Die Coronavirus-Pandemie hat unser gesamtes Leben verändert - sowohl im privaten als auch im medizinischen Bereich. In reproduktionsmedizinischen Zentren sank die Zahl der Kinderwunschbehandlungen vor allem im März und April 2020 stark und es kam zu nicht unerheblichen finanziellen Einbußen.

Die pandemiebedingten Auswirkungen haben ein Ausmaß erreicht, das niemand von uns für möglich gehalten hätte. Für reproduktionsmedizinische Zentren wie auch für viele andere medizinische und nicht medizinische Einrichtungen resultieren aus der Pandemie erhebliche Belastungen, weil Behandlungen über einen längeren Zeitraum nicht mehr oder zumindest nur noch sehr eingeschränkt möglich waren. Beispielsweise empfahlen die medizinischen Fachgesellschaften auf dem Höhepunkt der Pandemie, keine elektiven Behandlungen mehr durchzuführen.

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Zu Beginn der Pandemie wurden fast alle künstlichen Befruchtungen abgebrochen und gestoppt.

Der Einfluss der Pandemie

Empfehlungen der Fachgesellschaften

Obwohl reproduktionsmedizinische Zentren wie auch die übrigen medizinischen Einrichtungen als systemrelevant eingestuft wurden und ihr Betrieb von staatlichen Behörden nicht generell untersagt wurde, kam es ab Mitte März 2020 bei fortschreitender Pandemie zu einem deutlichen Rückgang der Behandlungszahlen (Abb. 1). Dies hängt zweifelsfrei mit den Empfehlungen der Fachgesellschaften zusammen, die sich Mitte März gegen eine Fortsetzung des Regelbetriebs aussprachen.

Abb. 1
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: Behandlungsverhalten der reproduktionsmedizinischen Zentren in Deutschland auf dem Höhepunkt der SARS-CoV-2-Pandemie im März/April 2020

Die ESHRE (European Society of Human Reproduction and Embryology) veröffentlichte am 14. März 2020 Empfehlungen, wonach bis auf weiteres keine neuen ART(assistierte Reproduktionstechniken)-Zyklen gestartet werden sollten. In Abhängigkeit von der lokalen Situation lautete die Empfehlung, dass begonnene ovarielle Stimulationen entweder abgebrochen werden sollten oder es sollte mit dem Paar die Kryokonservierung von befruchteten Eizellen/Embryonen zur Vermeidung eines Embryotransfers bei im März noch nicht vollständig absehbaren Folgen der Pandemie besprochen werden [1].

Ganz ähnlich äußerte sich auch die amerikanische Fachgesellschaft ASRM (American Society for Reproductive Medicine). Der Vorstand der DGRM (Deutsche Gesellschaft für Reproduktionsmedizin) hatte am Wochenende des 14./15. März 2020 die schwierige Entscheidung zu treffen, ob er sich den restriktiven Empfehlungen der ESHRE anschließen oder stattdessen für die deutsche Reproduktionsmedizin eine permissive Behandlungsstrategie empfehlen sollte. Dabei galt es, zum einen die Interessen der Mitgliedszentren und ihres Personals an der Durchführung von Kinderwunschbehandlungen - also wirtschaftliche Interessen - abzuwägen. Zum anderen auch eine mögliche gesundheitliche Gefährdung der Patientinnen und Mitarbeiter sowie einer bei unverändertem Betrieb möglicherweise weiter fortschreitenden Virusausbreitung - also gesamtgesellschaftlichen Interessen - zu beachten.

Letztendlich entschied sich der Vorstand der DGRM am 16. März 2020 dafür, sich den Empfehlungen der ESHRE anzuschließen. Diese äußerst komplizierte und wirtschaftlich schwierige Entscheidung wurde unter dem Eindruck der fortschreitenden Pandemie, die ein bis dahin nicht gekanntes Ausmaß erreicht hatte, und der medialen Präsenz von vor den Notaufnahmen liegenden Patienten und Leichen abtransportierenden Militärfahrzeugen in Bergamo sowie der Ausrufung des Katastrophennotstands in einzelnen Bundesländern getroffen [2].

Wenngleich solche Bilder in Deutschland zum Glück nicht präsent waren, so gelangten auch hierzulande Mitte März Gesundheitsbehörden, Ärztekammern und Politik an ihre Belastungsgrenzen und die Gesundheitsämter waren zum Teil überfordert. Es war absehbar, dass von öffentlichen Stellen keine Anordnungen beziehungsweise Empfehlungen bezüglich des weiteren Vorgehens in der Reproduktionsmedizin in der SARS-CoV-2-Pandemie zu erwarten sein würden. Somit war klar, dass unser Fachgebiet selbst das Heft in die Hand nehmen und entscheiden musste. Daher entschloss sich der Vorstand der DGRM für das besagte restriktive Vorgehen, weil nach einem sorgfältigen Abwägen von Für und Wider der Gesundheitsschutz aller als höheres Gut im Vergleich zu wirtschaftlichen Interessen eingestuft wurde. Es handelte sich gewissermaßen um den reproduktionsmedizinischen Beitrag für die Gesellschaft, um nicht in eine gesundheitspolitische Notfallsituation zu kommen.

Mitte März erschien es noch völlig unklar, wie sich die weitere Situation entwickeln würden und vonseiten der Politik wurde auch darum gebeten, die medizinische Expertise auf Intensivbehandlungen zu bündeln, um für den äußersten Notfall gerüstet zu sein. Daher fanden an den Kliniken zu dieser Zeit keine elektiven Operationen statt. Hinzu kam, dass durch die Ausrufung des Katastrophennotstands in Bayern auch eine Ausgangssperre in greifbarer Nähe war und begonnene Behandlungen nicht mehr hätten fortgeführt und Patientinnen mit einem schweren Überstimulationssyndrom womöglich nicht mehr hätten adäquat versorgt werden können.

Angenommen, man hätte Mitte März an allen reproduktionsmedizinischen Zentren Deutschlands unverändert ovarielle Stimulationsbehandlungen durchgeführt, so hätten sich Ende der Woche mehrere tausend Frauen in der Stimulationsphase befunden. Bei einer fehlenden fachlichen Versorgung im Rahmen eines Überstimulationssyndroms wären betroffene Patientinnen akut gefährdet gewesen. Pulmonale Komplikationen der Überstimulation wie Pleuraergüsse wären zudem mit einer deutlich erhöhten Suszeptibilität gegenüber dem Coronavirus einhergegangen. Die Belastungsgrenzen des deutschen Gesundheitssystems waren zum damaligen Zeitpunkt nicht sicher prognostizierbar. Jede bei einer Kinderwunschpatientin auftretende Komplikation wäre eine zu viel gewesen.

Höhepunkt der Pandemie im März und April

Infolge der allgemeinen Situation und der besagten Empfehlungen der Fachgesellschaften trat an den deutschen reproduktionsmedizinischen Zentren in den Monaten März/April ein Minus von 5.430 ART-Zyklen ein. Dies entspricht einem Rückgang von 31 % gegenüber dem Vorjahr, ein (Abb. 2, Tab. 1). Hierbei zeigte sich jedoch in Abhängigkeit von der Trägerschaft des Zentrums ein äußerst differenziertes Bild.

Abb. 2
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: Anzahl und Entwicklung gestarteter Frisch- und Auftauzyklen im Jahresvergleich 2019/2020

Tab. 1 : Entwicklung der Behandlungszahlen während der SARS-CoV-2-Pandemie in den einzelnen deutschen Regionen

Besondere Situation der universitären Zentren

Die Unikliniken waren durch Verbote oder die nahezu überall selbst auferlegten Gebote, keine neuen ART-Zyklen zu starten, mit einem Rückgang um 61 % am stärksten betroffen. Einige universitäre Einrichtungen wie das Düsseldorfer UniKiD mussten den laufenden Betrieb komplett einstellen. Die angestellten Reproduktionsmediziner wurden in der Notaufnahme für den Fall einer medizinischen Krisensituation eingearbeitet. Viele privat geführte Praxen konnten dagegen ihre reproduktionsmedizinische Tätigkeit nahezu unverändert fortführen. Lediglich 14 von 53 Praxen (26,4 %) starteten selbst auferlegt keine neuen Behandlungszyklen.

Das Deutsche IVF-Register e. V. (DIR) wertete die Daten von 53 nicht universitären und 19 universitären Zentren aus. Von den insgesamt 72 untersuchten reproduktionsmedizinischen Zentren starteten 41 (56,9 %) auch auf dem Höhepunkt der Pandemie neue Behandlungszyklen. 44 % der Zentren erlebten eine geringere Nachfrage durch die Patienten, 44 % eine unveränderte Nachfrage und 12 % eine höhere Nachfrage nach Kinderwunschbehandlungen als vor Beginn der Pandemie (Abb. 3). Letztendlich kam es in den Monaten März und April in allen Regionen unabhängig von den Landesgesetzen zu einem Rückgang der Behandlungszyklen [3].

Abb. 3
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: Nachfrage von Paaren nach Kinderwunschbehandlungen auf dem Höhepunkt der COVID-Pandemie; Ergebnis einer Befragung von reproduktionsmedizinischen Zentren des Deutschen IFV-Registers

Modifizierte Empfehlungen der Fachgesellschaften

Als eine gewisse Entspannung der Pandemiesituation eintrat, wurden von der DGRM und nachfolgend der ESHRE Korrekturen der Empfehlungen vorgenommen. Diese wurden am 15. April 2020 bekanntgegeben und später teilweise auch von der ASRM unterstützt. Auch die modifizierten Empfehlungen sahen einen sehr restriktiven Umgang mit ART-Behandlungen aufgrund der äußerst begrenzten Datenlage zu Schwangerschaftskomplikationen durch eine COVID-19-Erkrankung vor. Die Empfehlungen setzten auf die Eigenverantwortung der Ärztinnen und Ärzte, nach individueller Abwägung und unter Berücksichtigung der regionalen Situation gemeinsam mit den Paaren über den Start einer medizinisch indizierten ART-Behandlung zu entscheiden (Tab. 2). Als Conditio sine qua non wurde dabei das Fortbestehen effizienter Maßnahmen des Infektionsschutzes der Paare und Mitarbeiter wie Begrenzung der Zahl der in der Praxis anwesenden Personen oder die Einhaltung von Hygienevorschriften betrachtet. Diese modifizierten Empfehlungen sind im weitesten Sinne noch heute gültig.

Tab. 2 : Verhalten ausgewählter Kinderwunschpraxen und Unikliniken während der SARS-CoV-2-Pandemie

Sie umfassen im Wesentlichen folgende Punkte, die auch in nicht reproduktionsmedizinischen Praxen zur Anwendung kommen:

  1. 1.

    Bildung von zwei Praxisteams, die autark und ohne gegenseitigen Kontakt arbeiteten

  2. 2.

    Starke Reduktion des direkten Kontakts zu Patientinnen und Patienten durch Telefon- und Videosprechstunden

  3. 3.

    Verzicht auf Begleitpersonen der Patientinnen, sofern diese nicht für die Behandlung zwingend erforderlich sind

  4. 4.

    Aufstellen von Desinfektionsspendern an allen Eingängen

  5. 5.

    Händewaschen nach jedem Kontakt

  6. 6.

    Anbringen von Plexiglas-Verkleidungen am Empfang

  7. 7.

    Maskenpflicht für Personal und Patientinnen und Patienten

  8. 8.

    Maßnahmen der sozialen Distanzierung (z. B. Mindestabstand von 1,5 m)

  9. 9.

    Kanalisieren von Patientenströmen

  10. 10.

    Erfragen von Erkältungssymptomen oder Aufenthalt in Risikogebieten sowie Kontakt zu infizierten Personen im Vorfeld der Vorstellung

Infolge der Modifikation der Empfehlungen der Fachgesellschaften kam es ab Ende April in den meisten reproduktionsmedizinischen Zentren wieder zu einem Normalbetrieb.

Fazit und Ausblick

Die SARS-CoV-2-Pandemie war und ist eine seit Generationen nicht da gewesene Belastungsprobe, sowohl für die Gesellschaft als auch die gesamte Medizin einschließlich der Reproduktionsmedizin. Solche Krisensituationen erfordern ein entschlossenes Handeln - vonseiten der Politik wie auch durch die Fachgesellschaften. Ob Entscheidungen richtig oder falsch waren, kann man leider erst retrospektiv beurteilen.

Für die Reproduktionsmedizin in Deutschland lässt sich feststellen, dass es auf dem Höhepunkt der Pandemie im März/April 2020 zu erheblichen wirtschaftlichen Einbußen im Bereich der Zentren - bei den universitären noch stärker als bei den nicht universitären - kam. In den darauffolgenden Monaten stieg die Zahl der Kinderwunschbehandlungen jedoch wieder rasch an, nicht zuletzt aufgrund des ausgeprägten Leidensdrucks der Paare.

Neben den vielen negativen Folgen der Pandemie gibt es trotz allem auch positive Aspekte. Dies sind die Solidarität zwischen den Zentren sowie Kolleginnen und Kollegen in der (reproduktions-)medizinischen Gemeinschaft, die erfolgreiche Etablierung von Telefon- und Videosprechstunden sowie Online-Fortbildungen und gesamtgesellschaftlich die gestiegene Wertschätzung des medizinischen Personals. Es besteht auch die Möglichkeit, Sitzungen oder Wahlen von Fachgesellschaften als Video-/Telefonkonferenzen ohne Präsenz durchzuführen.

Der Blick in die Zukunft legt nahe, dass uns die SARS-CoV-2-Pandemie auch noch eine längere Zeit begleiten und beschäftigen wird. Den aktuellen Veränderungen wird auch die neue ESHRE-Richtlinie "Covid-19 and ART" vom 14. Oktober 2020 gerecht. Diese greift im Grunde alle seit März 2020 gültigen Hygienemaßnahmen auf, geht aber in einzelnen Punkten noch weiter. So empfiehlt sie in der aktuellen Situation vor dem Hintergrund der zweiten Infektionswelle mit erneuten Herunterfahren des öffentlichen Lebens und weiterhin unklarer Datenlage bezüglich Infektionen in der Schwangerschaft das generelle Einfrieren von befruchteten Eizellen beziehungsweise Embryonen und die Durchführung des Embryotransfers erst nach überstandener Pandemie.

Dies deckt sich gewiss nicht mit den Wünschen der überwiegenden Mehrzahl der an deutschen reproduktionsmedizinischen Zentren in Behandlung befindlichen Paare. Zudem fordert die Richtlinie der europäischen Fachgesellschaft eine generelle Testung der Patientinnen auf SARS-CoV-2 in Regionen mit ≥ 120 Neuinfektionen pro 100.000 Menschen innerhalb von 14 Tagen [4].

Auch wenn sich der weitere Verlauf der Pandemie noch nicht exakt abschätzen lässt und regionale Unterschiede existieren, gilt: Die medizinischen Zentren in Deutschland sollten nach den Erfahrungen aus dem Frühjahr 2020 gut gerüstet sein.