Sepsis und septischer Schock beginnen meist schleichend im häuslichen Umfeld oder in einer Pflegeeinrichtung. Im ambulanten Setting die Diagnose einer Sepsis zu stellen, kann schwierig sein. Für die Prognose ist es wichtig, frühzeitig die Ausweitung einer lokalen Infektion zu erkennen und umgehend Maßnahmen zu ergreifen, die das Überleben des Erkrankten sichern. Dieser Beitrag gibt eine Hilfestellung für die hausärztliche Praxis.

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© Yuri Arcurs / Fotolia (Symbolbild mit Fotomodellen)

Sepsis ist eine überschießende, unkontrollierte Reaktion des gesamten Körpers auf eine primär lokal begrenzte Infektion. Eine unkomplizierte Infektion eines Organs bleibt auf dieses begrenzt. Dadurch kann es zu einer Funktionseinschränkung dieses Organs kommen. Weitet sich die lokale Entzündungsreaktion auf weitere Organe aus, führt dies zu einer überschießenden Immunantwort, die neben dem akut infizierten Organ weitere Organe in Mitleidenschaft zieht und ein Multiorganversagen hervorruft. Das Auftreten einer Schädigung eines Organs, das nicht primär betroffen war, ist das Kennzeichen einer Sepsis. Sehr frühzeitig sind Lungen-, Kreislauf- und Nierenversagen zu beobachten. Eine Verschlechterung der Leberfunktion oder ein Verbrauch von Leukozyten und Thrombozyten treten zeitlich etwas versetzt auf.

Idealerweise werden durch ein Score-System Betroffene spezifisch erfasst. Ein Screening-Tool gibt es für die Sepsis jedoch leider nicht.

Diagnose

SIRS-Kriterien

Mit Hilfe der Kriterien des systemischen Inflammatorischen Systems (SIRS-Kriterien) wird ein großer Prozentsatz der Patienten erkannt (Tab. 1). Dieser Score setzt sich aus vier einfachen Parametern zusammen: Atemfrequenz (> 20/min), Herzfrequenz (> 90/min), Temperatur (> 38 °C oder < 36 °C) und Leukozytenzahl (> 12.000 oder < 4.000/µl). Bei mehr als einer dieser vier Kenngrößen sind die Kriterien eines SIRS erfüllt. Die hohe Sensitivität der SIRS-Kriterien geht jedoch zu Lasten der Spezifität.

Tab. 1 SIRS-Kriterien vs. qSOFA-Score vs. SOFA-Score

SOFA-Score

Vor diesem Hintergrund wurde anhand von großen Datenbanken nach spezifischeren Parametern gesucht, die das Vorliegen einer Sepsis bestätigen. Dabei müssen diese Parameter bereits bei dem Verdacht auf eine Sepsis erhoben werden, aber ebenso im Verlauf der Erkrankung, da sich die Funktionen der Organe verändern können. In den Sequential Organ Failure Assessment (SOFA-) Score (SOFA) gehen Kenngrößen ein, die spezifisch für die Lungen, das zentrale Nervensystem (ZNS), das Herz-Kreislauf-System, das Blutbild, die Leber und die Nieren sind. Der SOFA-Score ist sehr gut in der Lage, ein Organversagen, insbesondere nach einer Infektion zu definieren. Die Höhe des Scores korreliert sehr gut mit der Sterblichkeit der Betroffenen.

Als Screening-Tool zur Erkennung von kritisch kranken Patienten mit einer schweren Infektion ist der SOFA-Score jedoch nicht geeignet, da die Organe dann bereits eine verminderte Funktion aufweisen, die evtl. auch nicht mehr reversibel ist.

Leider ist der SOFA-Score bei Erkrankten, die bereits in ihrem stabilen Zustand eine Organvorschädigung aufweisen, beispielsweise dialysepflichtige Patientinnen und Patienten, nicht ausreichend validiert. Darüber hinaus beinhaltet der SOFA-Score Parameter, die nur im Krankenhaus oder in der Notaufnahme mit einer zeitlichen Latenz erhoben werden können.

Vereinfachter SOFA-Score: qSOFA

Daher wurde mit dem Quick Sequential Organ Failure Assessment (qSOFA) eine vereinfachte Form des SOFA-Scores entwickelt. Der qSOFA-Score umfasst lediglich die drei Parameter Atemfrequenz (> 22/min), den Sore auf der Glasgow-Koma-Skala (< 15) und den systolischen Blutdruck (< 100 mmHg). Diese sehr einfachen, ubiquitär und rasch zu erhebenden Parameter sind bei Patientinnen und Patienten mit Sepsis häufig pathologisch. Dieser Score wird sehr häufig in Dokumentationen des Rettungsdienstes verwendet, um die Dringlichkeit der Betreuung auf einer Überwachungs- oder Intensivstation festzuhalten.

Der qSOFA-Score hat sich jedoch nicht einheitlich durchgesetzt, da er häufig erst dann die Patientinnen und Patienten erkennt, wenn sie schon im Krankenhaus auf einer Intensivstation mit einer Sepsis behandelt werden.

Risikogruppen

Als prädisponierende Faktoren für eine Sepsis werden schwere chronische Erkrankungen angenommen. Die eigentlichen Gründe, warum der eine Mensch eine Sepsis entwickelt, ein anderer dagegen nur eine lokale Infektion, sind nur im Ansatz verstanden. Patientinnen und Patienten mit einer schweren Immunsuppression entwickeln oft ohne die typischen Zeichen einer Infektion dennoch eine schwere Sepsis und einen septischen Schock. Insbesondere Patienten und Patientinnen mit einer funktionellen oder chirurgisch durchgeführten Asplenie sind sehr gefährdet, einen schweren letalen septischen Schock zu entwickeln und bedürfen daher einer sehr intensiven Prophylaxe, z. B. der Pneumokokkenimpfung. Ähnliches gilt für Menschen mit Leberzirrhose und Aszites oder chronisch dialysepflichtigen Patientinnen und Patienten. Insbesondere bei den genannten Risikogruppen ist auf eine ausreichende Prophylaxe durch Impfungen zu achten. Die Ständige Impfkommission des Robert-Koch-Instituts gibt dazu regelmäßig Informationen heraus (https://www.rki.de/DE/Content/Kommissionen/STIKO/stiko_node.html).

Klinische Zeichen der frühen Sepsis

Kognitive Veränderungen sind insbesondere bei der älteren Bevölkerung erste Zeichen für eine Infektion. Eine neu aufgetretene Verwirrtheit, ein Sturz oder ein allgemeines Unwohlsein oder die akute Entwicklung einer Blasen- oder Mastdarminkontinenz können bereits auf eine beginnende Infektion hinweisen. Typische Symptome einer Infektion wie Fieber fehlen in bis zu 50 % der Patientinnen und Patienten mit einer Pneumonie.

Charakteristische Zeichen der Organdysfunktion sind dagegen weitgehend unabhängig vom Alter, ggf. sogar noch häufiger im Alter zu finden, da die funktionellen Reserven reduziert sind. Dies trifft z. B. auf das Symptom Tachypnoe bei Patientinnen und Patienten mit einer Pneumonie häufig zu. Klinische Hinweise auf den Ort der primären Infektion sind auch im Alter zu finden, z. B. Husten oder Diarrhoe. Oft findet sich neben einer veränderten Herzfrequenz auch Vorhofflimmern aufgrund eines Volumenmangels.

Ursachen von Sepsis und septischem Schock

Da eine Sepsis die systemische Antwort auf eine lokale Infektion darstellt, ist es zwingend erforderlich, bei jedem Verdacht auf eine Sepsis die Quelle der Infektion zu identifizieren. Nur so kann eine zielgerichtete Therapie die Komplikationen und die Sterblichkeit reduzieren.

Oft geht dem bakteriellen Infekt auch eine Schädigung durch eine Virusinfektion voraus. Die Anamnese kann daher eine entscheidende Rolle spielen. Die häufigsten Quellen einer Sepsis sind Infektionen der Atemwege und des Urogenitaltrakts.

Infektionen der Atemwege

Am Krankenbett in der Umgebung des Patienten oder in der Notaufnahme kann ein normaler klinischer Untersuchungsbefund eine schwerwiegende Pneumonie hoch wahrscheinlich ausschließen. Dagegen geben pathologische Untersuchungsbefunde wie Rasselgeräusche oder ein pathologischer Stimmfremitus bzw. eine Bronchophonie deutliche Hinweise auf eine Lungenentzündung.

Goldstandard der Diagnostik bei Verdacht auf eine Pneumonie ist und bleibt die Bildgebung, in erster Linie die Radiologie des Thorax. Die Durchführung eines Röntgenbilds wird empfohlen, ist aber bei einem ambulanten Patienten nicht zwingend zur Diagnosestellung gefordert.

Bei Risikopatientientinnen und -patienten, z. B. mit hämatologischen Grunderkrankungen, nach Chemotherapie und bei schwerer Immunsuppression, wird die Durchführung einer Computertomografie empfohlen.

Der Stellenwert der Sonografie, die ambulant und am Bett des Patienten durchgeführt wird, ist in den Leitlinien noch nicht definiert. Mit Hilfe der Sonografie lässt sich aber sehr spezifisch und sensitiv die Lungenstruktur vor allem in den peripheren Lungenabschnitten darstellen. Es lassen sich sehr gut andere Ursachen für eine Verschlechterung der Lungenfunktion wie Pleuraerguss, Herzinsuffizienz oder eine interstitielle Erkrankung differenzieren. Die Limitation der Sonografie ist ihre Eindringtiefe, sodass zentrale Anteile der Lungen nicht ausreichend darstellbar sind. Insbesondere bei Patientinnen und Patienten unter Immunsuppression sollte daher nicht auf die Durchführung einer radiologischen Diagnostik insbesondere des Thorax-CT verzichtet werden!

Infektionen des Urogenitaltrakts

Hinweise auf eine Infektion im Urogenitaltrakt gibt in erster Linie die Anamnese. Klassische Symptome sind Pollakisurie und Dysurie. Risikofaktoren für eine urogenitale Infektion sind das weibliche Geschlecht, zuvor bereits häufiger aufgetretene urogenitale Infektionen, Operationen oder Erkrankungen im Bereich des Urogenitaltrakts und eingebrachte Fremdkörper.

Bei im Krankenhaus erworbenen Infektionen (nosokomiale Infektionen später als 48 Stunden nach der Aufnahme), handelt es sich in mehr als 40% der Fälle um urogenitale Infektionen. Sehr viele dieser Infektionen sind katheterassoziiert. Mehr als 25% der Patientinnen und Patienten mit einem ableitenden Urinkatheter, der länger als 7 Tage belassen wird, entwickeln eine Infektion, wobei das Risiko mit jedem Tag um 5% zunimmt. Ein Dauerkatheter oder suprapubischer Blasenkatheter sollte daher bei Verdacht auf eine urogentiale Infektion immer als erstes gewechselt oder falls möglich entfernt werden. Diese Maßnahme ist wichtiger als die Gabe von Antibiotika.

Eine asymptomatische Bakteriurie bei einer Frau ist häufig nicht behandlungsbedürftig und nur sehr selten die Ursache einer Sepsis. Erst wenn die Infektion im Nierenbecken eine Pyelonephritis auslöst, entwickelt sich eine schwere Sepsis bis hin zu einem septischen Schock. Die zumeist ursächlichen gram-negativen Bakterien können über die Freisetzung von Lipopolysacchariden zu einem septischen Schock führen.

Laborchemische Zeichen der frühen Sepsis

Das Auftreten einer Sepsis bedeutet eine Umstellung des Metabolismus. Durch die systemische Entzündungsreaktion wird ubiquitär vermehrt Glukose verstoffwechselt und muss verstärkt bereitgestellt werden. Daher sind die metabolischen und katabolen Umstellungen dahingehend ausgerichtet, eine Normalisierung des Glukosespiegels zu erreichen.

Während der anaeroben Glykolyse akkumuliert Laktat, das zudem ein Marker für die Störung der Mikrozirkulation ist: Klinisch lassen sich ein Volumenmagel und eine Störung der Mikrozirkulation an lividen Akren sowie einer verlängerten Rekapillarisierungszeit einfach erkennen. Eine nicht mehr homogene, sondern inhomogene Versorgung bedeutet, dass streckenweise einzelne Abschnitte des Kapillarsystems kurzzeitig nicht oder weniger durchblutet werden. Damit fallen zusätzlich Laktat und saure Valenzen an, die zu der Azidose bei einer Sepsis und insbesondere einem septischen Schock beitragen. Ein Laktatanstieg auf über 2 mmol/l stellt daher ein frühes Zeichen der Sepsis dar.

Eine typische Folge der Sepsis ist ein erhöhter Spiegel an freiem Kortison, das unter anderem auch zu einem maximalen katabolen Stoffwechsel führt, der sich leicht an einer relativen Insulinresistenz und hohen bis sehr hohen Glukosespiegeln im Plasma feststellen lässt. Eine Entgleisung oder ein neues Auftreten eines Diabetes mellitus ohne Diätfehler oder Änderung der Therapie sind daher ein laborchemisches Frühzeichen einer Sepsis.

Prognostische Bedeutung

Eine einmalige Anamnese der Beschwerden und der klinischen Untersuchung sind nicht ausreichend, um eine Sepsis zu erkennen. Insbesondere im Verlauf einer Infektion kann sich ein septisches Krankheitsbild entwickeln. Daher ist es zwingend erforderlich, die Patientinnen und Patienten im Abstand von wenigen Tagen mehrfach zu untersuchen.

Die Diagnose einer Sepsis ist immer ein medizinischer Notfall. Daher ist bei Verdacht auf eine Sepsis eine umgehende Behandlung erforderlich. Idealerweise erfolgt diese nach einer sofortigen notfallmäßigen Einweisung in eine Klinik. Jede Stunde einer verzögerten adäquaten antiinfektiven Therapie erhöht die Sterblichkeit des Betroffenen um etwa 7 %, wenn bereits ein Kreislaufschock vorliegt.

Falls es sich um einen Erkrankten mit einer relevanten Immunsuppression handelt, z. B. nach einer Chemotherapie mit dem Risiko einer Neutropenie, ist direkt zum Zeitpunkt der Diagnose der Sepsis - im Idealfall sofort, noch außerhalb des Krankenhauses - Blut für eine mikrobielle Kultur abzunehmen, grundsätzlich sollten mindestens zwei Blutkulturen abgenommen werden. Die antiinfektive Therapie sollte umgehend begonnen werden, da Transport, primäre Diagnostik und Behandlung Zeit kosten.

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PD Dr. med. Matthias Wolfgang Andreas Angstwurm

Medizinische Klinik und Poliklinik IV, LMU München

Weiterführende Literatur

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    AWMF S3-Leitlinie Sepsis - Prävention, Diagnose, Therapie und Nachsorge

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    https://sepsis-stiftung.de/downloads/

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    https://sepsis-hilfe.org/de/sepsis