Was sollte man bei entsprechender Indikation verordnen - isolierte Cannabinoide wie Dronabinol, spezielle Gemische oder Vollspektrum-Extrakte? Darüber gehen die Meinungen auseinander. Das Interesse am Zusammenspiel der verschiedenen Inhaltsstoffe der Cannabispflanze ist in jedem Fall groß und Gegenstand intensiver Forschungen.

Die bekanntesten Cannabinoide sind Tetrahydrocannabinol (THC) und Cannabidiol (CBD), doch mittlerweile wurden mehr als hundert weitere identifiziert, z. B. Cannabinol und Cannabigerol. Außerdem enthält die Cannabispflanze die Gruppe der Nicht-Cannabinoide, wobei Terpene und Flavonoide zu den interessantesten der mehr als 400 Vertreter zählen, erläuterte Prof. em. Dr. Rudolf Brenneisen, Bern (Schweiz).

Die Namen der häufigsten Terpene - Pinen, Humulen, Myrcen, Limonen, Beta-Caryophyllen oder Eucalyptol - verdeutlichen, dass diese leicht flüchtigen Substanzen, die bei Cannabis in den Harzdrüsen der weiblichen Blüten gebildet werden, auch in anderen Pflanzen mit aromatischem Geruch vorkommen. Außerdem sind in Cannabispflanzen Stoffe aus der Gruppe der Flavonoide enthalten, etwa Cannaflavine, Quercetin oder Luteolin. Der Gehalt aller genannten Substanzen ist in den jeweiligen Sorten sehr unterschiedlich und hängt u. a. von den Wachstumsbedingungen und den Extraktionsmethoden ab.

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Zur Cannabisverordnung gibt die aktualisierte DGS-PraxisLeitlinie [3] wichtige Tipps.

Der Entourage-Effekt

Das Zusammenspiel der verschiedenen Cannabis-Inhaltsstoffe wird als Entourage-Effekt (entourage = franz.: Gefolge, Umgebung) bezeichnet. Manche Autorinnen und Autoren unterscheiden noch den Intra-Entourage-Effekt zwischen den Cannabinoiden, speziell THC und CBD, und den Inter-Entourage-Effekt, beispielsweise zwischen Cannabinoiden und Terpenen [1]. Zu diesem Synergismus gibt es zahlreiche Beobachtungen. So berichteten Anwender nach dem Rauchen oder der Einnahme von THC-CBD-Gemischen (Verhältnis z. B. 1:1 oder 1:2) über weniger Nebenwirkungen als bei alleiniger Anwendung von THC. Bei Anwendung von Zubereitungen aus Cannabis indica, die größere Mengen des Terpens Myrcen enthalten können, berichteten Anwender, dass entspannende und angstlösende Effekte besonders ausgeprägt waren.

Brückenschlag dringend notwendig

Bisher fehlen jedoch klinische Studien, die solche Effekte verifizieren können [2]. Laut Brenneisen ist dies ein großes Dilemma: Patientinnen und Patienten verfügen oft über umfangreiche Erfahrungen aus der illegalen Anwendung von Cannabis und haben dadurch häufig ein breiteres Wissen als Ärztinnen und Ärzte. Daher ist es seiner Ansicht nach dringend notwendig, eine Brücke zwischen der empirischen und der evidenzbasierten Medizin zu schlagen.

Quelle: Prof. em. Dr. Rudolf Brenneisen: Cannabinoide in der Pharmakologie und das therapeutische Potenzial von Medizinal Cannabis. Vortrag auf dem 3. Medicinal Cannabis Congress, Berlin, 10. Juni 2022