Frage: Die präventive und prägende Wirkung des kindlichen Mikrobioms kann offenbar gar nicht überschätzt werden, auch ein Zusammenhang mit der Entwicklung des zentralen Nervensystems ist nachgewiesen: Was ist dran an den Theorien, dass sogar Autismussymptome durch Modulation des Darmmikrobioms gebessert werden können? Und wenn Kinder nicht gestillt werden: Welchen Einfluss haben humane Milch-Oligosaccharide (HMO), die neuerdings Formulanahrungen zugesetzt werden, auf das Mikrobiom?

Expertenantwort: Obwohl in hohem Maße reguliert, ist die bakterielle Besiedlung des Neugeborenendarms eine sehr vulnerable Periode. Mütterliches Übergewicht, Kaiserschnitt, Antibiotika und weitere Faktoren können die physiologische Darmbesiedlung stören. Stillen fördert die Etablierung eines optimalen frühen Darmmikrobioms. Eine Schlüsselrolle spielen dabei HMO, der drittgrößte feste Bestandteil der Muttermilch nach Laktose und Fett.

HMO fördern als Präbiotikum das Wachstum bestimmter Bifidobakterien. Zusätzlich können sie Pathogene beseitigen, indem sie als "Köder" wirken, an welchen diese binden, um dann gemeinsam mit dem Stuhl ausgeschieden zu werden. Außerdem können sie Haftstellen an der Darmmukosa so verändern, dass Pathogene nicht mehr andocken können, und sie fördern die Immunbalance (Tab. 1).

Tab. 1 : Wirkmechanismen von humanen Milch-Oligosacchariden

In Muttermilch wurden mehr als 200 verschiedene HMO identifiziert, deren Wirkungen von der Struktur abhängen. Inzwischen ist es gelungen, einiger dieser dieser HMO herzustellen - strukturidentisch mit den entsprechenden HMO in der Muttermilch. Basierend auf ersten Studienergebnissen macht bereits die Zugabe von nur einem oder zwei HMO zu Säuglingsmilch bereits Sinn. Das gilt zum Beispiel für Fucosyllactose (2´FL), ein Kohlenhydrat, das bei circa 80 % aller Frauen mit einem Anteil von etwa 30 % mengenmäßig das wichtigste HMO darstellt.

Schützen HMO vor nekrotisierenden Enterokolitiden?

Entscheidend sind aber die Wirkungen. Mehrere klinische Studien haben positive Effekte der HMO-Supplementierung gezeigt, zum Beispiel größere Ähnlichkeit mit den Befunden gestillter Babys bei der Darmmikrobiota-Gemeinschaft sowie der Immunmarker im Plasma. Außerdem kam es zu weniger Infektionen der Atemwege, selteneren Dreimonatskoliken und seltenerem nächtlichen Aufwachen im Vergleich zur Kontrollgruppe.

Große Hoffnungen werden in die Prävention von nekrotisierenden Enterokolitiden (NEK) durch bestimmte HMO gesetzt. Die Pathogenese der NEK ist nicht völlig klar, aber intestinale Unreife und eine überschießende Entzündungsantwort auf die anormale Darmbesiedlung mit potenziell krankheitsverursachenden Bakterien bei Frühgeborenen spielen eine Rolle. Präklinische Studien zeigen, dass bestimmte HMO das NEK-Risiko reduzieren. Eine Mutter-Kind-Kohortenstudie konnte dies bestätigen. Neben den Wirkungen im Darmlumen können intakt resorbierte HMO zur NEK-Prävention beitragen, indem sie die an der Pathogenese beteiligte Entzündungskaskade hemmen. Weitere klinische Studien sind jedoch notwendig, um die positiven Wirkungen von HMO zu bestätigen.

Die Frage nach einem Zusammenhang mit Autismus-Spektrum-Störungen (ASD) schließlich ist ein Blick in die Zukunft. Es gibt Hinweise, dass neben genetischen Faktoren auch die Darmmikrobiota eine Rolle bei der Entstehung spielen könnten. Mehrere Studien fanden bei Kindern mit ASD Magen-Darm-Störungen im weiteren Sinne und eine Dysbiose der Darmmikrobiota. Erste Open-label-Studien weisen auf eine Besserung der ASD- und gastrointestinalen Symptome durch Modulation der Darmmikrobiota hin.