Es gibt noch viele offene Fragen hinsichtlich des Post-/Long-Covid-Syndroms. Die Versorgung der betroffenen Patienten erfolgt im Allgemeinen primär durch hausärztlich tätige Kolleginnen und Kollegen. Wichtig ist hierbei eine umfassende Basisdiagnostik unter Berücksichtigung von Vorerkrankungen und Komorbiditäten. Was dies konkret bedeutet, wird in der S1-Leitlinie "Post-COVID/Long-COVID" dargelegt.

Zunehmend werden Ärzte in verschiedenen Fachbereichen mit Patienten konfrontiert, die von einer Covid-Erkrankung genesen sind, aber weiterhin unter Symptomen leiden. Primärer Ansprechpartner der Patienten ist in aller Regel der Hausarzt. Allerdings sind die Beschwerden oftmals unspezifisch und können lange anhalten. Da die therapeutischen Möglichkeiten limitiert sind, ist die Betreuung der Patienten im hausärztlichen Bereich oft eine große Herausforderung. Meist wird dann entsprechend den vorherrschenden Beschwerden ein Facharzt hinzugezogen. Es ist aber oft aufgrund der komplexen Symptomatik nicht klar, bei welchem Kollegen der Patient idealerweise vorzustellen ist.

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Die anhaltende körperliche Erschöpfung ist ein sehr häufiges Symptom im Rahmen des Long-/Post-Covid-Syndroms.

S1-Leitlinie "Post-COVID/Long-COVID"

Orientierungshilfen im Umgang mit Patienten mit anhaltenden Beschwerden nach der SARS-CoV-2-Infektion gibt die S1-Leitlinie "Post-COVID/Long-COVID" [1]. Die interdisziplinäre Leitlinie wurde federführend von der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin (DGP) unter Beteiligung u. a. der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM), der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN), der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie - Herz- und Kreislaufforschung (DGK), der Deutschen Gesellschaft für Neurorehabilitation (DGNR) sowie des Berufsverbands der Pneumologen (BdP) verfasst.

Die Leitlinie versteht sich als "klinisch-praktischer Leitfaden", der bei Long- und Post-Covid-spezifischen Symptomen eine klinische, diagnostisch-therapeutische Orientierung auf dem Boden einer noch begrenzten Datenlage liefern soll. Dabei wird v. a. dem klinischen Versorgungsweg Rechnung getragen. Die Leitlinie ist dabei als "work in progress" anzusehen, da es bislang auf viele Fragen noch keine Antworten gibt. Eine Überarbeitung ist alle sechs Monate geplant.

Inzwischen liegt auch eine Leitlinie zum Long-/Post-Covid-Syndrom für Betroffene, Angehörige, nahestehende und pflegende Personen vor [2].

Definition der anhaltenden Beschwerden

Anders als zunächst angenommen, handelt es sich bei COVID-19 um eine Multiorganerkrankung, die ein breites Spektrum an Manifestationen zeigen kann. Wie auch bei anderen Infektionen gibt es Berichte über anhaltende Symptome nach Abklingen der eigentlichen Infektion. Bestehen die Beschwerden länger als vier Wochen, spricht man von einem Long-Covid-Syndrom. Bei Symptomen mit einer Persistenz von mehr als zwölf Wochen ist von einem Post-Covid-Syndrom auszugehen.

Die Häufigkeit des Post-Covid-Syndroms variiert je nach untersuchter Patientenpopulation. Generell scheinen bis zu 15% betroffen zu sein. Ob sich im Einzelfall ein Long-/Post-Covid-Syndrom ausbildet, ist anscheinend unabhängig von vorbestehenden Komorbiditäten. "Allerdings können ähnliche somatische oder psychosomatische Beschwerden in der Anamnese bzw. eine hohe psychosoziale Belastung die Manifestation eines Post-Covid-Syndroms begünstigen", heißt es in der Leitlinie.

Noch unklare Ursache

Die genauen Ursachen des Long-/Post-Covid-Syndroms sind bislang nicht bekannt, und es fehlen laut Leitlinie für viele klinische Probleme noch pathophysiologische Evidenzen und klinische Studien. Diskutiert wird als Ursache die mögliche Persistenz von Viren oder Virusbestandteilen über Wochen und Monate. Aber auch postinfektiöse strukturelle Gewebeschäden - inklusive Endothelschäden und einer gestörten Mikrovaskularisierung - sowie eine Hyperkoagulabilität und Thrombosen können möglicherweise eine Rolle spielen. Das gilt ebenso für eine chronische Immundysregulation, für Autoimmunphänomene sowie für eine Dysregulation des Renin-Angiotensin-Aldosteron-Systems oder auch für Nebenwirkungen der COVID-19-Therapie.

Umfassende Diagnostik

Vor diesem Hintergrund wird in den Leitlinien zu einer Basisdiagnostik unter Berücksichtigung der Komorbiditäten geraten. Es ist eine sorgfältige Anamnese und klinische Untersuchung angezeigt sowie eine Bestimmung des Blutdrucks, der Herzfrequenz, der Temperatur, der Atemfrequenz und der Sauerstoffsättigung. Es sollten umfassende Laboruntersuchungen veranlasst und ein neurologischer Status erhoben werden. Außerdem sind detaillierte Screeningfragen zur Fatigue zu stellen. Des Weiteren ist nach psychischen Auffälligkeiten wie Depressionen und Angst zu fragen und die soziale, familiäre und berufliche Situation zu erfassen.

Große Symptomvielfalt

Die Fatigue als Langzeitsymptom ist auch von anderen Infektionskrankheiten bekannt. Das Problem ist nach einer COVID-19-Erkrankung aber überproportional häufig zu beobachten und geht mit einer erheblichen Belastung für die Patienten und mit einer massiven Einschränkung der Lebensqualität einher. Neben der Fatigue werden oftmals Kopfschmerzen sowie eine Belastungsdyspnoe, Herzrhythmusstörungen, kognitive Beeinträchtigungen, depressive Verstimmungen, Angststörungen, Schlafstörungen sowie Riech- und Schmeckstörungen angegeben.

Limitierte Therapiemöglichkeiten

Werden keine "Red flags" wie z. B. Herzrhythmusstörungen, eine anhaltende oder zunehmende Belastungsdyspnoe, die eine sofortige Intervention erfordern, diagnostiziert, ist zunächst ein "watchful waiting" gerechtfertigt. Allerdings sind Vorerkrankungen und Komorbiditäten zu berücksichtigen.

Weder bei der Fatigue-Problematik noch bei anderen Long-/Post-Covid-Symptomen gibt es bislang evidenzbasierte Therapieoptionen. Die Behandlung erfolgt deshalb direkt symptomorientiert. Hinsichtlich der Fatigue empfiehlt die Leitlinie zu prüfen, ob sich die Erschöpfung unter körperlicher Aktivität bessert, da dann ein Ansatz für eine zielgerichtete Therapie gegeben wäre. Die Patienten sollten zudem gefragt werden, ob die Fatigue zu relevanten Einschränkungen in Alltag und Berufsleben führt und ob weitere Symptome wie Schlafstörungen, Depressionen, Angst, eine Belastungsintoleranz, kognitive Störungen, eine orthostatische Intoleranz oder Schmerzen vorliegen.

Regionale Netzwerke bilden

Aufgrund der enormen Belastung der Patienten und des Ziels, möglichst eine Chronifizierung der Symptomatik zu vermeiden, ist eine rasche Ausschöpfung der therapeutischen Möglichkeiten wichtig. Hierzu sollten Netzwerke auf regionaler Ebene etabliert werden, über die ausgehend vom Hausarzt rasch eine gezielte Diagnostik und Therapie des Patienten realisiert werden kann. Wo immer möglich, schließt dies universitäre Post-Covid-Ambulanzen mit ein, die bislang allerdings noch nicht flächendeckend etabliert sind.

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Dr. med. Frank Powitz

Niedergelassener Lungenfacharzt in München