Hintergrund und Fragestellungen: Fußprobleme als diabetische Spätkomplikation erfordern oft wiederholte persönliche Vorstellungen der Patienten in Ambulanzen, damit Wunden mithilfe von Debridement, Druckentlastung etc. versorgt werden können. Die COVID-19-Pandemie führte nicht nur zur Schließung vieler ambulanter Einrichtungen mit der Unmöglichkeit persönlicher Konsultationen, sondern auch zum Wegfall vieler Labor- und Röntgenuntersuchungen. Dies hat zu einer geänderten Vorgehensweise bei diabetischen Fußulzera geführt und beinhaltet sowohl virtuelle Arzt-Patient- und Arzt-häusliches-Pflegepersonal-Kontakte als auch Hausbesuche durch den Podologen. In diesem Review werden die Maßnahmen zweier spezialisierter Diabetes-Fuß-Behandlungseinrichtungen in Manchester, UK, und Los Angeles, USA, beleuchtet und miteinander verglichen. Wie hat sich das Behandlungsangebot unter den Auswirkungen und Erfordernissen der Pandemie geändert?

Von den chronischen Komplikationen beim Diabetes führen Fußprobleme am häufigsten zu Klinikeinweisungen in westlichen Ländern. Meistens handelt es sich dabei um ernsthafte Infektionen bei neuropathischen oder -ischämischen Füßen. Hinzu kommen häufig multiple Begleiterkrankungen wie koronare Herzerkrankung und Nephropathie, die das Risiko für eine Amputation an der unteren Extremität und die Mortalität erhöhen. Aufgrund des Wegfalls der meisten ambulanten Behandlungsangebote in der Pandemie sind Menschen mit diabetischem Fuß durch aktive diabetische Fußulzera (DFUs), eine signifikante Ischämie und Charcot-Neuroarthropathie bedroht. Viele Reviews zur Bedeutung von COVID-19 bei Diabetikern sind veröffentlicht worden, nicht jedoch zu Diabetes und Fußproblemen. Kürzlich gab es eine Stellungnahme der American Podiatric Medical Association zur Notwendigkeit der adäquaten Behandlung unter Coronabedingungen. Anschließend forderten viele Interessengruppen eine neue Strategie in Coronazeiten.

Die beiden Zentren in Manchester und Los Angeles haben neue Behandlungsmodelle für Patienten mit aktiven diabetischen Fußproblemen eingeführt, die in und wahrscheinlich auch über die Pandemie hinaus gelten. Diese werden detailliert beschrieben und zeigen erste Ergebnisse von Patienten, die in den 6 Wochen vor dem Pandemie-Lockdown gesehen wurden, im Vergleich zu jenen, die innerhalb der sechs Wochen nach Einführung der Modelle gesehen wurden.

Patienten und Methoden

Manchester, UK

Die Region Manchester liegt im Nordwesten von Großbritannien, mit einer Bevölkerung von knapp unter 3 Millionen. 84 % der Bevölkerung ist weiß, 10 % sind Asiaten (hpts. Inder), 3 % Schwarze und 3 % andere Ethnien. Eins der größten universitären Krankenhäuser in Manchester ist das Royal Infirmary. Die dort ansässige multidisziplinäre Diabetes-Fuß-Klinik besteht seit mehr als 30 Jahren und hält viele Spezialisten vor: Diabetologen, Gefäßchirurgen, Fußchirurgen, Podologen, spezialisiertes Pflegepersonal und Orthopädieschuhmacher.

Los Angeles

Die Southwestern Academic Limb Salvage Alliance (SALSA) setzt sich aus vier krankenhausansässigen Kliniken und Ambulanzen zusammen, die im Los Angeles County für eine diverse Population von 10 Millionen Menschen zuständig sind. Monatlich werden dort 230 Patienten mit DFU behandelt. Die Bevölkerung im Los Angeles County setzte sich 2018 aus folgenden Ethnizitäten zusammen: 49 % Hispanic oder Latino, 9 % Schwarze oder African Americans, 15 % Asiaten, 0,2 % American Indians und Alaska Native, 0,2 % Native Hawaiianer und andere Pacific Islander, 28 % Weiße.

Ergebnisse

Manchester

Vor dem Lockdown wurden Patienten mit komplexen diabetischen Fußwunden oder aktiver Charcot-Neuroarthropathie wöchentlich in einer Sprechstunde der Klinik gesehen, die in einem ambulanten Gemeindebehandlungszentrum abgehalten wurde. Viele andere Patienten mit DFUs wurden im Manchester Diabetes Centre von Podologen auf dem Gelände des Royal Infirmary gesehen. Beiden Institutionen werden Patienten aus Zentren im gesamten Nordwesten Englands zugewiesen. Ein zweites Zentrum im Großraum Manchester wurde in die Studie eingeschlossen und befindet sich in einem der Distrikt-Krankenhäuser. Dessen Diabetes-Fußklinik ist ebenso mit einem multidisziplinären Team ausgestattet.

Daten wurden von 6 Wochen vor dem Lockdown (beendet 20. März) gesammelt und mit den 6 folgenden Wochen nach dem Lockdown (beendet 1. Mai 2020) verglichen. Gegenüber einigen Patienten, die im Manchester Diabetes Centre gesehen wurden, stellten sich im Post-Lockdown die meisten im gemeindenahen Ambulanzzentrum in Manchester vor oder wurden zuhause von Podologen gesehen. Zusätzlich wurden manche auch via Telefon konsultiert. Ergebnisse werden hinsichtlich der Zahl der Patientenvorstellungen und der -zuweisungen von stationären Abteilungen, meist chirurgischen, präsentiert.

Los Angeles

Vor der Pandemie stellten sich Patienten in der multidisziplinären SALSA Clinic vor, die eine spezialisierte Behandlung für diabetische Ulzera und rekonstruktive Operationen an der unteren Extremität vorhält. Mit Beginn des Lockdown Mitte März wurden die Termine der Nicht-Notfallpatienten verlegt oder telemedizinisch durchgeführt. Auch die operativen Fälle wurden, bis auf Notfälle, abgesagt. Röntgenuntersuchungen, nicht invasive Gefäß- und selbst Laboruntersuchungen wurden zurückgehalten. Die ersten Wochen wurden damit verbracht, die Behandlung der Patienten aus der Ferne zu koordinieren. Patienten und deren Angehörige wurden instruiert und geschult, Verbände zu wechseln und die Familien, Angehörigen und Krankenpflegedienste wurden mit Materialien versorgt. Patienten mit Wunden, die darüber hinaus Unterstützung benötigten, wurden zum ambulanten Wundbehandlungszentrum überwiesen. Regelmäßiges Debridement und Druckentlastung waren einige der Herausforderungen, die sich unmittelbar mit dem Lockdown einstellten. Weniger als 10 % der Patienten mit Fußulzera konnten nach Beginn des Lockdown in der Ambulanz gesehen werden. Die Vorstellungstermine wurden zeitlich gestreckt, sodass sich zur selben Zeit nur ein Patient im Warteraum befand. Telemedizin oder virtuelle Termine wurden sofort implementiert und ermöglichten die gemeinsame Beurteilung von Wunden und die Anweisung des Patienten. Die virtuelle Schulung erfolgte auch für das häusliche Krankenpflegepersonal, um die Behandlung vor Ort zu gewährleisten. Sie beinhaltete die Beurteilung einer Infektion, Verbandswechsel und leichte Debridements. Möglich war es auch über diesen Weg, dem Kollektiv weniger gebräuchliche Therapien sicher und effektiv zukommen zu lassen, z.B. die Madentherapie. Die meisten Patienten waren vor dem Lockdown einer ausführlichen vaskulären Diagnostik unterzogen worden, neue Patienten wurden danach nur mit Handdopplergeräten und einer klinischen Untersuchung diagnostiziert. Jeder Patient mit einer kritischen Extremitätenischämie oder starkem Ruheschmerz wurde an die gefäßchirurgischen Kollegen zur Gefäßuntersuchung und Intervention überwiesen. Ergebnisse aus diesem Zentrum beinhalten sämtliche Patientenvorstellungen in den 6 Wochen vor und nach dem Lockdown. Eingeschlossen wurden stationäre Aufnahmen und die Anzahl der telemedizinischen Kontakte, die es vor dem Lockdown nicht gab.

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© K. Schmitt / Fotostand / picture alliance

Telemedizin kann Defizite bei der Patientenbetreuung im Lockdown überbrücken helfen, aber nicht überall und bei jedem.

Tabelle 1 zeigt Patientenvorstellungen mit Fußläsionen in den sechs Wochen vor und nach dem Lockdown in beiden Zentren in Manchester und in Los Angeles. Sie zeigt auch die Zahl der Tele-Kontakte, entweder telefonisch oder virtuell mit Audio und Videoverbindung, tatsächliche Vorstellungen und, in Manchester, häusliche Besuche durch Podologen. Wie ▶Tab. 1 darstellt, gab es eine deutliche Verringerung der Krankenhauseinweisungen nach dem Lockdown sowohl in Manchester als auch in Los Angeles. In Los Angeles wurden 57 % der ambulanten Vorstellungen in telemedizinische Kontakte umgewandelt. In Manchester waren es 18 %.

T1 Daten zu Patientenkontakten vor und nach dem Lockdown in zwei Städten

Schlussfolgerungen: In Pandemie-Zeiten ist es verständlich, dass bei der Versorgung stationärer Patienten der Fokus auf Fällen mit schweren Infektionsverläufen liegen sollte. Allerding hat dies zur Vernachlässigung vieler anderer Krankheitsbilder geführt. Der U.K. National Health Service hat frühzeitig die Wiederaufnahme regulärer Versorgung angekündigt, allerdings nicht für Diabetiker. Die angemessene Versorgung von Diabetikern mit Fußproblemen ist daher während und nach dem Lockdown kritisch, da bei der Wundversorgung meist persönliche Behandlungen nötig sind. Es ist sehr beunruhigend, dass das U.K. Government kürzlich berichtete, dass die Zahl der Vorstellungen in stationären Notfallaufnahmen bei Nicht-COVID-19-Notfällen im April 2020 um mehr als 50 % niedriger lag als im April 2019. Es ist davon auszugehen, dass Personen mit schweren medizinischen Verläufen, aus welchen Gründen auch immer, nicht zur Behandlung ins Krankenhaus gehen.

Daten aus China bestätigten, dass Diabetes, neben Alter und männlichem Geschlecht, ein Risikofaktor für schwere COVID-19-Infektionen ist. Patienten mit Risiko für einen diabetischen Fuß sind meist älter, 1,5mal häufiger Männer und leiden typischerweise an Komorbiditäten, wie kardiovaskulären und renalen Erkrankungen. Der Zweck dieses Reviews war daher die Beschreibung der Schritte zu verdeutlichen, die in zwei spezialisierten Diabetes-Fuß-Zentren unternommen wurden, um Fußprobleme zu versorgen und v. a. um die Notwendigkeit einer stationären Einweisung zu verhindern. Der Hauptgrund für Patienten mit DFUs die Notfallaufnahme aufzusuchen, ist eine Fußinfektion, der häufig eine Osteomyelitis zugrunde liegt. Es kann passieren, dass sich Patienten mit diabetischer Neuropathie, da sie ohne starke Schmerzen sind, mit hohem Fieber vorstellen, aber vergessen ein Fußulkus zu erwähnen und daraufhin eine sorgfältige Fußuntersuchung entfällt. Momentan werden sämtliche Patienten mit Fieber, die eine Notfallaufnahme aufsuchen, wahrscheinlich auf COVID-19 getestet, auch diejenigen mit Verdacht auf Osteomyelitis, was dazu führt, dass sie möglicherweise mit COVID-19-Patienten in Berührung kommen. Daher war das Ziel in beiden Zentren, DFU-Patienten, wenn möglich, ambulant zu behandeln. Zwei Fälle aus Manchester zeigen, dass selbst Patienten mit ausgeprägter Osteomyelitis, die früher stationär mit intravenöser Antibiotikagabe und ggf. lokaler Operation behandelt worden wären, erfolgreich mit oraler Antibiose therapiert worden waren. Glücklicherweise unterstützen einige kürzlich erschienene randomisierte kontrollierte Studien dieses Vorgehen. Die Studie OVIVA (Oral Versus IntraVenous Antibiotics for bone and join infection) zeigte keine Unterschiede im Ergebnis zwischen oraler und intravenöser Antibiotikagabe bei Osteomyelitis. Zusätzlich zu einer langdauernden oralen Antibiose wurden in Manchester Calciumsulfat-Pellets mit Tobramycin zur lokalen Behandlung bei Osteomyelitis eingesetzt. Die Pellets werden in knöcherne osteomyelitische Höhlen eingesetzt. In Anbetracht dieser Beobachtungen, dass Osteomyelitis, sogar mit begleitender Weichteilentzündung, erfolgreich mit alleiniger Antibiotikagabe therapierbar ist, sind möglicherweise entsprechende Änderungen in den Internationalen Leitlinien in Erwägung zu ziehen, sollten zukünftige Studien die Effektivität dieses Vorgehens bestätigen. Die Einrichtung von Hausbesuchen zur DFU-Behandlung durch Podologen und Telefonkonsultationen für einige DFU-Patienten sind neue Entwicklungen Ähnlich hat auch die Einführung und Verbreitung von telemedizinisch virtuellen Konsultationen in Los Angeles Erfolg gezeigt, sodass viele Klinikeinweisungen und -therapien vermieden werden konnten. Die Madentherapie wird breit eingesetzt zur Wundsäuberung und Schorfabtragung und kann im häuslichen Bereich durch virtuell geschultes häusliches Krankenpflegepersonal erfolgreich angewendet werden.

Es ist wahrscheinlich, dass viele dieser neuen Maßnahmen bei der Behandlung von DFUs zur neuen Normalität werden und dass dies einen Paradigmenshift in der klinischen Behandlung erzeugt. Die Kunst der klinischen Beobachtung war nie wichtiger als jetzt. Eine Osteomyelitis kann etwa bei Vorliegen einer wurstähnlichen Schwellung der Zehen aufgrund ihres klinischen Erscheinungsbildes vermutet werden. Bei Fehlen von Röntgenuntersuchungen oder Bluttests kann die Wahrscheinlichkeit einer Osteomyelitis durch einen positiven Probe-to-Bone-Test erhöht werden. Kleinere lokale Eingriffe, zum Beispiel die Entfernung von Knochensequestern, wurden ambulant durchgeführt. Hierdurch konnte die klinische Besserung von mutmaßlicher Osteomyelitis in einigen Fällen beobachtet werden; wahrscheinlich hat sich auch der radiologische Befund verbessert. Am Wichtigsten war jedoch die signifikante Verringerung der Hospitalisierung von Patienten in beiden Zentren. Diese klinische Erfahrung während der COVID-19-Pandemie hat gezeigt, wie wichtig es ist, die Kunst der klinischen Medizin in Bezug auf Anamnese und gründliche Untersuchung zu erhalten. Der Wegfall von Testmöglichkeiten, auf die sich viele Ärzte verlassen, hat gezeigt, dass die ärztliche Kunst überlebt hat und gedeiht. Nun müssen die Folgen der Pandemie untersucht werden, besonders die Auswirkungen auf Mortalität und Amputation aufgrund einer verzögerten Behandlung. Es ist erforderlich, weiterhin wachsam mit unseren Patienten zu sein und zügig zu arbeiten, um ernsthafte Komplikationen zu verhindern.

Prof. James Alexander Lindsay aus Belfast lehrte seine Medizinstudenten vor 100 Jahren Aphorismen; einer lautete: "Für einen begangenen Fehler wegen Nichtwissens, werden zehn Fehler wegen Nichtschauens begangen". Nichts könnte wichtiger sein als daran zu erinnern, dass die Füße von Diabetikern sorgfältig inspiziert werden müssen. Die Gefahr besteht, dass diejenigen, die die Schmerzempfindlichkeit durch eine diabetische periphere Neuropathie verloren haben, seltener rechtzeitig eine Notaufnahme aufsuchen, wenn es vonnöten wäre. Deshalb ist es in der heutigen schwierigen Zeit besonders wichtig, Hochrisiko-Patienten zu überwachen.