Ob während einer akuten COVID-19-Infektion oder beim Long-Covid-Syndrom: Viele Coronapatienten leiden unter plötzlich auftretenden, persitierenden oder stärker werdenden Schmerzen. Dieser Beitrag liefert einen Überblick über die häufigsten Erscheinungsformen und Therapiemöglichkeiten.

Kaum ein Ereignis hat das tägliche Leben in den letzten Monaten so geprägt wie die Coronapandemie. Im nunmehr dritten Jahr ist dank internationaler Forschung bekannt, dass bei COVID-19 neben der Affektion des respiratorischen Systems auch Schmerzen wie Kopfschmerzen, Myalgien, Arthralgien und Thoraxschmerzen häufig während oder nach einer Infektion im Krankheitsverlauf zu beobachten sind. Dabei können sie sowohl ein Frühzeichen von COVID-19 sein als auch als anhaltende Symptomatik nach Rekonvaleszenz bestehen bleiben [1, 2].

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© SHOTPRIME STUDIO, Stock Adobe

Im Zusammenhang mit COVID-19 treten häufig Muskelschmerzen auf.

Pathophysiologie

Bei SARS-CoV-2 handelt es sich um ein respiratorisches Virus (Abb. 1) [3, 4, 5]. Einerseits scheint eine direkte ZNS-Invasion über den Bulbus olfactorius möglich, wobei als Eintrittsmechanismus der auch zentral exprimierte ACE-2-Rezeptor diskutiert wird [6]. Eine direkte ZNS-Invasion wird u. a. als Kopfschmerzursache diskutiert [7, 8]. Da die Zeichen der Neuroinflammation allerdings nicht mit dem Virusbefall korrelieren, wird angenommen, dass der lokal-schädigende Einfluss nur von unwesentlicher Bedeutung ist. Eine im Liquor nachgewiesene Virus-Enzephalitis durch SARS-CoV-2 scheint selten aufzutreten, insbesondere ist daher bei akuten Enzephalitiden differentialdiagnostisch an eine para-/postinfektiöse Autoimmunenzephalitis zu denken. Abschließend können systemische Reaktionen auf die Infektion wie z. B. proinflammatorische Zytokine [7] Schmerzen hervorrufen [4, 8, 9, 10].

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Häufige Schmerzarten bei COVID-19 und deren Pathophysiologie

Schmerzen bei akuter COVID-19-Infektion

Myalgien/Arthralgien

Allgemein bekannte Symptome einer "Erkältung" sind Arthralgien und Myalgien. Für COVID-19 zählt der "Klassiker" Myalgie zu den häufigsten Symptomen [11]. Wenngleich die Prävalenz von Myalgien in den verschiedenen Studien sehr variabel berichtet wird, gibt sie eine Metaanalyse und ein systemisches Review mit 19,3% an [12]. Das Vorliegen von Myalgien ist kein sicherer prognostischer Faktor für einen schwereren Krankheitsverlauf [13], allerdings können schwerer erkrankte COVID-19-Patienten laborchemisch erhöhte Laktat-Dehydrogenase(LDH)- und Creatin-Kinase(CK)-Werte vorweisen.

Kopfschmerzen

Wenngleich auch hier die berichtete Prävalenz sehr variabel ist, gelten Kopfschmerzen insgesamt als häufigstes unspezifisches Symptom [4, 7]. Die Häufigkeit von Kopfschmerzen im Rahmen der akuten Erkrankung unterscheidet sich bei COVID-19 und anderen Viruserkrankungen nicht. Anteilig werden Kopfschmerzen bei COVID-19 als unspezifisches systemisches Symptom auf eine Virusinfektion gewertet [14], möglicherweise assoziiert mit Hypoxie, Dehydrierung und Fieber [15, 16]. Einige Quellen erachten das Auftreten von Kopfschmerzen als prognostisch günstig für den Verlauf [17, 20], jedoch ist dies nicht unumstritten [21]. Kopfschmerzen können Frühzeichen der Erkrankung sein, aber auch noch lange nachdem die Patienten als "genesen" gelten, persistieren (s. u.). Der Schmerzcharakter kann sich u. a. als migräneform oder vom Spannungstyp äußern [17].

Als Verursacher von zerebralen Sinusvenenthrombosen haben v. a. COVID-19-Vektorimpfstoffe Aufmerksamkeit erfahren, wobei ein kausaler Zusammenhang mit einer Vakzin-induzierten immun-thrombotischen Thrombozytopenie (VITT) berichtet wird [18, 19]. Bei neu auftretenden Kopfschmerzen ist aber stets zu berücksichtigen, dass auch COVID-19 mit thrombembolischen Ereignissen einhergehen kann [19, 20]. Symptome wie Übelkeit, Erbrechen, fokal-neurologische Ausfälle und fokale Anfälle oder eine Analgetika-Resistenz sind Red Flags, die eine weiterführende Dia-gnostik notwendig machen. Die genauen Häufigkeiten von Sinusvenenthrombosen bei COVID-19 sind nicht bekannt, jedoch sind zahlreiche Fallberichte publiziert [21, 22, 23]. Ihr Auftreten wird als "selten", jedoch mit erhöhtem relativem Risiko bewertet [24].

Thoraxschmerzen

Thoraxschmerzen treten bei COVID-19 mit einer Prävalenz von 7,8-23,6% auf, können sowohl mit pulmonalen als auch mit kardialen Komplikationen assoziiert sein [3] und werden als Risikofaktor für einen schweren Covid-Verlauf diskutiert [25]. Auch im Rahmen von SARS wurden jedoch Thoraxschmerzen beschrieben [26], sodass auch diese Symptome nicht spezifisch für COVID-19 sind.

Anhaltende Schmerzen nach COVID-19-Rekonvaleszenz und De-novo-Schmerzen

Wie viele weitere COVID-19-assoziierte neurologische Beschwerden (z. B. Fatigue, kognitive Beeinträchtigungen) können auch Schmerzen persistieren [27]. In einer kontrollierten Studie litten 20% der genesenen COVID-19-Patienten drei Monate nach der Infektion noch an Schmerzen, die vor der Infektion nicht bestanden hatten [2]. Diese Schmerzen waren zu mehr als 66% im Kopfbereich lokalisiert, am zweithäufigsten (46,7%) am Rücken, gefolgt von den unteren Extremitäten (36,7%). Eine weitere Studie konnte zeigen, dass im Zeitraum von einem Jahr nach der Infektion bei noch ca. 10% der Patienten muskuloskelettale Schmerzen vorlagen, teilweise auch fluktuierend [28]. Zunehmend wird über das Auftreten des sogenannten "New daily persistent headache", NDPH (IHS 1.10, neu aufgetretener täglicher Kopfschmerz) nach COVID-19 berichtet [29, 30, 31]. Bei Patienten, die zuvor nie unter einer Migräne gelitten haben, können migräniforme Kopfschmerzen persistieren.

Migränepatienten wiederum können nach Genesung eine Aggravierung ihrer Kopfschmerzen erleben [32, 33]. Pathophysiologisch wird hier eine Aktivierung des trigeminovaskulären Systems im Rahmen der COVID-19-Infektion diskutiert [15, 34]. Persistierende Schmerzen, insbesondere Kopfschmerzen, nach einer Virusinfektion sind jedoch auch für andere Virusinfektionen vorbeschrieben und nicht COVID-19-spezifisch [35, 36].

Therapie

Generell ist über einen schweren Verlauf von Viruserkrankungen bekannt, dass sie mit der Entwicklung chronischer Schmerzen, Fatigue und psychischen Problemen assoziiert sind. Vor allem nach dem Überleben eines schweren Krankheitsverlaufs können Patienten eine posttraumatische Belastungsstörung entwickeln [37]. Inzwischen ist auch für COVID-19 bekannt, dass Schmerzen von Patienten als vordergründig belastend beschrieben werden und mit Angst und Depressionen assoziiert sein können [38, 39]. Es resultiert die Annahme, dass sich künftig hierdurch die Anzahl der zu behandelnden chronischen Schmerzpatienten deutlich erhöhen wird [37, 40]. Eine adäquate, wenn möglich auch multimodale analgetische Versorgung unter Berücksichtigung des biopsychosozialen Modells für Schmerz ist der Schlüssel, um einer Chronifizierung möglichst vorzubeugen und den Patienten in seiner Gesamtsituation erfolgreich therapieren zu können [40].

Zur Sicherung der adäquaten Patientenversorgung auch in Zeiten von Kontaktbeschränkungen kann der Einsatz von Telemedizin oder ein telefonischer Kontakt bereits helfen, den Patienten zu entlasten, den Versorgungszustand zu erfassen und ggf. zu reagieren, da sich gezeigt hat, dass sozial isolierte Menschen ohne Kontakte unter der Pandemie eine Zunahme ihrer Schmerzen erfahren [41].

Die Wahl des analgetischen Konzepts richtet sich nach dem angenommenen Pathomechanismus: Es können sowohl nozizeptive als auch neuropathische Schmerzen und Kopfschmerzen vorliegen [42] und somit unterschiedliche Wirkstoffe erfordern. Im Rahmen der akuten Erkrankung spielen meist nozizeptive Schmerzen eine Rolle, während bei anhaltenden Schmerzen auch neuropathische Schmerzen (z. B. im Rahmen einer Critical-Illness-Neuropathie) und persistierende Kopfschmerzen zunehmend an Bedeutung gewinnen. Nozizeptive Schmerzen und akute Kopfschmerzen im Rahmen der COVID-19-Erkrankung sollten nach dem WHO-Stufenschema, neuropathische Schmerzen mittels Co-Analgetika therapiert werden [43, 44, 45]. Bei den persistierenden Kopfschmerzen richtet sich die Therapie ebenfalls nach der vermuteten Art der Kopfschmerzen, z. B. entsprechend der Therapie der Migräne oder des Spannungskopfschmerzes. Für den Fall eines "hyperinflammatorischen" Zustandes werden bei einigen Patienten in der Akutphase der Erkrankung auch Korticosteroide eingesetzt [9, 46]. Auch bei migräneartigen, anhaltenden Kopfschmerzen kann Kortison erfolgreich sein [47], wie es auch beim Status migraenosus mitunter eingesetzt wird. Eine besondere Herausforderung stellt der neu aufgetretene persistierende tägliche Kopfschmerz (NDPH) dar, da dieser sich häufig als therapierefraktär herausstellt und die Gefahr eines Medikamentenübergebrauchskopfschmerzes besteht. Sollten hier Nicht-Opioide wie beispielsweise NSAR nicht hilfreich sein, wurde - allerdings größtenteils im Rahmen von Fallberichten - eine Wirksamkeit für Antikonvulsiva, Methylprednisolon, i.v.-Lidocain und Onabotulinumtoxin-A (BTX) berichtet [48].

Zusammenfassung

SARS-CoV-2 ist ein neurotropes Virus, das auf vielfältige Weise schmerzverursachend sein kann. Eine inter- und multidisziplinäre Zusammenarbeit unter Berücksichtigung des biopsychosozialen Modells für Schmerz ist sinnvoll, um zu vermeiden, dass aus COVID-19-Patienten von heute die chronischen Schmerzpatienten von morgen werden.

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Dilara Kersebaum

Sektion Neurologische Schmerzforschung und Therapie, Klinik für Neurologie, Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Campus Kiel

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Prof. Dr. med. Janne Gierthmühlen

Interdisziplinäre Schmerz- und Palliativambulanz, Klinik für Anästhesie und operative Intensivmedizin, Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Campus Kiel