Die befragten Jugendlichen berichten aus Betroffenen- und Beobachterperspektive von subtilen bis hin zu sehr offenen Hatespeech-Erfahrungen in der Schule. Diese werden z. B. als rassistisch (z. B. aufgrund der Hautfarbe oder Herkunft), sexistisch, homo- und transfeindlich, gegen die Religion (z. B. antisemitisch, antimuslimisch) oder das äußerliche Erscheinungsbild gerichtet beschrieben. Zu bewältigende Vorfälle sind überwiegend aus der Betroffenenperspektive geschildert. Die Präsentation der folgenden Ergebnisse orientiert sich strukturell am Transaktionalen Stressmodell. So werden zunächst primäre und sekundäre Bewertungsprozesse beschrieben, anschließend Bewältigungsstrategien und zuletzt Hinweise auf eine Neubewertung.
Primäre und sekundäre Bewertung
Mehrere Passagen deuten darauf hin, dass Hatespeech-Viktimisierung durch Jugendliche als stressrelevant erlebt wird (primäre Bewertung). Entweder berichten Jugendliche direkt von den mit Hatespeech verbundenen Belastungen (z. B. „Das ist ja wirklich etwas, was einen tief bedrückt“ (J19)) oder indirekt durch Berichte negativer Emotionen als Folge von Hatespeech-Viktimisierung, die als Belastungserleben interpretiert werden können. So wurde z. B. von Angst berichtet: „Also ich hatte echt Angst, so durch die Schule zu gehen“ (J03). Auch Wut als Folge von Hatespeech-Viktimisierung, die in reaktive Aggressionen mündete, wurde beschrieben: „[Dann] hatte ich Hass in mir und dieser Hass wurde dann […] ausgenutzt, um andere Menschen zu verletzen“ (J11).
Den Interviews lassen sich zudem Bewertungen der eigenen und allgemeinen Bewältigungsfähigkeit sowie mangelnder und vorhandener bewältigungsdienlicher Ressourcen entnehmen (sekundäre Bewertung). Eine gering bewertete Bewältigungsfähigkeit wurde berichtet, wenn Schüler/innen keine Handlungsoptionen erkannten, z. B.: „[…] man kann wirklich nicht viel [da]gegen machen, außer zu hoffen, dass diese Menschen es einfach kapieren, dass es nichts Gutes ist“ (J19). Weiterhin wurde das entwicklungsbedingte Fehlen von geeigneten Bewältigungsstrategien genannt: „Ich glaube, viele junge Leute können mit solchen Beleidigungen […] nicht umgehen, weil sie noch nicht wissen, wie“ (J02) oder „Aber andere Leute, die damit nicht umgehen können, brechen halt dann zusammen“ (J18). Dagegen lassen sich auch Hinweise auf eine subjektiv hoch bewertete Bewältigungsfähigkeit im Datenmaterial finden: „Ich bin die Einzige, die daran was ändern könnte, die anderen können das ja nicht ändern“ (J02).
Bewältigungsstrategien im Umgang mit Hatespeech
Emotionsfokussierte Bewältigungsstrategien
Emotionsfokussierte Bewältigungsstrategien zielen darauf ab, emotionale Erregung, die durch den Stressor entsteht, abzubauen. Eine zentrale Form emotionsfokussierter Bewältigung, die sich im Datenmaterial entdecken lässt, stellt der Einbezug sozialer Unterstützung dar, z. B.: „[…] solange du deine Freunde hast und du dich auf deine Freunde verlassen kannst, dann ist es egal, was andere über dich sagen“ (J12). Auch in einem anderen Interview wird auf positive Beziehungen zu Peers als wichtige Bewältigungsstrategie hingewiesen: „Also mir reicht’s, wenn mir jemand sagt, ich bin für dich da, weil das ziemlich schwer ist, wenn wirklich nur alle gegen einen sind. Und da reicht’s dann schon […], dass derjenige […] einfach sagt, ich versteh, was du meinst, ich steh hinter dir. Das gibt ’n […] gutes Gefühl und das sorgt auch dafür, dass man sich eben nicht alleine fühlt in dieser Welt“ (J05). Solche Aussagen deuten darauf hin, dass soziale Unterstützung durch Peers emotionale Stabilität bieten kann und zentral ist, um negative Emotionen durch Hatespeech-Übergriffe zu bewältigen. An anderen Stellen wird zudem der Zusammenhang zwischen sozialer Unterstützung und Bewältigungsfähigkeit hergestellt, z. B.: „wenn du keine Lehrer hast, […] die dich da so unterstützen, dann hast du ja keine andere Wahl als dann einfach die Zähne zusammen zu beißen“ (J01). Bedenklich ist, dass eine stabile soziale Eingebundenheit umgekehrt dazu führen kann, dass hemmende soziale Mechanismen bezüglich Hatespeech fehlen. J18 äußert dazu über Hatespeech ausübende Personen: „Und wenn das bei ihnen selbst passieren würde, würden sie sich halt einfach in Gruppen schließen und dann auf diese Person, die denjenigen runtergemacht hat, […] drauf gehen“ (J18).
Eine weitere Form des emotionsfokussierten Umgangs, die sich im Datenmaterial finden lässt, ist Verdrängung. Hierbei soll die belastende Situation aus dem Bewusstsein verschoben oder vergessen werden: „Okay, also ich versuche das einfach zu vergessen. […] klappt nicht immer, gerade wenn […] man die Personen ständig sieht“ (J01). Diese Strategie ist, wie in dieser Aussage deutlich wird, in der Schule deutlich limitierter als im Internet. Bei erhöhter Wiederholungswahrscheinlichkeit ist sie als wenig funktional einzuschätzen.
Auch aktive Vermeidung kann als emotionsfokussierte Strategie gelten, denn so sollen Ängste durch Vermeidung des Stressors reduziert werden. Vermeidende Strategien zeigten sich, indem gewisse Orte, Personen oder Situationen gemieden wurden („Wenn man nicht den Mut hat […] sich mit dem zu streiten, einfach weggehen“ (J20)), aber auch in Extremhandlungen wie z. B. Schuldistanz oder gar Schulwechsel: „Und wir hatten auch zweimal Muslime in der Klasse. Aber die kamen dann halt einfach nicht zur Schule, weil sie ausgegrenzt werden und das nach einer Woche einfach nicht mehr aushalten“ (J18).
Problemfokussierte Bewältigungsstrategien
Problemfokussierte Bewältigungsstrategien haben das Ziel, den Stressor selbst zu ändern. Eine solche Strategie stellt Counterspeech (Gegenrede) dar. Sie umfasst Möglichkeiten, um auf Hatespeech kommunikativ und in Auseinandersetzung mit der Person, die die Hatespeech geäußert hat, zu reagieren. Ziel der Counterspeech ist eine konstruktive Aufarbeitung zur Beendigung der Hatespeech. Zur Kategorie Counterspeech konnten unterschiedliche Handlungen zugeordnet werden: Zunächst ist das Positionieren eine Form der Counterspeech. Vordergründig ist, der Hatespeech etwas entgegenzusetzen und sie nicht unwidersprochen stehen zu lassen, üblicherweise ebenfalls öffentlich und mit Botschaftscharakter. Mitunter geht das mit Empörung einher: „[…] wenn ich eben betroffen bin, lass ich mich da nicht klein machen. Also, wenn’s berechtigte Kritik ist, dann nehme ich mir die zu Herzen, aber nicht, wenn mich nur jemand grundlos beleidigt und […] mich runtermachen möchte“ (J05). Auch bei beobachteter Hatespeech kann das Positionieren eine Möglichkeit sein: „[…] ich finde es wichtig, einfach sich genau zu positionieren, zu sagen, finde ich jetzt nicht so“ (J10). Einen Schritt weiter geht das persönliche Konfrontieren der Person, die Hatespeech äußert, z. B.: „[…] irgendwann habe ich dann auch die Nase voll und geh dann meistens auch zu den Personen hin und frag sie, ey, wenn du anderen erzählst wie doof ich bin, warum erzählst du mir das nicht?“ (J02). Diese Strategie kann ebenfalls öffentlich und mit Botschaftscharakter geäußert werden, z. B. eine Unterlassensaufforderung beinhalten oder die moralische Bewertung von Hatespeech betreffen: „Wenn es mich juckt, dann komme ich zu dem und sage dem halt einfach […] meine Meinung. […] Dass das nicht geht“ (J06). Im Gegensatz zum Positionieren, bei der der Fokus auf der Öffentlichkeit liegt, liegt hier der Fokus auf der Person, die Hatespeech äußert. Das Entlarven der Hatespeech kann auch Teil von Counterspeech sein und tritt im Zusammenhang mit Falschaussagen und Verallgemeinerungen auf. Hatespeech wird auf einer sachlichen Ebene öffentlich widerlegt und soll ebenjene Öffentlichkeit davon überzeugen, dass Hatespeech falsch ist: „Einfach mehrere Menschen darauf aufmerksam machen, dass das, was er tut, nicht richtig ist. […] Bis sie […] ihn dann konfrontieren, dass er was Falsches macht und damit aufhören sollte. Aber nicht […] [mit] Hatespeech auf ihn, sondern mit guten Argumenten ihm zu sagen, dass es nicht richtig ist“ (J19). In den Interviews zeigt sich diese Form der Counterspeech eher bei medial vermittelter Hatespeech. Eine Bewältigung durch das Ironisieren der Hatespeech kann z. B. durch schlagfertige Antworten oder durch verbale Entgegnungen geschehen, die die Aussage ins Lächerliche ziehen und so die Gesprächssituation versuchen zu lockern, z. B.: „Ich mach mich mehr darüber lustig“ (J02) oder: „Wenn mir sowas persönlich gesagt wird, […] dann reagiere ich meistens auch mit Satire“ (J02). Es kann trotz des ironischen Charakters mit einer sachlichen Falsifikation oder einem moralischen Urteil verbunden sein und genutzt werden, um öffentlich ein Statement zu platzieren: „[…] eigentlich würde ich am liebsten mit Satire oder mit Ironie reagieren, also einfach […] denen ihre Grundlage so zerschmettern, dass sie […] auch nichts mehr dagegen machen können, aber dafür muss man halt in einigen Fällen sehr schlagfertig sein“ (J05). Schlagfertigkeit wird hier als notwendige personale Ressource angeführt, um die Strategie nutzen zu können. Das Argumentieren oder Verhandeln zielt darauf ab, die Person, die Hatespeech äußert, davon zu überzeugen, dass die Aussagen falsch sind. Im Gegensatz zur Konfrontation geht es hierbei nicht nur um das Mitteilen der eigenen Botschaft, sondern um Erklärung: „Das mit der dunkelhäutigen Schülerin, dass, als ich sie einmal gefragt habe, ob sie Hautfarbe hat, hat sie sich darüber aufgeregt, dass Hautfarbe Hautfarbe heißt, weil schwarz ja auch eine Hautfarbe ist.“ (J04). Bei Konflikten, in denen Hatespeech genutzt wurde, kann es primär um Ausgleich gehen: „[…] ich versuche halt immer, wenn ich so ein Problem mit jemandem habe, gehe ich halt hin und versuche es zu klären, anstatt halt dann so etwas anzufangen“ (J12). Eine weitere Möglichkeit ist gezieltes Nachfragen. Ziel ist es, die Person, die Hatespeech äußert, zu der Erkenntnis zu führen, dass dies falsch ist, z. B.: „Dass die Leute einfach nachdenken sollen. […] Denkt darüber nach, was ihr macht und wieso ihr das macht. Denkt darüber nach, was das für Konsequenzen für andere hat“ (J19). Dabei soll die Person zur Reflexion des eigenen Handelns geführt werden: „[…] wenn es verbal passiert, finde ich, kann man/oder kann ich sagen, dass ich versuche eigentlich immer, was dazu zu sagen. Also zu sagen, wieso hast du es jetzt gesagt? Oder zu fragen, was, was er jetzt damit erreichen möchte“ (J10).
Counterspeech beschreibt Bewältigungsstrategien, bei der Hatespeech als problematisches Ereignis wahrgenommen wird. Zu vermuten ist, dass Personen, die Counterspeech nutzen, eine hohe Einfluss- bzw. Kontrollüberzeugung haben und über ausreichende personale und soziale Ressourcen verfügen, um mit aktiven Handlungen zu reagieren, die Hatespeech entgegenwirken sollen.
Eher gegensätzlich dazu steht das aktive Ignorieren als zweite problemfokussierte Bewältigungsstrategie, z. B.: „Ich habe die Leute einfach ignoriert, weil ich versuche […] drüber zu stehen“ (J10). Das aktive Ignorieren wird mit dem Ziel durchgeführt, Personen, die Hatespeech äußern, bewusst nicht zu beachten und für diese uninteressant zu werden, indem potenziell interessante Reaktionen abgestellt werden: „Und […] wenn die Leute merken, sie reagiert nicht drauf oder das macht nichts mit ihr, dann wird das denen irgendwann langweilig“ (J18). Wie in der Äußerung deutlich wird, kann das Ignorieren mit der Annahme verbunden sein, dass die zuvor gezeigte Reaktion als mögliche Ursache für die Viktimisierung durch Hatespeech attribuiert wird. Mit dem aktiven Ignorieren soll dieser Kreislauf durchbrochen werden.
Die Interpretation der Daten ergab zudem, dass die Wahl der Bewältigungsstrategie durch das subjektiv wahrgenommene Maß sozialen Rückhalts in der Klasse beeinflusst wird. Wird die soziale Unterstützung hoch eingeschätzt, tendieren Jugendliche eher zu problemfokussierten Strategien, wohingegen das Fehlen sozialer Unterstützung gegenteilig dazu führen kann, dass eher emotionsfokussierte Bewältigungsstrategien gewählt werden.
Neubewertung
Eine Neubewertung kann im Verlauf der Auseinandersetzung mit Hatespeech vorgenommen werden, z. B. wenn sich situative Faktoren oder Bewältigungspotenziale verändern. Neubewertung meint also eine zeitlich versetzte Wiederholung der bisherigen Bewertung. Daraus können sich Konsequenzen für die weitere oder zukünftige Bewältigung ergeben. Emotions- und problemfokussierte Strategien können dadurch auch miteinander oder aufeinander aufbauend auftreten. Berichtete Neubewertungen lassen sich finden, wenn Schüler/innen z. B. retrospektiv das eigene Handeln in einer konkreten Situation reflektieren oder Schlüsse für das zukünftige Vorgehen ziehen.
Ist die Bewertung von negativen Emotionen bestimmt, scheinen weniger konstruktive Bewältigungsstrategien daran anzuschließen. Solche Zusammenhänge deuten sich zwischen einer von Angst bestimmten Bewertung und vermeidenden Strategien an. Wenn die Bewertung von Wut bestimmt ist, scheinen teils reaktive Aggressionen anzuschließen. Einige Interviewte reflektierten solche Zusammenhänge und zeigten sich bemüht, die so identifizierten Bewältigungspotenziale im Umgang mit Hatespeech zu bergen und eine Neubewertung aktiv zu ermöglichen. Im Datenmaterial finden sich z. B. Hinweise darauf, dass ihnen die Relevanz der Kontroll- bzw. Einflussüberzeugung für eine konstruktive Bewältigung bewusst ist, was sich im Bestreben nach Stärkung des Selbstbewusstseins (J18) oder der Bewusstmachung der Selbstwirksamkeit (J02) zeigt. Als Hypothese lässt sich dies so formulieren: Emotionsfokussierte Bewältigungsstrategien können zunächst zur gezielten Reduktion des Belastungsempfindens bzw. zur gezielten Stärkung eigener Ressourcen eingesetzt werden, um anschließend in ähnlichen Situationen mit konstruktiveren Bewältigungsstrategien reagieren zu können. Das Datenmaterial enthält Hinweise, die diese Hypothese stützen: „Aber jetzt geht mich nicht mehr so schnell an mich ran. Ich glaube, dass je mehr passiert, kannst du es mehr abweisen […]“ (J04), sowie: „Und nach einem halben Jahr hat das dann irgendwann aufgehört, weil ich mich dann nicht mehr von den provozieren lassen habe“ (J15). Relevant erscheint das insbesondere dann, wenn Hatespeech mehrfach bzw. wiederholt erlebt wird, jedoch ein Angriff auf das Selbstbewusstsein emotionsfokussiert abgewehrt werden kann. „Und wenn ich den Schulhof betrete, durch meine kurzen Haare, durch meine Erscheinung einfach, durch mein Selbstbewusstsein, kommen Leute auf mich zu: ‚Du Lesbe.‘ Und das sind halt so unnötige Sachen […]. Also das macht mit mir nichts mehr, da ich das gewohnt war früher. Da ich gemerkt habe, ich muss mein Selbstbewusstsein stärken“ (J18). Dieser Fall verdeutlicht mögliche resilienzsteigernde Effekte aufgrund der Neubewertung.
Neubewertungen zeigten sich auch, wenn sich die Hatespeech gegen veränderbare Merkmale richtete, z. B. wenn Hatespeech aufgrund von Übergewicht oder Sprachdefiziten geäußert wurde, etwa: „Aber in der Sechsten war ich noch schwer mit Deutsch und dann so: ‚Ja du Ausländer, was suchst du hier? […] Red mal deutsch.‘ […]. Also ich fand […] die haben Recht […]. Ich habe mir Mühe gegeben und die haben mich dann mehr runter gemacht, als mir zu helfen […]“ (J08). Hier wird ein Merkmal angegriffen, das veränderbar erscheint (Sprachdefizit). Die Neubewertung zeigt sich darin, dass die betroffene Person der defizitären Beurteilung des Merkmals zustimmt. Es kann von einer sachlichen Umdeutung der Hatespeech oder von Assimilation gesprochen werden, z. B.: „wenn sie […] gesagt haben: ‚ja, du bist fett‘, dann habe ich gesagt: ‚okay dann bin ich fett‘“ (J01), wobei jedoch die Gefahr einer Internalisierung der negativen Zuschreibungen bzw. einer Selbststigmatisierung gegeben ist.