Die durch die COVID-19-Pandemie bedingte Änderung des gewohnten Arbeitsumfeldes etlicher Berufsgruppen hin zum monitorgebundenen "Homeoffice" in den eigenen vier Wänden kann auch ein typisches Augenleiden mit sich bringen bzw. verstärken - das Trockene Auge [1].

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© madrolly / stock.adobe.com (Symbolbild mit Fotomodell)

Das Trockene Auge ist eine der häufigsten Oberflächenerkrankungen des Auges. Je nach Studie liegt die Prävalenz zwischen 5% und 30% bei Patienten ab dem 50. Lebensjahr. Mit dem Alter nimmt die Rate an Erkrankten signifikant zu. Frauen sind häufiger betroffen als Männer.

Die breite Spanne an Prävalenzwerten ist durch Unterschiede in den Studiengruppen, geografischen Gegebenheiten sowie einer bis 2007 uneinheitlichen Klassifikation des Trockenen Auges bedingt [2].

Symptome bis hin zu stärksten Schmerzen

Die Symptome reichen von mildem Unbehagen im Sinne von Fremdkörpergefühl, Trockenheitsgefühl oder Kratzen bis hin zu stärksten Schmerzen und Sehverschlechterung, die ein Öffnen der Augen nahezu unmöglich machen. Nicht selten besteht eine deutliche Diskrepanz zwischen den subjektiven Einschränkungen und den objektiven klinischen Befunden [2]. Insgesamt reduziert die Erkrankung spürbar die Lebensqualität, und die Produktivität am Arbeitsplatz nimmt ab.

Knapp 60% der Patienten geben Beeinträchtigungen bei alltäglichen Erledigungen und Freizeitaktivitäten an, während 38% krankheitsbedingt sogar ihre Effizienz am Arbeitsplatz als eingeschränkt sehen [3, 4]. Damit stellt die Erkrankung nicht nur das Gesundheitssystem, sondern auch die Wirtschaft vieler Länder vor eine enorme Herausforderung [5].

Definition des Trockenen Auges

Seit 2017 ist das Trockene Auge definiert als eine "multifaktorielle Erkrankung der Augenoberfläche, die charakterisiert ist durch einen Verlust der Homöostase des Tränenfilms, begleitet von okulären Symptomen, in denen eine Instabilität und Hyperosmolarität des Tränenfilms, eine Inflammation und Schaden der Augenoberfläche sowie neurosensorische Anomalitäten eine Rolle spielen" [6].

60% der Patienten, die an einem Trockenen Auge leiden, sind in ihren alltäglichen Erledigungen und Freizeitaktivitäten beeinträchtigt.

Einteilung und Pathogenese

Der Komplex aus Augenoberfläche, Meibomdrüsen (modifizierte Talgdrüsen der Lidkanten; verantwortlich für die Lipidschicht im Tränenfilm), der Haupt-Tränendrüse und der akzessorischen Tränendrüsen sowie deren neuronale Verschaltung entsprechen einer funktionellen Einheit, deren Störung in Teilen oder im Ganzen ein Trockenes Auge auslösen kann. Aktuelle Studien demonstrieren, dass eine Entzündungsreaktion an Augenoberfläche und Tränendrüse eine wichtige Rolle in der Pathogenese spielen, und dass das Trockene Auge viele Aspekte einer Autoimmunerkrankung zeigt [7].

(Oxidativer) Stress durch Umweltfaktoren (z. B. trockene Heizungsluft), okuläre Erkrankungen, Allergien, Medikamente (Antihistaminika, Betablocker, Neuroleptika), operative Eingriffe am Auge, ausgiebige Bildschirmarbeit oder konzentriertes, exzessives Lesen sowie das Verwenden von Kontaktlinsen können Auslöser eines "entzündlichen Teufelskreis" mit Ausschüttung von proinflammatorischen Zytokinen und Entwicklung einer chronischen Entzündung an der Augenoberfläche sein. Daneben existieren aber auch andere organische bzw. autoimmune Ursachen, z. B. Diabetes mellitus, das primäre Sjögren-Syndrom, Kollagenosen (z. B. rheumatoide Arthritis) oder hormonelle Verschiebungen, z. B. in der Menopause [6].

Für den klinischen Alltag ist eine Einteilung des Trockenen Auges in folgende Formen sinnvoll:

  • das hyperevaporative Trockene Auge (bedingt durch eine erhöhte Verdunstung des Tränenfilms, meist bei einer Dysfunktion der Meibomdrüsen) oder

  • der Tränenmangel (bedingt durch eine reduzierte Tränenproduktion).

Allerdings liegt beim Trockenen Auge oft eine Mischform vor.

Diagnostik und klinische Untersuchung

Anamnese

Allen voran steht eine ausführliche Anamnese der aktuellen Symptome, der Art und Dynamik des Auftretens sowie der Dauer der Beschwerden. Zur genauen Unterscheidung zwischen einem wirklichen Trockenen Auge, allergischen Veränderungen oder gar einer Infektion der Bindehaut (Konjunktivitis) bzw. Hornhaut (Keratitis) muss neben klinischer Untersuchung und diagnostischer Tests auf folgende Punkte Wert gelegt werden: eine ausführliche Anamnese des häuslichen und Arbeitsumfeld (z. B. Staub- oder UV-Exposition, konstante Zugluft), die medizinische Vorgeschichte (rheumatologische oder dermatologische Erkrankungen, chronische Infektionskrankheiten wie HIV oder Hepatitis, Diabetes mellitus) und die aktuelle Dauermedikation zum Ausschluss unerwünschter Arzneimittelnebenwirkungen (s. o.) [8].

Makroskopisch

In der klinischen Untersuchung soll ein Augenmerk auf die Lidschlagrate, welche bei Patienten mit Trockenem Auge deutlich vermindert sein kann, gelegt werden. Überdies erfolgt der Lidschlag oft nur inkomplett [9]. Im Zuge dessen ist auf eine detaillierte Untersuchung der Lider zu achten. Fehlstellungen (z. B. ein Entropium oder Ektropium) sowie ein inkompletter Lidschluss nach Trauma oder bei Parese des Nervus facialis können ein Trockenes Auge begünstigen und bedürfen oft einer operativen Therapie.

Spaltlampenuntersuchung

Spaltlampenmikroskopisch können an den Lidrändern die Meibomdrüsen untersucht werden. Zeichen einer Entzündung bzw. Dysfunktion der Meibomdrüsen sind häufig mit einem hyperevaporativem Trockenen Auge assoziiert. Die Meibomdrüsen zeigen in diesem Fall blockierte Ausführungsgänge, die Lidkanten sind oftmals verdickt, irregulär und weisen zudem Teleangiektasien auf. Das Meibomsekret ist schwer exprimierbar und hat statt einer öligen häufig eine verdickte, milchige bis hin zu Zahnpasta-ähnlichen Konsistenz (Abb. 1).

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© S. Kassumeh

Meibomdrüsendysfunktion. Irreguläre, verdickte Lidkante mit Teleangiektasien und gestauten Meibomdrüsen.

Im nächsten Schritt sollte bei der Untersuchung der Bindehaut auf charakteristische, sogenannte lidparallele Bindehautfalten (LIPCOF) als Folge einer erhöhten mechanischen Beanspruchung durch die Lider bei Trockenem Auge geachtet werden. Zusätzlich lässt sich der Tränenmeniskus - die Höhe des Tränenfilms auf der unteren Lidkante (Normwert ca. 0,5 mm) - messen, der bei erkrankten Patienten in der Regel deutlich verringert ist [10].

Im klinischen Alltag wird zur Visualisierung des Tränenfilms sowie feiner Hornhautepithelveränderungen der Farbstoff Fluorescein verwendet. Unter blauem Licht an der Spaltlampe lässt sich damit u. a. die sogenannte Tränenfilm-Aufreißzeit (Break-Up-Time, BUT), also die Zeit unmittelbar vom Augenöffnen bis zum "Aufreißen" des Tränenfilms, messen. Diese soll zumindest 10 Sekunden betragen. Der für das Trockene Auge typische Schaden an Hornhaut- und/oder Bindehautoberfläche wird auch als "Hornhautstippung" bezeichnet. Deren Schwere und Verteilungsmuster kann der Einteilung in verschiedene Schweregrade dienen.

Schirmer-Test

Der Schirmer-Test dient der Messung der Tränensekretion. Mittels kalibrierten Lackmuspapierstreifen (35 × 5 mm), welche in den temporalen Bindehautsack am Unterlid eingesetzt werden, wird bei geschlossenen Augen die Tränensekretion über 5 Minuten ohne und mit Lokalanästhesie gemessen. Ein Wert < 5 mm in 5 Minuten wird als pathologisch angesehen und ist ein Hinweis auf einen schweren Tränenmangel [11] (Abb. 2).

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© Augenklinik und Poliklinik, Klinikum der Univ. München, LMU München

Für den Schirmer-Test werden Lackmuspapierstreifen an den Unterlidern eingesetzt.

Therapie

Goldstandard: Tränenersatzmittel

Unabhängig von der klinischen Einteilung werden Tränenersatzmittel in unterschiedlicher Formulierung und unterschiedlichem Viskositätsgrad zur Therapie des Trockenen Auges verwendet. Viele Präparate sind mit Hyaluronsäure oder Zellulosederivaten versetzt. Je nach Schweregrad können flüssige oder dicke, gelartige Therapeutika verwendet werden. Additiv können bei einer Störung der Meibomdrüsen lipidhaltige Tränenersatzmittel, z. B. mit Triglyceriden oder Phospholipiden, angewandt werden.

Tränenmangel

Sobald Tränenersatzmittel sowie eine Optimierung der Umweltfaktoren die Beschwerden und Befunde nicht bessern, und auch bei schwerem Tränenmangel mit Oberflächenschädigung, ist ein Durchbrechen des entzündlichen Teufelskreises der Augenoberfläche durch eine antientzündliche Therapie notwendig. Kurzzeitig können hierfür 2 bis 4 Wochen konservierungsmittelfreie Kortikosteroid-Augentropfen (z. B. Hydrocortison) verwendet werden. Topische Kortikosteroide dürfen jedoch aufgrund ihrer möglichen Komplikationen (Augeninnendruckanstieg, Kataraktentwicklung) nicht langfristig appliziert werden [12].

Seit 2003 ist in den USA zur langfristigen Anwendung eine Immunmodulation mittels topischer Therapie von 0,05% Ciclosporin A zweimal täglich zugelassen. Hierunter konnte in einer prospektiven Studie bei 72% der 64 eingeschlossenen Patienten eine objektive und subjektive Befundbesserung erreicht werden [13]. Seit 2015 ist eine 0,1%-ige Ciclosporin-A-Suspension auch in Europa für die Behandlung des Trockenen Auges zugelassen. Diese zeigte ähnliche Erfolge in einer randomisiert-kontrollierten Studie [14]. Additiv kann bei schwerem Mangel eine temporäre Okklusion der Tränenpünktchen mittels Silikonplugs erfolgen.

Hyperevaporatives Trockenes Auge

Bei dieser Form steht die Instabilität des Tränenfilms durch Mangel der Lipidschicht im Vordergrund. Diese ist sehr häufig Folge einer Störung der Meibomdrüsen an den Lidkanten. Eine niedrigdosierte, mehrwöchige (6-12 Wochen) systemische Therapie mit dem bakteriostatischen Antibiotikum Doxycyclin, welches wegen seines antiinflammatorischen Effekts auch auf die Meibomdrüsen wirkt, konnte eine signifikante Besserung der Tränenfilmstabilität und der Symptome erzielen [15].

Azithromycin, ebenfalls ein Antibiotikum mit antiinflammatorischer Wirkung, kann als topische Therapie der Lidrandentzündung sowie der Meibomdrüsendysfunktion verwendet werden. Mittels 1%-iger ophthalmologischer Azithromycin-Suspension konnten ähnliche Effekte wie bei der systemischen Therapie mit Doxycyclin erreicht werden [16].

Als Basistherapie sollte in jedem Fall zweimal täglich eine Reinigung der Lidränder erfolgen. Hierfür werden - nach Auflegen von warmen Kompressen (ca. 35 °C) für mehrere Minuten auf die Augenlider - bei geschlossenen Augen die Meibomdrüsen mithilfe eines kosmetischen Wattestäbchens zum Lidrand hin ausgestrichen. Dies dient dem Entleeren der blockierten Ausführungsgänge und der nachhaltigen Stabilisierung der Lipidschicht im Tränenfilm [17].

Schlussendlich ist das chronische Trockene Auge meist ein Mischbild aus Hyperevaporation und Tränenmangel, sodass sich nicht nur Patient und Arzt des Öfteren die Hand reichen, sondern auch die Therapiestrategien der beiden klinischen Formen - wenngleich ersteres in der aktuellen Zeit nur in Gedanken erfolgen sollte.

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Dr. med. Stefan Kassumeh

Augenklinik und Poliklinik, Klinikum der Universität, LMU München