Die Einführung des GLP-1-Rezeptoragonisten Semaglutid (Wegovy®) zur Adipositasbehandlung in Deutschland hat für Aufbruchstimmung gesorgt. Erstmals können Ärzte bei Adipositas ein zugelassenes Medikament anbieten, das effektiv beim Abnehmen hilft. Doch neue Studienergebnisse deuten darauf hin, dass Monoagonisten wie Semaglutid erst der Anfang sind.

Forschungsarbeiten mit Beteiligung von Helmholtz Munich und dem Deutschen Zentrum für Diabetesforschung (DZD) haben gezeigt: Polyagonisten, die mehrere synthetische Hormone in einem einzigen Molekül kombinieren, haben eine noch bessere Wirkung als Monoagonisten. Als besonders geeignet für die Kombination mit dem im Darm gebildeten Peptidhormon GLP-1 (Glucagon-like Peptide-1) haben sich das im Pankreas gebildete Hormon Glukagon sowie das Darmhormon GIP (Glucose-dependent Insulinotropic Polypeptide) erwiesen. GLP-1 und GIP verstärken die Insulinausschüttung, reduzieren aber auch den Appetit und erhöhen das Sättigungsgefühl. Glukagon dagegen fördert unter anderem die Fettverbrennung.

Tirzepatid: Gewichtsabnahme über 20 % möglich

Der in der Entwicklung am weitesten fortgeschrittene Wirkstoff ist der GIP/GLP-1-Rezeptoragonist Tirzepatid. Für die Behandlung des Typ-2-Diabetes ist der duale Agonist bereits zugelassen. Die Zulassung für die Behandlung der Adipositas ist beantragt. In der Phase-III-Studie SURMOUNT-1 wurden Erwachsene mit einem Body-Mass-Index (BMI) ≥ 30 kg/m2 oder einem BMI ≥ 27 kg/m2, wenn zusätzlich eine gewichtsbedingte Komplikation vorlag, mit Tirzepatid oder Placebo behandelt. Während die mit Tirzepatid behandelten Patienten über 18 Monate ihr Gewicht im Schnitt um 16-22,5 % reduzierten (abhängig von der Dosis), war in der Placebogruppe ein Gewichtsverlust von nur 3,1 % zu beobachten [1].

Der Wirkmechanismus von Tirzepatid wurde erst kürzlich entschlüsselt: Forschende des DZD um PD Dr. Timo Müller konnten in Zusammenarbeit mit Kollegen und Kolleginnen aus den USA zeigen, dass Tirzepatid die Insulinausschüttung im menschlichen Pankreas vorwiegend über den GIP-Rezeptor stimuliert. Die Signalübertragung über den GLP-1-Rezeptor scheint eine geringere Bedeutung zu haben. Denn wurde der GLP-1-Rezeptor gehemmt, hatte das nur einen geringfügigen Einfluss auf die Tirzepatid-induzierte Insulinausschüttung [2]. In weiteren Studien werden die Forschenden untersuchen, welche Bedeutung der GIP-Rezeptor für den gewichtsreduzierenden Effekt des Medikaments hat.

Mit 3 Hormonen steigt die Effektivität weiter an

Zahlreiche duale Agonisten wie Tirzepatid befinden sich in der pharmazeutischen Entwicklung. Aber bereits heute deutet sich an, dass Medikamente, die alle 3 Hormone, sprich GLP-1, GIP und Glukagon, vereinen, den höchsten Abnehmerfolg versprechen. Bei bei der Jahrestagung der American Diabetes Association (ADA) in San Diego wurden Phase-II-Daten zu dem Tripel-Agonisten Retatrutid vorgestellt. Auch er wurde bei adipösen oder übergewichtigen Patienten mit einer gewichtsbedingten Folgeerkrankung untersucht. Innerhalb von 12 Monaten sank ihr Gewicht mit Retatrutid dosisabhängig um 8,7 bis 24,2 %. In der Placebogruppe waren es 2,1 % [3]. Die Wirkung bei Menschen mit Diabetes wurde in einer gesonderten Studie untersucht: Bei ihnen senkte der Tripel-Agonist den HbA1c-Wert signifikant um 0,43 bis 2,02 %. Auch den Patienten mit Diabetes half Tirzepatid beim Abnehmen, ihr Gewicht sank um 3,19 bis 16,94 %. Das Medikament befindet sich jetzt in der Phase III seiner Entwicklung.

In Kombination mit Lebensstilintervention

In allen Studien wurden die medikamentösen Therapien adjuvant zu einer Lebensstilintervention mit Kalorienreduktion und vermehrter Bewegung angewendet. Erste Erfahrungen zeigen, dass die neuen Medikamente voraussichtlich als Dauertherapie eingesetzt werden. Nach dem Absetzen steigt das Gewicht der meisten Patientinnen und Patienten wieder an. Umso wichtiger ist eine gute Verträglichkeit.

Über die gesamte Substanzklasse hinweg hat sich gezeigt, dass ein Großteil der Patienten gastrointestinale Nebenwirkungen, v. a. Übelkeit und Erbrechen, entwickeln. Im Allgemeinen sind diese Reaktionen leicht oder moderat ausgeprägt und lassen mit der Zeit nach. Eine langsame Dosissteigerung kann das Nebenwirkungsrisiko reduzieren. ,

Infos zum Deutschen Zentrum für Diabetesforschung: www.dzd-ev.de Infos zur Prävention und Therapie von Diabetes in verschiedenen Sprachen: www.diabinfo.de