In der Rekordzeit von nicht einmal 1 Jahr nach der Entdeckung von SARS-CoV-2 wurden mehrere wirksame Impfstoffe entwickelt, zugelassen und bereits millionenfach verimpft. Daher drängt sich die Frage auf, wieso nach wie vor kein Impfstoff gegen HIV verfügbar ist, das nun seit knapp 40 Jahren bekannt ist. Bringen die Erkenntnisse aus der Entwicklung von Coronaimpfstoffen nun auch die Forschung an HIV-Impfstoffen voran?

Die Kernkomponente jedes Impfstoffs ist das Antigen, der Erregerbestandteil, gegen den eine Immunreaktion hervorgerufen werden soll. Bei den CoV-2-Impfstoffen ist dies das Spike-Oberflächenprotein, das den Eintritt des Virus in die Zelle vermittelt. Die analoge Struktur von HIV ist das Hüllprotein Env (envelope). Allerdings sind auch andere Virusproteine beteiligt, z. B. die Strukturproteine Gag (Kapsid), Pol (Enzyme) oder das Hilfsprotein Nef, oft auch als Mischung.

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An HIV-Impfstoffen wird noch geforscht. Dabei werden Hoffnungen auf die RNA-Technologie gesetzt.

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Impfstoff-Plattformen

Bei Proteinimpfstoffen wird das Antigen als Teil inaktivierter Viren oder biotechnologisch als reines Protein hergestellt und verabreicht (Abb. 1), wie beim kürzlich zugelassenen CoV-2-Impfstoff von Novavax. Dabei werden häufig Wirkverstärker (Adjuvanzien) zugesetzt, die auf unterschiedliche Weise wirken. Sie können beispielsweise dazu führen, dass Antigene aus Komplexen mit Aluminiumpartikeln über einen längeren Zeitraum nach und nach freigesetzt werden (Depoteffekt). Alternativ kommen Substanzen wie Monophosphoryl-Lipid-A (MPLA) zum Einsatz, die als Alarmsignale für das angeborene Immunsystem dienen.

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© Wagner, Asbach

Impfstoff-Plattformen

Anstelle der direkten Proteingabe kann auch der Bauplan (das Gen) des Antigens in Form von Nukleinsäuren verabreicht werden, z. B. als DNA, die im Körper zu Boten-RNA (Messenger-RNA, mRNA) umgeschrieben wird. Diese dient als Anleitung für die Translation des Antigens. Alternativ kann die RNA direkt verabreicht werden (siehe unten).

Schließlich lassen sich andere Viren als Überträger (Vektoren) verwenden, welche die Gene für das Antigen "huckepack" mitbringen. Die prominentesten Vektoren sind modifizierte Adenoviren, die nicht mehr vermehrungsfähig sind, und abgeschwächte Pockenimpfviren, z. B. das modifizierte Vaccinia-Ankara-Virus (MVA).

Die verschiedenen Plattformen können auch kombiniert werden. Durch heterologe Prime-Boost-Schemata (Kreuzimmunisierung), bei denen das gleiche Antigen mithilfe verschiedener Träger verabreicht wird, z. B. durch eine Prime-Impfung mit einem Adenovirus-Impfstoff und eine Boost-Impfung mit einem RNA-Impfstoff, lässt sich oftmals ein synergistischer Effekt erzielen. Gerade bei den Vektorimpfstoffen ist dies wichtig, da durch die Impfung auch eine Immunreaktion gegen den Vektor ausgelöst wird, sodass dieser bei erneuter Gabe teilweise neutralisiert wird, bevor er seine Wirkung entfalten kann (Vektorimmunität).

RNA-Impfstoffe

Bei RNA-Impfstoffen handelt es sich um ein relativ neues, ursprünglich für die Tumortherapie entwickeltes Konzept, das mit den SARS-CoV-2-Impfstoffen von BioNTech und Moderna den Durchbruch geschafft hat und eine disruptive Technik im Impfstoffbereich darstellt.

Im Gegensatz zu allen anderen oben genannten Impfstofftypen wird die RNA in einem zellfreien System hergestellt. Dies erlaubt eine schnellere Produktion, die mittlerweile wenig störanfällig, dafür robust und kostengünstig ist. Zwar wird auch die RNA mithilfe von Enzymen in einem biotechnologischen Prozess hergestellt, aber unter sehr kontrollierten Bedingungen und aus definierten Bausteinen.

1-10 Mutationen schleichen sich bei jeder Vermehrungsrunde in das HIV-Genom ein.

Ein weiterer Geschwindigkeitsvorteil ergibt sich in der Entwicklung, da allein die Kenntnis der Baupläne (Gensequenz) des Erregers bzw. des Antigens ausreicht, um einen Impfstoffkandidaten zu entwickeln. Jede beliebige Gensequenz, die als Matrize zur Herstellung der RNA dient, lässt sich heute innerhalb weniger Tage chemisch synthetisieren.

Trotz all dieser nunmehr realisierbaren Vorteile hat es sehr lange gedauert, bis die RNA-Plattform marktreif wurde. Die Verwendung modifizierter Nukleotide bei der RNA-Synthese zur Modulation der Immunantwort sowie die Formulierung der RNA in Lipid-Nanopartikeln zum Schutz vor ihrem Abbau und für eine erleichterte Aufnahme in die Zellen nach intramuskulärer Gabe haben dazu einen wesentlichen Beitrag geleistet.

Reaktion des Immunsystems

Ist das Antigen einmal im Körper, reagieren beide "Arme" des Immunsystems. Zum einen kommt es zur Bildung von Antikörpern, die später im Fall einer Infektion an die Oberflächenproteine des Virus binden und dieses im Idealfall direkt neutralisieren, sprich verhindern, dass es in Zielzellen eindringt. Allerdings sind nicht alle Antikörper neutralisierend. Viele binden zwar an das Virus, haben aber keinen unmittelbaren Effekt. Solche Antikörper können dennoch eine wichtige Rolle spielen, indem sie virale Proteine auf infizierten Zellen erkennen. Diese bindenden Antikörper können Immunzellen rekrutieren, welche die infizierte Zelle zerstören. Zum anderen werden zytotoxische T-Lymphozyten (Killer-T-Zellen) gebildet, die in der Lage sind, infizierte Zellen zu erkennen, indem sie nach passenden Peptiden (Fragmenten von Virusproteinen) fahnden und die Zelle zerstören.

HIV: Meister im Tarnen und Täuschen

Allerdings ist HIV ein Meister darin, der Immunantwort auszuweichen. Dies liegt u. a. an der immensen Variabilität nicht nur der weltweit zirkulierenden Virusstämme, die zu verschiedenen Subtypen (A, B, C etc.) zusammengefasst werden, sondern auch der Viruspopulation innerhalb eines Patienten. Subtypen unterscheiden sich um ca. 15%, Viren innerhalb eines Subtyps um bis zu 8% und die Viren im Patienten um bis zu 1%.

Varianten von SARS-CoV-2 sind sich dagegen wesentlich ähnlicher. Der Unterschied zwischen der Omikron-Variante und dem ursprünglichen SARS-CoV-2 beträgt gerade einmal 0,5%. Das liegt u. a. daran, dass sich bei jeder Vermehrungsrunde 1-10 Mutationen in das HIV-Genom einschleichen, die zu einer neuen Virusvariante führen können, während bei SARS-CoV-2, dessen Genom ca. dreimal so lang wie das HIV-Genom ist, lediglich 0,03 Mutationen pro Vermehrungsrunde auftreten.

Darüber hinaus hat HIV weitere Mechanismen zur Manipulation der Immunantwort entwickelt. Beispielsweise ist das Hüllprotein Env mit Zuckerstrukturen übersät, die ein Glykan-Schild bilden, das die Bindung von neutralisierenden Antikörpern sehr erschwert. Zwar hat man Antikörper gefunden, die in der Lage sind, "verwundbare" Stellen von Env sogar bei verschiedenen Subtypen zu binden, aber diese breit neutralisierenden Antikörper entstehen nur bei manchen Patienten und erst nach vielen Jahren, ohne dass die Betroffenen zu diesem Zeitpunkt noch davon profitieren können [1]. Außerdem kann das Env-Protein in einer offenen Konformation vorliegen, gegen die viele nichtneutralisierende Antikörper gebildet werden. Diese sind nicht in der Lage, an die funktionelle geschlossene Konformation zu binden.

Moderne HIV-Impfstoffstrategien: An der Achillesferse ansetzen

Basierend auf diesen Erkenntnissen werden mit Blick auf die modernste Generation von HIV-Impfstoffen im Wesentlichen zwei Ziele verfolgt:

  1. 1.

    Die gezielte gentechnische Modifikation des Env-Proteins, sodass es nur die geschlossene Konformation annimmt und dem Immunsystem vornehmlich die verwundbaren Stellen präsentiert [2].

  2. 2.

    Die Lenkung der Immunantwort durch die serielle Impfung mit jeweils leicht veränderten Env-Proteinen, sodass am Ende vor allem breit neutralisierende, vor vielen HIV-Varianten schützende Antikörper gebildet werden ("guiding principle"). Dieses Prinzip wurde bislang bei keinem zugelassenen Impfstoff realisiert [3].

Aktuelle klinische Phase-I/IIa-Studien zur Verträglichkeit und Immunogenität dieser modernen Kandidaten wurden initiiert, bis zur Wirksamkeitstestung (Phase IIb/III) werden aber noch mehrere Jahre vergehen.

Wirksamkeitsstudien mit HIV-Impfstoffkandidaten

In den vergangenen 25 Jahren wurden insgesamt zehn Studien zur Wirksamkeit aktiver Impfstoffkandidaten durchgeführt, von denen derzeit noch zwei laufen (Tab. 1). Bei den ersten vier Studien war das Ziel, entweder mit rekombinanten Hüllproteinen Antikörperantworten (Vax003 und Vax004) oder mit rekombinanten adenoviralen Vektoren T-Zellantworten hervorzurufen (Step- und Phambili-Trial). Dies gelang zwar, führte jedoch nicht zum Schutz vor einer Infektion [4, 5, 6]. Tatsächlich zeigte sich im Step-Trial bei Geimpften sogar eine höhere Rate an HIV-Infektionen als in der Placebogruppe. Obwohl die Gründe hierfür nicht klar sind, scheint der Effekt mit einer Seroreaktivität gegen das verwendete Adenovirus vom Typ 5 (Ad5) assoziiert zu sein. Auch in der Folgestudie HVTN 505, bei der ein Schema mit einem DNA-Prime-Impfstoff und einem Ad5-Boost-Impfstoff bei gesunden Probanden ohne präexistierende Ad5-Immunantwort getestet wurde, konnte keine Wirksamkeit beobachtet werden [7].

Tab. 1 Studien zur Wirksamkeit von aktiven HIV-Impfstoffkandidaten

In der RV144-Studie in Thailand kam erstmals ein heterologes Prime-Boost-Verfahren zum Einsatz, bei dem der Vogelpockenvirus-Vektor ALVAC und rekombinantes Env-Hüllprotein mit einem Aluminium-Adjuvans verabreicht wurden. Ziel war es, beide Arme des Immunsystems zu aktivieren. Diese Studie war ein Durchbruch, weil erstmals eine wenn auch moderate Wirksamkeit beobachtet wurde (60% Schutz vor einer Infektion nach 1 Jahr, 31% nach 3,5 Jahren) [8]. Unerwarteterweise wurde in einer Folgestudie in Südafrika (HVTN 702), bei der die Antigene an den dort dominanten Subtyp C angepasst worden waren und mit MF59 (Öl-in-Wasser-Emulsion) ein moderneres und vermeintlich besseres Adjuvans zum Einsatz kam, keinerlei Schutz beobachtet, sodass die Studie vorzeitig abgebrochen wurde [9]. Inwieweit diese Anpassungen oder Unterschiede im Studienkollektiv für die fehlende Wirksamkeit verantwortlich sind, kann derzeit nicht beurteilt werden. Allerdings erwies sich MF59 bei Rhesusaffen im direkten Vergleich als weniger potent als das bei RV144 verwendete Aluminium-Adjuvans [10].

Basierend auf den Erkenntnissen aus diesen Studien wurden drei neue Wirksamkeitsstudien geplant. In den Studien Imbokodo und Mosaico kommen Mosaikantigene zum Einsatz, die mithilfe der Bioinformatik so entwickelt wurden, dass die Antigene die hohe Diversität von HIV wesentlich besser abdecken als ein beliebiges natürliches Isolat. Außerdem wurde anstelle von Ad5 der Typ Ad26 verwendet, für den die Seroprävalenz wesentlich niedriger ist. Eine Zwischenauswertung von Imbokodo hat allerdings kürzlich gezeigt, dass kein Schutz vor einer HIV-Infektion erreicht wurde, sodass die Studie gestoppt wurde [11]. Die Mosaico-Studie, die im Detail einige Unterschiede aufweist, wird fortgesetzt.

Schließlich ist mit PrEPVacc gerade eine weitere Wirksamkeitsstudie in Südafrika angelaufen, in der neue Impfstoffkombinationen getestet werden: Ein Teil der Probanden erhält gleichzeitige Immunisierungen mit DNA und gp120-Protein (AIDSVAX), die anderen Probanden eine Prime-Impfung mit einem DNA-Impfstoff und einem verbesserten trimeren Protein mit einem MPLA-Adjuvans sowie eine Boost-Impfung mit einem MVA-Vektor und dem adjuvierten trimeren Protein. Auf die Ergebnisse sind wir sehr gespannt, weil eines der für die Proteinkomponente verwendeten HIV-Isolate in unserem Labor erstmals beschrieben und auch die DNA-Komponente von uns entwickelt wurde [12, 13, 14].

SARS-CoV-2 und HIV

Viele Erkenntnisse aus der HIV-Impfstoffentwicklung haben zum Erfolg der CoV-2-Impfstoffe beigetragen. So kodieren die RNA-Impfstoffe eine stabilisierte Form des Spike-Proteins, ein Konzept, das ursprünglich für das HIV-Env-Protein entwickelt wurde. Bei den Vektorimpfstoffen von AstraZeneca und Johnson & Johnson handelt es sich um ein modifiziertes Schimpansen-Adenovirus bzw. den Ad26-Stamm, beides Typen, die eine niedrige Seroprävalenz haben, da sich die Verwendung häufiger Typen wie Ad5 im HIV-Feld als negativ herausgestellt hat. Aufgrund der Erkenntnisse aus der Entwicklung von Impfstoffen gegen HIV und viele andere Erreger war außerdem vorherzusagen, dass sich heterologe Prime-Boost-Schemata als überlegen herausstellen würden.

Kann die neue RNA-Impfstoff-Plattform allein das Problem der HIV-Impfung lösen? Davon ist leider nicht auszugehen, da die Fehlschläge bisheriger Impfstoffe in der Natur des Virus mit seiner enormen Diversität und seinen Immunevasionsstrategien liegen. Dennoch ist zu erwarten, dass die Forschung an HIV-Impfstoffen von der RNA-Technologie profitieren wird, weil eine schnellere und günstigere Produktion von Testchargen für klinische Studien möglich ist, von einer sehr guten Immunogenität auszugehen ist und zugleich Sicherheitsbedenken, die im Zusammenhang mit der Verwendung viraler Vektoren stehen, vermieden werden.

Erste präklinische Wirksamkeitsstudien an Rhesusaffen mit den modernsten, auf die RNA-Plattform angepassten HIV-Impfstoffkandidaten verliefen vielversprechend. Klinische Phase-I-Studien zur Bestätigung der aktuellen HIV-Vakzine-Strategien auf Basis der mRNA-Technologie wurden bereits initiiert [15, 16].

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Prof. Dr. rer. nat. Ralf Wagner

Institut für Med. Mikrobiologie und Hygiene, Universität Regensburg

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Dr. rer. nat. Benedikt Asbach

Institut für Med. Mikrobiologie und Hygiene, Universität Regensburg