Einleitung

Jährlich werden in Deutschland etwa 360.000 Menschen aufgrund eines Schlaganfalls stationär behandelt (Destatis 2020). Der Schlaganfall stellt den häufigsten Grund für eine Behinderung im Erwachsenenalter dar (Röther und Diener 2014) und geht oftmals mit einer Pflegebedürftigkeit einher. Besonders beachtenswert ist in diesem Kontext das Pusher-Syndrom, an dem etwa 10–16 % aller Schlaganfallbetroffenen leiden (Krewer et al. 2013; Pedersen et al. 1996). Das Pusher-Syndrom erschwert den Rehabilitationsprozess und geht mit einem verschlechterten Outcome dieser Patientengruppe einher. Im Vergleich zu Schlaganfallbetroffenen, ohne diese zusätzliche Komplikation, zeigen unter dem Pusher-Syndrom leidende Personen auch nach der Entlassung aus dem klinisch-stationären Setting größere Abhängigkeiten in den Lebensaktivitäten (Babyar et al. 2009). Das rehabilitative Outcome der Betroffenen verschlechtert sich umso mehr, je länger das Pusher-Syndrom andauert (Krewer et al. 2013).

Dem Pusher-Syndrom liegt eine Schädigung im posterioren Thalamus zugrunde, welche zu einer Diskrepanz zwischen der visuellen und der durch Tiefensensibilität vermittelten Wahrnehmung einer aufrechten Körperposition führt. Die visuelle Wahrnehmung ist hierbei nahezu intakt. Die posturale Vertikale, die der empfundenen, senkrechten Körpermittellinie entspricht, wird jedoch im Mittel um 17,9 Grad in Richtung der nichtgelähmten Körperhälfte verschoben wahrgenommen (Karnath et al. 2000). Die Betroffenen haben dadurch das Empfinden, auf diese Körperseite zu fallen und drücken sich daher auf die gelähmte Körperseite hinüber, was zu einer massiven körperlichen Instabilität führt. Diese empfundene Instabilität kann in jedweder Körperposition vorhanden sein (Karnath und Broetz 2003). Das seitliche Drücken verstärkt sich, sobald versucht wird, die Betroffenen in eine objektiv aufrechte Körperposition zu überführen. Pflegerisch-therapeutischen Bewegungsangeboten gegenüber scheinen die Betroffenen in keiner Weise zugänglich zu sein. Die permanente Angst zu fallen bindet die Aufmerksamkeit der Betroffenen und verhindert ein eigenständiges Gestalten der Lebensaktivitäten (Santos-Pontelli et al. 2011). Das Pusher-Syndrom stellt somit nicht nur für die Betroffenen, sondern auch für alle am Rehabilitationsprozess beteiligten Berufsgruppen eine Herausforderung dar (Pérennou et al. 2014).

Bislang fußen pflegetherapeutische Behandlungsoptionen auf visuelle Angebote, wie das visuelle Feedback-Training. Vertikal ausgerichtete Raumstrukturen werden als Orientierungshilfen genutzt, um vom Pusher-Syndrom betroffenen Personen das Einhalten einer aufrechten Körperhaltung zu erleichtern (Karnath und Broetz 2003). Die Erfahrung der täglichen Praxis zeigt aber, dass es kaum gelingt, einen harmonischen Bewegungsablauf mit den Betroffenen zu gestalten. Sie können die visuellen Orientierungshilfen schwer annehmen (Paci et al. 2011). Die Symptomatik sowie die spontan eingenommene Körperhaltung der Betroffenen bleibt trotz visuellen Feedbacktrainings bestehen (Paci und Nannetti 2004). Weitere multiprofessionell nutzbare Behandlungsoptionen fehlen bislang, und so entsteht ein Versorgungsbruch in dem von interprofessioneller Zusammenarbeit geprägten Fachbereich der neurologischen Rehabilitation (Schmidt-Maciejewski 2019).

Bei Schlaganfallbetroffenen besteht eine Diskrepanz zwischen der, durch die Schwerkraft vermittelten Wahrnehmung des Gleichgewichts und der somatosensorischen Wahrnehmung. Dies verändert die Vertikalitätswahrnehmung (Saeys et al. 2012), was besonders gravierend bei unter dem Pusher-Syndrom leidenden Personen deutlich wird. Kutane, somatosensorische Stimulationen können die Vertikalitätswahrnehmung von Schlaganfallbetroffenen verbessern (Saeys et al. 2012). Auch im Konzept der Basalen Stimulation® wird davon ausgegangen, dass Berührungen die Körperwahrnehmung beeinflussen. Vermutet wird, dass Körperausstreichungen die Körpermittellinie von Schlaganfallbetroffenen stabilisieren können, sofern die Ausstreichungen von der ipsiläsionalen in Richtung der gelähmten Körperhälfte durchgeführt werden (Bienstein und Fröhlich 2016). Diese Annahmen werden durch beschreibende Fallanalysen, welche die Wirkung einer neurophysiologischen Ganzkörperwaschung bei Schlaganfallbetroffenen fokussieren, gestützt (Nydahl 2002). Ob eine derartige Ganzkörperwaschung oder Körperausstreichung die verschobene posturale Vertikale von schlaganfallbetroffenen Personen, die unter dem Pusher-Syndrom leiden, rekalibrieren könnte, ist bislang nicht geklärt.

Forschungsziel

Die hier vorgestellte Studie hat zum Ziel zu evaluieren, inwiefern eine neurophysiologische Körperausstreichung die verschobene posturale Vertikale beeinflussen und somit die Symptomatik der vom Pusher-Syndrom betroffenen Personen reduzieren kann.

Methodik

Teilnehmende

Die Teilnahme an der hier vorgestellten Interventionsstudie erfordert die Einhaltung folgender Einschlusskriterien. Grundvoraussetzung zur Studienteilnahme ist das durch die Scale of Contraversive Pushing nachgewiesene und aktuell bestehende Pusher-Syndrom. Der maximal zu erreichende Punktwert auf der Scale of Contraversive Pushing liegt bei 6 Punkten. Die Skala unterteilt sich in 3 Subskalen, welche sich anhand der Symptomtrias des Syndroms aufgliedern. Ein Pusher-Syndrom gilt dann als nachgewiesen, sofern auf jeder Subskala ein Punktwert größer als 0 Punkte dokumentiert werden kann (Baccini et al. 2008). Alle inkludierten Personen sind volljährig. Als weiteres Einschlusskriterium gilt ein erstmalig erlittener ischämisch oder hämorrhagisch bedingter Schlaganfall, welcher sowohl linkshemisphäriell als auch rechtshemisphäriell lokalisiert sein kann. Als Ausschlusskriterium gelten die aktuell bestehende Diagnose eines Schädel-Hirn-Traumas sowie die bestehende Diagnose einer hypoxisch-bedingten Enzephalopathie. Ebenso gelten eine Kinetose sowie eine bestehende vestibuläre Störung, aufgrund einer Innenohrschädigung, als Ausschlusskriterium. Auch Kreislaufinstabilität stellt ein Exklusionskriterium dar. Auf Grundlage einer vor Studienbeginn durchgeführten Stichprobenberechnung werden n = 11 Personen in die Studie inkludiert. Bei einem Konfidenzniveau von 95 % wird ein Stichprobenfehler von e = 0,2 bei der Stichprobenberechnung toleriert. Die Berechnung der Teilnehmendenanzahl basiert auf der Anzahl der innerhalb eines Jahres in der studiendurchführenden Klinik behandelten Schlaganfallbetroffenen von n = 190. Dies entspricht einer angenommenen Fallzahl von etwa n = 19 vom Pusher-Syndrom betroffener Personen (Krewer et al. 2013; Pedersen et al. 1996) auf den 4 Stationen der innerklinischen neurologischen Frührehabilitation insgesamt.

Studienintervention

Bei der Studienintervention handelt es sich um eine Körperausstreichung. Eine Körperausstreichung stellt das Nachmodellieren des Körpers dar und wird mit druckvollen, fließenden Berührungen durchgeführt. Die im Rahmen dieser Studie durchgeführte Körperausstreichung soll auf neurophysiologischer Ebene die Körperwahrnehmung verbessern. Die Bewegungsrichtung erfolgt daher, von der weniger betroffenen Köperhälfte ausgehend, in Richtung der gelähmten Körperhälfte. Die interventionsdurchführende Person trägt für die Körperausstreichung Baumwollhandschuhe. Die Intervention wird an 10 aufeinanderfolgenden Tagen einmal täglich, beginnend an der nichtgelähmten Hand, durchgeführt. Jeder Körperabschnitt wird pro Sitzung 3‑mal infolge ausgestrichen. Direkt im Anschluss an die neurophysiologische Körperausstreichung werden die Studienteilnehmenden an die Bettkante mobilisiert.

Outcome-Messung

Neigt sich eine sitzende Person nach lateral, ruft dies eine durch die Tiefensensibilität vermittelte Reflexantwort auf Stammhirnebene hervor. Es resultiert eine Bewegung der Unterschenkel gegenläufig zur Bewegungsrichtung. Die vom Pusher-Syndrom betroffenen Personen haben bereits in aufrecht sitzender Position das Gefühl, dass sich ihr Körper seitlich neigt. Daher erfolgt in dieser Patientengruppe bereits in aufrecht sitzender Haltung eine Reflexantwort des nichtgelähmten Beins. Hieraus ergibt sich ein Abweichungswinkel zwischen der Rumpfmittellinie und dem Unterschenkel (Abb. 1), der eine Aussage über die subjektiv empfundene vertikale Mittellinie der Betroffenen zulässt (Johannsen et al. 2006) und geeignet ist, die Interventionswirkung zu evaluieren. Das Ausmaß der Reduktion des Abweichungswinkels bei den Studienteilnehmenden ist als primäres Outcome-Kriterium für den Interventionseffekt anzusehen. Der Abweichungswinkel des Unterschenkels wird per Fotografie während des Sitzens an der Bettkante festgehalten. Die Fotodokumentation erfolgt unmittelbar nach dem Aufsetzen, 10 min und 1 h nach der Intervention. Nach der Fotoaufnahme, welche nach 10 min erfolgt, werden die Studienteilnehmenden im Bett positioniert. Für die Aufnahme, die 1 h postinterventionell erfolgt, werden die Teilnehmenden erneut an die Bettkante mobilisiert. Die Abweichungswinkel zwischen der Rumpfmittellinie und der Unterschenkelstellung werden computergestützt in die Fotoaufnahmen eingezeichnet. Im Anschluss werden die gezeichneten Winkel in einen digitalen Winkelkreis übertragen, um die Winkelgröße abzulesen. Das Screening mittels Scale of Contraversive Pushing wird zur sekundären Outcome-Messung genutzt und wird präinterventionell am Tag der ersten Interventionsdurchführung angewandt. Die Interventionsphase endet mit einem erneuten Screening der Studienteilnehmenden durch die Scale of Contraversive Pushing, welches unmittelbar im Anschluss an die letzte Fotoaufnahme durchgeführt wird.

Abb. 1
figure 1

Winkelbildung des Unterschenkel-Shift. α1 Abweichungswinkel des Unterschenkels, gefärbte Körperhälfte zeigt Hemiparese

Die Analyse aller ermittelten Daten erfolgt mittels Statistical Package for the Social Sciences (SPSS, Version 22, IBM Coorporation, Armonk, NY, USA). Für alle Messzeitpunkte werden im Rahmen der deskriptiven Datenanalyse Lagemaße und Streuungsgrößen ermittelt. Aufgrund der geringen Stichprobengröße werden für die inferenzstatistische Datenanalyse nichtparametrische Verfahren genutzt. Somit erfolgt die Auswertung der gemessenen Unterschenkelabweichungen mittels Friedman-Test. Hierbei werden alle gemessenen Einzeldaten in Bezug zu den gemessenen Werten des Eingangsscreenings gesetzt. Eine Post-hoc-Analyse nach Dunn-Bonferroni schließt sich an. Die durch Anwendung der Scale of Contraversive Pushing erhobenen Daten werden mithilfe des Wilcoxon-Vorzeichen-Rang-Tests ausgewertet.

Ethische Betrachtung

Das Studienvorhaben wurde von der Ethikkommission des Competence Centers für Gesundheit der Hochschule für angewandte Wissenschaften Hamburg (Vorgang Nr. 2018-05-01) unter ethischen Gesichtspunkten für unbedenklich erklärt. Alle Studienteilnehmenden sowie deren gesetzlich Betreuenden geben ihre Einwilligung zur Studienteilnahme in Form eines Informed Consent. Gemäß des Ethikkodex Pflegeforschung (Stemmer und Bartholomeyczik 2016) wird, im Sinne eines Ongoing Consent, vor der Durchführung einer jeden Einzelintervention zudem erneut die Zustimmung der Teilnehmenden zur Interventionsdurchführung eingeholt.

Ergebnisse

Bei der überwiegenden Zahl der Studienteilnehmenden handelt es sich um alte bis hochaltrige Schlaganfallbetroffene, wobei der Median (Mdn.) bei 77 Lebensjahren (interquartile range [IQR] 22) liegt. Von den Studienteilnehmenden haben n = 6 (54,5 %) das männliche Geschlecht. Von allen Studienteilnehmenden leiden n = 6 (54,5 %) unter einem rechtshemisphäriell lokalisierten Schlaganfall. Die Studienteilnehmenden sind mehrheitlich (n = 7; 63,6 %) von einer intrazerebralen Blutung betroffen. Das Schlaganfallereignis liegt bei den Studienteilnehmenden unterschiedlich weit zurück. Die mittlere Zeitspanne liegt bei einem Median von 84 Tagen (IQR 50). Eine Übersicht der erhobenen Stichprobendaten findet sich in Tab. 1.

Tab. 1 Stichprobenanalyse

Der maximal zu erreichende Punktwert auf der Skala liegt bei 6 Punkten, was dem Modalwert des Screenings (n = 4) entspricht. Der errechnete Median liegt bei 5,5 Punkten (IQR 1,5). Die Winkelvermessung des Unterschenkel-Shift im Eingangsscreening bestätigt eine Lateralverschiebung der empfundenen vertikalen Körpermittellinie der Studienteilnehmenden. Hierbei liegen sowohl der Modalwert der Winkelabweichung als auch der Median sowie der Mittelwert bei 18 Grad (SD ± 9,22; IQR 13).

Während der Interventionsphase lässt sich eine deutliche Reduktion der Unterschenkelabweichung im Vergleich zum Eingangsscreening bemerken. Bereits nach erstmaliger Interventionsdurchführung reduziert sich der Median (Mdn. 8, IQR 7) der gemessenen Abweichungswinkel um mehr als die Hälfte im Vergleich zum Eingangsscreening. Am letzten Interventionstag liegen die Abweichungswinkel postinterventionell lediglich bei einem Median von 5 Grad (IQR 16). Ein Vergleich der postinterventionell erhobenen Werte mit den 1 h nach Interventionsdurchführung gemessenen Abweichungswinkeln zeigt, dass sich der Winkel an 8 von 10 Interventionstagen im Laufe einer Stunde postinterventionell weiter reduziert. Es kann demnach davon ausgegangen werden, dass die Interventionswirkung über den Zeitraum einer Stunde postinterventionell anhält, sich sogar vergrößert. Die stärkste Winkelreduktion lässt sich, über den gesamten Studienzeitraum hinweg, 10 min nach der Interventionsdurchführung verzeichnen. An 5 Interventionstagen liegt der errechnete Median 10 min nach Interventionsdurchführung bei 0 Grad (IQR 7–14). Ab dem 8. Interventionstag lässt sich feststellen, dass sich die 10 min nach Interventionsdurchführung gemessene Unterschenkelabweichung stabilisiert und der Median nun konstant bei 0 Grad Unterschenkelabweichung (IQR 9–14) liegt (Abb. 2).

Abb. 2
figure 2

Mittelwerte der Unterschenkelabweichung. MW Mittelwerte, Mdn. Median

Bei Betrachtung der errechneten Mittelwerte der Unterschenkelabweichung ist zu bemerken, dass sich z. T. negative Messwerte ergeben (Abb. 2). Ein negativer Abweichungswinkel des Unterschenkels entsteht, wenn die Ausgleichsbewegung des Unterschenkels durch eine Innenrotation des Os femoris des nichtgelähmten Beines, entgegengesetzt zur im Eingangsscreening festgestellten Richtung, erfolgt. Es besteht die Annahme, dass dies durch eine Verschiebung der posturalen Vertikalen in Richtung kontraläsional, über die Körpermittellinie der Betroffenen hinaus, erklärt werden kann (Abb. 3).

Abb. 3
figure 3

Minuswinkelbildung nach Körperausstreichung. α2 Abweichungswinkel des Unterschenkels, gefärbte Körperhälfte zeigt Hemiparese

Die dargestellten Veränderungen zwischen Eingangsscreening und Verlaufsmessungen werden durch die Analyse mittels Friedman-Test bestätigt. Für die unmittelbar postinterventionell gemessenen Abweichungen des Unterschenkels ergeben sich über den Interventionsverlauf hinweg signifikante Werte (Chi2 (10) = 37,62; p = 0,001). Dies gilt ebenso für die 10 min postinterventionell vermessenen Winkelwerte (Chi2 (10) = 39,95; p = 0,001). Für die 1 h postinterventionell erhobenen Daten wird ebenfalls ein signifikanter Unterschied zum Eingangsscreening nachgewiesen (Chi2 (10) = 36,45; p = 0,001). Für alle Messzeitpunkte ab dem 2. Interventionstag bestätigt die Post-hoc-Analyse die Signifikanz der gemessenen Unterschiede im Vergleich zur Eingangsmessung. Für die 10 min nach der Intervention vermessenen Winkelabweichungen wird bereits ab dem 1. Interventionstag ein signifikanter Unterschied bestätigt (z = 2,864; p = 0,043).

Auch beim Vergleich der erhobenen Werte auf der Scale of Contraversive Pushing zeigen sich deutliche Unterschiede zwischen der Eingangs- und der Abschlusserhebung (Abb. 4). Am Ende der Interventionsphase hat sich die Symptomatik des Pusher-Syndroms bei den Betroffenen laut Screening mittels Scale of Contraversive Pushing stark reduziert (Mdn. 0,25, IQR 1). Nahezu die Hälfte der Studienteilnehmenden (n = 5) ist laut Screening mittels Scale of Contraversive Pushing am Ende der Interventionsphase komplett symptomfrei (Modus 0 Punkte; Tab. 2).

Abb. 4
figure 4

Screeningergebnisse der Scale of Contraversive Pushing (SCP). Kreuz Markierung des Mittelwerts, In-Box Linie Markierung des Medians

Tab. 2 Daten des Scale-of-Contraversive-Pushing(SCP)-Screenings

Zur Bestätigung der Ergebnisse aus der deskriptiven Analyse des Screenings mittels Scale of Contraversive Pushing wird der Wilcoxon-Vorzeichen-Rang-Test herangezogen. Alle durchgeführten paarweisen Vergleiche (n = 11) weisen einen signifikanten Unterschied zwischen Eingangs- und Abschlussscreening nach (zW = −2,943; p = 0,001). Den vorliegenden Ergebnissen wird ein starker Effekt (r = 0,627) bescheinigt. Die Ergebnisse des Friedman-Tests und des Wilcoxon-Vorzeichen-Rang-Tests bestätigen somit die Annahme, dass die neurophysiologische Körperausstreichung die empfundene vertikale Körpermittellinie bei Schlaganfallbetroffenen mit dem Pusher-Syndrom in Richtung reale Körpermittellinie rekalibrieren kann.

Diskussion

Die hier dargestellte Studie untersucht, inwiefern eine neurophysiologische Körperausstreichung die verschobene empfundene Körpervertikale bei Schlaganfallbetroffenen mit dem Pusher-Syndrom rekalibrieren kann. Die Ergebnismessung für die durchgeführte Intervention gründet auf der Annahme, dass sich die subjektiv empfundene vertikale Körpermittellinie eines Menschen durch die Messung der Ausgleichsbewegung des Unterschenkels in Bezug zur Rumpfmittellinie eines Menschen darstellen lässt (Johannsen et al. 2006). Bei Schlaganfallbetroffenen mit dem Pusher-Syndrom konnte bereits in früheren Untersuchungen eine Verschiebung der subjektiv empfundenen Vertikalen um 17,9 Grad nachgewiesen werden (Karnath et al. 2000). Dieser Wert ist nahezu identisch mit den hier vorliegenden Messergebnissen aus dem Eingangsscreening. Wie auch in anderen Untersuchungen zum Pusher-Syndrom liegt der hier beschriebenen Studie eine nur geringe Stichprobengröße zugrunde (Schmidt-Maciejewski 2019). Nichtsdestotrotz kann die hier dargestellte Studie signifikante Ergebnisse vorweisen. Die Relevanz der somatischen Wahrnehmung für das Vertikalitätsempfinden sowie der Einfluss kutaner Stimulation auf die empfundene vertikale Körpermittellinie von Schlaganfallbetroffenen wurden bereits durch andere Untersuchungen belegt (Barra et al. 2009; Saeys et al. 2012). Die Ergebnisse der hier erörterten Studie scheinen diese Evidenzen zu unterstützen. Bereits nach einmaliger Durchführung kann ein Effekt der neurophysiologischen Körperausstreichung auf die empfundene Körpermittellinie der Studienteilnehmenden dargestellt werden. Dieser rekalibrierende Effekt verstärkt sich über den Interventionszeitraum hinweg. Nahezu die Hälfte aller Studienteilnehmenden zeigt am Ende des Interventionszeitraumes keine Symptomatik mehr, welche auf ein Pusher-Syndrom hindeutet.

Limitationen

Die größte Limitation der hier vorgestellten Studie liegt in dem gering validen, quasiexperimentellen Studiendesign, welches durch eine fehlende Kontrollgruppe gekennzeichnet ist. Daher lässt sich, trotz des bereits nach erstmalig durchgeführter Intervention gemessenen signifikanten Effektes, nicht mit Bestimmtheit ausschließen, dass andere Faktoren, wie z. B. das Sitzen an der Bettkante, die Symptomverbesserung bei den vom Pusher-Syndrom betroffenen Personen herbeiführen. Auch könnte die Symptomverbesserung durch eine Spontanremission im Krankheitsverlauf erklärbar sein. Diese Aspekte sowie die geringe Stichprobengröße lassen es notwendig erscheinen, die hier vorliegenden Studienergebnisse in einer randomisierten kontrollierten Studie zu überprüfen. Anzumerken ist zudem, dass die Ergebnisse durch den Umstand beeinflusst sein könnten, dass die Studienintervention ebenso wie die Datenerhebung und Auswertung von derselben Person durchgeführt wurden. Diesem potenziellen Bias wird durch das Nutzen eines validierten Screeninginstruments (SCP) und das Nutzen digitaler Winkelvermessung begegnet.

Die hier vorliegende Untersuchung zeigt, dass der Effekt der neurophysiologischen Ausstreichung über den Zeitraum von 1 h postinterventionell bestehen bleibt. Es lässt sich jedoch keine Aussage darüber treffen, inwiefern die Reduktion der Pusher-Symptomatik Bestand hätte, wenn die neurophysiologische Körperausstreichung über mehrere Tage hinweg pausiert würde. Diese Frage sollte in weiteren Untersuchungen zu dieser Thematik Beachtung finden. Dies gilt ebenso für qualitative Fragestellungen in Bezug darauf, wie die Betroffenen selbst die neurophysiologische Körperausstreichung empfinden, und wie sie die Verbesserung der Symptomatik erleben. Diesen bisher unbeantwortet gebliebenen Aspekten widmet sich eine, aktuell in Vorbereitung befindliche, randomisierte kontrollierte Studie, welche durch ein „Mixed-methods“-Design sowohl die genannten quantitativen als auch die qualitativen Fragestellungen aufgreifen wird.

Schlussfolgerung

Die neurophysiologische Körperausstreichung scheint geeignet zu sein, die Symptomatik des Pusher-Syndroms bei Schlaganfallbetroffenen deutlich zu reduzieren. Dies führt zu einer verbesserten körperlichen Stabilität der Betroffenen, wodurch pflegetherapeutische Angebote, insbesondere diejenigen, die auf eine Förderung der Mobilität abzielen, harmonischer und kraftsparender für alle Beteiligten gestaltet werden können. Die Durchführung der neurophysiologischen Ausstreichung erfordert weder einen hohen personellen, zeitlichen noch apparativen Aufwand. Somit ließe sich diese Anwendung gut in den Alltag integrieren. Nach einer Schulung in der Durchführungstechnik könnte die neurophysiologische Körperausstreichung sowohl von Therapeutinnen und Therapeuten aus der Physio- und der Ergotherapie als auch von Pflegenden in der Behandlung von Schlaganfallbetroffenen mit dem Pusher-Syndrom genutzt werden. Die Etablierung dieser Intervention würde damit einem multiprofessionellen Rehabilitationsansatz Rechnung tragen. Eine Bestätigung der dargestellten Ergebnisse durch eine randomisierte kontrollierte Studie wäre wünschenswert.