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Prof. Dr. med. Wolfram Windisch Chefarzt Lungenklinik, Kliniken Stadt Köln Lehrstuhl für Pneumologie Universität Witten/Herdecke Fakultät für Gesundheit/Department für Humanmedizin Ostmerheimer Strasse 200, 51109 Köln windischw@kliniken-koeln.de

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Dr. med. Sarah Bettina Schwarz Kliniken der Stadt Köln gGmbH Abt. für Pneumologie Universität Witten/Herdecke; Fakultät für Gesundheit/Department für Humanmedizin, Ostmerheimer Strasse 200, 51109 Köln SchwarzSa@kliniken-koeln.de

Eine respiratorische Insuffizienz bei COPD ist im fortgeschrittenen Stadium häufig. Hier kommen für die COPD sowohl die Sauerstofflangzeittherapie (LTOT = Long Term Oxygen Therapy) als auch die außerklinische Beatmung, vorzugsweise mittels NIV (Nicht Invasive Ventilation) in Betracht, abhängig davon, ob eine pulmonale Insuffizienz und/oder eine ventilatorische Insuffizienz vorliegt. Sowohl für die LTOT als auch für die außerklinische Beatmung hat die Deutsche Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin (DGP) Leitlinien formuliert.[1, 2] Die Fragen sind allerdings, in welchem Zeitintervall müssen Leitlinien revidiert werden, um neue wissenschaftliche Erkenntnisse zu integrieren, und wie sind die neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse im Hinblick auf Änderungen von Therapieindikationen in den Leitlinien reflektiert?

Sauerstofflangzeittherapie

Die Leitlinie zur Sauerstofflangzeittherapie (LTOT) wurde bereits 2008 publiziert [1]. Sie muss damit grundsätzlich als veraltet gelten. Allerdings wurde 2014 ein Positionspapier veröffentlicht, welches bereits auf die Notwendigkeit zur Überarbeitung der Leitlinie hingewiesen hat, aber auch verdeutlich hat, dass eine wesentliche aktuelle amerikanische Studie [3] veröffentlich sein sollte, bevor eine Revision der Leitlinie vorgenommen werden kann [4]. An dieser Stelle darf zusammengefasst werden, dass trotz aller Schwächen dieser amerikanischen Studie eine Ausweitung der Indikation zur LTOT für Patienten mit COPD für den milden hypoxämischen Bereich nicht ausgesprochen werden kann.

Viel entscheidender wiegt aber die Tatsache, dass bereits 2015 Leitlinien der British Thoracic Society (BTS) publiziert worden sind, welche deutlich ausführlicher erscheinen als die Leitlinien der DGP (49 versus 9 Seiten, 161 versus 71 Referenzen) [5]. Zudem konnte eine aktuelle Analyse darlegen, dass zwischen den BTS und DGP-Leitlinien acht wesentliche Unterschiede in den Empfehlungen zu folgenden Themen bestehen [6]:

  1. 1.

    Technik der Blutgasanalyse zur Indikationsstellung

  2. 2.

    Zeitintervalle und die Zahl der Blutgasanalysen zur Indikationsstellung

  3. 3.

    Indikation zur LTOT nach Exazerbation

  4. 4.

    LTOT unter Belastung

  5. 5.

    Nächtliche Sauerstofftherapie

  6. 6.

    Titration der notwendigen Sauerstoffflussrate

  7. 7.

    Kontrolluntersuchungen

  8. 8.

    Raucherstatus

Alle genannten Themenschwerpunkte haben klinische Relevanz. Beispielhaft sei die Technik zur Gewinnung der Blutgasanalyse genannt. Während die BTS-Leitlinie eine arterielle Blutgasanalyse zur primären Indikationsstellung empfiehlt, gibt die DGP-Leitlinie an, dass kapilläre Blutgasanalysen ausreichend sind. Hier bestand schon lange die Frage, inwieweit eine kapilläre Blutgasanalyse bezüglich der PaO2-Messung tatsächlich den Goldstandard der arteriellen Blutgasanalyse erreicht [6]. Rückblickend muss festgehalten werden, dass ältere Publikationen eine größere Übereinstimmung zeigen als neue Studien, was am ehesten mit einem Publikationsbias zu erklären ist [1]. Zudem wurden frühere Arbeiten vornehmlich bei nicht hypoxämischen Patienten durchgeführt. So konnte eine aktuelle Studie bei hypoxämischen COPD-Patienten klar darlegen, dass kapilläre PaO2-Werte zu tief gemessen werden, was zu einer Überversorgung mittels LTOT in 21 % (PaO2 < 55 mmHg als Cut-Off) sowie 30 % (PaO2 < 60 mmHg als Cut-off) geführt hätte [7].

Sicherlich müssen Leitlinien auch die Anwendbarkeit und klinische Machbarkeit der empfohlenen Maßnahmen berücksichtigen. Vor dem Hintergrund der Konsequenzen sowohl für den Patienten als auch die hiermit verbundenen therapiebezogenen Kosten ist es aber essenziell, diesen und auch die anderen genannten Punkte im Rahmen einer Revision der Leitlinie komplett neu zu bewerten.

Weiter bleibt herauszustellen, dass die Evidenz für die LTOT bei der COPD aus Studien der späten 1970er Jahre stammt. Somit bleibt fraglich, inwieweit Verbesserungen in Diagnostik und Therapie der COPD und auch ihrer Komorbiditäten dazu beigetragen haben, dass eine Überlebensverbesserung durch LTOT heutzutage tatsächlich weniger relevant geworden ist. Gleichwohl dies im Bereich des Spekulativen bleibt, kann heute dennoch festgestellt werden, dass eine zu großzügige Verschreibung von Sauerstoff kritisch hinterfragt werden muss.

An dieser Stelle muss betont werden, dass die DGP-Leitlinien zur LTOT dringend überarbeitet werden müssen, um eine Überversorgung mit Sauerstoff zu vermeiden. Dies betrifft auch die vorschnelle Verordnung einer LTOT bei passagerer Hypoxämie im Rahmen einer Exazerbation, wie es in Deutschland gelebte Praxis ist.

Außerklinische Beatmung

Im Gegensatz zur LTOT liegen gegenwärtig aktuell revidierte Leitlinien der DGP zur außerklinischen Beatmung vor [2]. Diese Leitlinie beschäftigt sich in vollem Umfang mit vielen Aspekten der außerklinischen Beatmung bei einer Vielzahl von zugrunde liegenden Entitäten und Erkrankungen. Dabei haben auch hier in Bezug auf die COPD aktuelle Studiendaten in der Tat dazu beigetragen, den Therapiealgorithmus für die außerklinische Beatmung mittels NIV zu verändern. Das Beispiel zeigt, wie wesentlich die Revision von Leitlinien ist, wenn neue Studiendaten vorliegen.

Mittlerweile ist es auch international anerkannter Konsens, dass eine Langzeit-NIV bei chronisch hyperkapnischer COPD sinnvoll ist und die Prognose der Patienten verbessern kann. Dabei zeichnet die aktuelle Studienlage mittlerweile ein sehr detailliertes Bild davon, wann eine Langzeit-NIV indiziert ist und wann nicht. So muss heute eine fatalistisch-negative Haltung, die eine Langzeit-NIV dem Patienten vorenthält, ebenso vermieden werden wie eine euphorisch-positive Haltung, die gegebenenfalls zu einer Überversorgung führt. Dies betrifft sowohl die Einleitung als auch die Kontrolle der außerklinischen Beatmung und tangiert auch das sensible Thema der Ökonomie.

So konnte zunächst gezeigt werden, dass Patienten mit stabiler hyperkapnischer COPD eine klare Prognoseverbesserung erfahren. Im Gegensatz dazu war die Frage nach der Einleitung einer Langzeit-NIV in der Folge einer Akut-Beatmung in der Klinik noch zweifelhaft gewesen. Eine holländische Studie konnte 2014 zeigen, dass eine unselektionierte Fortführung der NIV in der Folge einer Akut-Beatmung in der Klinik keine Vorteile hinsichtlich Prognose und Re-Hospitalisierung bietet [8]. So konnte auch eine aktuelle Studie zur Kontrolle der NIV zeigen, dass bei einem signifikanten Teil der Patienten die Fortsetzung einer NIV nicht notwendig und nicht gerechtfertigt war, insbesondere wenn bei Patienten in der Folge einer Akut-NIV in der Klinik eine Langzeitbeatmung eingeleitet wurde [9].

Im Unterschied zur holländischen Studie wurde in einer aktuellen britischen Studie eine Langzeit-NIV erst dann eingeleitet, wenn eine Hyperkapnie über mindestens 2 Wochen persistiert hatte [10]. Für diesen Fall konnte bei diesen schwerstkranken Patienten der kombinierte Endpunktes aus Re-Hospitalisierung und Tod ebenfalls deutlich gesenkt werden.

Die differenzierte Studienlage macht klar, dass gerade bei Patienten nach schwerer hospitalisationspflichtiger Akut-Exazerbation darauf geachtet werden muss, eine Überversorgung einerseits zu vermeiden, andererseits aber keine Unterversorgung zu riskieren. Aufgrund der immer kürzeren stationären Behandlungszeiten macht dies eine intersektorale Zusammenarbeit zwischen stationärer und ambulanter Krankenversorgung notwendig. Auch dieses Beispiel zeigt, dass wissenschaftlich begründete Evidenz, zusammengefasst und in Form von Empfehlungen formuliert, wichtig ist, aber auch die Versorgungsstruktur und die Versorgungslandschaft in Deutschland so verändert werden muss, dass eine optimale Umsetzung von Evidenz möglich ist.