Wenn Sie als "Familienarzt" mit dem Impfen von Kindern und Jugendlichen betraut werden, gibt es einiges zu beachten. Über aktuelle Neuerungen bei den STIKO-Empfehlungen sowie Tipps und Tricks zum stressfreien Impfen der kleinen Patientinnen und Patienten informiert Sie der nachfolgende Beitrag.

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© Konstantin Yuganov / stock.adobe.com (Symbolbild mit Fotomodellen)

Das Impfen von Kindern und Jugendlichen als wichtige Präventionsmaßnahme im Rahmen der Basisgesundheitsversorgung ist Metier des niedergelassenen Kinder- und Jugendarztes. Als "Familienarzt" ist es je nach Struktur jedoch oft Aufgabe des Allgemeinmediziners und Hausarztes, die gesundheitliche Versorgung von Kindern und Jugendlichen mit zu übernehmen.

Bei der Fülle an Empfehlungen ist es nicht leicht, im deutschen "Impfdschungel" für die kleinen Patientinnen und Patienten den Durchblick zu behalten. Auch stellt der Impfvorgang an sich, insbesondere bei Säuglingen und Kleinkindern, den einen oder anderen "Erwachsenenmediziner" vor große Herausforderungen und bedeutet Stress für den Arzt und das Kind.

Das Robert-Koch-Institut (RKI) hat für diese Situation einige Tipps und Tricks für den Praxisalltag veröffentlicht [1], u. a. ein Poster für die Praxisräume über Schmerz- und Stressreduktion bei Kindern (s. Abb. 1). Mit diesem Poster will das RKI Eltern informieren, wie diese ihr Kind beim Impfen unterstürzen können. Auf den Internetseiten des RKI über schmerzreduziertes Impfen finden sich noch weitere hilfreiche Hinweise für den behandelnden Arzt [1]. So beginnt stressfreies Impfen schon mit der Aufklärung: Es ist wichtig, die Eltern und je nach Alter auch das Kind offen über die Schmerzhaftigkeit der Impfung zu informieren - ein "das tut überhaupt nicht weh" sollte unbedingt vermieden werden, da in Zukunft meist noch weitere Impfungen anstehen. Je ruhiger und entspannter der Arzt ist, desto beruhigter das Kind - auch Ablenkungsmanöver können helfen. Wichtige praktische Aspekte zu Impfungen bei Kindern sind in Tab. 1 zusammengefasst.

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© Robert-Koch-Institut

Mit diesem Poster will das RKI Eltern informieren, wie sich Schmerzen und Stress beim Impfen ihrer Kinder reduzieren lassen [1].

Tab. 1 Praktische Hinweise zur Durchführung von Impfungen bei Kindern

Impflücken und falsche Kontraindikationen vermeiden

Insbesondere in der frühen Kindheit ist das Risiko für das Auftreten von Komplikationen der typischen, impfpräventablen "Kinderkrankheiten" hoch und die Impfung oftmals einziger Schutz. Daher ist der frühzeitige Beginn der Grundimmunisierung im Alter von 8 Wochen bedeutsam. Oft äußern Eltern jedoch ungerechtfertigte Bedenken, das Immunsystem der jungen Säuglinge durch zu frühes Impfen zu überfordern. Aber auch ärztlicherseits kommt es leider häufig zur Verzögerung bei der Grundimmunisierung, da die Impfung wegen "falschen Kontraindikationen" (s. Tab. 2) verschoben wird.

Tab. 2 Häufige ungerechtfertigte Gründe, die zur Nichtdurchführung empfohlener Impfungen führen

Eine rechtzeitige und an den Wissensstand der Eltern angepasste Aufklärung und leicht zugängliches, seriöses Informationsmaterial sind wichtige Werkzeuge, um Impflücken zu schließen. So bietet das Robert-Koch-Institut Impfaufklärungsbögen in verschiedenen Sprachen und Informationsmaterial für die Praxis an. Insbesondere über häufige Nebenwirkungen wie Fieber sollte aufgeklärt und ausreichend Fiebersaft oder -zäpfchen verordnet oder vorhanden sein, um eine anhaltend gute Adhärenz zu erreichen.

Moderne Impfstoffe sind gut verträglich und schwere unerwünschter Nebenwirkungen sehr selten. Eine unterbrochene Grundimmunisierung muss weder bei Kindern noch Erwachsenen neu begonnen werden - jede Impfung zählt! Altersabhängig werden manche Impfungen nur bis zu einem bestimmten Zeitpunkt nachgeholt: Die Grundimmunisierung gegen Pneumokokken bis zum zweiten und Hämophilus influenzae bis zum fünften Geburtstag [2]. Altersabhängige Schemata zu Nachholimpfungen finden sich im epidemiologischen Bulletin des RKI [2].

Was ist neu?

Die aktuellsten Empfehlungen der STIKO werden jährlich im epidemiologischen Bulletin veröffentlicht [2]. Wichtige Einzelempfehlungen werden auch unter dem Jahr publiziert. Die Empfehlung vom August 2020 enthält einige wichtige, insbesondere Kinder betreffende Neuerungen (Tab. 3).

Tab. 3 Die wichtigsten Neuerungen zu Impfungen auf einen Blick

Informationsmaterialien des RKI zum Impfen von Kindern - u. a. das abgebildete Poster - finden Sie unter: https://bit.ly/3eRnGDb

Pertussis-Impfung: Erstmals wird mit einer zusätzlichen Pertussis-Impfung im dritten Trimenon der Schwangerschaft eine vorgeburtliche, maternale Impfung zum Schutz von Neugeborenen empfohlen. Die Impfung kann unabhängig vom Abstand zur letzten Pertussis-Impfung mit einem Tdap-Kombinationsvakzin erfolgen. Hierdurch verspricht man sich eine Verstärkung des "Nestschutzes" des Neugeborenen, welches insbesondere im ersten Lebenshalbjahr anfällig für schwere Verläufe der Pertussiserkrankung ist.

Masernimpfung: Kinder, die in Betreuungseinrichtungen gehen, sind direkt vom im März 2020 verabschiedeten Masernschutzgesetz betroffen. Demnach muss vor dem Besuch einer Kinderbetreuungseinrichtung ein ausreichender Masernschutz nachgewiesen werden. Die erste Regelimpfung gegen Masern sollte im Alter von 11 Monaten mit einem Kombinationsimpfstoff (MMR) durchgeführt werden - wenn möglich getrennt von Varizellen, da nach Vierfachimpfung mit MMR-V-Impfung ein minimal erhöhtes Risiko für fieberassoziierte Krampfanfälle besteht. Es kann jedoch simultan, d. h. am selben Tag an zwei Impfstellen (oder im Abstand von vier Wochen) geimpft werden. Eine zweite Impfung kann dann mit einem MMR-V-Kombinationsimpfstoff im Alter von 15 Monaten erfolgen.

HPV-Impfung: Seit 2019 empfiehlt die STIKO die HPV-Impfung auch für Jungen, welche von den meisten gesetzlichen Krankenkassen übernommen wird. Wird die Impfserie zwischen 9 und 14 Jahren begonnen, ist ein Impfschema mit 2 Dosen (0-5 Monate) zugelassen; wird nach dem 14. Lebensjahr begonnen, ist eine dritte Impfdosis erforderlich.

6-fach-Impfstoff: Eine deutliche Erleichterung im engen Impfkalender der Kinder bringt die neueste Empfehlung der STIKO, die Grundimmunisierung gegen Diphtherie (D), Tetanus (T), Pertussis, Poliomyelitis, Hämophilus influenzae (Hib)und Hepatitis B (HepB) mit dem sog. "6-fach-Impfstoff" nun nach einem reduzierten 2+1 Schema anstatt des bisher üblichen 3+1 Schema zu impfen. Ziel ist hierbei, den Impfplan zu vereinfachen, die Anzahl der Impfdosen zu reduzieren, zusätzliche Arzttermine für Eltern und Säuglinge einzusparen und Möglichkeiten für weitere sinnvolle Impfungen, z. B. gegen Meningokokken Typ B (derzeit noch nicht allgemein durch die STIKO empfohlen) zu geben.

Die Vorgabe von Lebensmonaten anstatt den früheren Zeitintervallen soll den zeitgerechten Abschluss der Grundimmunisierung fördern. So wird die "6-fach-Impfung" im Alter von 2, 4 und 11 Monaten empfohlen und kann z. B. unkompliziert zur U4 (3.-4. Lebensmonat) und U6 (10.-12. Lebensmonat) erfolgen. Wichtig für einen ausreichenden Schutz ist der frühe Beginn im Alter von 8 Wochen. Für einen zuverlässigen und lang andauernden Impfschutz ist es notwendig, die empfohlenen Mindestabstände einzuhalten: 8 Wochen zwischen erster und zweiter und mindestens 6 Monate zwischen zweiter und dritter Impfdosis - daher die Bezeichnung "2+1". Mindestabstände zu anderen Tot- und Lebendimpfungen sind nicht erforderlich. Ziel ist es, die Impfserie um den ersten Geburtstag, idealerweise mit der U6, spätestens bis zum zweiten Geburtstag abzuschließen.

Hintergrund der neuen Empfehlung sind Daten, dass sich die Wirksamkeit der Pertussis-Impfung von zwei bzw. drei Impfdosen im Säuglingsalter nicht wesentlich unterscheidet. Aufgrund der Zulassungsstudien der azellulären Pertussis-Impfstoffe wurden bei Einführung zunächst drei Impfdosen empfohlen. Für die anderen Komponenten des "6-fach-Impfstoffes" (D, T, Polio, Hib, HepB) war bereits früher bei Einzelanwendung ein 2+1 Impfschema zur Grundimmunisierung ausreichend und empfohlen.

COVID-19

Aus aktuellem Anlass muss auch die COVID-19-Impfung erwähnt werden. Einer der zugelassenen mRNA-Impfstoffe (Comirnaty®/BioNTech) kann bereits Jugendlichen ab 16 Jahren verabreicht werden. Gerade bei Vorliegen einer Grunderkrankung (z. B. Trisomie 21, chronische Nieren-, Herz-, Lungenerkrankungen) oder einem Infektionsrisiko gemäß dem STIKO-Stufenplan ist eine priorisierte Impfung in dieser Altersgruppe durchaus sinnvoll und möglich. Zudem stellt die Gruppe der Jugendlichen, insbesondere bei ansteigender Inzidenz, eine wichtige Impfpräventionsgruppe dar.

Eine offizielle Impfempfehlung für Kinder unter 16 Jahren ist derzeit noch nicht abzusehen; eine Zulassung des BioNTech-Impfstoffes für Kinder ab 12 Jahren wird jedoch aktuell bei der EMA (europäische Arzneimittelagentur) beantragt.

Die COVID-19-Impfung ist in aller Munde - leider gibt es aber auch zunehmend Daten, dass seit der COVID-19-Pandemie, insbesondere während des Lockdowns, viele geplante Impftermine nicht wahrgenommen wurden, u. a. aus Sorge vor Ansteckung beim Arzt. Somit sind zuletzt relevante Impflücken bei den Standardimpfungen entstanden, die dringend nachzuholen sind. Nur durch ein funktionierendes Impfprogramm können die kleinen Patientinnen und Patienten weitgehend vor lebensbedrohlichen Erkrankungen geschützt werden.

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Dr. med. Simone Kenntner

Kinderklinik und Poliklinik Universitätsklinik Würzburg