Eine 80-jährige Patientin mit leichter kognitiver Einschränkung wurde von ihrem Hausarzt zur weiteren Abklärung einer ausgeprägten Anämie stationär eingewiesen. Liegen kognitive Einschränkungen vor, ist die (Fremd-)Anamnese von großer Bedeutung.

Tags zuvor war in der Laboruntersuchung ein Hb-Wert von 3,6 g/dl aufgefallen. Fremdanamnestisch klagte die Patientin über chronische Meläna und war bei permanentem Vorhofflimmern oral antikoaguliert. Zum Zeitpunkt der Vorstellung und der klinischen Untersuchung in der Notaufnahme fanden sich neben ausgeprägter Blässe keine Zeichen von Meläna, Hämatochezie oder sonstige makroskopische Blutungszeichen.

Anamnese

Vor einigen Jahren wurde die Patientin schon einmal untersucht und behandelt - wegen rektalem Blutabgang bei Hämorrhoiden unter Marcumar. Endoskopisch wurde zu dem Zeitpunkt eine ausgeprägte Sigmadivertikulose als weitere mögliche Blutungsquelle endoskopisch gesichert. Danach traten keine makroskopischen Blutungszeichen auf. Vor sechs Monaten musste sie wegen seit mehreren Wochen bestehendem peranalem Blutabgang mit damit verbundener hypochromer, mikrozytärer Anämie (Hb-Wert 8 g/dl) stationär behandelt werden.

In der Ösophagogastroduodenoskopie (ÖGD) wurde eine Angiodysplasie des Magens festgestellt und mit Argon-Plasma-Koagulation behandelt. Koloskopisch bestand weiterhin die ausgeprägte Sigmadivertikulose. Zum Zeitpunkt beider Untersuchungen fanden sich keine aktiven oder abgelaufenen Blutungszeichen.

Aktueller Verlauf

Initial erhielt die Patientin zur Besserung der klinischen Situation insgesamt vier Erythrozytenkonzentrate und wurde hinsichtlich der Vitalparameter kontinuierlich überwacht.

Die am nächsten Tag durchgeführten ÖGD und Koloskopie inklusive des terminalen Ileums zeigten keine Zeichen einer aktiven oder abgelaufenen Blutung in den einsehbaren Bereichen. Daher wurde endoskopisch eine Videokapsel zur Durchführung einer Kapselendoskopie platziert. In der Kapselendoskopie waren im Dünndarm nach vier Minuten Aufnahmezeit frisch blutige Schleimhautauflagerungen zu sehen, nach sieben Minuten konnte dann ein Fremdkörper (Abb. 1 und Abb. 2) gesichtet werden: ein Mandarinen-Netz mit einer Metallöse. (Anamnestisch war zu erfahren, dass Mandarinen gelegentlich im Netz ausgelegt werden, Zitronen z. B. eher nicht). Die Autoren mutmaßen, dass das Verschlucken des Netzes zwei bis drei Wochen zurücklag. Scheinbar hat sich das Netz mit dem Metallclip vorübergehend in der Darmschleimhaut "verhakt" und ist deshalb beim Abführen für die Koloskopie nicht weiter transportiert worden. In Kombination mit laufender Antikoagulation und angesichts der Anamnese handelte es sich um die wahrscheinlichste Blutungsursache.

Abb. 1
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© Klinikum Bayreuth GmbH

Kapselendoskopisches Bild Mandarinennetz mit Metallöse bei 6 Uhr.

Abb. 2
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© Klinikum Bayreuth GmbH

Kaspelendoskopisches Bild von einem Mandarinennetz.

Die Bergung des Fremdkörpers mit einem langen Endoskop wurde für den kommenden Tag geplant, jedoch entwickelte die Patientin Fieber bis 39 °C und Dyspnoe bei einem positiven Schnellabstrich auf Influenza A und gleichzeitig SARS-CoV-2, sodass die Intervention nicht durchgeführt werden konnte.

Hintergrundwissen

Akute gastrointestinale Blutungen werden, wie in Tab. 1 dargestellt, anatomisch nach ihrer Lokalisation in obere, mittlere und untere Blutungen unterteilt [1, 2]. Als Orientierung dient das Treitz-Band (Ligamentum suspensorium duodeni).

Tab. 1 Einteilung gastrointestinale Blutung

Mit 85% sind obere gastrointestinale Blutungen am häufigsten [3]. Ursächlich handelt es sich meist um nicht variköse Blutungen, wie Erosionen oder Ulzerationen, gefolgt von Blutungen aus Varizen unterschiedlicher Lokalisation. Blutungen aus dem Kolon sind mit 90% die häufigsten unter den mittleren- und unteren gastrointestinalen Blutungen [2]. In Abhängigkeit des Lebensalters sind bei den über 60-jährigen Patienten Angiodysplasien, Divertikel, Polypen oder Karzinome ursächlich. Die mittleren gastrointestinalen Blutungen machen rund 3-5% aller gastrointestinalen Blutungen aus. Klinisch können sie sich bei langsamem Kolontransit als Teerstuhl, bei raschem Transit als Hämatochezie (Gegenüberstellung in Tab. 2) oder akute Hb-relevante Blutung manifestieren. Meist handelt es sich um Angiodysplasien.

Tab. 2 Gegenüberstellung Meläna und Hämatochezie

Bei vermuteter mittlerer intestinaler Blutung stehen weitere diagnostische und therapeutische Verfahren zur Verfügung. Die Videokapselendoskopie ist mittlerweile zum Goldstandard in der Primärdiagnostik von Dünndarmerkrankungen geworden [4, 5], erlaubt jedoch keine Interventionsmöglichkeit [6]. Die Single-/Doppelballon-Enteroskopie und die neueste motorisierte Spiralenteroskopie sind, was die Blutungsquellenidentifikationsfindung betrifft, äquivalent zur der Kapselendoskopie [7], erlauben aber unmittelbare Interventionen während der Untersuchung.

Multimorbide, mehrfach untersuchte Patientinnen und Patienten, bei denen bereits eine potenzielle Blutungsquelle vorliegen kann, stellen nicht selten eine Herausforderung dar. Deren reduzierte funktionelle Reserven und deren erhöhtes periinterventionelles Komplikationsrisiko sind häufig Gegenanzeigen für invasive Maßnahmen und vermeintliche Überdiagnostik. Gerade in einer solchen Situation muss jedoch eine individuelle Entscheidung zugunsten des Patienten getroffen werden. Weder die medizinische Vorgeschichte noch das Alter der Betroffenen dürfen zu diagnostischen Einschränkungen führen.

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MUDr. Pavol Mikula

Klinik für Geriatrie und Geriatrische Tagesklinik Klinikum Bayreuth Medizincampus Oberfranken Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg