Die Ausbildung eines adäquaten Immunschutzes nach einer Impfung oder durchgemachter Infektion ist bei einem Immundefekt eingeschränkt. Daher ist eine medizinisch individuelle COVID-19-Impfstrategie bei Menschen mit HIV sinnvoll. Dieser Beitrag gibt einen Überblick über die aktuellen Empfehlungen.

Eine Infektion mit dem humanen Immundefizienzvirus (HIV) führt potenziell zu einer beeinträchtigten T-Zell-vermittelten und humoralen Immunantwort. Besonders Menschen mit unbehandelter oder nicht erfolgreich behandelter HIV-Infektion sind aufgrund der dadurch verursachten Immunschwäche von einer Vielzahl von Infektionskrankheiten bedroht.

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HIV: Ein Risikofaktor für COVID-19

Menschen, die mit HIV leben (People living with HIV, PLWH), zählen zur Risikogruppe für einen schweren COVID-19-Verlauf. In einer groß angelegten amerikanischen Kohorten-Studie konnte gezeigt werden, dass die Wahrscheinlichkeit, aufgrund einer SARS-CoV-2-Infektion hospitalisiert zu werden und daran zu versterben, bei PLWH signifikant höher war als bei Menschen ohne HIV-Infektion. PLWH entwickelten im Mittel häufiger einen schweren und seltener einen moderaten bis milden Krankheitsverlauf bei einer SARS-CoV-2-Infektion, wobei eine relevant verminderte CD4-Zellzahl (< 200-350/µl) sowie eine HIV-Viruslast über der Nachweisgrenze mit einem ungünstigen Verlauf assoziiert waren [1, 2, 3].

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Bei einem relevanten Immundefekt sind vorzeitige weitere Impfungen in Betracht zu ziehen.

HIV als mögliche Variantentreiber

Neben den individuellen Risiken kann ein protrahierter oder chronischer SARS-CoV-2-Infektionsverlauf auch die Entstehung von neuen Virusvarianten begünstigen und so den globalen Pandemieverlauf beeinflussen [4]. Chronische Virusinfektionen sind bei Immundefekten regelhaft beschrieben [4].

Cele und Kollegen beschreiben z. B. den Fall einer sechs Monate persistierenden Infektion mit der SARS-CoV-2-Ursprungsvariante bei einem Menschen mit HIV [5]. Zu mehreren Zeitpunkten wurden respiratorische Abstriche entnommen und das RNA-Material des Virus sequenziert. So konnten im Verlauf der protrahierten Erkrankung multiple Virusmutationen nachgewiesen werden, die zum Teil auch in den Virusvarianten Alpha, Delta, Gamma, Lambda und Omikron vorkommen. Erst nach Anpassung der antiretroviralen Therapie (ART), der damit einhergehenden immunologischen Erholung (steigende CD4-Zellzahl) sowie der virologischen Kontrolle der HIV-Viruslast unter die Nachweisgrenze gelang eine SARS-CoV-2-Eradikation [5].

Dieser Fall unterstreicht die Bedeutung einer wirksamen HIV-Therapie als Grundlage für eine immunologische und virologische Erholung des Patienten sowie als Präventionsmaßnahme, um möglichst die Entstehung weiterer Virusvarianten durch chronische SARS-CoV-2-Verläufe zu verhindern.

Grundimmunisierung

Eine weitere wichtige Präventionsmaßnahme gegen COVID-19 ist eine Impfung. Die Ständige Impfkommission (STIKO) setzt wissenschaftliche Erkenntnisse in Impfempfehlungen um (siehe Tab. 1 und Tab. 2). Zur Grundimmunisierung wird bei Menschen mit HIV die Anwendung eines mRNA-basierten Impfstoffs empfohlen [6]. Laut der STIKO sollte eine Grundimmunisierung bei PLWH zwischen 12-29 Jahren nur mit dem Vakzin BNT162b2 (BioNTech/Pfizer) durchgeführt werden. PLWH zwischen 5-11 sowie > 30 Jahren können auch mit dem Präparat mRNA-1273 (Moderna) grundimmunisiert werden. Diese Empfehlung der STIKO beruht auf einem vergleichsweise höheren Risiko einer Vakzin-assoziierten Peri-/Myokarditis nach Verwendung des Präparats mRNA-1273 bei Menschen < 30 Jahren [6].

Tab. 1 STIKO-Impfempfehlungen für Menschen mit HIV, bei denen mit einer geringen Einschränkung durch Immundefizienz zu rechnen ist, CD4-Zellzahl > 200/µl (Stand 24.05.2022) [6]
Tab. 2 STIKO-Impfempfehlungen für Menschen mit HIV, bei denen mit einer relevanten Einschränkung durch Immundefizienz zu rechnen ist, CD4-Zellzahl ≤ 200/µl (Stand 24.05.2022) [6]

Es konnte in mehreren Studien gezeigt werden, dass die Grundimmunisierung mittels der Vakzine BNT162b2 und mRNA-1273 in PLWH mit einer adäquaten serologischen Immunantwort sowie einer guten Verträglichkeit assoziiert ist [7, 8]. Der Erfolg einer Grundimmunisierung ist bei Menschen mit HIV maßgeblich vom Immunstatus abhängig. Mit abnehmender CD4-Zellzahl sowie replikativer HIV-Infektion (HIV-RNA > 200 Kopien/ml) steigt die Wahrscheinlichkeit für das Ausbleiben einer Immunantwort deutlich an [9]. Aus diesem Grund empfiehlt die STIKO bei stark immunsupprimierten PLWH mit einer CD4-Zellzahl ≤ 200/µl eine Optimierung der Grundimmunisierung durch eine zusätzliche Impfdosis. Diese sollte ≥ 4 Wochen nach der 2. Impfdosis verabreicht werden. Anschließend sollte eine Überprüfung der Impfantwort durch eine Antikörperbestimmung erfolgen (Tab. 2).

Sollten nach der 3. Impfstoffdosis weiterhin sehr niedrige bzw. keine Antikörpertiter im Sinne des humoralen Impfansprechens nachweisbar sein, gibt es verschiedenen Optionen. Möglich wäre entweder

  • die Dosis des verabreichten Impfstoffs Off-Label zu erhöhen,

  • eine andere Impfstofftechnik (Vektorimpfstoff, Proteinimpfstoff) zu verwenden oder

  • weitere mRNA-Impfstoffdosen in 4-wöchentlichen Abständen zu erwägen.

Die Verwendung eines Vektor-basierten Impfstoffs zur Grundimmunisierung wird trotz gutem Ansprechens, aufgrund seltener thrombembolischer Ereignisse, bei Menschen mit einer Immundefizienz nicht empfohlen [10, 11]. Zur Verwendung weiterer, in Deutschland zugelassener COVID-19-Impfstoffe (z. B. NVX-CoV2373) liegen bisher noch keine Empfehlung der STIKO zur allgemeinen Verwendung in PLWH vor, jedoch können diese bei produktspezifischen medizinischen Kontraindikationen erwogen werden [6].

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Bei Menschen mit HIV und einer CD4-Zellzahl ≤ 200/µl sollte nach der 3. Impfdosis eine Antikörperbestimmung erfolgen.

Auffrischimpfung

Die STIKO empfiehlt allen Personen über 12 Jahren eine Auffrischimpfung 3 Monate nach der Covid-Grundimmunisierung [12, 13]. Diese führt nachweislich zu einem verbesserten Immunschutz, auch gegen die aktuell kursierende Omikron-Variante.

Menschen mit HIV könnten von einer Auffrischimpfung besonders profitieren. Eine US-amerikanische Studie mit 109.599 Teilnehmenden zeigte, dass PLWH (n = 31.840) sieben Monate nach Grundimmunisierung häufiger an Impfdurchbrüchen erkrankten als Studienteilnehmer ohne HIV (n = 77.759) [14]. Interessanterweise war dieser Effekt unabhängig von der CD4-Zellzahl sowie der HIV-Viruslast.

Derzeit wird Menschen mit HIV - unabhängig von ihrem Immunstatus - zudem eine 2. Auffrischimpfung empfohlen. Diese sollte in einem Abstand von mindestens 3 Monaten zu der 1. Auffrischimpfung erfolgen (Tab. 1 und Tab. 2). Bei organtransplantierten und somit immunsupprimierten Patienten in Frankreich konnte bereits gezeigt werden, dass das Verabreichen einer 4. Dosis, ca. 28 Tage nach der 3. Dosis, zu einer relevanten Verbesserung des humoralen Impfansprechens führte [15]. Weitere Untersuchungen, v. a. für Menschen mit HIV, sind allerdings notwendig, um den Effekt der empfohlenen 4. Impfdosis besser einschätzen zu können.

Die Durchführung der Grundimmunisierung und der Auffrischimpfungen bei PLWH wird nach homologem Schema (immer der gleiche Impfstoff) empfohlen. Ein heterologes Impfschema (erst vektor-basierter Impfstoff, dann mRNA-basierter Impfstoff) wird trotz Hinweisen auf eine potentere humorale Immuninduktion und einen wirksameren Immunschutz aufgrund der Vektorimpfstoff-assoziierten Nebenwirkungen derzeit nicht empfohlen [16].

Hybridimmunität

Es stellt sich zudem die Frage nach der Immunpersistenz in COVID-19-Genesenen sowie der Bedeutung der Impfung für Genesene.

In einer prospektiven Kohortenstudie wurde der Schutz vor einer (erneuten) SARS-CoV-2-Infektion bei Menschen in Großbritannien nach Grundimmunisierung, nach durchgemachter Infektion sowie nach durchgemachter Infektion mit anschließender Impfung verglichen [17]. Die Kombination aus durchgemachter Infektion und nachfolgender Impfung war mit einem robusten Schutz über ein Jahr assoziiert. Der Schutz nach einer Infektion ohne anschließende Impfung ließ dagegen nach einem Jahr nach. Nach einer Grundimmunisierung ohne anschließende Infektion wurde bereits nach 6 Monaten ein Rückgang der Schutzwirkung beobachtet.

In einer großen Neutralisationsstudie, an der Mitarbeitende aus dem Gesundheitswesen teilnahmen, konnte gezeigt werden, dass nach dreifachem Kontakt mit dem SARS-CoV-2 Spike-Protein im Durchschnitt eine qualitativ hochwertige Immunantwort ausgebildeten wurde, die auch die Omikron-Variante effizient in vitro neutralisieren konnte [18]. Dabei war es nicht entscheidend, ob die Immunantwort durch eine dreifache Impfung oder durch eine Hybridimmunität (SARS-CoV-2-Infektion, dann Grundimmunisierung oder Grundimmunisierung, dann Durchbruchsinfektion) ausgebildet wurde.

Diese Erkenntnisse stützen die Empfehlungen, welche auch bei einer durchgemachten Covid-Infektion eine Vervollständigung der Impfung inklusive Auffrischimpfung vorsehen [6]. Für PLWH stehen hierzu bislang keine ausreichenden Daten zur Verfügung. Bei Menschen mit HIV und einer normalen Immunfunktion ist jedoch mit einer Schutzwirkung zu rechnen, die mit der der Allgemeinbevölkerung vergleichbar ist.

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Julian Triebelhorn

Klinik und Poliklinik für Innere Medizin II, Fakultät für Medizin, Klinikum rechts der Isar, Technische Universität München