_ Aktuelle Studiendaten zeigen: Esketamin ist bei therapieresistenter Depression rasch und klinisch relevant wirksam. Nebenwirkungen wie Blutdruckanstieg und dissoziative Phänomene sind zu beachten, aber nur von kurzer Dauer.

Die Depression ist eine Volkskrankheit. 2015 waren in Deutschland 4,1 Millionen, also etwa 5,2 % der Bevölkerung betroffen. Depressionen sind die häufigste Ursache für suizidale Handlungen, rief PD Dr. Mazda Adli, Chefarzt der Fliedner Klinik Berlin und Leiter des Forschungsbereichs Affektive Störungen an der Charité Berlin, in Erinnerung. Werde nach zwei Therapieversuchen keine Remission erreicht, spreche man üblicherweise von Therapieresistenz, die bei etwa 35 % der Patienten vorkomme. Ein Therapieversuch sollte dabei laut Adli über mindestens vier Wochen erfolgen, im klinischen Alltag würden eher acht, bei älteren Patienten sogar zwölf Wochen veranschlagt.Mit Esketamin, dem S-Enantiomer des Anästhetikums und Analgetikums Ketamin, wird derzeit eine mögliche neue Therapieoption zur Behandlung therapieresistenter Depressionen (TRD) entwickelt. Es wird vermutet, dass die antidepressive Wirkung über einen Anstieg der synaptischen Plastizität vermittelt wird. Ergebnisse aus aktuellen Studien mit dem N-Methyl-D-Aspartat-Antagonisten bei Patienten mit TRD stellte Prof. Dr. Michael Bauer, Direktor der Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie am Universitätsklinikum Carl Gustav Carus der TU Dresden vor.

In der randomisierten, doppelblinden Phase-III-Akutstudie ESKETINTRD3002 erhielten die 227 TRD-Patienten über vier Wochen zusätzlich zu einem (neuen) oralen Antidepressivum entweder nasales Esketamin (56 mg oder 84 mg) oder nasales Placebo. Beim primären Endpunkt, der Änderung des MADRS-Gesamtscores gegenüber dem Ausgangswert, war Esketamin Placebo ebenso signifikant überlegen (Delta nach vier Wochen = 4,0 Punkte) wie bei den sekundären Endpunkten Response- sowie Remissionsrate (STAR*D Level 3 Response = 17 %; Remission = 14 %, Abb. 1) [Popova V et al. Poster W30; Annual Meeting of the American Society for Clinical Pathology 2018, Miama/USA]. Der Unterschied von 4 Punkten auf der MADRS im Vergleich zu Placebo ist laut Bauer klinisch bedeutsam, der „eigentliche Clou“ sei aber der rasche Wirkeintritt nach bereits ein bis zwei Tagen. An unerwünschten Arzneimittelwirkungen waren Blutdruckanstieg sowie dissoziative Phänomene („Wahrnehmungen“) zu verzeichnen, die allerdings etwa 1,5 Stunden nach der nasalen Gabe wieder abklangen.

Abb. 1
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Phase-III-Akutstudie ESKETINTRD 3002: bei den Response- und Remissionsraten war Esketamin Placebo signifikant überlegen.

Mod. nach Popova V et al. Poster W30, ASCP 2018, Miama/USA

In der Phase-III-Erhaltungstherapiestudie ESKETINTRD3003 wurden Patienten, die eine stabile Remission erreicht hatten, über bis zu 84 Wochen weiterverfolgt. Demnach reduziert die Gabe eines Antidepressivums plus Esketamin im Vergleich zum Antidepressivum allein das Rückfallrisiko um 51 % (Hazard Ratio 0,49; 95 % KI: 0,29 – 0,84).

Angesprochen auf die weit verbreitete missbräuchliche Einnahme von Ketamin betonte Bauer, dass die therapeutische Dosis viel geringer sei, als die von Süchtigen verwendete. Zudem sei die Applikation nicht in Eigenregie, sondern in der Arztpraxis vorgesehen. Nichtsdestotrotz sei Esketamin sicherlich „nicht indiziert bei Patienten, die zu Suchterkrankungen neigen“.