Ein knapp zweijähriges Mädchen entwickelt plötzlich eine Aphasie, pseudobulbäre Symptome und eine "Paralyse". Anamnese und Diagnostik führen zu einer Erkrankung mit einer Konstellation, die für viele Leser vermutlich noch relativ unbekannt sein dürfte.

Ein 23 Monate altes Mädchen wird vom Vater in der Notaufnahme vorgestellt, weil es seit dem Vortag nicht mehr adäquat reagiere. Vor einer Woche bekam das Mädchen bei Fieber bis 39 °C unter der Diagnose einer Angina tonsillaris eine antibiotische Therapie verordnet. Aufgrund fortbestehenden Fiebers mit Erbrechen wurde sie drei Tage später erneut im Notdienst vorgestellt und Dimenhydrinat rezeptiert. Eine Testung auf SARS-CoV-2 erfolgte zu keiner Zeit.

Wir sahen ein bewusstseinsgetrübtes Kind mit unkontrollierter Augenbewegung und Pupillenfunktion. Es weinte, die Reaktion auf Schmerzreize war ungezielt, die Temperatur betrug 39,3 °C. Die Atmung war unbeeinträchtigt, die Mikrozirkulation mit einer Kapillarfüllungszeit von 5 Sekunden verlängert. Es erfolgten umgehend eine Blutabnahme und intravenöse Zugangsanlage, Hirn- und Opticus-Sonografie, Nervenwasseruntersuchung und Magnetresonanztomografie des ZNS (cMRT).

In den vergangenen Monaten hatte die Patientin wiederholt kurzdauernde Phasen mit grippalen Symptomen, ein COVID-19-Test war jedoch nicht durchgeführt worden. Auch andere Familienmitglieder hatten vereinzelt Infekte der oberen Atemwege, waren jedoch nach eigenen Angaben zu keiner Zeit SARS-CoV-2 positiv gewesen. Der Vater verfügt über einen COVID-19-Impfschutz (mRNA-1273; Moderna), die schwangere Mutter ist ungeimpft.

Ergebnisse der Diagnostik

Serologisch fanden sich bei unserer Patientin Anti-SARS-CoV-2-IgG-Antikörper 155,7 BAU/ml (verwendetes Antigen: Spike-Protein; positiv ≥ 35,2) und Anti-SARS-CoV-2-IgA-Antikörper 1,0 (negativ < 0,8). Unauffällig waren die Serologie auf Zytomegalie-, Epstein-Barr- und Herpes-simplex-Virus 1 und 2 sowie auf Varizellen, Masern, Mumps, FSME, Mykoplasmen und Borrelien. Die PCR auf die genannten Erreger sowie auf Influenza A und B, das respiratorische Synzytial-Virus (RSV) A und B, Adeno-, Entero- und Metapneumoviren A und B sowie auf die Parainfluenzaviren 1-4 und SARS-CoV-2 war jeweils negativ.

Im Liquor/Serum waren der Albuminquotient auf 32,6/1.000, der IgG-Quotient auf 26,5/1.000, der IgA-Quotient auf 24,4/1.000 und der IgM-Quotient auf 16,1/1.000 pathologisch erhöht. Die Schrankenfunktion war gestört, oligoklonale Banden waren negativ.

Im Liquor war die Zahl der Leukozyten auf 193/µl erhöht (Norm < 5/µl), das Laktat betrug 26,9 mg/dl (Norm 10-22 mg/dl) und das Eiweiß 0,55 g/dl (Norm 0,15-0,45 g/dl). Auffällige Blutwerte waren: 16,2/nl Leukozyten (Norm 6,5-13/nl), 560/nl Thrombozyten (Norm 214-459/nl), D-Dimere 1.120 ng/ml (Norm < 500 ng/ml), Natrium 148,4 mmol/l (Norm 134-143 mmol/l), Harnstoff 60 mg/dl (Norm 11-36 mg/dl) und Harnsäure 8,6 mg/dl (Norm 1,8-5 mg/dl). Die Blut- und Liquorkulturen blieben nach Bebrütung steril. Das Drogenscreening im Urin war unauffällig.

Therapie und Verlauf

Klinisch zeigte das Kind initial eine nahezu vollständig aufgehobene Spontanmotorik, keinerlei verbale Aktivität oder Schluckreflex sowie generalisierte Krampfanfälle, die auf Levetiracetam sistierten. In der ersten Laboruntersuchung fanden sich eine Leukozytose, Thrombozytose, normwertiges CRP, Hypernatriämie und erhöhte Nierenretentionsparameter. Im Liquor bestand eine Pleozytose. In einer notfallmäßigen cMRT konnten eine Blutung, ein Hirnödem oder Raumforderungen ausgeschlossen werden.

In der Infektionsserologie wurden Anti-SARS-CoV-2-Antikörper nachgewiesen, wegen nicht erfolgter Impfung als sicheres Zeichen einer durchgemachten COVID-19-Infektion. Der Liquor wurde mit PCR und Antikörper-Tests auf SARS-CoV-2 untersucht. Das Ergebnis war jeweils negativ. Weder die PCR noch die Antikörpertestung auf SARS-CoV-2 im Liquor sind jedoch bislang generell als validierte Routineuntersuchung etabliert. Die übrige Infektionsserologie war unauffällig.

Auch der PCR-Test auf Herpes-simplex-Virus im Liquor war wiederholt negativ. Ein Rachenabstrich auf verschiedene Viren - SARS-CoV-2, Influenza und RSV - ergab keinen Erregernachweis. Eine autoimmunologische Genese der Erkrankung konnte mittels Untersuchung auf Autoantikörper ausgeschlossen werden. Bereits kurz nach stationärer Aufnahme wurde ein EEG abgeleitet. Es fand sich eine Allgemeinveränderung 2. bis 3. Grades bei globaler Grundaktivitätsverlangsamung (Abb. 1). Die Diagnose einer Enzephalitis wurde am ersten stationären Tag gestellt.

Abb. 1
figure 1

: EEG kurz nach stationärer Aufnahme mit Zeichen einer Allgemeinveränderung 2. bis 3. Grades bei globaler Grundaktivitätsverlangsamung

Die initial erforderliche Kreislaufstabilisierung gelang mit balancierten Infusionsboli (i.v.). Über acht Tage erfolgte eine antibiotische Therapie mit Ampicillin und Cefotaxim sowie eine antivirale Behandlung mit Aciclovir. Im cMRT am sechsten stationären Tag kamen Signalveränderungen supratentoriell zur Darstellung, die symmetrisch die Stammganglien und die Insula betrafen. Daneben waren Bereiche der Temporallappen auffällig und herdförmige Veränderungen frontal sichtbar (Abb. 2). Jetzt entschlossen wir uns zu einer Methylprednisolon-Pulstherapie mit 30 mg/kg/d über fünf Tage, gefolgt von einer Prednisolontherapie (2 mg/kg/d) in sukzessiv-reduzierter Dosis über vier Wochen.

Abb. 2
figure 2

© Prof. Klaus Schunk

: Zerebrale Magnetresonanztomografie an Tag 6 mit Nachweis einer symmetrischen inflammatorischen Pathologie in der FLAIR-Sequenz; Transversalebene

Auffällig war die fehlende Spontanmotorik des Kindes, die erst an Tag 14 allmählich wieder einsetzte. Verbale Entäußerungen fehlten bis auf einzelne Seufzer vollständig und bei fehlendem Schluckreflex war die Ernährung schwierig. Erst nach drei Wochen besserte sich die Bewusstseinslage. Das Mädchen konnte nun wieder Personen für kurze Zeit fixieren, die orale Aufnahme weicher Kost und Flüssigkeit gelang zögerlich und Unwohlsein wurde durch Weinen ausgedrückt. Im Kontroll-EEG zeigte sich eine gebesserte elektrische Aktivität. Eine neuropädiatrische Rehabilitationsmaßnahme erfolgt derzeit (Video 1).

Aktuell schätzen wir das Krankheitsbild als eine COVID-19-assoziierte lymphozytäre Enzephalitis ein. Gestützt wird diese Beurteilung durch den zeitlichen Zusammenhang zwischen charakteristischen respiratorischen und zentralnervösen Symptomen, den nur inkompletten COVID-19-Impfschutz im familiären Umfeld, den Nachweis von SARS-CoV-2-Antikörpern im Serum des Kindes, den Ausschluss anderer Ursachen, den relativ charakteristischen MRT-Befund sowie das Ansprechen auf eine immunsuppressive Therapie.

Diskussion

Bei akuten zentral-neurologischen Symptomen, besonders bei Bewusstseinsstörungen, verbunden mit kognitiven Defiziten und epileptischen Anfällen soll eine weiterführende Diagnostik mit zerebraler Bildgebung (cMRT), EEG-Untersuchung und Liquordiagnostik erfolgen [1].

Eine Analyse hatte ergeben, dass 3,8 % der Patienten unter 18 Jahren, die wegen COVID-19 hospitalisiert wurden, neurologische oder psychiatrische Symptome aufwiesen. Unter 27 Kindern waren folgende Krankheitsbilder vertreten: Status epilepticus (n = 7), Meningoenzephalitis (n = 5), Guillain-Barré-Syndrom (n = 5), akute demyelinisierende Erkrankungen (n = 3), choreatiforme Bewegungsstörungen (n = 2), Psychosen (n = 2), isolierte Enzephalopathien (n = 2) sowie eine transitorische ischämische Attacke (n = 1). Eine neurologische PIMS-Gruppe umfasste 22 Kinder und wies häufiger unspezifische Merkmale auf, darunter Enzephalopathie (n = 22), Beteiligung des peripheren Nervensystems (n = 10), Verhaltensänderungen (n = 9) und Halluzinationen (n = 6) [2]. Die Definition für eine bestätigte SARS-CoV-2-Infektion war in dieser Erhebung eine positive PCR von Atemwegs- oder Liquorproben, der Nachweis von Anti-SARS-CoV-2-IgG im Serum oder beides.

SARS-CoV-2 im Liquor nur selten nachweisbar

Sofern überhaupt untersucht, sind PCR und Antikörpertest auf SARS-CoV-2 im Liquor von Patienten mit SARS-CoV-2-Infektion und neurologischer Problematik häufig negativ. Derzeit ist die Erregerdiagnostik im Liquor noch keine generell etablierte Methode [1, 2, 3, 4]. Gelegentlich werden in Nervenzellen Viruspartikel nachgewiesen, jedoch gilt die direkte neuronale Schädigung durch die Invasion von SARS-CoV-2 als sehr selten. Der Liquor zeigt oft eine geringe Schrankenfunktionsstörung und Entzündungszeichen, aber praktisch immer eine negative Virus-PCR [5], was eine indirekt inflammationsvermittelte Affektion des ZNS nahelegt. Etwa 20 % der hocheffektiv Virus-neutralisierenden Anti-SARS-CoV-2-Antikörper binden kreuzreaktiv an zerebrale Strukturen im Sinne einer molekularen Mimikry [4].

In einer spanischen Studie war die Inzidenz einer Meningoenzephalitis bei erwachsenen COVID-19-Patienten, die die Notaufnahme aufsuchten, mit 0,4 ‰ viel höher als in der Nicht-COVID-19-Gruppe. Dies deutet auf eine wichtige Rolle von SARS-CoV-2 als Erreger hin, der für viele der während der Pandemie auftretenden Fälle von lymphozytärer Meningoenzephalitis verantwortlich sein könnte [3]. Die Datensammlung der Deutschen Gesellschaft für Pädiatrische Infektiologie (DGPI) von stationären COVID-19-Fällen bei Kindern und Jugendlichen in Deutschland verweist sogar aktuell auf einen Anteil von 0,4 % mit der Entlassungsdiagnose Enzephalitis [6].

Direkter Schaden des ZNS oder autoimmunes Geschehen?

Ungeklärt ist weiter, ob es sich dabei um einen direkten SARS-CoV-2-Befall des ZNS oder ein postinfektiöses autoimmunes Geschehen handelt [7, 8]. Unter Berücksichtigung der Erfahrungen mit SARS-CoV-1 ist eine zerebrale Infektion zwar möglich, aber eher selten. Das meist subakute Auftreten von neurologischen Symptomen wenige Tage nach den oft milden respiratorischen Symptomen spricht zwar für ein direkt infektiöses Geschehen, andererseits wurden auch nach überstandenen pulmonalen SARS-CoV-2-Infektionen Enzephalitiden berichtet [1, 8]. Hier lässt sich eine Querverbindung zum Pediatric Inflammatory Multisystem Syndrome (PIMS) herstellen, bei dem vielfach noch nicht einmal die vorausgegangene SARS-CoV-2-Infektion nachzuweisen ist.

Das therapeutische Vorgehen bei einer Enzephalitis ist nicht einheitlich. Bei Verdacht auf eine Enzephalitis durch Viren der Herpesgruppe sollte zügig ein Virostatikum intravenös verabreicht werden. Ist auch eine bakterielle Genese differenzialdiagnostisch nicht sicher auszuschließen, sollten zunächst zusätzlich Antibiotika (z. B. Cephalosporine der Gruppe 3 plus Ampicillin) angewendet werden. Bei negativer Erregerdiagnostik und Beschwerdepersistenz sollte eine Hochdosistherapie mit intravenösem Methylprednisolon (Dosis bei Kindern gewichtsadaptiert mit 20-30 mg/kg/Tag als Kurzinfusion) über drei bis fünf Tage versucht werden. Es liegen auch Berichte über den Einsatz von Plasmaaustauschverfahren vor, wobei in den entsprechenden Fällen zumindest im Liquor kein "(infektiös-)entzündliches Muster" zu erkennen war [1, 8].

figure 3

Video 1 als Zusatzmaterial online

www.springermedizin.de/ paediatrie-zeitschrift