Patienten, bei denen eine chronische Hepatitis B diagnostiziert wurde, sollten in jedem Fall auf eine Koinfektion mit dem Hepatitis-D-Virus (HDV) getestet werden. Wie wichtig das ist, zeigt ein Fallbericht des Koblenzer Infektiologen Dr. Ansgar Rieke.

Ein aus Turkmenistan stammender Patient, Ende 30, hat seit seiner Kindheit erhöhte Leberwerte. Als 11-Jähriger, so sagt er, sei er wegen einer Fußinfektion antibiotisch behandelt worden. Seitdem seien immer wieder erhöhte Transaminasen aufgefallen. In einer gastroenterologischen Praxis in Deutschland wird eine Leberbiopsie durchgeführt, die eine mäßige Fi-brose zeigt. In der Serologie ist der Patient HBsAg-positiv, allerdings mit niedriger Viruslast < 2.000 IU/ml und negativem HBeAg. Die Nierenfunktion ist normal, eine Proteinurie liegt nicht vor. Was im Blutbild auffällt, ist neben den leicht erhöhten Transaminasen eine deutliche Thrombopenie (78.000/µl).

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Die Antikörper- Diagnostik ist der Goldstandard zum Nachweis einer HDV-Infektion.

Quelle: 18. Münchner AIDS- und COVID-Tage, 25.-27. März 2022

Replikative Hepatitis B mit Zirrhose stets therapieren!

In Fällen wie diesem laufen laut Rieke in der Praxis oft mehrere Dinge falsch:

  1. 1.

    Es muss nicht in jede Leber gestochen werden. Ob eine Fibrose vorliegt, lässt sich auch nichtinvasiv abklären, mit laborchemisch-klinischen Parametern (z. B. FIB-4) bzw. mit dem Fibroscan.

  2. 2.

    Bei Vorliegen einer replikativen Hepatitis mit Nachweis von HBV-DNA ist im Fall einer Zirrhose immer eine Therapie indiziert. Das gilt aber auch dann, wenn keine Zirrhose festgestellt wurde, die Virämie aber bei Werten > 2.000 IU/ml liegt und die Transaminasen auf eine entzündliche Aktivität hindeuten.

  3. 3.

    Bei Nachweis einer Hepatitis-B-Infektion muss in jedem Fall auch eine Hepatitis D ausgeschlossen werden. "Wer B sieht, muss auf D testen!", so Rieke.

Hepatitis D mit deutlich erhöhter Mortalität

Im vorliegenden Fall hatte offenbar niemand an diese wichtige Koinfektion gedacht. Von den derzeit etwa 240.000 Patienten mit chronischer Hepatitis B in Deutschland sind rund 6.000 mit Hepatitis D infiziert. Diese Konstellation ist laut Rieke mit einer 2- bis 3-fach erhöhten Mortalität verknüpft.

Die bei dem Patienten festgestellte Thrombopenie war dem Infektiologen zufolge "ein Zeichen für eine gefährliche Situation". Im Ultraschall vom Abdomen war neben einer vermehrten Echogenität des Leberparenchyms bereits eine ausgeprägte Splenomegalie sichtbar; dies sprach für eine portale Hypertension, bedingt durch die fortgeschrittene Fibrosierung der Leber.

Da zum Zeitpunkt der Diagnose noch kein Medikament zur Therapie der Hepatitis D verfügbar war, wurde der Patient leitliniengerecht mit pegyliertem Interferon behandelt. Darauf sprach er zunächst gut an, HBV konnte komplett supprimiert werden. Eine vollständige HBsAg-Clearance gelang jedoch nicht, trotz guter Compliance.

Entry-Inhibitor schützt Leberzellen

Als therapeutische Alternativen zur Behandlung der chronischen Hepatitis B kommen laut Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Gastroenterologie (DGVS) die Nukleos(t)idanaloga Entecavir sowie Tenofovir (TDF oder TAF) infrage [1]. Mit dem Patienten aus Turkmenistan probiert Rieke zusätzlich eine Therapieoption, die sich gezielt auch gegen die Hepatitis D richtet: Der Entry-Inhibitor Bulevirtid soll über die Blockade des Natrium-Taurocholat-Kotransporters das Virus am Eintritt in die Leberzelle hindern, wobei diese Eintrittspforte sowohl vom Hepatitis-D- als auch vom Hepatitis-B-Virus genutzt wird. In der Zulassungsstudie wurde die Substanz zusammen mit Tenofovirdisoproxilfumarat angewendet.

Langzeitdaten für Bulevirtid, welches mittlerweile auch in Deutschland zugelassen ist, liegen allerdings noch nicht vor. "Wir dürfen von dem Medikament nicht zu viel erwarten", schränkte Rieke ein, "es ist nicht so, dass das Virus sofort komplett eradiziert wird." Vielmehr erhält die Leber damit die Möglichkeit, sich nach der Bildung neuer Leberzellen vollständig zu erholen, sofern sie noch nicht zu weit geschädigt ist. Die Anwendung bei Patienten mit dekompensierter Zirrhose wird ausdrücklich nicht empfohlen.

Die Substanz wird einmal täglich subkutan gespritzt, entweder in die Bauchdecke oder den Oberschenkel. Bei den Patienten, die Rieke bislang behandelt hat, war unter der Therapie ein langsamer Abfall der Virämie zu beobachten. Der Patient aus dem Fallbericht weist mittlerweile normale Transaminasenwerte auf.

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Der Experte

Dr. med. Ansgar Rieke

Leiter der Immunologischen Ambulanz am Gemeinschaftsklinikum Mittelrhein, Koblenz