschreibung von schulischer Erziehung relevant. Entscheidend ist hierbei die Idee, dass ein Mensch sich zu einem Rechtssubjekt entwickelt, und eine solche Entwicklung verlangt, dass sein Status als Rechtssubjekt in der Erziehung in nichtbeliebiger Form vorweggenommen wird.

Die Möglichkeit, Schüler/innen in Form von Unterricht und Beratung in der Entwicklung sachlicher Einsichten und eigener Positionsbestimmungen zu unterstützen, ist freilich nicht an eine Konvention gebunden. Zugespitzt formuliert: Schüler/innen brauchen die UN-KRK nicht, um als Subjekte eigenen Lebens in Erscheinung treten zu können (vgl. Krappmann 2017, S. 18). Aber das Rechtssystem beeinflusst, unterstützt oder verwehrt eine Adressierung von Heranwachsenden als Subjekte, es eröffnet und begrenzt Handlungs- und Gestaltungsspielräume. Von daher spricht viel dafür, die Konvention als ein Dokument zu lesen, das an alle Staaten, die es ratifiziert haben, die Einladung ausspricht, alle Institutionen und Organisationen, in denen Erwachsene auf Kinder und Jugendliche treffen, als Orte auszugestalten, für die eine Haltung der Anerkennung von Subjektivität maßgeblich ist. Schulische Erziehung kommt so als eine Form des Miteinanderumgehens in den Blick, in der Schüler/innen nicht nur in kulturelle Sachverhalte eingeführt werden, sondern diesen immer auch die Möglichkeit eröffnet wird, sich zu tradierten Geltungsansprüchen in ein Verhältnis zu setzen, d. h. an ihrer Entwicklung mitzuwirken.

Die konkreten Folgen, die sich aus der Debatte um Kinderrechte für das erzieherische Miteinanderumgehen in der Schule zukünftig ergeben werden, können heute noch nicht abgesehen werden. Worauf wir an dieser Stelle aufmerksam machen wollten, ist der Umstand, dass es eine pädagogische Tradition gibt, die nicht in Vergessenheit geraten sollte, wenn überhaupt ein Interesse daran besteht, schulische Erziehung von einem Subjektstatus des Schülers/der Schülerin her zu begreifen – einer Statuszuschreibung, die auch in der KRK als maßgeblicher Orientierungsgesichtspunkt fungiert. Die Idee eines Subjektstatus des Schülers/der Schülerin erlaubt es von daher nicht nur, eine pädagogische Tradition mit einer aktuellen Debatte zu verknüpfen, sondern bietet umgekehrt auch die Möglichkeit, die Debatte um Kinderrechte hinsichtlich ihrer pädagogischen Voraussetzungen, Implikationen und Konsequenzen zu untersuchen.