Infektiologen warnen vor einer schweren Influenza-Saison im Winter. Ein Grund dafür sind die Hygienemaßnahmen im Zuge der SARS-CoV-2-Pandemie.

Die in den vergangenen anderthalb Jahren eingeübten Hygieneregeln zur Eindämmung der SARS-CoV-2-Übertragung haben günstige und weniger günstige Nebenwirkungen. So gab es seit Ausbruch der Pandemie kaum RSV(Respiratory Syncytial Virus)- und Influenza-Erkrankungen. "Rhinoviren und endemische Coronaviren konnten sich halten, aber RS- und Influenza-Viren sind verschwunden", berichtete Prof. Mathias Pletz, Universitätsklinikum Jena beim digitalen Kongress der DGP. Die Bevölkerung habe durch die nicht pharmakologischen Hygienemaßnahmen keinen "Boost" im Umgang mit diesen Erregern erfahren. "Das bedeutet auch, dass alle Kinder, die während der Pandemie geboren wurden, bislang über keine RSV-Immunität verfügen."

Eine US-amerikanische Arbeitsgruppe hat kürzlich historische Daten modelliert und festgestellt, dass Saisons mit sehr niedrigen Influenzainfektionszahlen die Vulnerabilität der Bevölkerung in nachfolgenden Saisons deutlich erhöhen können [1]. Es sei mit schweren postpandemischen RSV- und Influenza-Epidemien zu rechnen, erklärte Pletz mit Verweis auf diese Daten, "auch wenn Modellierungen nicht immer zutreffen".

Er wies auf die Bedeutung der Grippeschutzimpfung und auf die neuen Empfehlungen der Ständigen Impfkommission (STIKO) hin. Die Seroprotektionsrate, die nicht der klinischen Effektivität entspricht, liegt bei unter 65-Jährigen bei 70 %, bei älteren Menschen bei über 60 %. Die niedrige Seroprotektionsrate bei älteren Menschen ist mit der Immunoseneszenz und daraus resultierenden schlechteren Impfantwort zu erklären. Um dieses Problem in dieser Hochrisikogruppe zu lösen, empfiehlt die STIKO für die kommende Influenzasaison eine Influenza-Hochdosisvakzine für Menschen ab 60 Jahren. Sie erhalten damit die vierfache Menge an Antigen. Dies könnte die Rate von Durchbruchsinfektionen, also Erkrankungen trotz Impfung, um bis zu 30 % reduzieren, sagte Pletz.

Die STIKO hat vorgerechnet, dass selbst eine restriktiv kalkulierte zusätzliche Impfeffektivität von lediglich 15 % in einer durchschnittlichen Saison mit der Hochdosisvakzine bei über 60-Jährigen etwa 75.000 symptomatische Influenza-Infektionen und 163 Todesfälle verhindert werden könnte. In einer starken Saison, wie sie kommenden Winter erwartet wird, kann sich dies um das Vier- bis Fünffache erhöhen: Laut STIKO-Kalkulation könnten 236.000 symptomatische Erkrankungen und 564 Todesfälle verhindert werden.

Quelle: 61. Kongress der DGP vom 2.-5. Juni 2021 (DGP 2021 digital)