Fragestellung: Wie erklärt sich die zunehmende Zahl von COVID-19-Fällen trotz des Bestehens einer vollständigen Impfung?

Hintergrund: Aus den folgenden Gründen kann es zu Impfdurchbrüchen nach erfolgter COVID-19-Impfung kommen:

  • Kein Impfstoff bietet einen 100%igen Schutz, sodass regelhaft und zu einem kleinen Teil Impfdurchbrüche möglich sind. Dieser Schutz beträgt gegenüber der Alpha-Virusvariante beispielsweise bei BNT162b2 (Pfizer-Biotech) und mRNA-1273 (Moderna) 94 % bzw. 94,1 %.

  • Die Impfeffektivität ist abhängig von den einzelnen Virusvarianten. So ist sie gegenüber der ursprünglichen Alpha-Virusvariante höher als z. B. gegenüber der im Herbst 2021 vorherrschenden Delta-Virusvariante (BNT162b2: 81 %, mRNA-1273: 75 %), weswegen bei letzterer häufiger Impfdurchbrüche beobachtet werden (escape immunity).

  • Das Immunsystem kompromittierende Krankheiten und bestimmte Therapien, z. B. die Behandlung mit Immunsuppressiva, reduzieren die durch eine Impfung ausgelöste humorale und zelluläre Immunantwort. Schwere COVID-19-Verläufe sind trotz vollständiger Impfung in dieser Kohorte häufiger.

  • Impfung und Infektion liegen zeitlich sehr eng zusammen, d. h. ≤ 14 Tage, sodass sich noch kein vollständiger immunologischer Schutz ausbilden konnte.

  • Der Impfschutz schwächt sich mit zunehmender Zeit nach der letzten Impfdosis ab und hat sozusagen ein Ablaufdatum. Diese Hypothese wurde in der hier vorgestellten Studie von Goldberg et al. (2021) geprüft.

Im Dezember 2020 wurde in Israel sehr konsequent und schnell mit einer Massenimpfkampagne mit dem Ziel begonnen, die Bevölkerung so rasch wie möglich mit dem BNT162b2-Impfstoff gegen das Coronavirus zu schützen. Innerhalb von 3 Monaten war über die Hälfte der israelischen Bevölkerung geimpft. In Kombination mit umfangreichen Einschränkungen des öffentlichen Lebens (Lockdown) fiel die Inzidenz bis Mai 2021 dramatisch ab. Im Juni 2021 stiegen die Inzidenz der schweren COVID-19 und die Letalität allerdings wieder an (▶Abb. 1). 98 % dieser Infektionen waren auf die Delta-Virusvariante (B.1.617.2) zurückzuführen.

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Nach Originalie

Tagespositive SARS-CoV-2-Tests (rot, Skala Ordinate) und schwere COVID-19-Fälle (blau, Skala rechts) im Zeitverlauf.

Methoden und Ergebnisse: Alle geimpften Personen wurden durch eine vom israelischen Gesundheitsministerium (Ministry of Health) betriebene Datenbank erfasst, von der die hier publizierten Studiendaten stammen. Es wurden die Infektionen ab Impfzeitpunkt bei Personen im Alter ≥ 16 Jahre erfasst. Die Impfungen begannen am 20.12.2020 bei Personen ≥ 60 Jahre und wurden später auf Jüngere ausgedehnt. Es wurden bei den vollständig geimpften Personen, d.h. ab dem Zeitraum 16.-31.1.2021, die Infektionsfälle bis Juli 2021 analysiert und in Beziehung zum Zeitpunkt der abgeschlossenen Impfung gesetzt. In ▶Tab. 1 wurden die Daten zum Infektionsrisiko (rate ratio = RR) bzw. der Inzidenz (pro 100.000/Woche) zum Zeitpunkt 11.-31.7.2021 nach Abschluss der vollständigen Impfung mit BNT162b2 angegeben. Folgende Ergebnisse sind bemerkenswert:

T1 Risikokalkulation (Rate Ratio) und Inzidenzrate (per 100.000/Woche) der SARS-CoV-2-Infektionen nach Altersgruppe und erfolgter Impfung. Die RR- und Inzidenzdaten beziehen sich nur auf den Zeitraum vom 11.-31.7.2021 und wurden in Abhängigkeit zum Abstand der abgeschlossenen Impfung darstellt. Referenz = Zeitpunkt der ersten abgeschlossenen Impfung. Angaben Januar = vor der Impfung, Angaben März = nach der Impfung. Beispiel Altersgruppe ≥ 60 Jahre: Wurde die Impfung zwischen dem 16. und 31.1. abgeschlossen, betrug die Inzidenz/100.000/Woche im Juli 92,4, wurde die Impfung aber erst später, z. B. am 1.-31.Mai abgeschlossen, lag sie mit 49,1 um ca. die Hälfte niedriger. Die Inzidenzraten erreichten ca. 4 Monate nach der Impfung fast wieder den Wert vor der letzten 2. Impfung! [Nach Originalie]
  • Ca. 4 Monaten nach der letzten Impfung erreichten die Inzidenzahlen fast wieder den Ausgangswert, d. h. den Wert vor der zweiten Impfung.

  • Auch wenn die Daten zeitlich wegen der späteren Impfung der < 60-Jährigen nicht komplett in Übereinstimmung gebracht werden können, da die Analysezeit kürzer war, so zeigte sich kein Unterschied zwischen den gewählten Altersgruppen. Das heißt, die RR-Rate und die Inzidenzen steigen mit zunehmendem Abstand zur letzten Impfung bei den 40- bis 59-Jährigen und 16- bis 39-Jährigen ebenso an, wie die bei den über 60-Jährigen (▶Tab. 1).

Schlussfolgerungen: Die Datenbankanalyse dieser Registerstudie belegt, dass nach wenigen Monaten der Impfeffekt gegen die Delta-Virusvariante in allen Altersgruppen ähnlich stark abnimmt. Nach ca. 4 Monaten wurden die Inzidenzen vor der letzten (zweiten) Impfung wieder erreicht.