Die Palliativmedizin in der Pädiatrie stellt die Behandelnden vor deutlich komplexere Herausforderungen als in der Erwachsenenmedizin. Wie sich diese durch einfühlsame Begleitung der Kinder und deren Eltern sowie durch ein professionelles Netzwerk bewältigen lassen, soll anhand eines Fallbeispiels demonstriert werden.

figure 1

© Nutthavee / stock.adobe.com

Es gibt viele lebensverkürzende Erkrankungen, die für Fachkräfte in der Pädiatrie die Aufgabe einer palliativmedizinischen Betreuung von Kindern und Jugendlichen sowie deren Familien erforderlich machen. Hierbei spielen Maßnahmen der Schmerz- und Symptomkontrolle, der beratenden und koordinierenden Unterstützung sowie der vorausschauenden Therapieplanung eine wesentliche Rolle. Primäres Ziel ist eine Verbesserung der Lebensqualität von Kinder und ihrer Familien. Dabei ist die palliativmedizinische Zielsetzung in der Pädiatrie ausdrücklich nicht auf die Phase des Lebensendes begrenzt. Zudem sind auch Krankheiten, bei denen die Lebenserwartung bis ins Erwachsenenalter reicht oder bei denen potenziell ein kurativer Ansatz besteht, nicht per se ausgeschlossen.

In den vergangenen Jahrzehnten wurden in Deutschland viele Bereiche der pädiatrischen Palliativversorgung fachlich und strukturell weiterentwickelt. Trotz eines zunehmenden Angebotes an ambulanten und stationären Versorgungsstrukturen gibt es hierzulande regional teilweise noch erhebliche Versorgungslücken, insbesondere im Bereich der spezialisierten ambulanten pädiatrischen Palliativversorgung (SAPPV). Neben onkologischen Erkrankungen finden sich im pädiatrisch-palliativmedizinischen Kollektiv vor allem auch eine Vielzahl von Erkrankungen aus dem neuropädiatrischen Spektrum.

Am Beispiel eines Jungen, der in unserer Klinik über einen Zeitraum von zwei Jahren wiederholt betreut wurde, sollen im Folgenden relevante Aspekte einer notwendigen und sinnvollen palliativmedizinischen Betreuung pädiatrischer Patienten mit lebensverkürzenden Erkrankungen erläutert werden.

Erstkontakt im Alter von 2 Monaten und Vorgeschichte

Bei erster akuter stationärer Aufnahme des Jungen im Alter von 2 Monaten berichteten die Eltern, ihr Kind sei bis vor einer Woche völlig unauffällig gewesen. Er habe gespielt, sich an den Händen festgehalten hochgezogen und gelacht. Seit einer Woche trinke er nur wenig und spucke vermehrt.

Bei dem reifgeborenen Kind war bei der U2 ein beidseitig pathologischer Brückner-Test aufgefallen und in der folgenden augenärztlichen Untersuchung wurde eine beidseitige 1 mm große zentrale Katarakt diagnostiziert. Eine Vorstellung in der Universitäts-Augenklinik sei geplant. Die konsanguinen Eltern (Cousine und Cousin) stammen aus Syrien und leben im gleichen Haushalt mit zwei weiteren Familienangehörigen.

Bei Aufnahme des allgemein beeinträchtigt wirkenden Jungen fiel neben leichten dysmorphen Stigmata (geringer Hypertelorismus, geringe Retrognathie, relativ breite Stirn) ein blasses Hautkolorit bei normaler Kapillarfüllungszeit auf. Neurologisch bestand eine deutliche muskuläre Hypotonie mit reduzierter Kopf- und Rumpfkontrolle (Abb. 1).

Abb. 1
figure 2

Dr. Torsten Sandrieser

: Patient mit Vici-Syndrom im Alter von 4 Monaten. a) Blasses Hautkolorit, Ptosis, orofaziale Hypotonie. b) Traktionsreaktion - deutliche muskuläre Hypotonie

Verdacht auf neurodegenerative Erkrankung

Bei primärem Verdacht auf eine akute Infektion erfolgte zunächst eine infektiologische Diagnostik. Im Blasenpunktionsurin wurde Klebsiella pneumoniae in hoher Keimzahl nachgewiesen. Daraufhin erfolgte trotz fehlendem Fieber, nur minimal erhöhten Infektparametern und sonografisch unauffälligem Befund an Nieren und ableitenden Harnwegen eine intravenöse antibiotische Therapie. Die deutlichen und anhaltenden neuropädiatrischen und entwicklungsneurologischen Auffälligkeiten waren jedoch hierdurch nicht zu erklären und begründeten den Verdacht auf eine Erkrankung mit neurodegenerativem Verlauf.

Leitsymptome: Balkenagenesie/Kardiomyopathie/Katarakt

In der sonografischen Untersuchung des ZNS zeigte sich eine Balkenagenesie. Echokardiografisch wurde die Diagnose einer hypertrophen Kardiomyopathie ohne Obstruktion gestellt. Die Leitsymptome Balkenagenesie, Kardiomyopathie und konnatale Katarakt führten über eine Recherche in der Datenbank "Online Mendelian Inheritance in Man" (OMIM) zur Verdachtsdiagnose eines Vici-Syndroms (OMIM242840).

Bei diesem 1988 erstmals und inzwischen in mehr als 50 Fällen beschriebenem Syndrom handelt es sich um eine rezessiv vererbte Erkrankung, bedingt durch eine Mutation im Gen Ectopic P-Granules Autophagy Protein 5 Homolog (EPG5) auf dem Genlokus 18q12.3 [1]. Dieses Gen kodiert für ein Protein, das im Organismus eine Schlüsselfunktion im Bereich der Autophagozytose-Regulierung hat. Da eine funktionierende Autophagozytose in verschiedensten Zellsystemen und Organen entscheidend ist, ergibt sich bei dieser Erkrankung nicht nur eine Neurodegeneration, sondern auch eine Multiorganmanifestation.

Die Diagnose konkretisierte sich bereits aus der Präsenz weiterer in der Literatur beschriebener syndromtypischer Symptome bei dem Jungen (Tab. 1), wie dem relativ blassen Hautkolorit sowie der motorischen Entwicklungsstörung. In der zerebralen Kernspintomografie zeigten sich dann neben der Balkenagenesie weitere diagnosetypische Veränderungen (Abb. 2a und b). Molekulargenetisch konnte die klinische Diagnose durch den Nachweis einer bereits bei einem anderen Patienten beschriebenen homozygoten Nonsense-Mutation bestätigt werden [2]. Das Vici-Syndrom gilt als paradigmatischer Vertreter einer neu definierten Gruppe erblicher neurometabolischer Erkrankungen, der kongenitalen Autophagozytose-Störungen. Eine umfassende Übersicht über das Krankheitsbild findet sich in dem Review von Byrne et al. [3]. Die mittlere Lebenserwartung der Patienten wird mit 24 Monaten angegeben [4].

Tab. 1 : Hauptsymptome des Vici-Syndroms (nach [3])
Abb. 2
figure 3

Prof. Dr. med. Klaus Schunk, Diagnostische und Interventionelle Radiologie, Kemperhof

: Zerebrales MRT des Patienten im Alter von 2 Monaten. a) T2 coronar (Schichtdicke 2 mm): Balkenagenesie, verschmälertes Marklager, verminderte Operkularisation. Der Befund ist vereinbar mit der klinischen Verdachtsdiagnose eines Vici-Syndroms. b) T1 transversal (Schichtdicke 5 mm): Fehlbildungssyndrom mit verschmälertem Marklager, weitestgehend fehlender Operkularisation und Hypoplasie des Temporallappens.

Advance Care Planning

Während des ersten vierwöchigen stationären Aufenthaltes zog eine CMV-Infektion mit Pneumonie eine akute Verschlechterung mit Notwendigkeit der nasalen High-Flow-Versorgung nach sich. Eine mehrwöchige orale virusstatische Off-label-Therapie mit Valganciclovir führte zu einer respiratorischen Stabilisierung.

Während des ersten Aufenthaltes des Kindes wurde nach der drohenden respiratorischen Dekompensation erstmals mit den Eltern das Vorgehen in Notfallsituationen und die Option einer Therapiebegrenzung besprochen. Zu diesem Zeitpunkt formulierten die Eltern den Wunsch, dass im Falle einer akuten Verschlechterung alle intensivmedizinischen Maßnahmen einschließlich einer invasiven Beatmung und einer kardiopulmonalen Reanimation durchgeführt werden sollen. Nach weiteren Gesprächen in den folgenden Monaten äußerten die Eltern dann den Wunsch nach einer paternalistischen ärztlichen Entscheidung in Notfallsituationen. Sie sagten jetzt erstmals, dass sie nicht grundsätzlich eine Intubation und Beatmung oder eine Reanimation wünschen würden. In diesen Gesprächen taten sich wiederholt kommunikative Grenzen auf, bedingt durch die Sprachbarriere und die in unserem Team nur bedingt bestehenden Kenntnisse der kulturellen Besonderheiten der Familie im Umgang mit der Erkrankung des Kindes.

Das bereits früh diagnostizierte Leitsymptom einer beidseitigen Katarakt machte es schon während des ersten Aufenthaltes nötig, ein diesbezüglich sinnvolles Therapieziel festzulegen. Im Austausch mit den betreuenden Augenärzten und der Familie wurde unter Abwägung der Risiken und Belastungen gegenüber dem zu erwartendem Gewinn für das Kind beschlossen, keine Kataraktoperation durchzuführen. Zur Verbesserung des Lichteinfalls wurde eine medikamentöse mydriatische Therapie eingeleitet.

Magensonde/PEG

Die von Beginn an bestehende Trinkschwäche und Dysphagiesymptomatik wurde ebenfalls besprochen. Nachdem zunächst eine Nahrungs- und Flüssigkeitszufuhr über eine Magensonde erfolgte, stimmten die Eltern nach mehreren Gesprächen der Anlage einer PEG-Sonde zu, als der Junge fast 4 Monate alt war. Aufgrund der in den Gesprächen immer wieder zu spürenden nachvollziehbaren großen emotionalen Bedeutung der oralen Nahrungszufuhr für die Familie wurde hier der schrittweise Entscheidungsprozess der Eltern bis zur PEG-Sonden-Anlage vom Team der Klinik einfühlsam begleitet.

Gastroösophagealer Reflux/Aspirationsrisiko

Bedingt durch einen gastroösophagealen Reflux kam es wiederholt zu Spucken beziehungsweise schlaffem Erbrechen mit resultierendem Aspirationsrisiko. Dem konnte durch häufige kleine Mahlzeiten (12 Mahlzeiten/Tag) erfolgreich begegnet werden. Im Verlauf wurde eine Therapie mit Protonenpumpeninhibitoren (Esmeprazol-Lösung) über die PEG-Sonde begonnen.

Eine Salivationssymptomatik mit dem Risiko einer bei bestehender Schluckstörung resultierenden Aspiration wurde symptomorientiert mittels eines alle drei Tage neu applizierten Skopolaminpflasters, zunächst geviertelt, dann halbiert, reduziert.

Epilepsie

Bei Antizipation einer bei Patienten mit Vici-Syndrom üblicherweise auftretenden Epilepsie erfolgten regelmäßige EEG-Kontrollen mit Nachweis multifokaler Spikes und "sharp waves". Zunächst wurden nur gelegentliche anfallsverdächtige Ereignisse beobachtet. Im Alter von 6 Monaten kam es dann zu einem generalisierten Status epilepticus, der nach initialer intravenöser Midazolamgabe erst unter einer Phenytoin-Kurzinfusion sistierte. Eine antikonvulsive Therapie mit Levetiracetam-Lösung per PEG-Sonde wurde eingeleitet. Hierunter wechselten im Verlauf längere anfallsfreie Phasen mit erneuten Anfällen und wiederholt notwendiger gewichtsbezogener Dosiserhöhung.

Chronische bronchopulmonale Erkrankung

Es kam immer wieder zu Episoden klinischer Verschlechterung. Grund waren wiederholte virale und bakterielle Atemwegsinfekte, die im Verlauf im Sinne infektbedingter Exazerbationen einer chronischen bronchopulmonalen Erkrankung zunahmen. Sie resultierten aus dem langsam progredienten neurodegenerativen Verlauf mit zunehmender muskulärer Hypotonie und Muskelschwäche und daraus folgender Sekretretention. Ab dem Alter von 5 Monaten war die Verordnung eines häuslichen Pulsoximeters und eines mobilen Absauggerätes notwendig, nachdem es wiederholt zu Phasen mit der Möglichkeit einer sekretbedingt akuten respiratorischen Verschlechterung kam. Konsequenterweise erhielten die Eltern ein Reanimationstraining in unserer Klinik. Symptomorientiert erfolgte zum einen eine inhalative Bedarfstherapie mit Salbutamol und dann zusätzlich eine inhalative Steroidtherapie.

Anzunehmen ist, dass auch die syndromtypische Immundefizienz mit labordiagnostischen Hinweisen auf einen partiellen T-Zelldefekt relevant für die wiederholten Infekte war. Eine Durchführung üblicher Impfungen mit Ausnahme von Lebendimpfstoffen konnte nur partiell erfolgen. Eine RSV-Prophylaxe wurde im Team diskutiert und nicht empfohlen. Im Alter von 8 Monaten kam es zu einem zweiwöchigen stationären Aufenthalt aufgrund einer RSV-Infektion mit komplizierender bakterieller Superinfektion.

Infusion/i.v. Medikation - Portkatheter

Aufgrund der zunehmenden Probleme hinsichtlich der Anlage eines peripher venösen Zugangs bei wiederholt notwendiger intravenöser antibiotischer und Infusionstherapie wurde in Absprache mit den Eltern im Alter von 6 Monaten ein zentralvenöser Zugang in Form eines Portkatheters gelegt. Die Entscheidung berücksichtigte die Perspektive der Gabe (insbesondere von Antibiotika) im häuslichen Bereich zur Vermeidung oder zumindest Verkürzung stationärer Aufenthalte. Dies führte zu einer deutlichen Reduktion schmerzhafter Prozeduren für den Jungen.

Psychomotorische Entwicklung

Obwohl die Zeichen einer vor allem motorischen Entwicklungsstörung mit Ausbildung einer sekundären Mikrozephalie zunahmen, bemerkten die Eltern durchaus einzelne kleine, als sehr beglückend erlebte Entwicklungsfortschritte, etwa im perzeptiv-kommunikativen Bereich (soziales Lächeln, zunehmendes Unterscheiden zwischen bekannten und unbekannten Personen).

Hilfesystem - Netzwerk

Von Beginn an wurden im Team der Kinderklinik die Aufgaben fest verteilt und Hauptverantwortliche als zuverlässige Ansprechpartner für die Eltern benannt. Da der besondere Betreuungsbedarf früh abzusehen war, wurde mit Unterstützung des Sozialdienstes der Klinik eine sozialmedizinische Betreuung über den Bunten Kreis eingeleitet. Diese konnte, begründet durch die vorliegende Palliativsituation, auch über die übliche Frist hinaus fortgesetzt werden.

Im Verlauf wurde die häusliche Betreuung durch einen ambulanten Pflegedienst initiiert. Wiederholt wurden in den Räumen der Klinik zusammen mit der Mitarbeiterin des ambulanten Pflegedienstes, einer Betreuerin des Bunten Kreises sowie der klinikinternen Pflegekräfte der Hilfeplan besprochen. In diesen Treffen wurden wichtige therapeutische, aber ebenso sozial und kommunikativ relevante Aspekte erörtert und protokolliert - zum Beispiel die Festlegung einer regelhaften persönlichen Übergabe wichtiger Informationen an der Schnittstelle zwischen ambulanter und stationärer Pflege.

In Absprache mit den Eltern wurde die ambulante ärztliche Betreuung entsprechend den medizinischen und sozialen Bedürfnissen des Kindes und seiner Familie strukturiert. Es erfolgte die Anbindung an einen für die Familie gut erreichbaren, Arabisch sprechenden Kinderarzt mit kinderkardiologischer Expertise sowie die Anbindung an das regionale sozialpädiatrische Zentrum.

SAPPV - Möglichkeiten und Grenzen

Trotz zunehmender Optimierung des Versorgungsnetzwerkes und Berücksichtigung palliativmedizinischer Aspekte von allen Beteiligten war früh die Notwendigkeit einer spezialisierten ambulanten pädiatrisch palliativmedizinischen Versorgung (SAPPV) zu erkennen. Da regionale Versorgungsstrukturen fehlten, wurde Kontakt mit dem SAPPV-Team Mittelhessen in Gießen aufgenommen. Nach einem initialen SAPPV-Assessment zu Ende des sechsten Lebensmonats des Kindes suchte das SAPPV-Team die Familie über einen Zeitraum von 4 Monaten in ungefähr wöchentlichem Rhythmus auf.

In dieser Phase erfolgten regelmäßige telefonische Kontakte auf ärztlicher Ebene zur Ankündigung stationärer Aufnahmen oder anstehender Entlassungen mit jeweils Übergabe relevanter Informationen sowie zur gemeinsamen Besprechung aufgetretener Fragen. Die Mitarbeiter des ambulanten Pflegedienstes standen bei Bedarf auch täglich im telefonischen Kontakt mit den ärztlichen Mitarbeitern des SAPPV-Teams und konnten so unmittelbar ärztlich verantwortete Entscheidungen zum Wohle des Jungen umsetzen.

Die Kollegen des SAPPV-Teams initiierten vielfältige konkrete Empfehlungen zur Symptomkontrolle, etwa der Beginn einer PPI-Therapie, die Erhöhung der Skopolaminpflaster-Dosis, nasale Midazolamgabe bei Unruhephasen, Festlegung einer sinnvollen ambulanten Sauerstoffapplikationsform sowie die rektale statt orale Gabe von Midazolam als antikonvulsives Notfallmedikament. Aus der Therapieoptimierung resultierten deutlich längere Phasen der Betreuung im häuslichen Umfeld, die die Eltern und die gesamte Familie als sehr positiv wahrnahmen und dazu beitrugen, dass die Eltern gegenüber den Mitarbeitern des SAPPV-Teams erstmals den Wunsch äußerten, dass der Junge zu Hause versterben möge. Anknüpfend an die Gespräche mit den Eltern über die Notfallvereinbarung formulierte das SAPPV-Team das Ziel, die Eltern unterstützend und beratend zu einer eigenständigen Entscheidungsfähigkeit für ihr Kind in der Frage einer eventuellen Therapiebegrenzung zu ermutigen. Das schrittweise Annehmen der palliativen Situation durch die Familie wurde von allen Betreuenden unterstützend begleitet.

Wurde anfänglich immer wieder die Frage nach dem möglicherweise doch noch bestehenden "Strohhalm" einer kurativen Therapie gestellt, zeigte sich in den Gesprächen in dieser Zeit, dass sich die Wünsche der Eltern zunehmend auf ein "gutes Leben" für den Jungen in der ihm gegebenen Lebenszeit ausrichteten. Allerdings war in diesen Monaten auch weiter die Ambivalenz der elterlichen Wünsche und Prämissen zu spüren. Neben der in den vier Monaten der SAPPV-Betreuung erreichten Stabilisierung war daher auch der erneute elterliche Wunsch nach einer Maximaltherapie mit wiederholt gewünschten stationären Aufnahmen ein wesentlicher Grund für den Rückzug des SAPPV-Teams aus der Betreuung. Dieser war verbunden mit dem Angebot, dass die Betreuung bei Zunahme der Symptomlast und erkennbarer Therapiezieländerung wieder aufgenommen werden könne.

Erst in einer Phase mit wieder häufigeren kurzzeitigen stationären Aufenthalten in der Mitte des zweiten Lebensjahres des Kindes konnten wir dann mit den Eltern eine Therapiebegrenzung mit bewusstem Verzicht auf eine Reanimation oder Intubation konkret vereinbaren und dokumentieren.

Anämie, Hypokaliämie, COVID-19-Infektion

Im weiteren Verlauf entwickelte sich eine Anämie mit zweimalig akuter Transfusion eines Erythrozytenkonzentrates im Alter von 10 und 12 Monaten. Eine vermutlich multifaktoriell bedingte Anämie ist, ebenso wie die im zweiten Lebensjahr auftretende substitutionspflichtige, renal bedingte Hypokaliämie, ein beim Vici-Syndrom beschriebenes Symptom. Im Verlauf des zweiten Lebensjahres zeigte sich zudem eine Progression der Kardiomyopathie mit im Alter von 17 Monaten echokardiografischem Nachweis einer beginnenden Dilatation.

Aufgrund des inzwischen bestehenden umfassenden ambulanten Netzwerkes und insbesondere Dank der umfassenden Betreuung und Begleitung durch den ambulanten Pflegedienst mit telefonischen Rücksprachen mit den Ärzten in Praxis und Klinik war ab Mitte des zweiten Lebensjahres über einen Zeitraum von acht Monaten keine erneute stationäre Aufnahme notwendig. So war auch die in dieser Zeit im häuslichen Umfeld erworbene COVID-19-Infektion ambulant gut zu beherrschen.

Versterben in der Klinik

Auf ausdrücklichen Wunsch der Eltern und nach Anmeldung durch den ambulanten Pflegedienst wurde der Junge im Alter von 25 Monaten in erkennbar präfinalem Zustand mit Begleitung der Eltern in der Kinderklinik aufgenommen. Die Eltern bejahten ausdrücklich die palliative Zielsetzung mit Symptomkontrolle (O2-Gabe bei respiratorischer Insuffizienz) und die Reduktion diagnostischer Maßnahmen auf ein Minimum. Am Tag nach der Aufnahme verstarb der Junge im Beisein der Eltern. Diese finale Abschiedsphase wurde sowohl von den den Eltern vertrauten Mitarbeitern der Klinik als auch von der Mitarbeiterin des ambulanten Pflegedienstes unter Einbezug der gesamten Familie einfühlsam begleitet.