Es ist Frühjahr. Ein 15-jähriges Mädchen sitzt fröhlich im Dorfrestaurant und isst einen Salat. Völlig überraschend bekommt sie plötzlich massive Atemnot. Zwar hat sie zum Glück ihre Notfallmedikamente dabei, doch bevor diese wirken können, wird sie ohnmächtig. Die Eltern setzen den Notruf ab. Das Rettungsteam befindet sich nur wenige Straßen entfernt und ist bereits nach circa 4 Minuten vor Ort. Sie finden das deutlich beeinträchtigte, aktuell aber wieder ansprechbare Kind auf dem Boden liegend vor. Den Rettungssanitätern fällt der in der Abb. 1 dargestellte Hautbefund auf.
Was könnte hinter den Symptomen stecken? Und was ist nun zu tun?
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Titelbild-Gewinnspiel
Das war 2019 Ihr liebstes Kindermotiv!
In der Ausgabe 1/2020 haben wir Sie nach Ihrem liebsten Titelbild 2019 gefragt. Die Auswertung hat ergeben: Sieger ist mit 33 % der abgegebenen Stimmen das in Neurone verschlungene Kind aus unserem Sonderheft "Neuropädiatrie". Knapp dahinter teilen sich Platz 2 und 3 die "Jugendmedizin" (Ausgabe 5/2019) und die "Mundhöhle im Visier" (Ausgabe 1/2019).
Die Gewinner der ausgelobten Preise wurden unter sämtlichen Teilnehmern per Los ermittelt. Die Redaktion dankt allen Lesern der PÄDIATRIE, die bei der Wahl des schönsten Titelbildes 2019 ihre Stimme abgegeben haben, und gratuliert den Gewinnern, die gesondert benachrichtigt werden, sehr herzlich! red
Auflösung: Anaphylaktischer Schock (Grad III) bei Erdnussallergie
Das Mädchen hatte sich noch geistesgegenwärtig einen Adrenalinautoinjektor und Kortisonsaft verabreicht. Durch das Notfallteam wurden dann ein Antihistaminikum und Prednisolon i. v. appliziert und Salbutamol über eine Sauerstoffmaske vernebelt. Bei weiterer Verschlechterung der respiratorischen Symptomatik und Bewusstlosigkeit wurden eine manuelle Masken-Beutelbeatmung, Narkoseeinleitung und endotracheale Intubation sowie eine erneute Applikation von Adrenalin i. m. erforderlich. Das beatmete Mädchen wurde in unsere Klinik transportiert. Dort erfolgte die Verabreichung von Adrenalin i. v. und ein Volumenbolus bei auf 6 Sekunden verlängerter Kapillarfüllungszeit, einer Herzfrequenz von 135 pro Minute und einem Blutdruck von 55/35 mmHg. Die Vitalfunktionen des Kindes stabilisierten sich, 45 Minuten nach Aufnahme konnte die Beatmung beendet werden (Abb. 2, Abb. 3).
Die Salatsoße enthielt entgegen den Angaben des Kochs Spuren von Erdnüssen. Das Mädchen hatte in der Vergangenheit bereits mehrfach allergische Reaktionen nach Erdnussverzehr gezeigt und war für dieses Allergen positiv getestet worden. In unserer Klinik erhielt die Patientin eine erneute Anaphylaxie-Schulung. Eine spezifische Immuntherapie ist in Planung.
Die Symptomatik der Anaphylaxie ist vielgestaltig
Anaphylaktische klinische Symptome können entweder allein oder gemeinsam in schnellem Ablauf - und nicht zwingend immer in gleicher Ausprägung - auftreten und sind ebenso vielgestaltig wie verwirrend. Am häufigsten ist die Haut mit generalisiertem Juckreiz, anfallsartiger Rötung, Urtikaria oder Angioödem (Quincke-Ödem) betroffen. Im weiteren Verlauf greift das Geschehen auf andere Organsysteme über, entweder auf den oberen Respirationstrakt mit Verengung der oberen Atemwege (Larynxödem) oder mit bronchialer Obstruktion. Ist der Magen-Darm-Trakt beteiligt, kommt es zu Übelkeit, kolikartigen Schmerzen, Erbrechen und in seltenen schweren Fällen auch zu Stuhlabgang, Diarrhö und unfreiwilliger Miktion. Charakteristisch ist auch die Beteiligung des Herz-Kreislauf-Systems, beginnend mit Tachykardie und Blutdruckabfall. Durch endogene Gegenregulierung kann aber kurzzeitig auch eine Blutdrucksteigerung beobachtet werden. Die kardiovaskuläre Beteiligung kann so intensiv sein, dass es zum Herz- und/oder Atemstillstand kommt [1, 2].
Im Zentrum der Pathophysiologie stehen Mastzellen und basophile Leukozyten, die entweder immunologisch (meist durch Immunglobulin[Ig]-E-Antikörper, seltener auch durch IgG-Immunkomplexe) oder nicht immunologisch (direkte "Mediatorfreisetzung") stimuliert und zur Freisetzung von vasoaktiven und proinflammatorischen Mediatorsubstanzen angeregt werden. Am bekanntesten ist Histamin, aber auch Leukotriene, Prostaglandine, der plättchenaktivierende Faktor sowie Zytokine spielen eine Rolle.
Die häufigsten Pathomechanismen mit tödlichem Ausgang (letale Anaphylaxie) sind: Kreislaufschock durch Versacken von Volumen im Gewebe, kardiogener Schock durch Herzversagen (Rhythmusstörung oder Minderdurchblutung), Obstruktion der oberen Atemwege (Larynxödem) und akute Bronchokonstriktion (schwerer Asthmaanfall) [1, 3].
Die richtige Behandlung
Adrenalin hat den höchsten Stellenwert in der Therapie der Anaphylaxie und wirkt gegen drei entscheidende Phänomene im Verlauf einer anaphylaktischen Reaktion [1, 3]:
1.
Hypovolämie durch periphere Vasodilatation und Volumenaustritt ins Gewebe
2.
Respirationsstörung durch Schleimhautödem oder Bronchokonstriktion im Bereich der oberen und unteren Atemwege
Abgesehen von schweren Anaphylaxien im intensivmedizinischen Bereich wird Adrenalin unverdünnt i. m. in einer Dosis von 5-10 μg/kg Körpergewicht (KG) verabreicht (Tab. 1).
Bei Nichtansprechen innerhalb von fünf Minuten erfolgt eine zweite Gabe von Adrenalin i. m. Spricht der Patient dann immer noch nicht an, wird unter Puls- und Blutdruckmonitoring mit der Verabreichung der handelsüblichen Adrenalinlösung i. v. in einer Verdünnung von 1:10 bis 1:100 fortgefahren. Bei Schweregrad IV erfolgt die kardiopulmonale Reanimation zusammen mit der Gabe von Adrenalin i. v. alle 3-5 Minuten [2, 4].
Bei Grad-I-Reaktionen haben Histamin-H1-Antagonisten ihren festen Platz in der Therapie. Der Stellenwert von Glukokortikoiden bei der Anaphylaxie wird heftig diskutiert. Tatsächlich benötigen diese eine gewisse Zeit bis zum Wirkeintritt, die sofortige "membranstabilisierende" Wirkung von hohen Dosen Prednisolon ist umstritten. Es ist jedoch sinnvoll, Glukokortikoide zu verabreichen, um die gar nicht so seltenen, biphasischen Reaktionen zu unterbinden sowie Atemwegsreaktionen mit Bronchokonstriktion günstig zu beeinflussen. Stehen Symptome im Bereich der oberen Atemwege im Vordergrund, wird inhalatives Adrenalin empfohlen, das mit Spacer oder über eine Sauerstoff-Verneblermaske verabreicht wird. Bei Patienten mit einem bekannten Asthma bronchiale werden auch kurz wirksame β2-Sympathomimetika eingesetzt (Salbutamol, Fenoterol).
Ab Grad II bedarf es Adrenalin i. m. Als Indikation reicht aus, dass zwei Organsysteme betroffen sind (Haut plus Erbrechen/Luftnot ist schon ein Muss für Adrenalin) [3, 5, 6].
Bei Grad II bis III mit Bewusstlosigkeit, Hypotension und Schock wirkt Adrenalin i. m. bei vorliegender Mikrozirkulationsstörung nicht. Stattdessen sollte Adrenalin i. v. zum Einsatz kommen und auf jeden Fall noch vor einem Antihistaminikum und Kortison, gegebenenfalls sogar vor Volumen stehen.
Die aktuelle Leitlinie zu Akuttherapie und Management von Anaphylaxie gibt in einem Flussdiagramm einen strukturierten Algorithmus vor, der sich an den im Vordergrund stehenden "Hauptsymptomen" orientiert [1, 2].
Dr. Thomas Hoppen, M.A. und Dr. Annette Gerber
Kinder- und Jugendmedizin
Gemeinschaftsklinikum Mittelrhein gGmbH
Akademisches Lehrkrankenhaus der Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz
Kemperhof
Koblenzer Straße 115-155
56073 Koblenz
E-Mail: Thomas.Hoppen@gk.de
Fazit für die Praxis
Die Anaphylaxie als Maximalvariante der allergischen Sofortreaktion muss frühzeitig erkannt und sofort behandelt werden. Zum Einsatz kommen allgemeine sowie pharmakologische Maßnahmen. Im Zentrum der medikamentösen Behandlung steht Adrenalin, dessen Gabe ab Grad II zügig zu erfolgen hat. Das Notfallset zur Selbsthilfe enthält mindestens einen Adrenalinautoinjektor, ein Antihistaminikum und ein Glukokortikoid (am besten löslich), bei Asthma auch ein β2-Sympathomimetikum als Aerosol. Anaphylaxie-Schulungsprogramme werden gegenwärtig noch zu wenig genutzt, sind jedoch sehr wirkungsvoll.
Herzliche Einladung zum 13. Pädiatrie Update
Aktuelles Wissen über den ganzen Fachbereich der Kinder- und Jugendmedizin, gewohnt kompakt, praxisnah und produktneutral präsentiert, das ist und bleibt das Konzept des Seminars Pädiatrie Update - auch in Zeiten von COVID-19! Erfreulicherweise konnten die für April/Mai geplanten Seminare in den Juli verlegt werden.
Unter der Voraussetzung, dass zu diesem Zeitpunkt Präsenzveranstaltungen tatsächlich wieder möglich sind, sind Sie eingeladen, am 3. und 4. Juli 2020 in Köln oder am 17. und 18. Juli in Berlin am 13. Pädiatrie Update teilzunehmen. Für alle, denen es nicht möglich ist, zu einem der neuen Termine nach Köln oder Berlin anzureisen, wird das Seminar auch als Livestream übertragen. Das Pädiatrie Update ist mit 17 CME-Punkten zertifiziert.
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