Hintergrund

„Bettlägerigkeit“ ist ein zentrales pflegerisches Phänomen, das eng mit fortschreitenden Mobilitätseinschränkungen assoziiert ist. Das im deutschsprachigen Raum zentrale Erklärungsmodell zum Prozess des Bettlägerigwerdens wurde vor fast 20 Jahren von Zegelin (2005) vorgelegt. Darin beschreibt die Pflegewissenschaftlerin, wie infolge eines schleichenden Prozesses der Bewegungsradius abnimmt und sich eine zunehmende Verwiesenheit auf einen Ort, z. B. den Stuhl oder Rollstuhl, entwickelt. Im Verlauf entsteht damit eine Ortsfixierung, die sich in 3 Schweregrade unterteilen lässt. Demnach weist eine Person eine leichte Form der Ortsfixierung auf, wenn sie sich über weite Teile selbstständig bewegen kann und lediglich beim Transfer Hilfestellung benötigt. Bei der mittelschweren Form kann sich der oder die Betroffene noch über kurze Strecken selbstständig bewegen, der Bewegungsradius ist aber bereits erheblich eingeschränkt. Bei der schweren Ortsfixierung hingegen ist die Person nicht mehr in der Lage, einen Ortswechsel vorzunehmen, und verbleibt den größten Teil des Tages an einem Ort (Zegelin 2005).

Diese allmähliche Ortsfixierung kann schließlich in eine Bettlägerigkeit münden, wenn beispielsweise keine Maßnahmen zur Erhaltung oder zur Förderung der Mobilität erfolgen. Eine Ortsfixierung kann u. a. auch durch die Haltung der Pflegenden, Ärzt*innen oder auch der An- und Zugehörigen verstärkt werden, indem von selbstständiger Bewegung aus Sicherheitserwägungen, z. B. Angst vor möglichen Stürzen, zunehmend abgeraten wird.

Eine zunehmende Immobilität oder Immobilisierung kann dabei sowohl Kennzeichen als auch Risikofaktor einer Ortsfixierung sein. Eine klare Trennung von Ursache und Wirkung ist oft nicht möglich, weil diese miteinander verflochten sind oder sich gegenseitig bedingen. So können Mobilitätseinschränkungen zu einer Ortsfixierung führen, stellen also einen Risikofaktor dar. Die beobachtete Ortsfixierung kann aber auch andere Gründe haben, wie etwa eine ausgeprägte Sturzangst (Berger et al. 2022), dann wäre diese zunehmende Immobilisierung eher als Kennzeichen zu verstehen. Infolge des verringerten Bewegungsumfangs im Sinne einer Ortsfixierung nehmen dann aber wiederum die Fähigkeiten zur selbstständigen Mobilität ab. In Studien zeigt sich, dass Einschränkungen der Mobilität bei Bewohner*innen in der stationären Langzeitpflege häufig sind und sich der Mobilitätsstatus mit der Zeit oftmals verschlechtert (Kleina 2014). Aber selbst unter zu Hause lebenden Senior*innen über 65 Jahren benötigen 84,3 % bereits irgendeine Form der Unterstützung der Mobilität (Karabegovic et al. 2020). Ob diese Personen bereits als ortsfixiert betrachtet werden müssten, wird allerdings in den Studien nicht erhoben.

Ein zunehmend reduzierter Mobilitätsstatus und eine damit einhergehende eingeschränkte körperliche Aktivität sind mit einem zunehmenden Pflegebedarf assoziiert (Schnitzer et al. 2020), Bettlägerigkeit zudem mit zahlreichen und schwerwiegenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen (Knight et al. 13,14,a, b; Nigam et al. 2009). Ein Mehr an körperlicher Aktivität und Bewegung ist dagegen folgerichtig mit einem geringeren Risiko für den Umzug in eine stationäre Langzeitpflege assoziiert (Steinbeisser et al. 2022) und beugt möglicherweise auch dem Prozess einer allmählichen Ortsfixierung vor.

Ortsfixierung und „boundedness“

Während die Fähigkeiten zur Bewegung und die tatsächlich durchgeführte körperliche Aktivität immer wieder Teil wissenschaftlicher Erhebungen sind, liegen für die Phänomene zunehmende Ortsfixierung und Bettlägerigkeit nur vereinzelte Studien vor. Schirghuber und Schrems (2018) haben die Entwicklung einer Begriffsdefinition von Ortsfixierung und Bettlägerigkeit forciert und resümieren, dass die beide Begriffe „durch die einheitliche Definition der Gebundenheit (boundedness)“ gemeinsam in einem Modell Gebundenheit zu fassen seien. Sie unterscheiden insgesamt 7 Arten von Gebundenheit (Schirghuber und Schrems 2021b). Bettlägerigkeit verstehen sie dabei als einen dauerhaften Zustand, der dadurch gekennzeichnet ist, dass Menschen passiv an ein Objekt gebunden sind, mit der Folge einer zunehmenden Einschränkung des Lebensraumes. Passiv an den Rollstuhl gebunden zu sein, so die Autor*innen, stellt oft eine Vorstufe zur Bettlägerigkeit dar.

Bettlägerig, an den Rollstuhl oder an das Haus gebunden zu sein, kann demnach mit folgenden Kennzeichen in Verbindung gebracht werden: Hilfsbedürftigkeit, Machtlosigkeit, Lebensraumeinschränkung, Mobilitätseinschränkung, Dauerhaftigkeit (im Rollstuhl bzw. im Bett) und Schwäche (Schirghuber und Schrems 2023; Schirghuber et al. 2022). In einem Delphi-Verfahren mit 67 Pflegeexpert*innen wurde das so beschriebene Modell konsentiert. Es wurden dabei die im Vorfeld literaturbasiert ermittelten Charakteristika für die jeweiligen Abstufungen abgestimmt. Auch wahrscheinliche Ursachen und Risikofaktoren wurden in diesem Rahmen abgestimmt (Schirghuber et al. 2022; Schirghuber und Schrems 2021a). Eine abschließende klinische Validierung des Modells sowie Prävalenzerhebungen stehen bei diesem erst kürzlich veröffentlichten Modell noch aus.

Die Forschungsgruppe um Schirghuber verweist zudem auf die Prävalenzuntersuchung von Schrank et al. (2013). Hier wird resümiert, dass es an weiteren Prävalenzstudien zum Thema Rollstuhlgebundenheit oder Bettlägerigkeit in der Häuslichkeit und anderen Versorgungssettings fehlt.

In dieser großen Prävalenzerhebung in Österreich mit 3054 Pflegeheimbewohner*innen wurde die Definition nach Zegelin verwendet. Es zeigt sich, dass 61,8 % eine Ortsfixierung aufweisen, wobei mit 42,8 % ein Großteil der Personen als schwer ortsfixiert eingestuft wird. Zudem sind 49,8 % der Personen bettlägerig. Es lassen sich dabei deutliche Überschneidungen der Phänomene Ortsfixierung und Bettlägerigkeit aufzeigen, auf 42,9 % treffen beide zu (Schrank et al. 2013).

In dieser einzigen deutschsprachigen Studie zeigten sich kaum nennenswerte Unterschiede zwischen den Gruppen „ortsfixierte Personen“ und „nichtortsfixierte Personen“, die auf Risikofaktoren oder auch Ansätze zur Prävention hindeuten würden. Gleichzeitig schwankte der Anteil an Bewohner*innen mit Ortsfixierungen zwischen den Einrichtungen teilweise beträchtlich, was sich aber nicht anhand von unterschiedlichen Merkmalen der jeweiligen Bewohner*innen oder anhand der jeweiligen Strukturen wie dem Personalstand erklären ließe. Dieser Hinweis lässt vermuten, dass die Möglichkeiten zur Erhaltung und zur Förderung der Mobilität nicht in allen Einrichtungen gezielt aufgegriffen werden. Gleichzeitig ist aber auch zu vermuten, dass Persönlichkeitsmerkmale der Betroffenen wie die generelle Einstellung zu Bewegung oder Aspekte der Biografie wie frühere bzw. aktuelle sportliche Aktivitäten einen Einfluss auf die Mobilität haben können (Franco et al. 2015).

Ziel der Studie

Es fehlt demnach an grundlegenden empirischen Daten zu Konkretion und Beschreibung des Phänomens Ortsfixierung nach dem Modell von Zegelin. Dies gilt gleichermaßen für Möglichkeiten einer gezielten Prävention und daran anschließend auch an entsprechenden Interventionsstudien. Mit der vorliegenden Arbeit soll daher explorativ untersucht werden, was typische Kennzeichen von Personen mit einer Ortsfixierung sind, bzw. worin sich die Personen mit und ohne eine Ortsfixierung unterscheiden.

Methodik

Beim vorliegenden Datensatz handelt es sich um eine zusammengeführte Gelegenheitsstichprobe aus den Forschungsprojekten IKK PEP – Innovative Werkzeuge und Konzepte für Kranken- und Pflegekassen zur Prävention in Einrichtungen der Pflege (Erhebung Herbst 2022, drei Tagespflegen) und PEBKO – Prävention in (teil-)stationären Pflegeeinrichtungen in den Handlungsfeldern Ernährung und Bewegung mittels partizipativer Konzeptentwicklung (Erhebung Sommer 2019 bis Frühling 2020, eine Tagespflege, 4 stationäre Pflegeeinrichtungen).

Ziel aller Erhebungen war es, über verschiedene personenbezogene Parameter, nichtteilnehmende Beobachtungen und qualitative Interviews einen Eindruck zur Mobilitätsförderung in den besuchten Einrichtungen zu gewinnen. Außerdem sollten die Bedürfnisse und Bedarfe der Pflegeempfänger*innen, deren Mobilitätsstatus und die beeinflussenden Faktoren umfangreich abgebildet werden. Hierfür wurden die Akten gesichtet und entsprechende Instrumente zum Einsatz gebracht, die nachfolgend beschrieben werden. In der hier vorliegenden Arbeit werden die quantitativen Daten mit Fokus auf das Phänomen Ortsfixierung einer Sekundäranalyse unterzogen.

Definition der Ortsfixierung

Als Grundlage für die Einschätzung wurde die eingangs erwähnte Definition nach Zegelin (2013) zur Ortsfixierung gewählt.

Bei der Erhebung wurde entsprechend dieser Definition in die 3 Schweregrade kategorisiert, leichte, mittelschwere und schwere Ortsfixierung. Aufgrund der kleinen Stichprobe (n = 77) wurde in der Auswertung allerdings auf diese Unterscheidung verzichtet und lediglich dichotom in „ortsfixiert“ und „nicht ortsfixiert“ unterschieden.

Auswertung der Daten

Bei allen in die Studie eingeschlossenen Personen wurden die zentralen demografischen Daten pseudonymisiert erfasst (z. B. Alter am Erhebungstag). Die Daten wurden den Akten entnommen (z. B. demografische Daten, Diagnosen) bzw. zusammen mit den betreffenden Personen erhoben (z. B. Mobilitätsstatus, Kognition). Erfasst wurden folgende Variablen:

  • Alter, Geschlecht, Diagnosen, Stürze in den letzten 12 Monaten, aktuell erhaltene Physio‑/Ergotherapie.

  • Die täglich einzunehmenden Medikamente wurden gezählt und auf „fall-risk-increasing drugs“ (FRID) geprüft. Als Grundlage hierfür diente die Definition in der Erhebung von Behrendt et al. (2021). Zu den FRID gehören demnach Präparate aus den Gruppen Opioide, Antiepileptika, Antipsychotika, Benzodiazepine, Hypnotika/Sedativa und Antidepressiva.

  • Der Mobilitätsstatus mithilfe des Instruments Erfassungsbogen Mobilität – EBoMo (hier ohne Parameter Gehstrecke auf der Ebene in m), bei dem in den Dimensionen Positionswechsel im Bett, Transfer, Sitzen im Stuhl, Stehen/Gehen/Treppen steigen sowie Bewegung innerhalb/außerhalb der Einrichtung der Grad der Selbstständigkeit eingeschätzt wird (Stulier et al. 2014).

  • Die Ortsfixierung nach dem Modell von Zegelin (2005).

  • Benötigte Mobilitätshilfsmittel

  • Die Kognition wurde mithilfe des Mini Mental Status Test (MMST) eingeschätzt. Wenn eine Befragung per MMST nicht möglich war oder abgebrochen werden musste, kam die Global Deterioration Scale (GDS) zum Einsatz. Der MMST erlaubt über ein Scoring die Unterteilung in leichte (≤ 24 P), mittelschwere (≤ 20 P) und schwere Demenz (≤ 10 P). Beim GDS erfolgt eine Gruppierung in 7 Schweregrade: keine, sehr geringe, geringe, mäßige, mittelschwere, schwere und sehr schwere kognitive Beeinträchtigungen (Creavin et al. 2016; Reisberg et al. 1982).

  • Der Ernährungsstatus mithilfe des Malnutrition Universal Screening Tool (MUST), der eine Einschätzung in geringes, mittleres und hohes Mangelernährungsrisiko erlaubt (Schütz et al. 2005)

  • Die gesundheitsbezogene Lebensqualität mittels EQ-5D-5L (European Quality of Life 5 Dimensions 5 Level Version), was als Form eines Index (0–1) dargestellt wird. Das Instrument enthält außerdem eine Skala von 0–100 zur subjektiven Einschätzung des aktuellen Gesundheitszustandes (Ludwig et al. 2018). Es wurden Self- und bei fortgeschrittener Demenz Proxy-Einschätzungen vorgenommen.

  • Die Morbidität anhand des Charlson-Komorbiditätsindex, in der gekürzten Fassung nach Quan (Quan et al. 2011).

Die statistische Auswertung wurde mithilfe von IBM SPSS 28 (Armonk, New York, USA) durchgeführt. Als Maß der zentralen Tendenz wurde der Median (Mdn) mit Interquartilsabstand (IQR) gewählt. Gruppenvergleiche wurden je nach Skalierung der Variablen als Mann-Whitney-U- (ordinal, metrisch skaliert) oder Chi2-Test (nominal skaliert) vorgenommen. Ein p < 0,05 wird als signifikantes Ergebnis definiert.

Für die Projekte IKK-PEP und PEBKO liegt jeweils ein positives ethisches Clearing der Ethikkommission der Deutschen Gesellschaft für Pflegewissenschaft in Witten vor (Antrag Nr. 22-023 und 19-009). Die Gäste der Tagespflege bzw. die Pflegeheimbewohner*innen wurden angeschrieben und über das Forschungsvorhaben informiert. Es fanden im Vorfeld der Erhebungen jeweils Informationsveranstaltungen in den Einrichtungen, bei denen Fragen geklärt werden konnten, statt. Die infrage kommenden Personen wurden nur nach informierter Zustimmung (ggf. über Betreuende) in die Datenerhebung eingeschlossen. Die Gelegenheitsstichprobe umfasst 48 Gäste aus 4 Tagespflegen und 29 Bewohner*innen aus 4 Langzeitpflegeeinrichtungen.

Ergebnisse

Die Gesamtgruppe (Tab. 1) weist ein hohes Alter (Mdn 82 Jahre), ein fast ausgeglichenes Geschlechterverhältnis (53,2 % weiblich; n = 41), in fast der Hälfte der Fälle eine mindestens mittelschwere kognitive Beeinträchtigung (48,1 %; n = 37) und eine hohe Anzahl täglich einzunehmender Medikamente (Mdn 8) auf. Zudem nimmt über die Hälfte der Personen (58,4 %; n = 45) mindestens ein FRID ein. Häufig vorkommende chronische Erkrankungen wie arterielle Hypertonie (39 %; n = 30), Demenz (31,2 %; n = 24), Embolien (29,9 %; n = 23) oder Diabetes mellitus (26 %; n = 20) weisen auf eine ausgeprägte Morbidität der Personen in der Stichprobe hin. Ein mittleres bis hohes Mangelernährungsrisiko weisen gemäß MUST 20,3 % (n = 14) auf, allerdings liegen für 10,4 % (n = 8) nicht ausreichend Daten vor, um eine Einschätzung des Ernährungsstatus durchführen zu können.

Tab. 1 Gruppenvergleich ortsfixiert vs. nicht ortsfixiert

Die gesundheitsbezogene Lebensqualität wird gemäß EQ-5D-Index als eher hoch eingeschätzt (Mdn 0,83); die subjektive Gesundheit wird mit im Mittel 65 von 100 möglichen Punkten auch eher positiv bewertet. Eine Ortsfixierung weisen 42,9 % (n = 33) der Personen auf. Das Phänomen Ortsfixierung tritt dabei in der Gruppe „Langzeitpflege“ mit 58,6 % (n = 17) häufiger auf als in der Gruppe „Tagespflege“ mit 33,3 % (n = 16).

Beim Vergleich der Gruppen „ortsfixierte Personen“ und „nichtortsfixierte Personen“ zeigen sich nur wenige signifikante Unterschiede. So weist die Gruppe „ortsfixiert“ zwar augenscheinlich tendenziell einen höheren Frauenanteil, ein etwas höheres Alter, einen höheren Anteil an Stürzen, häufiger mittelschwere bis schwere kognitive Beeinträchtigungen und eine höhere Morbidität auf, dies ist jedoch nicht signifikant. Allerdings ist bei den Personen mit festgestellter Ortsfixierung der EBoMo Score signifikant niedriger (Mdn 44 vs. 54; p < 0,001), es wird häufiger ein Mobilitätshilfsmittel verwendet (93,9 % vs. 47,7 %; p < 0,001), was sich v. a. auf eine häufigere Rollstuhlnutzung zurückführen lässt (63,6 % vs. 2,3 %; p < 0,001), und es kann eine geringere gesundheitsbezogene Lebensqualität gemäß EQ-5D-Index festgestellt werden (Mdn 0,47 vs. 0,93; p < 0,001). Eine Physio- oder Ergotherapie erhalten signifikant mehr Personen mit Ortsfixierung als ohne (45,5 % vs. 18,2 %; p = 0,01).

Die Häufigkeit der verschiedenen chronischen Erkrankungen unterscheidet sich hingegen kaum (z. B. Diabetes mellitus 27,3 % vs. 25,0 %; p = 0,822) oder ist nicht signifikant unterschiedlich (z. B. arterielle Hypertonie 45,5 % vs. 34,1 %; p = 0,312). Paresen (21,2 % vs. 4,5 %; p = 0,024) und Herzrhythmusstörungen (30,3 % vs. 11,4 %; p = 0,038) treten häufiger auf, Demenzerkrankungen hingegen seltener (18,2 % vs. 40,9 %; p = 0,033). Auch hinsichtlich der Morbidität gemäß Charlson-Komorbiditätsindex zeigen sich keine Unterschiede, jedoch lässt sich aufgrund der signifikant höheren Anzahl an täglich einzunehmenden Medikamenten (Mdn 10 vs. 6; p = 0,015) auf eine eher höhere Morbidität in der Gruppe Ortsfixierung schließen. Keinen wesentlichen Unterschied gibt es bei der Verordnung von FRID.

Diskussion

Bei der hier untersuchten Kohorte wurden Personen aus unterschiedlichen Settings (teilstationär und stationär) zusammengeführt. Dies erschwert den Vergleich mit anderen Studien. Wird lediglich der Teil der in der stationären Langzeitpflege lebenden Personen der Stichprobe betrachtet, ist die Prävalenz der Ortsfixierung mit 58,6 % vergleichbar mit der Erhebung von Schrank et al. (2013). Für den Bereich Tagespflege liegen bislang keine Vergleichsdaten bezüglich des Phänomens Ortsfixierung vor. Grundsätzlich lässt sich aber konstatieren, dass auch in dieser Teilgruppe der Anteil der ortsfixierten Personen mit einem Drittel recht hoch erscheint. Vor allem unter dem Gesichtspunkt, dass die Gäste der Tagespflege noch völlig selbstständig zu Hause leben bzw. mit Unterstützung von Angehörigen und/oder ambulanten Pflegediensten, es sich also mitnichten um sehr abhängige Personen handelt.

Die Unterschiede, die sich zwischen den Gruppen mit und ohne Ortsfixierung feststellen lassen, beziehen sich folgerichtig auf Mobilitätsaspekte, wie das häufigere Benutzen eines entsprechenden Hilfsmittels oder einen höheren Unterstützungsbedarf beim Bewegen laut EBoMo, sodass ein schlechteres Abschneiden im EQ-5D logisch erscheint. Schließlich beschreibt eine der 5 im EQ-5D enthaltenen Dimensionen Schwierigkeiten mit der Mobilität. Zudem können Einschränkungen der Bewegungsfähigkeiten und Mobilität auch die Dimensionen „sich selbst versorgen“ und „Aktivitäten“ maßgeblich negativ beeinflussen. Wird dann aber nach der subjektiven Gesundheit gefragt, zeigen sich keine Unterschiede zwischen den Gruppen ortsfixiert/nicht ortsfixiert und ist im Gesamten vergleichbar mit einer anderen Erhebung in der Langzeitpflege (Reiber et al. 2022).

Die Ergebnisse können in das Phasenmodell der Bettlägerigkeit nach Zegelin (2013) eingeordnet werden. Die Kennzeichen (Paresen und Hilfsmittel/Rollstuhl) verweisen auf die Phasen „Ereignis“ und „Immobilität im Raum“. Das heißt Krankheitsereignisse, wie z. B. ein Apoplex, und mögliche Folgen führen zu einer Klinikeinweisung und dazu, dass diese Personen eine Immobilität im Raum erleben. Das Angewiesensein auf ein Hilfsmittel, wie z. B. einen Rollstuhl, geht mit langem Sitzen an einem Ort einher. Die Personen wechseln nur mühsam den Ort, und der Handlungsspielraum verengt sich zunehmend.

Interessant ist außerdem der Anteil an Personen, die aktuell eine Physio- oder Ergotherapie erhalten. In der Gruppe der ortsfixierten Personen sind dies keine 50 %. Auch wenn dieser Anteil erheblich höher ist als in der Gruppe der Nichtortsfixierten, kann aus diesen Zahlen ein deutlicher Handlungsbedarf abgeleitet werden. Ein Mehr an Therapien anzubieten, wäre sicherlich sinnvoll, da Studien das Rehabilitationspotenzial und dessen Wirksamkeit auch noch im sehr hohen Alter bestätigen (Jamour et al. 2014).

Eine höhere Morbidität bei den Personen mit einer Ortsfixierung deutet sich in der größeren Anzahl einzunehmender Medikamente an, auch bei der Häufigkeit einzelner Erkrankungen, aber diese Unterschiede sind nicht konsistent und nur selten signifikant. Ein Beispiel hierfür ist der geringere Anteil an Personen mit Demenz in der Gruppe der ortsfixierten Personen. Vor allem im Bereich der Tagespflege deckt sich dies mit der Alltagsbeobachtung, dass sich Personen mit Demenz viel bewegen, z. B. häufig aufstehen und umherlaufen.

Erfolgt ein Einzug in eine Langzeitpflegeeinrichtung aufgrund von Demenz, könnte vermutet werden, dass die betreffenden Personen relativ mobil sind und eher wenige andere Erkrankungen aufweisen – zumindest, wenn es sich nicht um eine sehr schwere Demenz handelt.

Allerdings ist eine Demenz in Erhebungen auch mit schlechterem Mobilitätsstatus assoziiert. Studien zeigen v. a. für die Kombination Demenz und Depression deutlich schlechtere Werte bei verschiedenen Leistungstests, wie Gehgeschwindigkeit oder Gleichgewicht (Kvæl et al. 2017), die Mobilität würde demnach abnehmen. In der hier untersuchten Stichprobe wurde keine Depressionsskala angewendet, sodass dieser Einflussfaktor nicht zu klären ist, vielmehr kommt die Diagnose „Depression“ in der Gruppe der nichtortsfixierten Personen sogar tendenziell häufiger vor. Nun ist der Anteil an Personen mit Demenz zwar signifikant kleiner in der Gruppe der ortsfixierten Personen. Werden aber nur die Personen mit einer mindestens mittelschweren kognitiven Beeinträchtigung betrachtet werden, ist der Anteil in der Gruppe ortsfixiert plötzlich größer, wenn auch nicht signifikant (57,6 % vs. 40,9 %; p = 0,147). Dies könnte als Hinweis verstanden werden, dass eine Demenz nicht generell ein Risikofaktor für Mobilitätseinschränkungen ist, bei Fortschreiten der Erkrankung es aber tendenziell eher zu einer Ortsfixierung kommt.

In einer Erhebung in der Langzeitpflege sind Verschlechterungen der Mobilität im Zeitverlauf ebenfalls v. a. mit einer fortgeschrittenen Demenz assoziiert (Wingenfeld 2014). Dieser Befund geht also in eine ähnliche Richtung. Gleichzeitig ist darauf zu verweisen, dass die den Akten der Tagespflegegäste entnommenen Diagnosen möglicherweise nicht auf dem aktuellen Stand sind, sodass Personen evtl. bereits kognitive Defizite im MMST zeigen, aber keine entsprechende Diagnose vorliegt.

Auch Diagnosen, die mit hoher Wahrscheinlichkeit die Mobilität oder Gehfähigkeit beeinträchtigen können, zeigen in dieser Untersuchung keine klare Tendenz. Zwar sind Paresen signifikant häufiger bei einer bestehenden Ortsfixierung anzutreffen (21,2 % vs. 4,5 %; p = 0,024). Morbus Parkinson ist dagegen tendenziell seltener (18,2 % vs. 25,0 %; p = 0,475), aber eben nicht signifikant. Auch in diesem Fall gibt es keine hinreichenden Informationen wie z. B. zur Schwere der Erkrankung. Um aber beispielsweise den Faktor einer fortgeschrittenen Erkrankung in der Auswertung berücksichtigen zu können, bedürfte es grundsätzlich einer größeren Stichprobe.

Interventionen bei und Prävention von Ortsfixierung

Explizite Untersuchungen zur Prävention oder zu Interventionen bei einer bereits eingetretenen Ortsfixierung liegen bislang nicht vor. Plausibel ist aber anzunehmen, dass eine Stärkung der Mobilität sich hierauf positiv auswirken würde. So können etwa Multikomponentenprogramme dazu beitragen, dass sich der Verlust an Kraft und Bewegungsfähigkeiten zumindest hinauszögern lässt (Bernabei et al. 2022). Jedoch wird es kaum ausreichen, vereinzelte Interventionsprogramm anzubieten. Die gesamte Einrichtung muss so gestaltet werden, dass Bewegung gefördert und zur Bewegung motiviert wird. So kann eine Einrichtung, die nicht bewegungsförderlich gestaltet ist (z. B. keine interessanten Bilder an den Wänden oder Bewegungsecken) die Motivation zur Bewegung bei Pflegeheimbewohner*innen reduzieren (Douma et al. 2017). Dazu gehört aber auch, Bewegung als Teil des Alltags zu verstehen und den Alltag so zu gestalten, dass diese Alltagsbewegungen ermöglicht und gefördert werden. Die Beobachtungen, die im Rahmen des Forschungsprojektes IKK-PEP in 3 Tagespflegen gemacht wurden, haben eben das gezeigt: Es werden häufig zu viele Handgriffe und kleine Bewegungen übernommen, die pflegebedürftigen Personen kaum in den Alltag integriert. So bleiben Möglichkeiten zur Bewegung ungenutzt, was mit zu einem steigenden Risiko einer Ortsfixierung beitragen kann. Tatsächlich zeigte sich in den Beobachtungen außerdem, dass ein Großteil der Tagespflegegäste den Großteil des Tages passiv-sitzend verbringt. Und dies, obwohl alle diese Personen über (Rest‑)Kompetenzen verfügen und mit Unterstützung einen Transfer durchführen können (Berger et al. 2023b). Das heißt, neben verschiedenen Sport- und Bewegungsprogrammen ist es v. a. ein Umdenken, das erforderlich ist, um dem Alltag mehr Bewegung zu geben. Auch die Zusammenarbeit mit anderen Berufsgruppen, wie Physiotherapie oder Ergotherapie, muss forciert werden. Eine enge Zusammenarbeit mit einem Sanitätshaus kann mit dazu beitragen, dass die Mobilitätshilfsmittel den verbliebenen Ressourcen und individuellen Anforderungen entsprechen. Auch das Thema Beratung und Anleitung (Bewegung in den Alltag integrieren, Hilfsmittel etc.) gilt es, stärker in den Blick zu nehmen. Ein solches Maßnahmenbündel, basierend auf den Erkenntnissen des Expertenstandards „Erhaltung und Förderung der Mobilität in der Pflege“, kann auch bei knappen Ressourcen in den Alltag erfolgreich integriert werden (Berger et al. 2023a). So können Fähigkeiten erhalten und einer Ortsfixierung höchstwahrscheinlich vorgebeugt werden. Um dies belegen zu können, bedarf es jedoch der Entwicklung spezifischer Intervention und weiterer Studien.

Limitationen

Die zentrale Limitation dieser Arbeit stellt die kleine Stichprobe bei gleichzeitig enormer Heterogenität der Proband*innen dar. Dies in Kombination mit den nichtvorhandenen Vergleichsdaten zum Phänomen Ortsfixierung und dem Setting Tagespflege macht es kaum möglich, eine Repräsentativität der Stichprobe zu prüfen. Der vergleichsweise geringe Frauenanteil deutet aber darauf hin, dass diese nicht repräsentativ ist. Zudem bedeutet die kleine, heterogene Gruppe eine erhebliche Einschränkung, was die Auswertungsmethodik betrifft. Für robustere Verfahren, die eine Ableitung von Risikofaktoren erlauben, werden größere Stichproben benötigt.

Auch das grundlegende Design einer Sekundäranalyse weist mit einer Begrenzung der auswertbaren Daten einen wesentlichen Nachteil auf. Schließlich lag der Fokus der Erhebung ursprünglich nicht primär auf dem Phänomen Ortsfixierung. Damit lassen sich nur die möglichen Kennzeichen einer Ortsfixierung, die vorliegen, auswerten.

Stürze bei Nutzer*innen der Tagespflege sind nur schwer zu beurteilen. Generell findet ein Großteil der Stürze von älteren Personen innerhalb der eigenen Wohnung statt (Rommel et al. 2019). Damit können diese in der Tagespflege auch nur bekannt sein, wenn sich deutliche Verletzungszeichen zeigen oder aus anderen Gründen hiervon überhaupt berichtet wird. In der Langzeitpflege hingegen wird ein weit höherer Anteil der erfolgten Stürze bemerkt und entsprechend dokumentiert. Aber auch hier kann die Dunkelziffer der nichterfassten Stürze recht hoch sein, v. a. dann, wenn keine Verletzungen daraus resultieren und/oder die Betroffenen selbst wieder aufstehen können und über den Sturz nicht berichten.

Die verwendeten Hilfsmittel zur Mobilität wurden erfasst. Es wurde bei der Erhebung auch versucht zu ermitteln, ob diese bedarfsgerecht und entsprechend den noch vorhandenen Fähigkeiten ausgewählt wurden. Zudem wurden Gehhilfen und Rollstühle auf Beschädigungen und korrekte Einstellungen geprüft. Die Ergebnisse konnten hier jedoch nicht sinnvoll aufgegriffen werden, da speziell in der Tagespflege ein erheblicher Anteil der Gäste keine eigenen Hilfsmittel mitgebracht hatte, sondern die der Einrichtung nutzte. Diese Informationen wären im Kontext einer Ortsfixierung sehr interessant gewesen, da die richtige Auswahl und Anwendung eines Hilfsmittels und die entsprechende Schulungen zum Umgang mit diesen wichtig sind, um verbliebene Fähigkeiten zu erhalten bzw. zu verbessern und so Mobilität zu erhalten. Gleiches gilt für den ordnungsgemäßen Zustand der Hilfsmittel (z. B. Funktionsfähigkeit von Bremsen).

Schlussfolgerung

In der Gesamtschau zeigt sich, dass das Phänomen Ortsfixierung kaum untersucht ist, aber häufig vorkommt. Das Phasenmodell nach Zegelin (2005) bietet eine Möglichkeit. Verläufe einzuordnen. Dennoch wird das Phänomen der Ortsfixierung in der Praxis bislang kaum in den Blick genommen, und (pflegerische) Bewegungsinterventionen fokussieren selten auf vergleichsweise immobile Personen. In der Stichprobe wird dieses Phänomen deutlich: Ortsfixierte Personen erhalten zwar häufiger Physio‑/Ergotherapie als nichtortsfixierte, insgesamt ist der Anteil jedoch relativ gering. Eine routinemäßige Prüfung der pflegebedürftigen Menschen im Hinblick auf das Phänomen Ortsfixierung findet in den Einrichtungen nicht statt. Größere Studien zu Prävalenz und Risikofaktoren sind erforderlich, um wirksame präventive pflegerische Konzepte, die den Prozess der allmählichen Ortsfixierung umkehren und somit auch einer Bettlägerigkeit gezielt vorbeugen können, zu entwickeln. Generell gilt es, in den Einrichtungen aller Versorgungsbereiche die Erhaltung und Förderung der Mobilität stärker in den Blick aller Akteur*innen zu nehmen. Die Forderung, dass pflegebedürftigen Menschen regelmäßig Angebote zu unterbreiten sind, um eine Ortsfixierung zu vermeiden, wird zwar im aktualisierten Expertenstandard nach § 113 SGB XI „Erhaltung und Förderung der Mobilität“ 2020 benannt (DNQP 2020). Dennoch zeigt sich eine deutliche Diskrepanz zu den Empfehlungen und deren Umsetzung in der pflegerischen Praxis. Daher sind die Bemühungen der Berufsgruppe der Pflegenden weiter zu intensivieren, Alltagsbewegung stärker zu fördern, um einer Verschlechterung des Mobilitätsstatus und der Entwicklung einer Ortsfixierung vorzubeugen.